Urteil vom Landgericht Aachen - 7 S 165/88
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 19. Februar 1988 verkündete Urteil des Amtsgerichts Aachen 11 C 361/87 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
2Die Berufung ist zulässig; sie ist an sich statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
3Dem Kläger stehen aus dem Unfallereignis vom 22.03.1987 keine Ansprüche gegen die Beklagten zu. Dabei kann dahinstehen, wie der Hergang des Unfalles im einzelnen war, insbesondere ob die Beklagte zu 1) mit ihrem Fahrzeug bereits einige Zeit vorher, und wenn ja wielange, auf der in ihrer Fahrtrichtung gesehenen linken Fahrbahnhälfte gefahren ist und ob es zu einem sogenannten seitlich versetzten Frontalzusammenstoß oder einem seitlichen, mehr streifenden Zusammenstoß gekommen ist. Jedenfalls war der Kläger nach § 10 StVO verpflichtet, alles zu tun, um die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, wie der Beklagten zu 1), zu vermeiden. Bei der nach § 17 Abs. 1 StVG erforderlichen Abwägung tritt ein eventuell der Beklagten zu 1) anzulastender Verkehrsverstoß ebenso völlig zurück, wie die Betriebsgefahr des Fahrzeuges der Beklagten zu 1).
4Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 9 Abs. 5 StVO zu Lasten der Beklagten zu 1) vorliegend nicht mit der Folge anwendbar, daß die Betriebsgefahr der am Verkehrsunfall beteiligten Fahrzeuge gleichgewichtig wäre. Zwar ergreift § 9 Abs. 5 StVO seinem Wortlaut nach, wonach sich der in ein Grundstück abbiegende Fahrzeugführer so zu verhalten hat, daß eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, auch den vorliegenden Fall. Nach ihrem Sinn und Zweck ist die Norm jedoch nicht in der vorliegenden besonderen Fallkonstellation anwendbar. Soweit ersichtlich ist die vorliegende Konstellation, daß ein aus einem Grundstück ausfahrendes Kraftfahrzeug mit einem in das gleiche Grundstück einfahrenden Kraftfahrzeug kollidiert, in der Rechtsprechung noch nicht entscheiden worden und wird auch in der Literatur nicht behandelt. Vielmehr sind Gegenstand von veröffentlichten Entscheidungen wie auch von Erörterungen in der Literatur diejenigen Fälle, in denen ein aus einem Grundstück ausfahrender bzw. in ein Grundstück abbiegender Kraftfahrzeugführer mit einem anderen Verkehrsteilnehmer, der am fließenden Straßenverkehr teilnimmt, kollidiert. Soweit in Rechtsprechung und Literatur Äußerungen zu finden sind, wonach § 9 Abs. 5 StVO nur bei Kollisionen mit durchgehendem bzw. fließendem Verkehr gilt (vgl. OLG Saarbrücken, VM 1978, 95, 96; OLG Frankfurt, VM 1979, 86; Jagusch-Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 29. Auflage 1987, § 9 StVO Rdnr. 44, 52), sind diese Ausführungen nicht tragend, weil keine dem vorliegenden Fall vergleichbare Konstellation entschieden worden ist.
5Die Kammer ist jedoch mit dem Amtsgericht der Ansicht, daß § 9 Abs. 5 StVO in der vorliegenden Fallkonstellation nicht anwendbar ist. Wenn der Verordnungsgeber in § 9 Abs. 5, 10 StVO in bestimmten Situationen von einem Kraftfahrzeugführer verlangt, daß er sich so verhalte, daß eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, so trägt er damit dem allseits bekannten Umstand Rechnung, daß die meisten Verkehrsunfälle nicht im fließenden Verkehr geschehen, sondern in anderen Situationen, in denen ein Verkehrsteilnehmer den fließenden Verkehr der anderen Verkehrsteilnehmer unterbricht. Deshalb legt der Verordnungsgeber sowohl dem in ein Grundstück abbiegenden wie dem wendenden und rückwärtsfahrenden als auch dem in eine Fahrbahn ein- bzw. vom Fahrbahnrand anfahrenden Fahrzeugführer die besonderen Sorgfaltspflichten auf. Diesem Sinn und Zweck entsprechend gilt § 9 Abs. 5 StVO daher nicht, wenn diese typische Gefahrenlage, daß ein Verkehrsteilnemer den Verkehrsfluß der anderen unterbricht, nicht vorliegt. Demgemäß ist bereits entschieden worden, daß § 9 Abs. 5 StVO jedenfalls nur eingeschränkt auf öffentlichen Parkplätzen gilt, weil dort ohnehin regelmäßig mit geringeren Geschwindigkeiten gefahren wird (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.). Dagegen obliegt die besondere Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO dem in ein Grundstück Abbiegenden nicht gegenüber solchen Fahrzeugführern, die selbst nicht Teilnehmer am fließenden Straßenverkehr sind, wie vorliegend der Kläger. Die typische Gefährdung, der § 9 Abs. 5 StVO Rechnung trägt, bestand nur im Verhältnis zu den die P1 Straße befahrenden anderen Kraftfahrzeugen, nicht jedoch im Verhältnis zum klägerischen Fahrzeug. Demgegenüber fällt dem Kläger, was er selbst auch nicht in Abrede stellt, eine Verstoß gegen § 10 StVO zur Last. Für ihn war die Beklagte zu 1) eine Teilnehmerin am fließenden Straßenverkehr. Er hatte ihr das Vorrecht zu gewähren und darauf zu achten, daß sie nicht gefährdet werden konnte. Die ihm insoweit obliegende gesteigerte Sorgfaltspflicht hat er nicht genügt, indem er nach seinem eigenen Vortrag sich nur nach links umgeschaut hat und dann in die P1 Straße eingebogen ist. Darüberhinaus ist der Kläger, wie die Zeugen T und P2 übereinstimmend bekundet haben, mit erheblicher Geschwindigkeit aus dem Tankstellenbereich auf die P1 Straße eingebogen, was der Kläger ebenfalls nicht in Abrede gestellt hat. Infolgedessen trifft den Kläger ein erheblicher Verschuldensvorwurf, hinter dem ein etwaiger Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1) zurücktreten muß.
6Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
7Berufungsstreitwert: 862,-- DM
8T2 L D
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