Beschluss vom Landgericht Arnsberg - 2 Qs-362 Js 118/16-78/18
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Amtsgerichts B vom 01.11.2018 aufgehoben, soweit der Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt worden ist, und die Anklage vom 02.01.2018 auch insoweit zugelassen, als den Angeschuldigten gemeinschaftlicher Kinderhandel gemäß § 236 Abs. 1 S. 1 bzw. S. 2 StGB zur Last gelegt wird. Es wird auch insoweit das Hauptverfahren vor dem Strafrichter beim Amtsgericht B eröffnet.
1
Gründe:
2I.
3Mit der Anklage vom 02.01.2018 wird der Angeschuldigten H vorgeworfen, ihr noch nicht achtzehn Jahre altes Kind unter grober Vernachlässigung der Fürsorge- und Erziehungspflicht einem anderen auf Dauer überlassen und dabei gegen Entgelt oder in der Absicht gehandelt zu haben, sich zu bereichern. Den Angeschuldigten U und G. T. wird vorgeworfen, ein Kind auf Dauer bei sich aufgenommen und hierfür Entgelt gezahlt zu haben.
4Ausgang des Verfahrens war eine anonyme Anzeige aus der V, die letztlich der S zugeordnet werden konnte. Diese war ebenso wie die Angeschuldigten Mitglied in der geschlossenen Facebookgruppe „Leihmutterschaft- Die einzig wahre Gruppe“. In dieser habe sie Schriftverkehr zwischen der Angeschuldigten H und dem Angeschuldigten G. T. gesichert, aus dem sich der Rückschluss ergebe, dass die Angeschuldigte H ihr noch zu gebärendes Kind an die Angeschuldigten T. gegen Zahlung von Geld abtreten würde, was letztlich nach der Geburt des Kindes und Eintragung des Beschuldigten U. T. als Vater auch geschehen sei. Dabei sei es zu einer Zahlung von mindestens 1.850,00 €, zum Teil vor der Geburt des Kinds und zum Teil danach, gekommen.
5Dem Angeschuldigten G. T. wird außerdem der Besitz kinderpornographischer Schriften vorgeworfen.
6Das Amtsgericht B hat mit Beschluss vom 01.11.2018 die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich des Vorwurfs des gemeinschaftlichen Kinderhandels aus rechtlichen Gründen abgelehnt, da insoweit kein hinreichender Tatverdacht gegeben sei. Im Übrigen hat es das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten G. T. eröffnet. Hinsichtlich der Nichteröffnung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass der Tatbestand des Kinderhandels gemäß § 236 Abs. 1 StGB bereits nach der Anklageschrift nicht erfüllt sei. Erforderlich für die Verwirklichung des Tatbestands sei in jedem Fall, dass die Mutter des Kindes das Kind unter grober Vernachlässigung der Fürsorge- und Erziehungspflicht überlassen habe. Eine solche Pflichtverletzung ergebe sich entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht bereits aus der entgeltlichen Überlassung des Kindes als solche, sondern müsse gesondert positiv festgestellt werden, was vorliegend nicht erfolgt sei.
7Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde. Diese begründet sie zusammengefasst damit, dass die Gröblichkeit der Pflichtverletzung alleine durch den "Verkauf" des Kindes unter Umgehung staatlicher Überwachungsmechanismen begründet werden könne. Eine solche Pflichtverletzung ergebe sich außerdem daraus, dass sich das vorliegende Geschehen in der Gesamtwürdigung als "Verkauf" des zum Objekt gewordenen Minderjährigen darstelle.
8Die Verteidiger der Angeschuldigten beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie vertreten die Auffassung, dass der Angeschuldigten H eine gröbliche Pflichtverletzung im Sinne des § 236 StGB nicht vorzuwerfen sei, so dass das Amtsgericht hinreichenden Tatverdacht zurecht nicht angenommen habe.
9II.
10Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
11Sie ist auch begründet. Der Beschluss war daher teilweise aufzuheben und das Hauptverfahren auch hinsichtlich des Vorwurfs des Kinderhandels zu eröffnen, da bei vorläufiger Bewertung hinreichender Tatverdacht, also die etwas überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung, besteht.
12Die Streitfrage, ob eine Pflichtverletzung der Mutter gesondert positiv festzustellen ist oder ob eine solche allein in der entgeltlichen Überlassung des Kindes zu sehen ist, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Nach Ansicht der Kammer ist hier jedenfalls hinreichender Tatverdacht gerade auch im Hinblick auf die grobe Vernachlässigung der Fürsorge- und Erziehungspflicht der Angeschuldigten H anzunehmen. Gröblichkeit der Pflichtverletzung setzt voraus, dass die Tat objektiv und subjektiv schwer wiegt. Bei der Beurteilung der Pflichtverletzung ist eine Gesamtwürdigung des Geschehens vorzunehmen. Eine solche Gesamtwürdigung führt vorliegend jedenfalls nach Aktenlage zu der Annahme einer gröblichen Pflichtverletzung. Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass die Angeschuldigte H das Kind unmittelbar nach der Geburt, also in einem Moment höchster Schutzbedürftigkeit, zwei ihr bis dahin nahezu unbekannten Personen überlassen hat, die sie ausweislich der Screenshots von den Facebook-Postings des Angeschuldigten G. T. (Bl. 89 d.A.) erst zwei Monate vor der Geburt des Kindes über das Internet kontaktiert hatte. Nach der Geburt hat sie selber, was die Angeschuldigten T. in Kenntnis der vorgenannten Umstände wussten und billigten, jeglichen Kontakt zum und jede Einflussmöglichkeit auf das Kind abgegeben und es allein dem Einfluss der ihr nahezu unbekannten und hunderte Kilometer entfernt wohnenden Angeschuldigten T. überlassen. Allein in dieser völligen Aufgabe der Fürsorge und Abgabe des Kindes an ihr nahezu fremde Personen, ohne weitere Möglichkeiten der Einflussnahme bzw. ohne den Willen, das weitere Wohlergehen des Kindes zu überprüfen, sieht die Kammer eine grobe Vernachlässigung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Hierbei ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Angeschuldigte H bereits zwei Kinder abgegeben hatte, damals allerdings über das Jugendamt. Ihr war somit durchaus bewusst, dass es legale Alternativen gibt. Gleichwohl hat sie sich gegen diesen Weg und für eine Abgabe des Kindes an ihr nicht näher bekannte Personen entschieden. Dass in diesem Zusammenhang auch Geld geflossen ist, wird von den Angeschuldigten nicht in Abrede gestellt, so dass auch für die Zahlung eines Entgelts jedenfalls hinreichender Tatverdacht besteht.
13Die Frage, ob und inwieweit eine grobe Pflichtverletzung deshalb ausscheiden könnte, weil das Kind infolge ungünstiger Lebensverhältnisse bei seiner leiblichen Mutter ggf. mehr gefährdet gewesen wäre als bei den Angeschuldigten T. und die Frage, wofür genau das Geld geflossen ist, sind aus Sicht der Kammer der Aufklärung im Rahmen der Hauptverhandlung vorbehalten.
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