Beschluss vom Landgericht Bonn - 54 StVK 84/13
Tenor
Der Antragsgegner wird unter Aufhebung der einschränkenden Regelung von Besuchszeiten für Rechtsanwälte verpflichtet, adäquate Besuchszeiten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu schaffen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Der Wert des Verfahrens wird auf 300,00 € EUR festgesetzt.
1
G R Ü N D E :
2I.
3Bis zum Jahr 2012 waren die Besuchszeiten für Rechtsanwälte in der Justizvollzugsanstalt Y dergestalt geregelt, dass Besuche von Montag bis Freitag im Zeitraum von 08.00 Uhr bis 11.45 Uhr (letzter Einlass 11.15 Uhr) und von 13.15 Uhr bis 16.00 Uhr (letzter Einlass 15.15 Uhr) möglich waren. Zusätzlich bestand Dienstags im Zeitraum von 13.15 bis 21.00 Uhr (letzter Einlass: 20.30 Uhr) eine Besuchszeit.
4Zum Jahr 2013 wurde die Besuchszeit dahingehend abgeändert, dass bei im Übrigen gleich bleibender Regelung die Besuchszeit Dienstags zwischen 13.15 bis 21.00 Uhr für Rechtsanwälte abgeschafft wurde. Dafür wurde eine Besuchszeit von 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr eingerichtet. Die "lange" Besuchszeit sollte nunmehr ausschließlich Angehörigen vorbehalten bleiben.
5Die Antragstellerin behauptet, diese Regelung schränke sie in ihrer Berufsausübung ein und nehme ihr die Möglichkeit, ihre Mandanten adäquat zu beraten. Dadurch würden auch die Rechte ihrer Mandanten auf unbeschränkten Zugang zu rechtlicher Beratung beschränkt. Durch die aufgeteilten Besuchszeiten sei es zu keinem Zeitpunkt möglich, länger als 3 1/2 Stunden in der Anstalt zu verweilen, was im Einzelfall aber notwendig sei um ausführliche Besprechungen führen zu können.
6Besuchszeiten nach 16.00 Uhr seien auch erforderlich, um auch bei einer vollen Auslastung durch Gerichtstermine noch Besuche in der JVA wahrnehmen zu können.
7Die nunmerige Einschränkung erschließe sich auch vor dem Hintergrund nicht, dass Familienbesuche weiterhin möglich blieben und somit eine Besetzung der Besuchsabteilung ohnehin gegeben sei. Ferner unterlägen Rechtsanwälte auch einem verminderten Kontrollaufwand, da die Besprechung in einem verschlossenen Raum stattfinde, in dem auch nicht ununterbrochen ein Bediensteter anwesend sein müsse. Es sei auch nicht ersichtlich, wieso eine Ungleichbehandlung mit Privatbesuchen stattfinde. Es sei weiterhin nicht nachvollziehbar, dass bei Anwaltsbesuchen ein höherer Kontrollaufwand bestünde. Alle Gefangenen würden nach den Besuchsterminen umfassend durchsucht.
8Der lange Besuchstag werde aus der Erfahrung der Antragstellerin auch nicht inflationär genutzt. Vielmehr seien die Einzelsprechräume überwiegend frei.
9Die Antragstellerin beantragt,
10die Entscheidung des Antragsgegners, Besuchszeiten für Rechtsanwälte einzuschränken, aufzuheben
11den Antragsgegner zu verpflichten, adäquate Besuchszeiten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts und besonderer Beachtung von Art. 12 I GG, § 26 StVollzG zu schaffen.
12Der Antragsgegner beantragt,
13den Antrag zurückzuweisen.
14Er verteidigt sein Vorgehen als rechtmäßig. Der "lange Besuchsabend" am Dienstag sei ursprünglich eingeführt worden, um auch berufstätigen Verwandten und Bekannten der Inhaftierten die Möglichkeit des Besuches einzuräumen. Dieses Angebot sei dann aber zunehmend auch von Rechtsanwälten wahrgenommen worden, obwohl die Kapazitätsgrenzen erreicht worden seien. Dies gehe zu Lasten des Angehörigenbesuches. Die Neuregelung führe lediglich den langen Besuchsabend auf seinen ursprünglichen Zweck zurück.
15Ferner sei die Ausgangslage bei einem Gefangenen, der zu einem Anwaltsbesuch gehe, eine andere, da dieser zumeist Schriftmaterial mit sich führe, welches (soweit zulässig) zu durchsuchen sei. Dafür müsse ein Bediensteter abgestellt werden, der in dieser Zeit nicht für andere Aufgaben zur Verfügung stehe. Auch würden die Einzelsprechräume mittlerweile verstärkt für Gefangene genutzt, bei denen in der laufenden Inhaftierung Alkohol, Drogen, Mobilfunkgeräte oder Bestandteile von Mobilfunkgeräten gefunden worden seien.
16Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze einschließlich der Anlagen verwiesen.
17II.
181.
19Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und begründet. Die angefochtene Neuregelung der Besuchszeiten für Rechtsanwälte ist rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten, § 115 Abs. 2 Satz 1 StVollzG
20Aus § 148 StPO folgt das Recht des Beschuldigten auf -unbeschränkten- schriftlichen und mündlichen Verkehr mit seinem Verteidiger. Daraus folgt gleichzeitig auch das Recht des Verteidigers auf -unbeschränkten- Verkehr mit dem Beschuldigten (BGH NJW 1973, 1656/1657). § 148 StPO gilt dabei insbesondere auch für Strafgefangene, soweit Aufgaben für eine Verteidigung in Betracht kommen und ausgeübt werden sollen (Dünnebier in Löwe-Rosenberg, StPO 22. Aufl., § 148 Rn. 4; zitiert nach KG Berlin, Beschluss vom 08.10.1976, Az. 2 VAs 37/76).
21Sinn und Zweck der Regelung des § 148 StPO ist es, den Verkehr zwischen Verteidiger und Beschuldigtem von jeder Behinderung oder Erschwerung freizustellen und den Anwalt wegen seiner Integrität, die das Gesetz bei ihm als Organ der Rechtspflege grundsätzlich unterstellt, von jeder Beschränkung der Wahrnehmung seiner Aufgabe als Verteidiger zu entheben (KG Berlin, Beschluss vom 08.10.1976, Az. 2 VAs 37/76). Anliegen des Gesetzes ist die "völlig freie Verteidigung" (BGH NJW 1973, 945).
22Diesem Grundsatz folgend sind alle Maßnahmen rechtswidrig, die diesem Zweck zuwider laufen. Zulässig sind demnach nur solche Beschränkungen, die im Hinblick auf die an Haftzwecken orientierte Ordnung in der Strafanstalt die äußerliche Art der mündlichen Verhandlung zwischen Verteidiger und Beschuldigten betreffen. Als hinzunehmende Beschränkung wird namentlich die Beachtung gewisser Besuchszeiten und der Nachweis der Verteidigerbestellung genannt, jedoch teilweise mit der Einschränkung, dass ein Verteidiger nicht an Besuchszeiten gebunden werden dürfe, die sich mit seiner sonstigen beruflichen Inanspruchnahme nur schwer vereinbaren lassen (Müller-Sax, StPO 6. Aufl, § 148 Anm 3 b 2, zitiert nach KG Berlin, Beschluss vom 08.10.1976, Az. 2 VAs 37/76).
23Dies zugrundegelegt erweist sich die Beschränkung der Besuchszeiten für Rechtsanwälte als rechtswidrig. Zwar kann nicht gefordert werden, dass Rechtsanwälten jederzeit ungehinderter Zugang gewährt wird, jedoch muss gewährleistet sein, dass zumindest einmal wöchentlich eine (verlängerte) Besuchszeit gewährt wird, die der Rechtsanwalt auch nach eventuellen Gerichtsterminen oder Besprechungsterminen in den Kanzleiräumlichkeiten wahrnehmen kann. Die derzeit geltende Regelung hat zur Folge, dass der Verteidigerverkehr insbesondere in Zeiten starker Belastung durch Gerichtstermine wesentlich erschwert wird. Dies gilt insbesondere auch für ausführlichere und zeitintensive Besprechungen, die im Rahmen von 3 3/4 Stunden unter Umständen nicht adäquat durchgeführt werden können.
24Auch ist nicht ersichtlich, dass die Neuregelung aus personellen oder anderweitigen organisatorischen Gründen zwingend notwendig wäre. Dagegen spricht insbesondere, dass die JVA weiterhin Angehörigenbesuche zu den "verlängerten" Zeiten zulässt.
25Insbesondere entspricht es auch dem Sinn des § 148 StPO, bei der in solchen Fällen notwendigen Abwägung dem Ziel einer "völlig freien Verteidigung" im Zweifelsfalle Vorrang vor einer Regelung im Interesse der Anstaltsordnung und Anstaltsssicherheit einzuräumen (KG Berlin, Beschluss vom 08.10.1976, Az. 2 VAs 37/76).
262.
27Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen wegen der Kosten auf §§ 121 Abs. 4 StVollzG, 467 Abs. 1 StPO und wegen der Wertfestsetzung auf §§ 65 Satz 1, 60, 52 Abs. 1 – 3 GKG.
28Rechtsbehelfsbelehrung:
291. zur Hauptsache:
30Gegen die Entscheidung in der Hauptsache findet lediglich die Rechtsbeschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Die Rechtsbeschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf der Verletzung des Gesetzes beruht, was dann der Fall ist, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Die Rechtsbeschwerde ist binnen
31eines Monats
32nach Zustellung dieses Beschlusses beim Landgericht Bonn, Wilhelmstr. 21, 53111 Bonn, einzulegen. Der nicht auf freiem Fuß befindliche Beschwerdeführer kann die Erklärungen, die sich auf das Rechtsmittel beziehen, auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts abgeben, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, wo er auf behördliche Anordnung verwahrt wird. Der Antragsteller als Beschwerdeführer kann die Beschwerde nur durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einlegen und begründen.
33In der gleichen Form und Frist sind außerdem
34- 35
die Erklärung abzugeben, inwieweit die Entscheidung angefochten und ihre Aufhebung beantragt wird; und
- die Anträge zu begründen. Aus der Begründung muss hervor gehen, ob die Entscheidung wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel des Verfahrens enthaltenen Tatsachen angegeben werden.
2. zur Kostenentscheidung:
38Gegen die Kostenentscheidung dieses Beschlusses kann sofortige Beschwerde eingelegt werden, soweit der Wert des Beschwerdegegenstandes (nicht: Wert des Verfahrens) 200,00 € übersteigt. Diese ist zur Wahrung der Frist binnen
39einer Woche
40schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Bonn, Wilhelmstr. 21, 53111 Bonn einzulegen, und zwar so rechtzeitig, dass sie innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen ist. Die Einlegung der sofortigen Beschwerde kann auch innerhalb der genannten Frist zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts erfolgen, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, in der der Verurteilte einsitzt. Die Wochenfrist beginnt mit dem Tag, der auf die Zustellung dieses Beschlusses folgt (Beispiel: Zustellung Mittwoch; Fristende: Mittwoch der folgenden Woche).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.