Beschluss vom Landgericht Braunschweig (13. Große Strafkammer) - 13 Qs 109/15

Tenor

Die Beschwerde der Staatanwaltschaft Braunschweig gegen den Beschluss des Amtsgerichts Helmstedt vom 18.05.2015 wird auf Kosten der Staatskasse, die auch insoweit die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt, verworfen.

Gründe

I.

1

Mit der zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 25.02.2015 werden dem Angeklagten 4 gewerbsmäßige Ladendiebstähle von Tabakwaren und in einem Fall auch von Alkohol in der Zeit vom 25.11.2014 bis 15.12.2014 sowie das fahrlässige Fahren ohne Fahrerlaubnis am 23.12.2014 vorgeworfen. Gleichzeitig mit Anklageerhebung wurde von der Staatsanwaltschaft der Erlass eines Strafbefehls beantragt, da nach ihrer Auffassung der Haftgrund der Wiederholungsgefahr besteht. Nachdem in der Zwischenzeit die wahren Personalien des Angeklagten ermittelt wurden, hält die Staatsanwaltschaft nunmehr auch den Haftgrund der Fluchtgefahr für gegeben.

2

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Helmstedt vom 18.05.2015, durch den das Amtsgericht den Antrag auf Erlass des Haftbefehls abgelehnt hat. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Braunschweig zur Entscheidung vorgelegt.

II.

3

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zwar gem. § 304 StPO zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

4

Zur Zeit besteht weder der Haftgrund der Fluchtgefahr noch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr.

5

Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Die damit geforderte Prognose des verfahrensbezogenen künftigen Verhaltens des Beschuldigten erfordert eine umfassende Abwägung sämtlicher im konkreten Einzelfall für und gegen eine mögliche Flucht des Beschuldigten sprechender Umstände (OLG Düsseldorf, StV 1994, 85; OLG Köln, StV 1995, 475). Dabei kann eine hohe Straferwartung erfahrungsgemäß einen erheblichen Fluchtanreiz bieten. Die hohe Straferwartung ist jedoch nicht geeignet, die Prognose einer Fluchtgefahr allein zu tragen (OLG Karlsruhe, StV 2000, 513). Auch im Falle einer hohen Straferwartung ist daher eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und seines bisherigen Verhaltens im Verfahren geboten.

6

Der Angeklagte, der dringend verdächtig ist, die ihm mit Anklage vom 25.02.2015 vorgeworfenen Taten begangen zu haben, hat sicherlich im Falle einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr zu erwarten. Auch steht er aus dem Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 29.08.2014 mit einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten unter Bewährung, deren Widerruf er ernsthaft zu befürchten hat.

7

Das Verhalten des Angeklagten im bisherigen Verfahren lässt aber das Ausmaß dieser Fluchtgefahr gering erscheinen. Er hatte spätestens seit der polizeilichen Vorladung als Beschuldigter am 14.01.2015 Kenntnis davon, dass gegen ihn wegen "gewerbsmäßigen Ladendiebstahls" ermittelt wird. Der Vorladung ist der Angeklagte gefolgt, so dass er am 19.01.2015 umfangreich von der Polizei als Beschuldigter vernommen wurde. Die Anklage vom 25.02.2015 ist dem Angeklagten am 10.04.2015 zugestellt worden. Dem Angeklagten war daher bekannt, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund der Ermittlungen sämtliche ihm bekannten Tatvorwürfe zur Anklage gebracht hat. In Kenntnis dieser Tatsache hat der Angeklagte keine aktenkundigen Schritte unternommen, um sich dem Verfahren zu entziehen. Er ist vielmehr über mehrere Monate hinweg stets nach Helmstedt in das Asylbewerberheim zurückgekehrt.

8

Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Angeklagte tatsächlich - wie auch schon in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Bonn am 05.05.2015 - dem Hauptverhandlungstermin am 16.06.2015 fernbleibt. Denn erst dadurch könnte sich tatsächlich der Wille des Angeklagten manifestieren, sich dem Strafverfahren zu entziehen.

9

Die Voraussetzungen des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr nach § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO liegen ebenfalls nicht vor. Die vier Taten, die in der Anklage zutreffend als solche des Diebstahls im besonders schweren Fall gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StGB eingeordnet wurden, rechtfertigen die für den Haftgrund erforderliche schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung nicht. Die schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung darf sich bei tatmehrheitlicher Begehung mehrere Straftaten nicht auf das Gesamtunrecht, sondern auf die jeweilige Einzeltat als Anlasstat beziehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.01.2000, 1 Ws 161/99, juris, Rdnr. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.04.2001, 3 Ws 31/01, juris, Rdnr. 12; OLG Braunschweig, Beschluss v. 07.11.2011, Ws 316/11, juris). Sie setzt voraus, dass es sich bei der Anlasstat um eine solche überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes handelt; die Tat muss mindestens in die obere Hälfte der mittelschweren Straftaten einzuordnen sein (OLG Frankfurt, a. a. O., Rdnr. 5; OLG Karlsruhe, a. a. O., Rdnr. 12; OLG Braunschweig, a. a. O., m. w. N.). Eine Katalogtat scheidet als Anlasstat in der Regel aus, wenn der Einzeltat nicht mindestens eine Straferwartung von einem Jahr zukommt (OLG Braunschweig, Beschluss vom 29.05.2008, Ws 188/08, juris, Rdnr. 6). Daran fehlt es. Im konkreten Fall gibt es zwar keinen Anlass, das Verhalten des Angeklagten zu bagatellisieren. Von der geforderten schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung kann aber trotz der Vorstrafen des Angeklagten bei den Vorwürfen nicht ausgegangen werden: So verleiht der Wert der entwendeten Gegenstände zwischen 49,80 € und 76,85 € den jeweiligen Taten zu 1. bis 3. schon nicht die Bedeutung überdurchschnittlicher Vergehen des Diebstahls im besonders schweren Fall. Obgleich der Wert des Diebesgutes bei der Tat zu 4. ungleich höher ist, muss dem Angeklagten insoweit zu Gute gehalten werden, dass das Diebesgut sichergestellt werden konnte und dem Angeklagten deshalb nicht zur Verfügung stand.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

 


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