Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 387/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 244.976,00 €.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
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T a t b e s t a n d
2Der 1962 geborene Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung gemäß Versicherungsschein vom 31.03.1992. Es gelten die allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) 88 sowie besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (Progression 225 %) und besondere Bedingungen für die Unfallversicherung mit Zuwachs von Leistung und Beitrag. Gemäß Nachtrag zum Versicherungsschein vom 11.02.2010 ist unter anderem eine Invaliditätsversicherungssumme von 209.920,00 € versichert.
3Der Kläger erlitt am 04.09.2010 während seines Dienstes als Polizeibeamter auf der Polizeihauptwache I einen Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen als er Opfer einer Geiselnahme wurde und von dem Täter mehrfach mit einer Gaspistole auf den Kopf geschlagen wurde. Auch wurde er zu Boden geworfen und von dem Täter gewürgt. Der Täter schoss dem Kläger mehrfach mit der Gaspistole in den Kopf. Nachdem der Täter aufgegeben hatte, wurde der Kläger noch am 04.09.2010 stationär in der St. Barbara-Klinik I aufgenommen und dort bis zum Folgetage behandelt. Wegen eines Trommelfellrisses erfolgte eine Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Behandlung bei Dr. B und Dr. I2. Der Kläger zeigte der Beklagten den Unfall mit Formular vom 08.09.2010 an. In der Zeit vom 19.10. bis 28.10.2010 wurde der Kläger im Marienhospital I in der Neurologischen Klinik stationär wegen eines rechtshirnigen Infarkts behandelt. Eine ambulante Rehabilitation fand vom 05.11. bis 25.11.2010 in der Neurologischen Klinik für Rehabilitation C statt. Am 25.01.2011 begann eine ambulante psychiatrische Behandlung im St. Marienhospital I. Vom 14.06. bis 26.07.2011 wurde der Kläger stationär in der Psychosomatischen Klinik C2 wegen Anpassungsstörung, Angst und depressiver Reaktion, arterieller Hypertonie und linksseitigem Tinnitus behandelt.
4Mit Schreiben vom 03.08.2011 machte der Kläger Krankenhaustagegeld und mit Schreiben vom 07.09.2011 Invaliditätsansprüche geltend. Die Beklagte holte das Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Gutachten des Prof. Dr. N vom 07.02.2011 ein. Danach bestand ein 10 %iger Hörverlust sowie ein organisch bedingtes Ohrgeräusch linksseitig, insgesamt 3,3 % Gesamtinvalidität. Auch holte die Beklagte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Prof. Dr. N2 ein. Nach dem Gutachten vom 16.02.2012 mit neuro-psychologischem Zusatzgutachten vom 19.01.2012 lag beim Kläger kein Hirntrauma, sondern ein Schädeltrauma entsprechend eines nach dem Unfall gefertigten Computertomogramms vor. Ferner bestanden ältere Hirndurchblutungsstörungen. Die Beklagte leistete gemäß Schreiben vom 15.03.2012 eine Invaliditätsleistung von 6.927,36 € und eine Übergangsleistung von 7.219,20 € an den Kläger. Der Kläger ist seit dem Unfall dienstunfähig und mit einem Grad der Behinderung von 50 % schwerbehindert.
5Er behauptet, er leide seit dem Unfall unter Angstzuständen, Depressionen, Schweißausbrüchen, Schlafstörungen und Herzrasen. Auch habe er regelmäßig starke Kopfschmerzen. Ferner leide er unter Wortfindungsstörungen und Vergesslichkeit. Diese Folgen, die mit wenigstens 50 % zu bemessen seien, seien ausschließlich auf die bei dem Unfall erlittenen Verletzungen, insbesondere auch auf den auf Dauer verbleibenden Tinnitus zurückzuführen. Darüber hinaus sei die beim Kläger eingetretene Trommelfellverletzung mit Mittelohrnarbenbildung und einer linksseitigen Schwerhörigkeit mit im Hochtonbereich gelegener Schallleitungsstörung sowie der Tinnitus mit einem Ohrwert von mindestens 5/10 zu bewerten.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen,
81. an den Kläger 244.976,64 € nebst Zinsen in Höhe von
95 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.11.2013 zu zahlen,
102. den Kläger von einem Anspruch der Rechtsanwälte
11T, X & Collegen, N-Straße, I, auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 4.419,18 € freizustellen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie meint, dem Kläger sei eine Gesamtinvalidität entsprechend den Feststellungen Prof. Dr. N von 3,3 % wegen des Hörverlustes von 10 % und des organisch bedingten Ohrgeräusches links verblieben. Auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet seien dem Kläger keine organisch bedingten Unfalldauerfolgen verblieben. Sie meint, die geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen seien gemäß § 2 Abs. 4 AUB 88 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, da die Ausschlussklausel auch Gesundheitsschädigungen infolge psychischer Reaktionen umfasse, die auf unfallbedingter Fehlverarbeitung beruhten. Gerade die posttraumatische Belastungsstörung sei eine Folge des belastenden Ereignisses selbst und nicht einer organischen Erkrankung.
15Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
16Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. E und Dr. F. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Hals-Nasen-Ohren-ärztliche Gutachten sowie auf das Gutachten des Dr. F vom 12.05.2014 und wegen der mündlichen Erläuterung auf das Sitzungsprotokoll vom 20.05.2015 Bezug genommen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Die zulässige Klage ist nicht begründet.
19Dem Kläger steht aus dem Versicherungsvertrag kein Anspruch auf Zahlung einer weiteren Invaliditätsleistung gegen die Beklagte zu. Der Kläger konnte nicht beweisen, dass ihm aufgrund des Unfalls vom 04.09.2010 eine dauernde Beeinträchtigung auf dem linken Ohr von mehr als 3,30 % verblieben ist. Vielmehr hat der Sachverständige Prof. Dr. E in seinem Gutachten, das er aufgrund der Untersuchung des Klägers vom 24.10.2014 erstattet hat, ausgeführt, dass im Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen Bereich eine Gesamtinvalidität von 1,7 % im Untersuchungszeitraum bestehe. Der Hörverlust links sei mit einem Ohrwert von 5 % zu bemessen. Wegen des Tinnitus hält der Sachverständige einen Aufschlag von 0,2 % für angemessen, so dass eine Gesamtinvalidität von 1,7 % errechnet wird.
20Hinsichtlich der psychischen Folgen des Unfalls besteht kein Leistungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte, da sich die Beklagte zu Recht insoweit auf den Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 4 AUB 88 beruft. Danach sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen nicht versichert. Diese Klausel ist in der vom Bundesgerichtshof getroffenen Auslegung, wonach Gesundheitsschädigungen infolge psychischer Reaktionen, die sowohl auf Einwirkungen von außen über Schock, Schreck, Angst und Ähnliches erfolgen, als auch auf unfallbedingter Fehlverarbeitung beruhen, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen (BGH NJW-RR 2005, 32, 33). Versicherungsschutz besteht nur insoweit, als organische Schädigungen oder Reaktionen zu einem psychischen Leiden führen. Diese krankhaften Störungen beruhen nicht auf psychischen Reaktionen, sondern sind physisch hervorgerufen und daher nicht vom Ausschluss mit erfasst. Der Sachverständige Dr. F hat überzeugend ausgeführt, dass die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers allein auf einer posttraumatischen Belastungsstörung beruhen können, nicht aber auf der organischen Schädigung des Ohres. Der Kläger sei durch das Unfallerlebnis selbst psychisch beeinträchtigt worden, nicht aber durch den Tinnitus. Beim Kläger habe sich eine inkomplette posttraumatische Belastungsstörung ausgebildet, die auf das Unfallereignis vom 04.09.2010 zurückzuführen ist. Bei dem Unfall habe der Kläger keine hirnorganische Schädigung erlitten. Durch die Traumafolgestörung bestehe eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die zudem durch eine agoraphobische und klaustrophobische Symptomatik mitbestimmt werde, die nicht alleine auf das Unfallereignis zurückgeführt werden könne. Der Sachverständige konnte ausschließen, dass die beim Kläger bestehende Traumafolgestörung durch den Tinnitus verursacht worden ist. Eine weitere Invaliditätsleistung kam daher nicht in Betracht.
21Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
22Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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