Beschluss vom Landgericht Dortmund - 36 Qs 25/15
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund wird nach §§ 100g Abs. 1, 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. k, 100b Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 1 StPO gem. § 33 Abs. 4 StPO ohne vorherige Anhörung angeordnet, dass unverzüglich sämtliche in § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO genannten Verkehrsdaten (§ 96 Abs. 1 TKG), die am 16.02.2016 im Zeitraum von 22:59 Uhr bis 23:06 Uhr angefallen sind, durch die Dienstanbieter
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an die anfragende Polizeidienststelle zu übermitteln sind.
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Basisstation(en) abgewickelt werden, welche den folgenden geographischen Standort funktechnisch versorgen:
L-Straße, C-R.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt.
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Gründe:
2Das Amtsgericht hat mit den angegriffenen Beschlüssen zu Unrecht den Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund auf Erlass eines Beschlusses zur Funkzellenabfrage abgelehnt.
3Die Maßnahme dient der Feststellung der Identität von Tätern, welche verdächtig sind, sich einer Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, nämlich einer gemeinschaftlichen schweren räuberischen Erpressung (§§ 255, 253 Abs. 1, 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b StGB), schuldig gemacht zu haben. Bei dieser Tat handelt es sich um ein durch den Katalog des § 100a Abs. 2 StPO erfasstes Delikt.
4Die Anordnung der Maßnahme richtet sich auch gegen den Beschuldigten der Straftat. Dass die Identität des Täters noch nicht ermittelt ist, steht der Anordnung nicht entgegen (vgl. dazu Karlsruher Kommentar zur StPO, § 100g Rz. 10). Die Maßnahme richtet sich jedenfalls nicht primär gegen Dritte oder Zeugen, sondern in allererster Linie gegen die bislang unbekannten Beschuldigten.
5Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts stellt sich die beantragte Funkzellenabfrage auch als verhältnismäßig dar.
6Soweit durch die Erhebung der Funkzellenabfrage auch die Rechte von an der Straftat unbeteiligten Dritten im Rahmen eines Eingriffes in das Fernmeldegeheimnnis nach Art. 10 Abs. 1 GG betroffen sind, so ergibt eine Interessen- und Güteranwägung, dass hier das Interesse an der Ermittlung des Täters überwiegt.
7Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, dass die beantragte Verkehrsdatenerhebung ein sehr enges Zeitfenster in den Nachtstunden, also einen sehr überschaubaren Zeitraum in eher kommunikationsarmer Zeit, umfasst, in der nach allgemeiner Lebenserfahrung mit einer eher geringen Anzahl von durch die Maßnahme betroffenen Unbeteiligten zu rechnen ist (vgl. dazu auch BGH, Beschluss v. 20.04.2001 - 1 BGs 48/01 in NStZ 2002, 107 f.). Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die heutzutage üblichen Smartphones auch im „Ruhezustand“
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9Datenverbindungen aufbauen. Dieser Verbindungsaufbau darf jedoch nicht dazu führen, dass die durch den Gesetzgeber gewollte und in § 100g Abs. 3 StPO ausdrücklich normierte Funkzellenabfrage komplett leerläuft. Insoweit ist dem grundsätzlichen Aufbau einer Datenverbindung im „Standby-Modus“ zur Nachtzeit bei der Abwägung weniger Gewicht beizumessen, als der gewillkürten Kommunikation, welche überwiegend zur Tageszeit stattfindet.
10Der Schutz von unbeteiligten Dritten, die durch einen Eingriff in ihre informationelle Selbstbestimmung ggfs. in ihren Grundrechten verletzt werden könnten, hatte daher hinter dem Anspruch des Staates, Straftaten von erheblicher Bedeutung aufzuklären, im hiesigen konkreten Fall zurück zu treten.
11Eine Funkzellenabfrage wird dabei nicht großzügig für jedwede Art der Täterermittlung erlaubt, sondern ist an strenge Vorgaben (nur Straftaten von erheblicher Bedeutung sowie Katalogstraftaten des § 100a Abs. 2 StPO) und eine im Einzelfall vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung (hier insbesondere unter Berücksichtigung des eng begrenzten Zeitraums) geknüpft.
12Auch die Voraussetzungen des § 100g Abs. 3 Nr. 3 StPO sind gegeben. Denn anders, als mit der beantragten Funkzellenabfrage, wäre der fragliche Beschuldigte nach den bisherigen Ermittlungen zudem nicht namhaft zu machen. Die Erforschung des Sachverhaltes und die Ermittlung der Täter wären auf andere Weise jedenfalls wesentlich erschwert, wenn nicht sogar aussichtslos, sodass die Anordnung der Funkzellenabfrage im Hinblick auf die Schwere des Tatvorwurfs auch nicht unverhältnismäßig ist.
13Die Kammer hat dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit auch dadurch Rechnung getragen, dass sie den Zeitraum für die Abfrage der Daten auf einen engen Zeitabschnitt der fraglichen Tatbegehung beschränkt hat.
14Wenn dabei die Daten auch - letztlich - unbeteiligter Dritter bekannt gegeben werden müssen, so ist dies im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hinzunehmen. Denn ist die Nummer oder sonstige Kennung einer Zielperson noch nicht bekannt, dann können mit der Funkzellenabfrage die Verkehrsdaten aller Mobilfunkteilnehmer erhoben werden, die sich in einem bestimmten Zeitraum in einer näher bezeichneten Funkzelle aufgehalten haben (vgl. Karlsruher Kommentar a. a. O. Rz. 5.) Denn alle Teilnehmer am Mobilfunkverkehr dieses Bereiches während der obigen kommunikationsarmen Tatzeit kommen als Tatverdächtige zunächst in Betracht (vgl. dazu BGH a. a. O. Rz. 12 und LG Rottweil, Beschluss v. 05.08.2004 - 3 Qs 105/04 in StV 2005, 438).
15Es ist dabei auch unerheblich, ob auch tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Tat (oder davor und danach) ein Mobiltelefon auch tatsächlich verwendet worden ist. Denn bei § 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO ist es gerade nicht
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17erforderlich - anders als bei § 100g Abs. 1 Nr. 2 StPO -, dass die Tat mittels Telekommunikation begangen worden ist.
18In den heutigen Zeiten, die sich in technischer Hinsicht kontinuierlich weiterentwickeln und eine steigende Vielzahl von Bürgern ein Mobiltelefon besitzt und auch in großen Teilen der Bevölkerung Smartphones, die eine dauerhafte Datenverbindung herstellen, weit verbreitet sind, liegt es im vorliegenden Fall jedenfalls zumindest schon nicht fern, dass im fraglichen Tatzeitraum vom Mobiltelefon des fraglichen Täters Datenverbindungen erzeugt worden sind, die mit der beantragten Funkzellenabfrage in Erfahrung gebracht werden können, wodurch der Beschuldigte identifiziert werden könnte. Daraus lässt sich zur Überzeugung der Kammer ersehen, dass die Erfolgsaussichten für die Identifizierung des Täters hoch sind und die Maßnahme daher auch geeignet ist. Die Erfolgsaussichten werden dabei dadurch gesteigert, dass einer der Täter durch die Geschädigte O. dadurch näher bezeichnet worden ist, dass dieser lediglich gebrochenes Deutsch gesprochen hat. Beide Beschuldigte wurden die die Zeugen O., T., B. und O. als männlich bezeichnet werden. Durch einen Abgleich mit den zu sichernden Videoaufzeichnungen könnte ein Abgleich hinsichtlich der Größe und eventueller weiterer äußerer Merkmale erfolgen, so dass sich die Ermittlungen nicht darin erschöpfen, dass sämtliche Mobilfunknummern erfasst werden, welche im Bereich des Tatortes zur Tatzeit Funksignale gesendet haben.
19Letztlich folgt die Kammer auch nicht der Auffassung des Amtsgerichts, wonach die beantragte Funkzellenabfrage räumlich nicht hinreichend begrenzt und bestimmt sei. Die beantragte Funkzellenabfrage bezieht sich auf die Basisstation, welche den Tatort versorgen und ist damit räumlich hinreichend konkretisiert. Dass der Umfang der Funkzelle nicht genau bezeichnet ist, folgt aus dem Umstand, dass es technisch kaum möglich ist, die Basisstation und die Größe der Funkzelle im Tatzeitraum genau zu bezeichnen. Der Ort, welcher für die Funkzellenabfrage von Interesse ist - hier also die L.-Straße X in C-R - liegt nämlich gerade nicht in einer starren Funkzelle. Eine solche geht nämlich nicht vom Tatort, sondern von der Basisstation aus. Die Größe einer solchen Funkzelle hängt dabei von der übertragenen Datenmenge ab und verändert sich. Werden viele Daten durch die Basisstation geleitet, verringert sich ihr Empfangsbereich. Geht die Nutzung zurück, dehnt sich die Funkzelle räumlich aus. Da sich der „Empfangsbereich“ der einzelnen Basisstationen deswegen zum Teil überlappt, kann es sogar sein, dass ein Handy gleichzeitig bei mehreren Basisstationen angemeldet ist oder eine „überlastete“ Basisstation das Handy an eine eigentlich weiter weg gelegene Basisstation verweist. Die Größe einer Funkzelle, welche den abgefragten Ort versorgt, kann aus diesem Umstand nicht genau definiert werden. Erforderlich ist deswegen die Abfrage auf sämtliche Basisstationen zu erstrecken, welche den abgefragten Ort erreichen. Die Kammer sieht sich zudem in der Lage, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auch ohne
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21Kenntnis der genauen Größe der Funkzelle zu prüfen. Selbst wenn die größtmögliche Ausdehnung bekannt wäre, wäre damit nicht beantwortet, wieviele Kommunikationsteilnehmer durch die Maßnahme betroffen wären. Sollte in einem weiteren Schritt die größtmögliche Anzahl der Teilnehmer angenommen werden, welche durch die Funkzellen bedient werden könnten, angenommen werden, wäre die anzunehmende Anzahl der Teilnehmer weit ab von der tatsächlichen Anzahl der Teilnehmer. Zu erfassen wären nämlich nicht nur die Anwohner, sondern auch mögliche Passanten in dem jeweiligen Bereich der Basisstationen. Mit einer solchen hypothetischen Zahl lässt sich nach Ansicht der Kammer eine Verhältnismäßigkeitsprüfung jedoch nicht anstrengen. Darüber hinaus stellt sich der Eingriff für den Einzelnen nicht als schwerwiegender dar, wenn dadurch weitere Grundrechtsträger betroffen werden. Eine große Anzahl an betroffenen Grundrechtsträgern würde, sofern eine solch schwerwiegende Tat wie vorliegend zur Rede steht, vielmehr an der Geeignetheit der beantragten Maßnahme - und somit auf einer früheren Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung - zweifeln lassen. Da vorliegend jedoch die Anzahl der Beschuldigten dadurch beschränkt wird, als dass feststeht dass diese männlich und jedenfalls einer ausländischer Herkunft ist, stellt sich die Maßnahme, auch bei einer großen Anzahl an Beteiligten, im Hinblick auf die Schwere der Tatvorwürfe, als geeignet dar.
22Die Kammer hat dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ferner dadurch Rechnung getragen, als dass der Abfragezeitraum auf die Zeit der Tatausführung, welche durch die Videoaufzeichnung hinreichend sicher festgestellt, beschränkt worden ist. Eine Erfassung der Zeiträume vor und nach der Tat erschien vorliegend nicht angemessen, da gesicherte Anhaltspunkte dafür, wie lange sich die Beschuldigten vor und nach der Tat im Bereich des Tatortes aufgehalten haben, nicht vorliegen.
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