Beschluss vom Landgericht Hamburg (28. Große Strafkammer) - 628 Qs 13/20
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 13.05.2020 wird Ziff. 3 des Beschlusses des Amtsgerichts Hamburg vom 06.05.2020 (Az.: 242 Ds 289/18) aufgehoben.
2. Auch Ziff. 1 der Anklage der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 15.08.2018 (Az.: 7101 Js 127/17) wird zur Hauptverhandlung zugelassen und auch insoweit das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung soll auch insoweit vor dem Strafrichter stattfinden.
3. Die Hauptverhandlung in der Sache 242 Ds 289/18 (7101 Js 127/17) hat insgesamt vor einer anderen Abteilung des Amtsgerichts Hamburg stattzufinden.
Gründe
I.
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Die Staatsanwaltschaft wendet sich gegen die teilweise Nichteröffnung des Hauptverfahrens.
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Mit Anklage der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 15.08.2018 wurde dem Angeklagten u. a. die Billigung von Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) vorgeworfen (Fall 1).
- 3
Unter dem Pseudonym „E. H.“ sollen er und der gesondert Verfolgte N. K. – dieser unter dem Pseudonym „T. S.“ – der Zeitung „t.“ ein Interview gegeben haben zum Brandanschlag auf das Veranstaltungsgelände des OSZE-Ministerratstreffens an den Hamburger Messehallen vom 26.11.2016, bei dem u. a. der Eingangsbereich der Messehallen Süd derart mit Brandbeschleuniger angegangen wurde, dass durch das Feuer Scheiben zerbarsten, Aluminiumprofile schmolzen und die Eingangstür zum Vorraum zerstört wurde.
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Das Interview beginnt wie folgt:
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„t.: Wie stehen Sie zu dem Anschlag auf die Messehallen?
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T. S.: Das Wort Anschlag finde ich ein bisschen hochtrabend. Das ist auch ein legitimer Widerstand. Es wird sicher auch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass es was Vergleichbares gibt.
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E. H.: Das ist medial sehr aufgebauscht worden. Da sind ein paar Glasscheiben zu Bruch gegangen und ein bisschen Ruß ist da. Man versteht die Leute, die Wut auf diesen Staat haben. Die, die zum OSZE oder zum G20 kommen, sind die wahren Verbrecher.“
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Das Interview ist seit seiner Printveröffentlichung am 02.12.2016 im Hamburger Lokalteil der Tageszeitung „t.“ bis heute auf der Homepage der t. veröffentlicht.
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Vorgestellt im Interview wurden E. H. und T. S. als Mitglieder des „R. A.“.
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Mit Beschluss vom 06.05.2020 lehnte das Amtsgericht Hamburg hinsichtlich Ziffer 1 der Anklage der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 15.08.2018 die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Gegen diesen der Staatsanwaltschaft am 11.05.2020 zugestellten Beschluss legte diese am 13.05.2020 sofortige Beschwerde ein. Das Amtsgericht hat diese dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
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1. Die nach § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde gegen den teilweisen Nichteröffnungsbeschluss ist zulässig, insbesondere binnen der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden.
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2. Auch in der Sache hat die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Erfolg.
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a) Ein hinreichender Tatverdacht in tatsächlicher Hinsicht besteht. Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Angeklagte die Person ist, die unter dem Pseudonym E. H. die verfahrensgegenständliche Äußerung getätigt hat. Denn auf dem in der Wohnung des Angeklagten sichergestellten Mobiltelefon findet sich eine WhatsApp-Nachricht mit folgendem Inhalt: „Hier ein Interview von mir und N. in der t. [es folgt ein Link, der die Überschrift des Artikels enthält]“
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b) Das angeklagte Geschehen erfüllt rechtlich den Straftatbestand des § 140 Nr. 2 StGB, insbesondere liegt eine Billigung vor.
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Die rechtswidrige Tat billigt, wer seine Zustimmung dazu kundgibt, dass die Tat begangen worden ist und sich damit moralisch hinter den Täter stellt. Die persönliche Billigung muss nicht ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch schlüssig und aus dem Zusammenhang erfolgen (Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 140, Rn. 5 m. w. N.).
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Strafrechtliche Vorschriften, welche das Grundrecht der Meinungsfreiheit einschränken, sind jedoch immer besonders sorgfältig vor dem Hintergrund des Art. 5 Abs. 1 GG auszulegen und anzuwenden. Wenn die umstrittene Äußerung aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums mehrdeutig ist, dürfen die Gerichte zum einen nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben. Zum anderen haben die Gerichte im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der Strafvorschrift eine fallbezogene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit auf der einen und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie eingeschränkt ist, auf der anderen Seite vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 15. September 2008 – 1 BvR 1565/05, Tz. 12). Allerdings begründet die Vermutung zu Gunsten der freien Rede keinen generellen Vorrang der Meinungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19, Tz. 16).
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Vorliegend tritt die Meinungsfreiheit zurück. Der Angeklagte selbst redet die Anschläge auf die Messehallen ausdrücklich klein („aufgebauscht“, „paar Glasscheiben zu Bruch ... bisschen Ruß“). Indem er Verständnis für die Täter äußert und die Teilnehmer an den OSZE- und G20-Treffen als „die wahren Verbrecher“ benennt, erklärt er, dass die Brandanschläge im Gegensatz dazu keine wirklichen Straftaten sind, sondern nachvollziehbar, rechtmäßig und damit richtig.
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Im Übrigen hat der Angeklagte sich auch die Äußerungen des N. K. konkludent zu Eigen gemacht. Er hat im unmittelbaren Anschluss an dessen Äußerungen die verfahrensgegenständlichen Äußerungen getätigt, welche inhaltlich an K.s Aussagen nahtlos angeknüpft und auf diese Bezug genommen haben. Dabei traten der Angeklagte und K. gegenüber der t. als Mitglieder des „R. A.“ auf, also nicht als bloße Privatpersonen, sondern als gemeinsames Sprachrohr einer Initiative.
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3. Die Kammer hat bestimmt, dass die Hauptverhandlung vor einer anderen Abteilung stattzufinden hat, § 210 Abs. 3 StPO. Eine solche Bestimmung hat zwar der Ausnahmefall zu bleiben. Sie darf nur bei Vorliegen besonderer Sachgründe erfolgen, bspw. wenn der bisherige Richter nach der Art seiner Meinungsäußerung im angefochtenen Beschluss festgelegt erscheint und deswegen nicht erwartet werden kann, dass er sich die Auffassung des Beschwerdegerichts innerlich zu eigen macht (Schneider, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 210, Rn. 12). Dies ist hier der Fall. Die teilweise Nichteröffnung erfolgte hier aus Rechtsgründen. Der Amtsrichter hat sich vorliegend auf eine Rechtsansicht festgelegt.
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Referenzen
- 1 BvR 2397/19 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1565/05 1x (nicht zugeordnet)
- 242 Ds 289/18 2x (nicht zugeordnet)
- StPO § 311 Sofortige Beschwerde 1x
- StGB § 140 Belohnung und Billigung von Straftaten 2x
- 7101 Js 127/17 2x (nicht zugeordnet)
- StPO § 210 Rechtsmittel gegen den Eröffnungs- oder Ablehnungsbeschluss 2x