Urteil vom Landgericht Mönchengladbach - 3 O 393/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin macht Werklohnforderungen gegen die Beklagte geltend.
3Die Beklagte beauftragte die Klägerin am 05.05.2009 bei dem Bauvorhaben xxxxxxxxxxxxxxxxxx in Mönchengladbach mit Elektroinstallationsarbeiten bei dem Bauteil S xxxxxxxxxx und mit weiterem Vertrag bei den Bauteilen M bis P. Beiden Verträgen lag die VOB/B 2006 zugrunde.
4Die Beklagte kündigte den Werkvertrag für das Bauteil S xxxxxxxxxxx mit Schreiben vom 14.05.2010. Die zu der Kündigung führenden Umstände sind zwischen den Parteien streitig. Den zweiten Vertrag hinsichtlich der Arbeiten am Bauteil M bis P hoben die Parteien am 26.01.2010 auf und vereinbarten eine Fortführung der Arbeiten bis Ende April 2010.
5Am 19.05.2010 führten die Parteien in Mönchengladbach eine „Leistungsaufstellung“ zum Bauteil S xxxxxxxxxxx durch. Das entsprechende Protokoll erstellte die Beklagte am 21.05.2010 und übersandte dies der Klägerin mit Schreiben vom 26.05.2010.
6Die Klägerin erstellte am 02.06.2010 die Schlussrechnungen für die beiden Verträge. Die Schlussrechnung Nr. xxxxxxxx für das Bauteil S xxxxxxxxxx endete für die erbrachten Leistungen auf einen Betrag von € 142.368,77 (Anl. K 4, Bl. 27-32 d.A.). Die Klägerin brachte hiervon insgesamt einen Betrag von € 116.846,89 in Abzug. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den bereits geleisteten Abschlagszahlungen, einem Punkt „SEB in Höhe von 10 %“ in Höhe von € 14.059,29 und einem weiteren Betrag „Verrechnung laut Absprache“ in Höhe von € 1.034,31 (Anl. K 4, Bl. 27 d.A.). Im Ergebnis forderte die Klägerin von der Beklagten einen Betrag in Höhe von 23.746,02 Euro. Hinsichtlich der Bauteile M bis P endete die Schlussrechnung xxxxxxxxxxx mit einem Betrag von € 1.832,26 Euro (Anl. K 9, Bl. 53 d.A.).
7Die Beklagte prüfte die Rechnung und teilte der Klägerin das Prüfergebnis mit Schreiben vom 07.10.2010 mit (Anl. K 5, Bl. 33 ff. d.A.). Diesem Schreiben war eine Rechnung Nr. xxxxxxxxxxxxx der Beklagten beigefügt, mit der die Beklagte Erstattung von zu viel gezahlter Mehrkosten in Höhe von € 115.009,02 forderte. Eine weitere Anlage zu diesem Schreiben enthielt eine Aufstellung der wechselseitigen Forderungen (Bl. 33 d.A. – Rückseite). In dieser Aufstellung verrechnet die Beklagte als Rechnungsposten aus der Schlussrechnung xxxxxxxxxxxx einen Betrag in Höhe von € 140.592,91, den Sicherheitseinbehalt in Höhe von € 14.059,29 und bereits geleistete Zahlungen. Die Beklagte forderte die Klägerin auf, an sie einen Betrag in Höhe von € 92.491,45 bis zum 22.10.2010 zu zahlen.
8Hierauf teilte die Klägerin mit Schreiben vom 07.11.2010 „nach eingehender Prüfung der mit Schreiben vom 07.10.2010 übergebenen Unterlagen zu den entstandenen Mehrkosten“ folgende Ergebnisse mit: Bei dem Bauteil S beläuft sich der „nachvollziehbare Mehrkostenaufwand auf € 35.912,60"; bei den Bauteilen M-P ergäbe sich ein „strittiger Restbetrag in Höhe von € 4.895,30" (Bl. 125 d.A).
9Die Beklagte erhob im Jahr 2012 Klage gegen die Klägerin und begehrte Zahlung von Schadensersatz und Erstattung kündigungsbedingter Mehrkosten. Das Landgericht Mönchengladbach hat die Klage mit Teilurteil vom 17.01.2013 abgewiesen (Az. 1 O 337/12).
10Die Klägerin behauptet,
11als GbR prozessfähig und durch Herrn xxxxxxxxxxxx wirksam vertreten zu sein.
12Sie meint, ihre Werklohnforderung sei fällig, da die Werkleistungen nach § 12 Nr. 5 Abs. 1 VOB/B als abgenommen gelten würden.
13Daher stünde ihr gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ausgleich der Schlussrechnungen vom 02.06.2010 sowie auf Zahlung weiterer € 5.887,78 als Schadenersatz hinsichtlich der kündigungsbedingt nicht mehr erbrachten Leistungen zu.
14Sie behauptet, dass die in den Schlussrechnungen abgerechneten Arbeiten sämtlich auch erbracht wurden.
15Zudem ist sie der Auffassung, die Beklagte habe die Werklohnforderung der Schlussrechnung durch Schreiben vom 07.10.2010 anerkannt und schon im Verfahren des Landgerichts Mönchengladbach zum Az. 1 O 337/12 bestätigt, dass die Schlussrechnungen inhaltlich richtig, jedenfalls im Wesentlichen zutreffend, seien.
16Sie meint weiter, die Besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten seien bezüglich des Sicherheitseinbehalts unwirksam, so dass die Beklagte nicht zum Abzug des Sicherheitseinbehalts berechtigt sei. Der von ihr selbst vorgenommene Abzug in der Schlussrechnung vom 02.06.2010 sei irrtümlich erfolgt.
17Die Klägerin ist weiter der Ansicht, die Beklagte habe ohne wichtigen Grund gekündigt.
18Im Übrigen beruft sich die Klägerin auf die Rechtskraftwirkung des Teilurteils des LG Mönchengladbach vom 17.01.2013, Az. 1 O 337/12.
19Die Klägerin beantragt,
20die Beklagte zu verurteilen, an sie € 58.268,75 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus € 52.380,97 seit dem 08.10.2010 und aus weiteren € 5.887,78 seit dem 23.01.2014 zu zahlen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Die Beklagte behauptet,
24sie habe mit der Klägerin schon vor Erstellung der Schlussrechnungen vereinbart, dass weitergehende Zahlungsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden könnten.
25Sie meint die Werklohnforderung sei jedenfalls verwirkt. Sie habe nur deshalb davon abgesehen, gegen das Teilurteil des LG Mönchengladbach vom 17.01.2013 zum Az.: 1 O 337/12 Berufung einzulegen, weil sie davon ausgegangen sei, dass die Klägerin keine Ansprüche mehr gegen sie geltend machen werde.
26Im Übrigen scheide ein Zahlungsanspruch aus, da sie den Vertrag außerordentlich aus wichtigem Grund nach § 8 Nr. 3 Abs. 1, § 5 Nr. 4 VOB/B gekündigt habe.
27Die Schlussrechnung enthalte einen Rechenfehler, da die Klägerin die Abschlagszahlungen MöG 008 nicht in Abzug gebracht habe. Zudem seien die Forderungen aus den Abschlagsrechnungen MöG 025 und MöG 028 nach einvernehmlicher Verrechnung mit Forderungen aus der Rechnung Nr. xxxxxxxxxxxx der Beklagten vom 23.03.2010 erloschen.
28Sie meint weiter, dass von der Werklohnforderung hinsichtlich des Bauteils S xxxxxxxxxxxx aus verschiedene Abzüge zu machen seien (vgl. Auflistung auf Bl. 80 d.A.). Insbesondere sei der Sicherheitseinbehalt in Höhe von € 14.059,29 abzuziehen. Insoweit hätten die Parteien auch ausdrücklich vereinbart, dass der Einbehalt endgültig bei der Beklagten verbleiben solle.
29Sie behauptet, im Rahmen der vorzeitigen Auflösung des Vertrages zu den Bauteilen M bis P am 26.01.2010 hätten die Parteien vereinbart, dass wechselseitig keine Ansprüche mehr geltend gemacht würden.
30Die Beklagte beruft sich hilfsweise auf ein Zurückbehaltungsrecht, da die Klägerin nach Ziff. 6.3 des Werkvertrages verpflichtet sei, ihr eine Fachunternehmer- und Fachbauleiterbescheinigung vorzulegen.
31Die Akten des LG Mönchengladbach zu Az.: 1 O 337/12 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Anlagen und die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vom 12.06.2014 und 06.01.2015 Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe:
34Die zulässige Klage ist unbegründet.
351.
36Die Klage ist zulässig.
371.1
38Das sachlich zuständige Landgericht ist nach rügeloser Einlassung auch örtlich zuständig. Auf die in Ziff. 17.3 der Verträge geregelte Gerichtstandsvereinbarung kommt es insoweit nicht an.
391.2
40Das Gericht geht auch von einer Prozessfähigkeit der Klägerin als Gesellschaft bürgerlichen Rechts sowie ihrer ordnungsgemäßen Vertretung durch Herrn xxxxxxxx aus.
41An den Nachweis der Existenz und der Vertretungsverhältnisse einer GbR können nach der gesetzlichen Konzeption in §§ 709 ff. BGB sowie der Rechtsprechung des BGH zur Teilrechtsfähigkeit und der Grundbuchfähigkeit nur sehr geringe Anforderungen gestellt werden (BGH, NZM 2006, 900; NZM 2011, 517). Mit der letzten Entscheidung wurde festgestellt, dass Existenz und Identität der GbR für die Eintragung im Grundbuch keines Nachweises bedürfen.
42Ob die Gesellschaft im Jahr 2009 wirksam gegründet wurde, kann dahinstehen, da die Klägerin jedenfalls unstreitig in Vollzug gesetzt wurde. Insofern ist auch unerheblich, ob zwischenzeitlich Gesellschafter aufgrund der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder wegen Verlusts der Geschäftsfähigkeit ausgeschieden sind.
43Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass die GbR seither fortbesteht. Hierzu ist erforderlich, dass die Gesellschaft stets aus mindestens zwei Gesellschaftern bestand. Hierfür trägt die Klägerin vor, dass noch vor dem Ausscheiden des Gründungsgesellschafters Tobias Franke am 25.10.2010 zum 09.10.2009 Herr xxxxxxxxxxx in die Gesellschaft eingetreten und bis heute geblieben sei. Aktuelle Gesellschafter seien damit Herr xxxxxxxxxxx, Herr xxxxxxxxxxxx, Herr xxxxxxxxxxxxxx, Herr xxxxxxxxxxx und die xxxxxxxxxx GmbH (Bl. 206 d.A.).
44Es kommt somit nicht auf das Teilurteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17.01.2013 zum Az. 1 O 337/12 an. Auch aus den Aufnahmeverträgen mit neuen Gesellschaftern lässt sich das heutige Fortbestehen der GbR nicht nachweisen, da dies ebenfalls nur eine Momentaufnahme darstellt.
45Die Beklagte ist dem umfangreichen Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 26.08.2014 zur Existenz der GbR, dem Ein- und Austritt der verschiedenen Gesellschafter und der Alleinvertretungsbefugnis durch den Geschäftsführer Herrn xxxxxxxxxxxxx nicht mehr substantiiert entgegengetreten.
46Im Übrigen besteht die von der Beklagten befürchtete Gefahr einer erneuten oder weitergehenden Inanspruchnahme der Beklagten durch die Klägerin oder andere Gesellschafter nicht, da diese sich jeweils das wiederholte Handeln des Herrn Fuhrmann als Alleingeschäftsführer zumindest über eine Anscheinsvollmacht zurechnen lassen müssten. Im Übrigen sind Vergütungsansprüche aus dem streitgegenständlichen Vertragsverhältnis mittlerweile untergegangen.
472.
48Die Klage ist jedoch unbegründet.
49Die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungsansprüche sind verwirkt.
50Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH NJW 2006, 219; 2010, 3716 - juris). Die Verwirkung setzt danach neben einem „Zeitmoment“ auch ein „Umstandsmoment“ voraus. Zwischen den Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung insofern, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH NJW 06, 219, 220).
512.1
52Das Zeitmoment ist verstrichen.
53Seit der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, muss längere Zeit verstrichen sein, wobei sich die erforderliche Zeitspanne nach den Umständen des Einzelfalles richtet. Zu berücksichtigen sind vor allem Art und Bedeutung des Anspruchs, die Intensität des vom Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes und das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten. Auch eine Zeitspanne unterhalb der Regelverjährung von drei Jahren kann bei Vorliegen besonderer Umstände geeignet sein, das Zeitmoment zu erfüllen (vgl. OLG Hamm, NJW 2003, 81; OLG Frankfurt a.M., BauR 1989, 210).
54Die Klägerin hat den mit den beiden Schlussrechnungen vom 02.06.2010 geforderten Betrag erst mit der bei Gericht am 19.12.2013 eingegangenen Klage erneut geltend gemacht. Unstreitig hat er in der Zwischenzeit, also innerhalb einer Zeitspanne von weit über drei Jahren, die Zahlung des geforderten Betrages nicht angemahnt oder nochmals geltend gemacht.
55Im Übrigen kommt das Verhalten der Klägerin einem konkludenten Verzicht zumindest nahe. Die Anforderungen an die erforderliche Zeitdauer sind in diesem Fall vermindert. Dies gilt vor allem, wenn der fragliche Anspruch bei einer Abrechnung nicht geltend gemacht wird (BGH WM 1979, 647). Vorliegend hat die Klägerin nach der ein negatives Saldo ausweisenden Prüfung der Schlussrechnung durch die Beklagte die Vergütungsansprüche nicht mehr aktiv verfolgt, wie nachfolgend ausgeführt wird.
562.2
57Es liegt auch erhebliche Umstandsmomente vor, welche dazu führen, dass die Inanspruchnahme der Beklagten eine illoyal verspätete Geltendmachung und damit eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung darstellt. Auch wenn es grundsätzlich zulässig ist, die gesetzlichen Verjährungsfristen auszuschöpfen, so kann bei Hinzutreten besonderer Umstände ein Vertrauenstatbestand geschaffen werden, der eine weitere Rechtsausübung nach Treu und Glauben unzulässig macht (BGH, NJW 2003, 824).
58Die Beklagte durfte sich - trotz des relativ kurzen Zeitmoments - darauf einrichten, dass die Klägerin keine Ansprüche mehr geltend machen wird und hat dies auch tatsächlich getan.
592.2.1
60Schon unmittelbar nach der Schlussrechnungslegung hat die Beklagte dem Vergütungsanspruch der Klägerin übersteigende Mehrkosten- und Mängelansprüche entgegengestellt und deswegen eine Begleichung der Schlussrechnungen abgelehnt. Die Beklagte hat schon zwei Wochen nach der Schlussrechnung vom 02.06.2010 auf Mängel hingewiesen (Schreiben vom 15.06.2010, Bl. 201 d.A.). Sodann hat die Beklagte mit dem Schreiben vom 06./07.10.2010 die wechselseitigen Forderungen verrechnet und dabei eine Überzahlung errechnet. Konkret hat die Beklagte die wechselseitigen Forderungen auf der rückseitigen Saldierung (Anlage K 5, Bl. 33 d. A.) wie folgt dargestellt: Die Schlussrechnung für das Bauteil S über € 140.592,91 wurde gekürzt um die geleisteten Abschlagszahlungen und aufgerechneten Gegenforderungen, so dass sich zunächst ein Vergütungsanspruch von € 35.781,28 zuzüglich Sicherheit von € 14.059,29 errechnete. Die Schlussrechnung Bauteil M-G wurde auf gleiche Weise von € 7.081,43 auf € 1.832,26 gekürzt zuzüglich Sicherheit von € 708,14. Differenzen zur Klageforderung ergeben sich daraus, dass die aufgerechneten Gegenrechnungen der Beklagten nunmehr im Prozess bestritten werden. In Summe hatte die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt einen Vergütungsanspruch der Klägerin von € 52.380,97 (inkl. Sicherheiten) errechnet. Diesem Vergütungsanspruch stellte die Beklagte ihre Gegenforderungen entgegen, die sie mit Rechnung Nr. xxxxxxxxx über € 29.863,40 und Rechnung Nr. 20101430 über € 115.009,02 bezifferte, in Summe € 144.872,42. Im Ergebnis errechnete die Beklagte auf diese Weise eine Überzahlung der Klägerin von € 92.491,45 und forderte binnen Frist zum 22.10.2010 deren Ausgleich.
61Auf diese „Verrechnung“ der wechselseitigen Forderungen hat die Klägerin nicht ablehnend reagiert, sondern mit Schreiben vom 07.11.2010 der Beklagten „nach eingehender Prüfung der mit Schreiben vom 07.10.2010 übergebenen Unterlagen“ sogar zugestanden, dass der Beklagten Mehrkostenansprüche zustehen. Mehrkostenansprüche können aber nur bestehen, wenn nach der Verrechnung von Werklohnforderung und Gegenforderungen ein negatives Saldo zu Lasten der Klägerin vorliegt. Konkret hat die Klägerin der Beklagten bei dem Bauteil S „nachvollziehbare Mehrkosten" in Höhe von € 35.912,60 zugestanden und bei Bauteil M-P einen „noch strittigen Restbetrag" von € 4.895,30 errechnet (Bl. 125 d.A). Die Klägerin hat also offensichtlich selbst einen die eigenen Vergütungsansprüche übersteigenden Aufwand der Beklagten ermittelt und sich diesen selbst angelastet. Wenn die Klägerin noch einen eigenen Anspruch geltend machen wollte, wäre eine umgehende Zurückweisung dieser Saldierung zu erwarten gewesen, nicht aber sogar ein entsprechendes Zugeständnis. Dieses Zugeständnis konnte bei der Beklagten den Eindruck erwecken, die Klägerin mache ihrerseits keine Forderungen mehr geltend und der von ihr aufgestellte, den Werklohn übersteigende Mehraufwand greife durch.
622.2.2
63In diesem Vertrauen durfte sich die Beklagte nochmals bestärkt sehen, als sich die Klägerin auch in dem folgenden Klageverfahren der Beklagten auf Erstattung der kündigungsbedingten Fertigstellungsmehrkosten nicht auf angebliche Vergütungsansprüche berief (LG Mönchengladbach, 1 O 337/12, vgl. dort Bl. 146 d.A.). Es gibt dort lediglich eine schlichte Bezugnahme auf eben die genannte Verrechnung der Beklagten vom 07.10.2010. Auch wenn keine Rechtspflicht zur Verteidigung mit Gegenrechten besteht, so wäre doch der sicherste Weg zu einer erfolgreichen Verteidigung für die anwaltlich vertretene Klägerin gewesen, die angeblichen eigenen Ansprüche zumindest hilfsweise aufzurechnen.
642.2.3
65Im Übrigen sind beide Parteien Kaufleute, so dass von der Klägerin auch unter diesem Gesichtspunkt die Durchsetzung der Vergütungsforderung und eine vehemente Zurückweisung vermeintlich unberechtigter Ansprüche der Beklagten erwartet werden konnte.
66Das Gesamtverhalten der Klägerin lieferte damit keinerlei Anhaltspunkte dafür, sie werde die Vergütungsansprüche noch geltend machen.
672.2.4
68Tatsächlich hatte sich die Beklagte auch auf das Ausbleiben weiterer Ansprüche eingerichtet und sogar Dispositionen getroffen. Die Beklagte hat nämlich nach dem Abschluss des Vorverfahrens vor dem LG Mönchengladbach (1 O 337/12) auf die Einlegung der Berufung verzichtet, wodurch das Urteil rechtskräftig wurde. Damit traf sie eine unmittelbar auf das von der Klägerin geschaffene Vertrauen gestützte Disposition, die zeigt, dass sie sich tatsächlich auf das Ausbleiben weiterer Ansprüche eingerichtet hatte.
69Aufgrund der tatsächlichen Disposition der Beklagten kommt es letztlich nicht mehr darauf an, dass auch nach ihrem substantiierten und schlüssigen Vortrag allein wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend dafür waren, keine Berufung gegen das Urteil des LG Mönchengladbach (Az 1 O 337/12) einzulegen. Dies gilt insbesondere, da die Klägerin unstreitig allein für das streitige Bauvorhaben gegründet wurde, über das Vermögen mehrerer Gesellschafter der Klägerin ein Insolvenzverfahren eröffnet war und einige auch Gesellschafter unter Betreuung gestellt wurden. In dieser Situation ist es nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht mehr als zahlungskräftig erscheint und die Kosten des Berufungsverfahrens den Nutzen übersteigen.
702.2.5
71Es kommt auch nicht darauf an, ob die Beklagte davon ausging, sie müsse nach Ablauf der Gewährleistungsfrist noch einen Sicherheitseinbehalt an die Klägerin auskehren oder nicht.
72Die Frage der Sicherheitsleistung betrifft nicht den hier streitigen Anspruch auf Vergütung der Klägerin gegen die Beklagte, sondern die Frage der Gewährleistungsansprüche der Beklagten gegen die Klägerin. Diese Unterscheidung ist auch für die Verwirkung relevant. Dies zeigt ein Vergleich der Verjährungsfristen der jeweiligen Ansprüche. Der Werklohnanspruch verjährt bereits nach drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), während der Anspruch auf Rückzahlung des Sicherheitseinbehalts entsprechend der Gewährleistungsfrist erst nach fünf Jahren fällig wird (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB). Wenn aber der Werklohnanspruch schon vor Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs verjährt sein kann, muss dies auch für die Verwirkung gelten.
73Die vertragliche Gewährleistungsfrist endet auch erst Mitte 2015 und erst zu diesem Zeitpunkt könnte bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch auf Rückzahlung des Sicherheitseinbehalts bestehen. Der Anspruch auf Rückzahlung der Sicherheit ist also noch gar nicht fällig.
74Ein Rückzahlungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, weil die Regelungen zum Sicherheitseinbehalt in Ziffer 16.2 des Werkvertrages nach §§ 305 ff. BGB unwirksam wären. Ausweislich der Anlage 1 zum Werkvertrag (Bl. 26 GA) haben die Parteien gerade über die Frage der Sicherheitsleistung verhandelt und eine individualvertragliche Regelung getroffen. Die Klägerin selbst hat eine vom Vertragstext abweichende Regelung für die Ziffern 10.2 und 16 vorgeschlagen. Den nochmaligen Gegenvorschlag der Beklagten haben dann beide Seiten akzeptiert. Die Bestimmungen der Besonderen Vertragsbedingungen des Bauherrn sind auch nach § 2.2 des Vertrages nachrangig und damit nicht zu berücksichtigen.
752.2.6
76Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es schließlich nicht darauf an, ob und welche - intern gebliebenen - Annahmen auf Seiten der Klägerin für deren Verhalten ausschlaggebend geworden sein sollen. Die Verwirkung ist vom Willen des Berechtigten unabhängig (BGH, NJW 1957, 1358).
77Der Streitwert wird auf 58.268,75 EUR festgesetzt.
78Rechtsbehelfsbelehrung:
79Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
80a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
81b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.
82Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf, Cecilienallee 3, 40474 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
83Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu begründen.
84Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
85Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
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Referenzen
- 1 O 337/12 9x (nicht zugeordnet)
- BGB § 199 Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen 1x
- §§ 709 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 195 Regelmäßige Verjährungsfrist 1x
- §§ 305 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)