Urteil vom Landgericht Stendal (3. Zivilkammer) - 23 O 6/13

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche aufgrund eines Tierunfalls, welcher sich am 05.11.2011 ereignete.

2

Die Beklagte ist Eigentümerin eines vier Jahre alten Hengstes. Um über den weiteren Umgang mit dem Tier zu entscheiden sollte ein Video über den Ausbildungsstand gefertigt werden sollte.

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Bei der Klägerin handelt es sich nach eigenen unstreitigen Angaben um eine ausgebildete Reitlehrerin, die in der Ausbildung von Westernpferden erfahren und außerdem Pferde trainiert.

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Am 05.11.2011 führte die Klägerin das Pferd der Beklagten auf einem Longierzirkel auf einer Koppel und ließ es mehrere Longierrunden im Trab gehen.

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Nach circa 15 Minuten wurde das Pferd gesattelt und getrenst und weiter longiert, nach zehn weiteren Minuten wollte die Klägerin mit dem Pferd einen Richtungswechsel durchführen und holte es daher in die Mitte. Hierbei strauchelte das Pferd, wobei zwischen den Parteien die Ursache des Strauchelns streitig ist, und riss die Klägerin dabei zu Boden. Aufgrund dieses Sturzes erlitt die Klägerin einen Bruch des Schlüsselbeines, weiterhin war nach dem Sturz die linke Ohrmuschel der Klägerin abgerissen, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob dies auf das Unfallgeschehen zurückzuführen ist.

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Aufgrund des gebrochenen Schlüsselbeines befand sich die Klägerin vom 05.11.2011 bis 17.11.2011 in stationärer Behandlung, da auch durch einen Rucksackverband der Bruch des Schlüsselbeines nicht vollständig beseitigt werden konnte, wurde daher eine Operation im November 2012 erforderlich.

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Vom 27.03.2012 bis 06.04.2012 erfolgte die Rekonstruktion der Ohrmuschel der Klägerin.

8

Die Klägerin behauptet, sie habe wegen des gebrochenen Schlüsselbeines bei allen Tätigkeiten, bei denen Heben und Tragen bzw. Kraftaufwand aus der linken Schulter erforderlich ist, Schmerzen. Weiterhin behauptet sie, dass ihr aus verschiedenen Positionen ein Vermögensschaden in Höhe von 7.331,73 Euro entstanden sei. Wegen der Einzelheiten der Schadensaufstellung wird auf die Klageschrift vom 27. Dezember (Bl. 4 - 7 d.A.) Bezug genommen.

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Die Klägerin beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.225,43 Euro Schadensersatz nebst gesetzlichen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.03.2012 zu zahlen.

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2. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum vom 05.11.2011 bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung nebst gesetzlichen Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.03.2012 zu zahlen, mindestens jedoch einen Betrag in Höhe von 12.000,00 Euro.

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3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere, soweit sie nach der letzten mündlichen Verhandlung entstanden, aus dem Unfall vom 05.11.2011 zu ersetzen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, dass der klägerische Anspruch nach § 104 Abs. 1 SGB VII bereits ausgeschlossen sei, da die Klägerin ihre Verletzungen im Rahmen einer nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII versicherten Tätigkeit erlitten habe. Unabhängig davon sei der Klägerin ein überwiegendes Mitverschulden zur Last zu legen. Zum Einen behauptet die Beklagte, dass sie es versäumt hätte, die Steigbügel hochzuschnallen, was dazu geführt hätte, dass diese unkontrolliert gegen den Körper des Pferdes schlugen. Hierdurch sei das Pferd unruhiger geworden und habe versucht auszubrechen. Daher habe die Klägerin die Longe lockern müssen, in der sich das Pferd dann verheddert hätte, sodass es zu dem streitgegenständlichen Sturz gekommen sei. Im Übrigen bestreitet die Beklagte die von der Klägerin geltend gemachten Schadenspositionen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet, die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 8.225,43 Euro sowie Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 12.000,00 Euro.

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Dieser Anspruch folgt nicht aus § 833 BGB, welcher als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommt. Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, dass die Voraussetzungen der Norm vorliegend erfüllt sind, so ist der Anspruch jedoch aufgrund der Regelung des § 104 SGB VII ausgeschlossen. Dementsprechend erübrigt sich auch eine Beweisaufnahme über den der Klägerin entstandenen Schaden.

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Nach § 104 Abs. 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihr Unternehmen tätig sind, zum Ersatz eines Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich verursacht haben.

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Die Voraussetzungen der genannten Norm sind vorliegend erfüllt, bei der Beklagten handelt es sich um eine Unternehmerin im Sinne des § 104 SGB VII (I.), die Klägerin ist auch eine versicherte Person nach § 2 Abs. 2 SGB VII (II.). Letztlich folgt aus den in der mündlichen Verhandlung erörterten Urteilen des Bayerischen Landessozialgerichts vom 01.07.2009 und des OLG Celle vom 14.02.2011 nichts anderes (III.).

I.

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Die Beklagte ist haftungsbefreite Unternehmerin im Sinne des § 104 SGB VII.

21

Die Definition des Unternehmers ergibt sich aus § 136 Abs. 3 SGB VII. Demnach ist Unternehmer jeder, dem das Ergebnis eines Unternehmens unmittelbar zugute kommt. Als Unternehmen in diesem Sinne sind auch Tätigkeiten als unterste Stufe eines Unternehmens, ohne nennenswerte Anforderungen an Organisation, sächliche, persönliche und finanzielle Mittel, Dauer und Umfang etc. definiert. Der Begriff ist weit gefasst und betrifft Tätigkeiten jeder Art, wie auch etwa soziale und karitative Tätigkeiten (vgl. Rieke, Kommentar zum SGB VII, § 121 SGB VII, Rdnr. 4 und Rdnr. 6). Da bereits eine geringfügige und kurze Hilfeleistung genügt und ein erheblicher Nutzen nicht erforderlich ist, stellt unter Umständen auch das Ausführen eines fremden Hundes eine für dessen Halter nützliche Tätigkeit dar (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 27. März 2002, Az. 4 U 213/01, zitiert nach juris). Dabei schließt § 136 Abs. 3 SGB VII es nicht grundsätzlich aus, auch private Tätigkeiten unter den Unternehmerbegriff zu fassen, was dazu führt, dass z.B. auch Privathaushalte Unternehmer im Sinne der zitierten Vorschrift sein können, was sich explizit aus § 4 Abs. 4 SGB VII ergibt (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 31. August 2012, Az. L 8 U 4142/10, zitiert nach juris).

22

Aufgrund des unstreitigen Parteivortrages ist davon auszugehen, dass die Beklagte Unternehmerin im Sinne der Vorschrift ist. Unstreitig hält sie mehrere Pferde (die Zahl schwankt zwischen drei und vier Tieren), die teilweise auch zu Zuchtzwecken gehalten werden. Dem entsprechend ist die Anfertigung einer Videoaufnahme, um über den Ausbildungsstand eines Pferdes und das weitere Vorgehen seines Trainings bzw. seines Verkaufes zu entscheiden eine Tätigkeit, die diesem Unternehmen der Pferdezucht zugute kommt, weswegen die Beklagte unter Beachtung der oben zitierten Grundsätze als Unternehmerin im Sinne von § 104 Abs. 1 SGB VII zu qualifizieren ist.

II.

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Bei der Klägerin handelt es sich auch um eine als „Wie-Beschäftigte“ versicherte Person nach § 2 Abs. 2 SGB VII. Nach dieser Norm sind Personen versichert, die wie nach § 2 Abs. 1 SGB VII versicherte Personen tätig werden. Die Reichweite der Norm ist dabei weit zu fassen, da diese die „Wie-Beschäftigten“ wegen ihres oftmals fremdnützigen Verhaltens durch Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung begünstigt.

24

Eine Versicherung als „Wie-Beschäftigter“ erfordert eine ernstliche, dem in Betracht kommenden fremden Unternehmen dienende Tätigkeit, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmens entspricht und ihrer Art nach auch von Personen verrichtet werden kann, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen, und unter solchen Umständen geleistet wird, dass sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27.03.2012, Az: B 2 U 5/11 R, zitiert nach juris, Rdnr. 56; Urteil vom 15.06.2010, Az. B 2 U 12/09 R, Rdnr. 22, zitiert nach juris; Gieresborn, juris pk SGB VII, § 2 Rdnr. 254; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 31. August 2012, Az. L 8 U 4142/10, Rdnr. 35, zitiert nach juris).

25

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Klägerin als „Wie-Beschäftigte“ zu qualifizieren. Das Vorführen des Pferdes zum Zwecke der Anfertigung einer Videoaufnahme zur Klärung der weiteren wirtschaftlichen Nutzbarkeit des Tieres stellt eine Tätigkeit dar, die dem Unternehmen der Klägerin dient. Diese Tätigkeit hätte auch in einem, dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis durchgeführt werden können, wenn die Beklagte einen Reitlehrer mit der Durchführung dieser Maßnahme entgeltlich beauftragt hätte. Wie sich aus den eigenen Angaben der Klägerin ergibt, handelt es sich bei ihr um eine ausgebildete und auch als solche nebenberuflich tätige Reitlehrerin. Der einzige Unterschied zu einem, dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Reitlehrer, ist daher die Tatsache, dass die Klägerin durch die Beklagte nicht in Geld vergütet wurde. Dem entsprechend ist sie als Wie-Beschäftigte im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII zu qualifizieren.

26

Dem steht auch nicht entgegen, dass nach Vortrag der Klägerin eine reine Gefälligkeitsleistung vorlag. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes entfällt der Versicherungsschutz auch nicht bei Freundschaftsdiensten, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB VII - wie hier - erfüllt sind (vgl. Bundessozialgerichtsentscheidung 5, 168, 172; Bundessozialgericht, Sozialrecht 2200, § 539 Nr. 55; Bundessozialgericht, Beschluss vom 27. Juni 2000, Az. B 2 U 44/00 B, Rdnr. 7, zitiert nach juris).

III.

27

Soweit in der einschlägigen Literatur erwähnt wird, dass Tätigkeiten für Reittierhalter in der Regel aus eigener Freude am Reitsport und Umgang mit Pferden, also nicht arbeitnehmerähnlich, vorgenommen werden (vgl. insoweit Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB VII, § 2 Rdnr. 116 a) und auch das OLG Celle und das Bayerische Landessozialgericht aus diesen Gründen einen Haftungsausschluss abgelehnt haben (vgl. OLG Celle, Urteil vom 14.02.2011, Az. 20 U 35/10, 1. Orientierungssatz, zitiert nach juris; Bayerisches Oberlandesgericht, Urteil vom 01.07.2009, Az. L 2 U 46/07, zitiert nach juris), so geht die Kammer davon aus, dass die zitierte Rechtsprechung vorliegend nicht einschlägig ist, da der hier zu entscheidende Sachverhalt erheblich von den von den beiden Obergerichten entschiedenen Sachverhalten abweicht.

28

In den zitierten Urteilen ging es um kurze unter Pferdefreunden übliche und geringfügig zu betrachtende Tätigkeiten fast ohne jeden Marktwert, nämlich um das gelegentliche unentgeltliche Bewegen des Pferdes, wenn der Pferdebesitzer verhindert war (vgl. OLG Celle, a.a.O., Orientierungssatz 1, zitiert nach juris). Vorliegend ist ein ganz anderer Sachverhalt einschlägig. Hier wurde eine ausgebildete Pferdelehrerin, die im Umgang mit Westernpferden besonders erfahren ist, darum gebeten, ein Video über den Ausbildungsstand des Pferdes aufzunehmen, um über dessen weitere wirtschaftliche Nutzung zu entscheiden. Hierbei handelt es sich nicht um eine geringfügige Tätigkeit fast ohne jeden Marktwert, es ist vielmehr davon auszugehen, dass ein Reitlehrer eine solche Tätigkeit nur gegen ein entsprechendes Entgelt vornehmen würde. Vor diesem Hintergrund kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass diese Tätigkeiten allein aus eigener Freude am Reitsport und Umgang mit Pferden ausgeübt wurde. Vielmehr stellen sich die von der Klägerin vorgenommenen Handlungen als arbeitnehmerähnlich dar, was zum Einen für sie günstig einen Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung bewirkt, allerdings auch mit dem mit diesem Schutz einhergehenden Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 SGB VII korrespondiert.

IV.

29

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.


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