Beschluss vom Landgericht Wuppertal - 16 T 75/18
Tenor
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Remscheid vom 20.02.2018 (40 II 1189/17 BerH) wird zurückgewiesen.
Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Beteiligten streiten über den Anfall der Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG.
4Die weitere Beteiligte zu 1. beantragte am 28.08.2017 Beratungshilfe, um gegen den Bescheid des Jobcenters Remscheid vom 24.07.2017 (Bl. 4) vorzugehen. Das Jobcenter V hatte mit diesem Bescheid die darlehensweise Übernahme offener Beträge beim Energieversorger abgelehnt. Gegen diesen Bescheid legte die Beschwerdegegnerin im Namen der Bedarfsgemeinschaft Xxx mit Schreiben vom 03.08.2017 Widerspruch mit der Begründung ein, der Energieversorger habe die Gaszufuhr bereits gesperrt, nachdem die weitere Beteiligte aufgrund der Entbindung vom 10.07.2017 weder eigene Einkünfte habe erzielen können noch die ihr zustehenden Sozialleistungen ausgezahlt worden seien (Bl. 37).
5Das Amtsgericht ‑ Rechtspfleger ‑ gewährte mit Beschluss vom 07.09.2017 antragsgemäß die Beratungshilfe für die weitere Beteiligte (Bl. 31).
6Am 18.12.2017 hat das Amtsgericht ‑ Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ‑ die Vergütung auf 121,38 € festgesetzt (Bl. 44). Eine Festsetzung der beantragten Erhöhungsgebühr (vgl. Bl. 35 ) für drei Auftraggeber (die weiteren Beteiligten zu 1. bis 3.) hat das Amtsgericht abgelehnt. Auf die hiergegen gerichtete Erinnerung der Beschwerdegegnerin hat das Amtsgericht – Richter – durch Beschluss vom 20.02.2018 auch die begehrten Erhöhungsgebühren i.H.v. 64,26 € festgesetzt (Bl. 58). Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 28.02.2018, eingegangen beim Amtsgericht Remscheid am 01.03.2018.
7Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
8 "absatzRechts">9Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft gem8;ß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 2 RVG, da das Amtsgericht die Beschwerde gemäß § 33 Abs. 3 S. 2 RVG zugelassen hat. Weiter ist die Beschwerde auch fristgerecht innerhalb von zwei Wochen eingelegt worden (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG).
10Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
11Zu Recht hat das Amtsgericht im Erinnerungsverfahren die Mehrvertretungsgebühr nach RVG-VV Nr. 1008 festgesetzt.
12Nach dieser Bestimmung erhöht sich die Geschäftsgebühr im Falle der Vertretung mehrerer Personen als Auftraggeber in derselben Angelegenheit.
13Allein umstritten ist hier die Frage nach der Mehrheit der Auftraggeber.
141.
15Für die Beantwortung dieser Frage ist die Zahl und die Fassung der Berechtigungsscheine unerheblich (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2007,1 W4 107/06, juris Rn. 15). Eine Erhöhungsgebühr kann auch für solche Auftraggeber zugesprochen werden, die im Beratungshilfeschein nicht aufgeführt sind. Es kann auf der Grundlage eines einmal erteilten Scheins die gesamte Angelegenheit im Sinne des § 2 Abs. 2 BerHG abgerechnet werden, auch wenn hierzu weitere Rechtsfragen oder weitere Auftraggeber gehören, die im Beratungshilfeschein nicht aufgeführt sind (vgl. AG Halle (Saale), Beschluss vom 18.01.2015,103 II 1701/10, juris Rn. 4). Die Richtigkeit dieser Auffassung wird auch dadurch gestützt, dass die Zahl der erteilten Berechtigungsscheine nicht die Anzahl der zu vergütenden Angelegenheiten vorgibt (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 08.01.2019, 6 W 135/17, juris Rn 16). Denn die gebührenrechtliche Bewertung obliegt nicht dem den Beratungshilfeschein erteilenden Rechtspfleger, sondern sie sie ist allein der späteren Beurteilung im anschließenden Vergütungsfestsetzungsverfahren vorbehalten (vgjl. Brandenburgisches OLG, a.a.O.; OLG Köln, Bechluss vom 04.01.2010, 17 W 342/09; OLG München, Beschluss vom 13.01.2014, 11 WF 1863/13).
162.
17Weiter ist auch unerheblich, ob gegenüber dem Rechtsanwalt mehrere Personen als zahlungspflichtige Auftraggeber im Sinne des § 7 Abs. 2 RVG aufgetreten sind. Ein Auftraggeberverhältnis bezüglich der Gebührenerhöhung liegt bereits dann vor, wenn derselbe Rechtsanwalt für verschiedene natürliche oder juristische Personen auftragsgemäß in derselben Angelegenheit gleichzeitig tätig werden soll (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2007,1 W 407/06 Rn. 16; BSG, Urteil vom 27.09.2011, B 4 AS 155/10 R, juris Rn. 20; entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die sozialgerichtliche Rechtsprechung wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung ebenso von Bedeutung wie Entscheidungen der Zivilgerichte).
18Im Falle einer sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaft ist insoweit entscheidend, ob der Rechtsanwalt inhaltlich Ansprüche mehrerer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft geltend macht oder nicht (vgl. BSG, Urteil vom 27.09.2011, B 4 AS 155/10 R, juris Rn. 22; LSG NRW, Beschluss vom 04.01.2010, L 19 B 316/09, juris Rn. 39). Wenn das Vorbringen des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren nicht nur den Individualanspruch des ihm gegenüber allein als Auftraggeber auftretenden Vertreters der Bedarfsgemeinschaft (§ 38 Abs. 1 SGB II), sondern auch die Ansprüche der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zum Gegenstand hat, ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im Zweifel davon auszugehen, dass auch die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Auftraggeber des Rechtsanwalts sind (vgl. LG Gera, Beschluss vom 18. Oktober 2012,5 T4 100/11, juris Rn. 13; so auch im Ausgangspunkt: LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 04.11.2013, 1 T 222/13). Werden Ansprüche geltend gemacht, die alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft betreffen, etwa für Haushaltsgeräte, Einrichtungsgegenstände, die von allen genutzt werden, liegt kein Individualanspruch vor, ebenso nicht bei Leistungen für Heizung und die Unterkunft (vgl. LG Gera, Beschluss vom 18. Oktober 2012,5 T4 100/11, juris Rn. 14; nicht zutreffend nur auf den Adressaten des Bescheids und die Nämlichkeit des Widerspruchsführers abstellend: AG Koblenz, Beschluss vom 27.02.2009, 40 UR IIa 1404/08). Gebührenrechtlich danach weiter zu differenzieren, ob eine offensichtliche Parallelität der tatsächlichen und rechtlichen Fallgestaltung in Bezug auf das als Auftraggeber auftretende Mitglied der Bedarfsgemeinschaft einerseits und die übrigen Mitglieder andererseits (beispielsweise die minderjährigen Kinder) besteht und daher die Beratungsleistung zu Gunsten des auftraggebenden Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft ohne Hindernisse und wesentliche Änderungen auf die anderen Mitglieder übertragen werden kann, ist verfehlt (so aber LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 04.11.2013, 1 T 222/13). Denn diese Überlegung spielt grundsätzlich für die Frage der Auftraggebermehrheit nach RVG-VV Nr. 1008 keine Rolle.
bsatzRechts">19pan>Als weitere Auftraggeber im Sinne der Nr. 1008 kommen entgegen der Auffassung des AG Halle (Saale) (vgl. Beschluss vom 18. Januar 2012,103 II 1701/10, juris Rn. 5) auch Personen der Bedarfsgemeinschaft in Betracht, die nicht gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB II leistungsberechtigt sind: So haben auch minderjährige Kinder ohne eigene Leistungsberechtigung einen Beratungsbedarf, da sie unmittelbar betroffen sind. So hat auch der umgangsberechtigte Vertreter der Bedarfsgemeinschaft gemäß § 38 Abs. 2 SGB II die Befugnis, Leistungen an Kinder zu beantragen und entgegenzunehmen. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ausgeführt, dass es verfassungswidrig ist, generell minderjährigen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft die Bewilligung von Beratungshilfe zu versagen, was bedeutet, dass diese Mitglieder erst Recht weitere Auftraggeber im Sinne des RVG-VV Nr. 1008 sein können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.02.2012, 1 BvR 1120/11, juris Rn. 12, wobei sämtliche Kinder in der betreffenden Entscheidung auch unter 15 Jahre, mithin nicht leistungsberechtigt gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 SGB II waren; im Übrigen gibt diese Entscheidung entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin für die hier zu lösende Fragestellung, ob eine Erhöhungsgebühr anfällt oder nicht, nichts her: Das Verfassungsgericht hatte lediglich darüber entschieden, ob es verfassungsgemäß sein kann, nicht allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Beratungshilfe zu gewähren).
20Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze hat die angefochtene Entscheidung vollen Bestand.
21Die Beschwerdegegnerin wurde für sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft tätig. Die Bewilligung der Beratungshilfe nur für die Beteiligte zu 1. ist ohne Bedeutung (vergleiche oben). Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin im Widerspruchsverfahren betraf nicht nur den Individualanspruch des ihr gegenüber allein als Auftraggeberin auftretende weitere Beteiligte zu 1. als Vertreterin der Bedarfsgemeinschaft, sondern auch die Ansprüche der weiteren Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Ausdrücklich legte die Beschwerdegegnerin den Widerspruch im Auftrag der Vertreterin der Bedarfsgemeinschaft gegen den Ablehnungsbescheid bezüglich der Übernahme von Rückständen beim Energieversorger ein. Damit wurden Ansprüche geltend gemacht, die alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft betreffen.
22II.
23Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da das Verfahren über die Beschwerde gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).
24Die weitere Beschwerde war nicht gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 RVG zuzulassen.
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