Beschluss vom Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 11 KR 3587/19 ER-B

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 16.10.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller begehrt im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung, die von der Antragsgegnerin wegen rückständiger Beitragsforderungen für den Zeitraum vom 01.08.2012 bis zum 31.01.2013 betrieben wird.
Der 1972 geborene Antragsteller war ab dem 15.11.2011 als Selbständiger freiwillig bei der Antragsgegnerin versichert. Die freiwillige Versicherung endete zum 01.02.2013 wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld II und der hieraus resultierenden Versicherungspflicht. Die Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin endete wegen eines Wechsels der Krankenkasse zum 31.12.2013. Mit Bescheid vom 24.05.2016 setzte die Antragsgegnerin Beiträge für die Zeit vom 15.11.2011 bis zum 31.01.2013 neu fest und half einem Widerspruch des Antragstellers dadurch teilweise ab. Die Antragsgegnerin forderte in diesem Bescheid den Antragsteller auch auf, rückständige Beiträge in Höhe von 1.990,34 EUR zu zahlen. Im Übrigen wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2016 zurück. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Reutlingen (Az.: S 11 KR 2055/16). Nachdem das Gericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt hatte, nahm der Antragsteller die Klage zurück.
Im Oktober 2018 beantragte der Antragsteller bei dem Sozialgericht Freiburg (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung (Az.: S 16 KR 4410/18 ER). Mit Beschluss vom 26.10.2018 lehnte das SG den Antrag ab. Die gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegte Beschwerde nahm der Antragsteller zurück (Az.: L 4 KR 4224/18 ER-B).
Nachdem die Antragsgegnerin das Hauptzollamt mit der Vollstreckung der Beitragsforderung, Mahngebühren und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 3.059,84 EUR beauftragt hatte, hat der Antragsteller am 18.09.2019 beim SG erneut einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Begründung führt er aus, dass er der „angeblichen Forderung aus 2012" widersprochen habe. Aus den vorliegenden Steuerbescheiden gehe hervor, wie hoch seine Einnahmen gewesen seien. Zum Überleben sei er zwingend auf Leistungen des Jobcenters angewiesen gewesen. Der Gründungszuschuss vom Jobcenter sei für die soziale Absicherung vorgesehen. Die Beitragsberechnungen seien viel zu hoch und über das Arbeitslosengeld II geregelt gewesen. Außerdem berufe er sich auf „§ 76 SGB". Danach sei es unbillig, einem die Existenz zu rauben. Zudem macht er Verjährung geltend.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, dass weder ein Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund bestünden. Die erlassenen Beitragsbescheide seien rechtmäßig und bestandskräftig, so dass die rückständigen Beiträge, Mahngebühren und Säumniszuschläge beizutreiben seien. Das Interesse der Allgemeinheit an der ordnungsgemäßen und vollständigen Erhebung der Beiträge überwiege das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollstreckung.
Mit Beschluss vom 16.10.2019 hat das SG den Antrag abgelehnt. Der Antrag nach § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zulässig, aber unbegründet. Soweit der Antragsteller sich gegen die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides richtet, sei bereits fraglich, ob dieser Einwand vorliegend überhaupt berücksichtigt werden könne. Denn trotz der Ausführungen des SG in dem Verfahren S 16 KR 4410/18 ER sei bisher kein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X eingeleitet worden. Unabhängig davon habe der Antragsteller aber jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Bestandskraft eines Bescheides schließe, wie § 44 SGB X verdeutliche, nicht generell aus, dass dieser auf Rechtsfehler hin untersucht und dann ggf zurückgenommen werden könne. Für den einstweiligen Rechtsschutz im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X habe das jedoch zur Folge, dass im Anordnungsanspruch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des belastenden Bescheides mit der Folge zu fordern sei, dass der geltend gemachte materiell-rechtliche Anspruch unzweifelhaft bestehe (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 06.01.2016, L 5 KR 209/15 B ER, Rn 18, juris). Eine solche offensichtliche Rechtswidrigkeit habe der Antragsteller hier nicht dargetan.
Dass die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht vorliegen, habe der Antragsteller auch im Übrigen nicht glaubhaft gemacht. Soweit er vortrage, dass er bereits Beiträge gezahlt habe, die in der Auflistung nicht erfasst worden seien, würde zwar eine Erfüllung der Beitragsforderung eine weitere Vollstreckung unzulässig machen (vgl § 767 ZPO), entsprechende Zahlungsnachweise habe der Antragsteller aber nicht vorgelegt.
Der von dem Antragsteller geltend gemachte Einwand der Verjährung verfange ebenfalls nicht. Die Antragsgegnerin habe mit Bescheid vom 24.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.07.2016 die hier unter anderem für das Jahr 2012 streitigen Beiträge innerhalb der Verjährungsfrist (§ 26 Abs 1 SGB IV) festgesetzt.
Soweit sich der Antragsteller in seinem Antrag auf „§ 76 SGB" beziehe, sei davon auszugehen, dass er eine Niederschlagung bzw Erlass der Forderung nach § 76 Abs 2 SGB IV begehre. Der dahingehend ausgelegte Antrag habe keinen Erfolg. Hierbei handele es sich um eine endgültige Regelung, welche im Eilrechtsschutzverfahren nicht statthaft sei (LSG Baden-Württemberg 28.05.2013, L 11 KR 1426/13 ER-B, sozialgerichtsbarkeit.de). Insofern sei es dem Antragsteller zumutbar, sich zunächst an die Antragsgegnerin zu wenden und deren Entscheidung abzuwarten (vgl LSG Baden-Württemberg 17.09.2013, L 11 KR 3084/13 ER-B, sozialgerichtsbarkeit.de). Im Übrigen habe der Antragsteller die Unbilligkeit der Beitragseinziehung auch nicht glaubhaft gemacht. Insoweit fehle es an einer Darlegung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse.
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Der Beschluss des SG ist dem Antragsteller mittels Zustellungsurkunde am 17.10.2019 zugestellt worden.
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Mit einem beim SG am 22.10.2019 eingegangenen Schreiben hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 16.10.2019 eingelegt. Er macht im Wesentlichen geltend, dass die von der Antragsgegnerin geforderten Beiträge nicht stimmten und zu Unrecht nicht berücksichtig werde, dass er mit seiner Ehefrau eine Bedarfsgemeinschaft bilde. Seine Einnahmen reichten nicht aus, um den Lebensunterhalt aufrechtzuerhalten.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 16.10.2019 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid vom 24.05.2016 einzustellen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.
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Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
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Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.
19 
Der Senat entscheidet durch Beschluss (§ 176 SGG). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 3 SGG). Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Antrag vor dem SG ist bereits unzulässig.
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Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG 13.04.2010, 1 BvR 216/07; BVerfG 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, juris).
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Einer Krankenkasse stehen gemäß § 66 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zwei Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie kann die Vollstreckung gemäß § 66 SGB X nach den jeweils einschlägigen Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder oder nach § 66 Abs 4 Satz 1 SGB X in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung vornehmen. Als Vollstreckungstitel kommt bei einer Vollstreckung in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur der Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) selbst in Betracht (BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 751). Auch für die Verwaltungsvollstreckung bedarf es als Voraussetzung der Vollstreckung eines Leistungsbescheides (§ 3 Abs 2 Buchst a) VwVG). Das VwVG ist hier anwendbar, da es sich bei der Antragsgegnerin um eine bundesunmittelbare Körperschaft handelt. Der Bereich der Antragsgegnerin erstreckt gemäß § 1 Abs 2 Satz 2 ihrer Satzung auf das gesamte Bundesgebiet.
22 
Wählt die Krankenkasse – wie hier die Antragsgegnerin – die Vollstreckung nach dem VwVG, ist die zuständige Vollstreckungsbehörde für Geldforderungen das Hauptzollamt (§ 4 VwVG iVm § 249 Abs 1 S 3 Abgabenordnung – AO). Dieses wird im Wege der Amtshilfe tätig. Wendet sich der Schuldner (hier: der Antragsteller) gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Hauptzollamtes, sind die Rechtsbehelfe von AO und Finanzgerichtsordnung (FGO) gegeben. Die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz erfolgt durch Aussetzung der Vollziehung auf der Grundlage von § 361 AO und § 69 FGO (Beschluss des Senats vom 31.08.2018, L 11 KR 2654/18 ER-B, juris unter Hinweis auf Becker SGb 2018, 456, 463).
23 
Es ist weder vorgetragen noch aus den Akten erkennbar, dass das zuständige Hauptzollamt eine Vollstreckungsmaßnahme getroffen hat. Die Vollstreckungsanordnung der Antragsgegnerin selbst ist eine rein verwaltungsinterne Maßnahme. Solange noch keine Zwangsmaßnahme der Vollstreckungsbehörde vorgenommen wurde, fehlt es an einem Eingriff in die Vermögensrechte des Antragstellers. Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckungsanordnung sind folglich unzulässig (Becker, SGb 2018, 456, 462). Der Antragsteller macht überdies auch materiell-rechtliche Einwendungen (rechtswidrige Beitragserhebung) geltend. Er bemängelt die Höhe der geforderten Beiträge, die im Übrigen nach seinem Vorbringen und nach Lage der Akten bestandskräftig festgesetzt wurden. Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt sind jedoch außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen (§ 256 AO).
24 
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass Voraussetzung für die Einleitung der Verwaltungsvollstreckung ua ein Leistungsbescheid ist, durch den der Schuldner zur Leistung aufgefordert worden ist (§ 3 Abs 2 Buchst a) VwVG). Bei einem Leistungsbescheid handelt es sich um eine Aufstellung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge, mit der der Adressat zur Zahlung des Saldos aufgefordert wird (vgl BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 751). Insoweit dürfte der Bescheid vom 24.05.2016 nur in Höhe des Betrages von 1.990,34 EUR ein Leistungsbescheid sein. Das ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehene Schreiben vom 28.05.2016 ist als „Mahnung“ gekennzeichnet und kein Verwaltungsakt. Ferner wird die Auffassung vertreten, dass eine Krankenkasse vor Ergehen einer Vollstreckungsanordnung auch prüfen muss, ob die Voraussetzungen für eine Stundung, Niederschlagung oder Erlass der Forderung vorliegen (Becker, SGb 2018, 456, 460 f). Denn diese Instrumente beseitigen die Fälligkeit einer Beitragsforderung und die Fälligkeit der Forderung ist Voraussetzung einer Vollstreckungsanordnung. Ein Leistungsbescheid bedarf aber keiner Vollstreckungsklausel, soweit er in der Verwaltungsvollstreckung vollstreckt werden soll (anders ist dies, wenn die Vollstreckung nach der ZPO erfolgen soll; vgl hierzu BGH 25.10.2007, I ZB 19/07, MDR 2008, 712).
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Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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