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| Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ) eingelegte Berufung der Beklagten ist nach § 143 Abs. 1 SGG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes von 5.208,10 EUR den nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderlichen Wert des Beschwerdegegenstands von 750,00 EUR übersteigt, und auch im Übrigen zulässig. |
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| Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für die zwei Liposuktionsbehandlungen am 29.05.2017 und 12.07.2017 in Höhe von insgesamt 5.208,10 EUR. |
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| 1. Die Klägerin verfolgt ihr auf Kostenerstattung gerichtetes Klageziel in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG). Darauf, dass nach der neuesten Rechtsprechung des BSG § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V keinen eigenständigen Anspruch auf Versorgung mit einer Naturalleistung begründet (BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R - juris, Rn. 10 ff., 28 ff.), kommt es vorliegend nicht an. Denn die Klägerin verlangt die Aufhebung des Ablehnungsbescheids nicht mit der Begründung, eine Genehmigungsfiktion sei eingetreten. Sie stützt ihr Begehren allein auf die Kostenerstattungspflicht nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V und begehrt keine zukünftigen Leistungen. |
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| 2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenerstattung aufgrund fingierter Genehmigung nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V sind erfüllt. |
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| a) Nach § 13 Abs. 3a SGB V i.d.F. des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013 (BGBl. I S.277) hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 1 bis 3). Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 (zahnärztliches Gutachterverfahren) nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 5 bis 7). |
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| (1) Die bei der Beklagten versicherte und damit „leistungsberechtigte“ Klägerin hatte am 23.03.2017 einen „Antrag auf Leistungen“ im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V gestellt. Sie hatte einen von der Regelung umfassten Antrag auf Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V bei der Beklagten eingereicht. Der Antrag bezog sich hinreichend bestimmt auf Liposuktionsbehandlungen an den Beinen. |
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| (2) Die von der Klägerin beantragte Liposuktion galt wegen Fristablaufs als genehmigt. Die Beklagte hat nicht fristgemäß über den Antrag der Klägerin entschieden. Über den Antrag vom 23.03.2017, zu dessen Entscheidung die Beklagte eine gutachterliche Einschätzung des MDK angefordert hat, wovon sie die Klägerin mit Schreiben vom 27.03.2017 in Kenntnis gesetzt hat, hatte die Beklagte vorliegend binnen fünf Wochen zu entscheiden. Die Beklagte hat der Klägerin nicht mitgeteilt, dass und warum sie diese Frist nicht einhalten kann und hat ihr auch nicht taggenau ein Datum genannt, bis zu dem die Entscheidung ergehen werde. Eine Verlängerung Fünf-Wochen-Frist ist damit nicht eingetreten. Nach Eingang des Antrags am 23.03.2017 begann die Frist zu laufen und endete fünf Wochen später am 27.04.2017. Mit ihrem Bescheid vom 08.05.2017 hat die Beklagte somit nicht fristgemäß über den Antrag der Klägerin entschieden. |
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| (3) Dem durch die Genehmigungsfiktion begründeten Recht der Klägerin auf Selbstbeschaffung auf Kosten der Beklagten steht nicht entgegen, dass die Klägerin materiell keinen Anspruch auf die Liposuktionen hatte (zum materiellen Anspruch vgl. allg. Urteil des Senats vom 25.09.2019 - L 5 KR 2570/18 -, n.v.). Denn sie hatte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs. |
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| Nach der neusten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 19, 22 ff.), der sich der Senat nach eigener Prüfung und Überzeugung anschließt, liegt der spezifische Zweck der Genehmigungsfiktion in dem Druck, den diese auf die Krankenkassen dadurch ausübt, sich nach Ablauf der Frist nicht mehr auf „materielle Rechtswidrigkeit“ der beantragten Leistung berufen zu können, wenn sich die Versicherten die Leistung beschafft haben. Sie entfaltet ihre Wirkung insbesondere in Fällen, in denen nach materiellem Leistungsrecht der GKV kein Naturalleistungsanspruch besteht. Das durch die Genehmigungsfiktion begründete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Krankenkasse besteht auch bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung, sofern der Versicherte im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs hat. Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, d.h. wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (stRspr; BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 24 m.w.N.). Dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (stRspr; BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 24 m.w.N.). Eine nähere Kenntnis des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung darf den Versicherten nicht abverlangt werden (BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 24; vgl. zu § 18 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch auch BT-Drucks. 18/9522 S. 238). Das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit soll nur eine Kostenerstattung offensichtlich rechtswidriger Leistungen ausschließen (BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 24; vgl. BT-Drucks. 18/9522 S. 238). Je offensichtlicher die beantragte Leistung außerhalb des GKV-Leistungskatalogs liegt, desto eher ist von einer zumindest grob fahrlässigen Unkenntnis (Bösgläubigkeit) der Versicherten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung auszugehen (BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 24).Das ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 25) dann der Fall, wenn sich Versicherte trotz erdrückender Sach- und Rechtslage besserer Erkenntnis verschließen. Allein der Umstand, dass ein Arzt Versicherten verdeutlicht, Krankenkassen sähen die Rechtslage zuungunsten der Versicherten anders, er als Vertragsarzt deshalb im Verhältnis zu den Krankenkassen nicht das Vergütungsrisiko übernehmen wolle und er dem Versicherten daher einen Leistungsantrag bei der zuständigen KK empfehle, begründet noch keine grob fahrlässige Unkenntnis oder gar Kenntnis der Rechtswidrigkeit der beantragten Leistung (BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 25). Es kommt auch nicht auf formale Ablehnungsentscheidungen an, sondern auf die Qualität der fachlichen Argumente und ihre Nachvollziehbarkeit durch die Versicherten; deshalb folgt aus einer ablehnenden Entscheidung der KK für sich genommen noch keine grobe Fahrlässigkeit; auch dann nicht, wenn die Entscheidung der KK auf einer Stellungnahme des MDK beruht (BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 25). Ein Meinungsstreit über rechtliche und tatsächliche Umstände, insbesondere unterschiedliche gutachtliche Bewertungen, schließt Gutgläubigkeit grundsätzlich nicht aus; dies gilt auch noch während eines Klage- und Rechtsmittelverfahrens (BSG, Urteil vom 26.05.2020 - B 1 KR 9/18 R -, in juris, Rn. 25). |
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| Unter Anwendung dieser Maßstäbe war die Klägerin im Zeitpunkt der während des Vorverfahrens erfolgten Selbstbeschaffung am 29.05.2017 und 12.07.2017 nicht bösgläubig. Sie hatte keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichtbestehen des materiellen Leistungsanspruchs. Zwar ergibt sich aus den Ausführungen der Klägerin in ihrem Antragsschreiben vom 12.03.2017, dass sie sich eingehend unter Heranziehung von medizinischer und juristischer Quellen mit der Frage befasst hat, ob ihr ein Leistungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Sie kommt in ihrem Schreiben aber zu dem klar formulierten Ergebnis, dass sie der Auffassung ist, dass sie Liposuktionsbehandlungen von der Beklagten beanspruchen kann. Sie hatte demnach keine Kenntnis vom Nichtbestehen des Leistungsanspruchs. Es kann ihr auch keine grob fahrlässige Unkenntnis vorgeworfen werden. Nähere Kenntnis des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung kann Versicherten gerade nicht abverlangt werden, zumal die Klägerin weder Juristin noch Medizinerin ist, sondern Erzieherin. Dass sie davon ausging, es seien Kriterien in ihrem Fall erfüllt, die eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ohne eine befürwortende Entscheidung des GBA eine Leistungspflicht der Krankenkassen nicht in Betracht kommt, zuließen, kann ihr als juristischem und medizinischem Laien nicht zum Vorwurf gemacht werden. Sie verschloss sich dabei auch nicht einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen, sondern begründete ihre Ansicht und stützte ihre Position auf ein Urteil des Sozialgerichts Dresden sowie die Leitlinie der Fachgesellschaft. Die Beklagte ermittelte zudem selbst in medizinischer Hinsicht. Dass ihr Arzt Dr. K. sie darauf hingewiesen hatte, dass es sich nicht um eine vertragsärztliche Behandlung handele und deshalb nach GOÄ abzurechnen sei, begründet ebenfalls weder Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der beantragten Leistung. Diese Aussage ist allein dem mit Leistungen im Sinne des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V typischerweise verbundenen Kostenrisiko des Behandlers geschuldet. |
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| Die Klägerin wurde auch nicht durch die Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 08.05.2017 bösgläubig. Der Bescheid selbst enthält neben der formalen Ablehnungsverfügung, die allein zur Begründung von Bösgläubigkeit nicht ausreichend ist, nur eine rudimentäre Begründung und verweist im Wesentlichen auf das beigefügte MDK-Gutachten von Dr. D. vom 03.04.2017. Das Gutachten setzt sich indes nicht mit allen Argumenten der Klägerin auseinander, insbesondere nicht mit den von ihr herangezogenen Ausnahmekriterien, und kann sie unter Zugrundelegung des subjektiven Einsichtsvermögens der Klägerin auch nicht entkräften, zumal Dr. D. selbst darauf verweist, dass die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie die Liposuktion empfiehlt. Dass die Wirksamkeit, der medizinische Nutzen und die Wirtschaftlichkeit der Methode bislang nicht belegt seien, gibt lediglich den Meinungsstand der Beklagten wider. Nachweise im Sinne von medizinischen Quellen werden nicht aufgeführt. |
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| Insgesamt ist der Senat somit von einer Bösgläubigkeit der Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung nicht überzeugt. Bei dieser Einschätzung stützt er sich auch auf die glaubhaften Aussagen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2021. Darauf, dass die Klägerin auch noch während des Klage- und Berufungsverfahrens gutgläubig war, kommt es nicht an. |
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| Ungeachtet dessen, ist der Senat davon überzeugt, dass ein Antrag auf Leistung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die noch dazu wie im Fall der Liposuktion im fraglichen Zeitpunkt im GBA zur Überprüfung stand (Beschluss des GBA vom 22.05.2014, ausgesetzt am 20.07.2017), im Regelfall nicht rechtsmissbräuchlich ist (zur Liposuktion bereits BSG, Urteil vom 11.07.2017 - B 1 KR 1/17 R -, in juris, Rn. 22; BSG, Urteil vom 26.09.2017 - B 1 KR 8/17 R -, juris, Rn. 22). Dies sind gerade die typischen Fälle, in denen sich die Versicherten mit einem Antrag an ihre Krankenkasse wenden, weil der Behandler das Vergütungsrisiko nicht übernehmen will. Es würde außerdem unverhältnismäßig in die Patientenrechte eingreifen, wenn dem Versicherten von vornherein das Antragsrecht verwehrt wäre. Es muss dem Versicherten grundsätzlich möglich sein, im Fall einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode eine Einzelfallprüfung und -entscheidung der Krankenkasse herbeizuführen. |
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| (4) Die Klägerin war vor Ablauf der Entscheidungsfrist am 27.04.2017 auch nicht auf die Selbstbeschaffung der beantragten Leistung vorfestgelegt. Sie hatte zwar bereits aufgrund langer Wartezeiten einen Termin für Ende Mai 2017 im Klinikum D. vereinbart. Sie war aber nicht fest entschlossen, diesen Termin wahrzunehmen, sondern wollte die Entscheidung der Beklagten abwarten. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus ihrem Antragsschreiben, aus dem sich nicht ergibt, dass sie sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Beklagten ausfallen würde, von vornherein auf eine Liposuktion bei Dr. K. festgelegt hatte und fest entschlossen war, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Beklagte den Antrag ablehnen sollte. Sie schrieb vielmehr, dass sie den beigefügten Therapievorschlag von Dr. K. bevorzugen „würde“. Damit machte sie deutlich, dass sie eine vorherige Prüfung durch die Beklagte abwarten wollte. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Klinikums D. vom 01.03.2017 beinhaltete zudem lediglich einen Therapievorschlag (s. S. 2: „der vorgeschlagene Eingriff...“) und in der Anlage einen Kostenvoranschlag. Darüber hinaus gab sie im Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 02.05.2017 gegenüber der Beklagten klar zu erkennen, dass sie nicht vorfestgelegt war, in dem sie „die berechtigte Sorge“ übermitteln ließ, sie könne die anberaumte Operation nicht vornehmen, weil „noch keine Kostenfreigabe“ durch die Beklagte erfolgt sei. Hieraus ergibt sich für den Senat zweifellos, dass sich die Klägerin die Leistung nicht in jedem Fall, d.h. unabhängig davon wie die Beklagte entscheiden würde, verschaffen wollte. |
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| (5) Der Klägerin sind auch Kosten in der vom SG zugesprochenen Höhe entstanden. Die Klägerin war wirksamen Forderungen ausgesetzt, die sie beglichen hat. Die Rechnungen wurden auf Grundlage der GOÄ erstellt. Fehler, die zur Unwirksamkeit der Rechnungen führen würden, sind nicht ersichtlich und werden von der Beklagten auch nicht geltend gemacht. |
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| Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. |
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