Beschluss vom Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 7 SO 151/22 ER-B

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller bezieht von der Antragsgegnerin laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (zuletzt Bescheid vom 7. Juli 2021, Änderungsbescheid vom 12. Oktober 2021). Seinen Antrag vom 23. November 2020 auf „Erhöhung des Kaltmieten-Budgets auf 700,00 EUR für Wohnungssuche“ lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. Dezember 2020 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2021 zurück mit der Begründung, eine Zustimmung zur Anerkennung von Aufwendungen für Unterkunft und Heizung könne nur im Hinblick auf ein konkretes Wohnungsangebot erfolgen. Ein Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung der Übernahme künftiger angemessener Unterkunftskosten bestehe nicht. Ein konkretes Wohnungsangebot liege derzeit nicht vor. Zwar sei die grundsätzliche Notwendigkeit eines Umzugs aus gesundheitlichen Gründen gegeben. Ohne Vorliegen eines konkreten Wohnungsangebots bestehe jedoch auch kein Anspruch auf Erteilung einer Zustimmung zur Übernahme von Umzugskosten. Eine Zusicherung zur Übernahme von Maklerkosten komme gleichfalls regelmäßig erst in Betracht, wenn ein konkretes Vermittlungsangebot für Wohnraum unterbreitet werde. Gleichwohl werde dem Antragsteller ein sogenannter Maklerschein ausgestellt, wonach die Übernahme von Maklergebühren in Höhe von bis zu zwei Netto-Monatsmieten unter der Voraussetzung zugesichert werde, dass die Kaltmiete die aktuelle Mietobergrenze von 525,00 EUR nicht übersteige.
Hiergegen hat der Antragsteller am 17. September 2021 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben (S 11 SO 3556/21).
Am 28. Oktober 2021 hat er beim SG unter Beifügung einer ärztlichen Stellungnahme beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kaltmiete für eine neue Unterkunft in Höhe von 700,00 EUR zu übernehmen.
Mit Beschluss vom 15. Dezember 2021 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt mit der Begründung, es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch, denn die Entstehung von höheren Unterkunftskosten sei mangels eines konkreten Wohnungsangebotes nicht hinreichend dargelegt. § 35 Abs. 2 Satz 4 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bestimme, dass der Träger der Sozialhilfe im Fall von unangemessen hohen Aufwendungen für die neue Unterkunft nur zur Übernahme angemessener Aufwendungen verpflichtet sei, es sei denn, er habe den darüber hinausgehenden Aufwendungen vorher zugestimmt. Die vom Gesetz verwendete Formulierung, dass „den Aufwendungen vorher zugestimmt“ werden müsse, sei als Abgabe einer Zusicherung auszulegen. Die Zusicherung sei ein der späteren Bewilligung von Kosten für Unterkunft und Heizung vorgeschalteter Verwaltungsakt im Sinne von § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Anspruch auf Zusicherung erfordere dabei regelmäßig die Prüfung des Einzugs in eine angemessene Wohnung. Die Erteilung der Zusicherung müsse daher anhand eines konkreten Wohnungsangebotes erfolgen. Es bestehe kein Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung im Hinblick auf die Übernahme künftiger angemessener Unterkunftskosten wegen der abstrakten Erforderlichkeit eines Umzugs aus der bisherigen Wohnung in eine nicht näher konkretisierte angemessene Wohnung. Eine entsprechende Zusicherung habe die Antragsgegnerin nicht erteilt. Eine solche sei insbesondere nicht in der E-Mail vom 21. Juni 2021 zu sehen, mit welcher die Antragsgegnerin ausdrücklich auf die Vermittlung einer Wohnung durch das Amt für Liegenschaften und Wohnen Bezug genommen und zutreffend zum Ausdruck gebracht habe, dass nach Vermittlung einer Wohnung gegebenenfalls Kosten auch abweichend von der Mietobergrenze anerkannt werden könnten. Die insoweit erforderliche einzelfallbezogene Prüfung könne jedoch erst bei Vorlage eines konkreten Wohnungsangebotes und nicht aufgrund der abstrakten Erforderlichkeit des klägerischen Umzugs erfolgen.
Gegen den ihm am 17. Dezember 2021 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 17. Januar 2022 Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Mit Schreiben vom 2. Februar 2022 hat er mitgeteilt, ihm liege kein aktuelles Wohnungsangebot vor. Eine Kostenzusage durch die Antragsgegnerin sei auch erforderlich, da er bei Vorliegen eines Wohnungsangebotes nicht die Zusicherung der Antragsgegnerin abwarten könne, da Wohnungen oft innerhalb von wenigen Tagen vergeben würden.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 15. Dezember 2021 ist zulässig, insbesondere statthaft (§§ 172, 173 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Nach § 86b Abs. 3 SGG sind die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 schon vor Klageerhebung zulässig.
Vorliegend kommt allein der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zunächst die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs voraus. Die Begründetheit des Antrags wiederum hängt vom Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ab (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164). Eine einstweilige Anordnung darf nur erlassen werden, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind. Dabei betrifft der Anordnungsanspruch die Frage der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs, während der Anordnungsgrund nur bei Eilbedürftigkeit zu bejahen ist. Die Anordnungsvoraussetzungen, nämlich der prospektive Hauptsacheerfolg (Anordnungsanspruch) und die Dringlichkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund), sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung ). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164).
10 
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Beschwerde nicht begründet.
11 
Der Antragsteller hat schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Erteilung der begehrten Zusicherung hinsichtlich der Unterkunftskosten für eine erst noch anzumietende Wohnung im Wege einer einstweiligen Anordnung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der Sozialhilfeträger zur Erteilung einer Zusicherung, als welche die Zustimmung nach § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII rechtstechnisch zu beurteilen ist (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - B 8 SO 15/13 R - juris Rdnr. 12), in aller Regel nicht verpflichtet werden kann, sondern allenfalls zur vorläufigen Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft (vgl. zur parallelen Regelung in § 22 Abs. 4 LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. Juni 2019 - L 1 AS 1858/19 ER-B - juris Rdnr. 13; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. April 2019 - L 11 AS 72/19 B ER - juris Rdnr. 44; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11. November 2020 - L 6 AS 153/20 B ER - juris Rdnr. 5; Senatsbeschluss vom 25. November 2021 - L 7 AS 3496/21 ER-B, n.v.). Denn die hier begehrte (grundsätzlich) „vorläufige Zusicherung“ ist für einen Leistungsberechtigten nur dann von Nutzen, wenn sie für die Beteiligten auf Dauer Bindungswirkung entfaltet. Dies ist jedoch erst dann der Fall, wenn sie nicht nur vorläufig, sondern endgültig erteilt wird (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. Juni 2017 - L 5 AS 413/17 B ER - juris Rdnr. 24; LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 6. November 2012 - L 25 AS 2712/12 B PKH - juris Rdnr. 4). Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, dass Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur in eingeschränktem Maße in Rechtskraft erwachsen können. Denn sie beinhalten nicht eine nur vorläufige Regelung eines endgültigen Zustandes, sondern eine endgültige Regelung des vorläufigen Zustandes bis zur Entscheidung in der Hauptsache (Binder in Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 86b Rdnr. 66). Deshalb kann im Eilverfahren eine die Hauptsache vorwegnehmende Entscheidung nur dann getroffen werden, wenn feststeht, dass der materielle Anspruch besteht (Burkiczak, jurisPK-SGG, Stand 21. Dezember 2021, § 86b Rdnr. 434 m.w.N.). Für eine derartige endgültige Vorwegnahme der Hauptsache, für die § 86b Abs. 2 SGG seinem Wortlaut nach grundsätzlich keine geeignete Grundlage darstellt, ist unter Berücksichtigung des in Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz verankerten Gebots effektiven Rechtsschutzes nur dann Raum, wenn zwingende Gründe eine solche Entscheidung gebieten. Dies kommt nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen, also geklärt ist, dass neben den allgemeinen Leistungsvoraussetzungen auch die Voraussetzungen der Zusicherung nach § 35 Abs. 2 Satz 4 SGB XII - die Angemessenheit der neuen Wohnung im Sinne von § 35 Abs. 2 SGB XII - feststehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Juni 2018 - L 31 AS 1002/18 B ER - juris Rdnrn. 4 ff.).
12 
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Wie das SG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, erfordert der Anspruch auf Erteilung einer Zusicherung nach § 35 Abs. 2 Sätze 3 und 4 SGB XII die Vorlage eines konkreten Wohnungsangebotes. Ein solches liegt nicht vor. Ein Anspruch auf eine Zusicherung besteht wegen des Bestimmtheitsgebots in § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur, wenn der Gegenstand des zuzusichernden Verwaltungsakts und der zugrundeliegende Sachverhalt bereits im Zeitpunkt der behördlichen Erklärung hinreichend konkretisiert sind (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2014 - B 8 SO 15/13 R - juris Rdnr. 10 f.).
13 
Darüber hinaus ist auch ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Denn es ist dem Antragsteller zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Obwohl der Antragsteller frühzeitig darauf hingewiesen worden ist, dass für eine Zusicherung die Vorlage eines konkreten Wohnungsangebotes erforderlich ist, hat er bisher ein solches nicht vorgelegt, obwohl ihm auch ein Maklerschein ausgestellt worden ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller aktiv eine Wohnung sucht. Sein ganzes Vorbringen ist vielmehr darauf gerichtet, erst nach Zusicherung einer konkreten Miethöhe eine entsprechende Wohnung zu suchen. Im Übrigen ist es nicht so, wie der Antragsteller meint, dass er bei Vorliegen eines konkreten Wohnungsangebotes „das Okay des Sozialamtes“ erst einklagen müsse. Denn die Antragsgegnerin hat bereits darauf hingewiesen, dass aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Antragstellers auch die Zusicherung bzw. Bewilligung von Mietkosten über der für die Stadt S geltenden Angemessenheitsgrenzen in Betracht kommt. Auch hierfür ist jedoch die Vorlage eines konkreten Mietangebots erforderlich, um der Antragsgegnerin die Prüfung zu ermöglichen, ob die Kosten angemessen sind.
14 
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die vom Antragsteller angeführten Regelungen des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) einen Anspruch gegen den Träger der Eingliederungshilfe, nicht jedoch gegen den hier beklagten Träger der Sozialhilfe betreffen. Gegenüber dem Träger der Eingliederungshilfe besteht zwar gem. §§ 113 Abs. 2 Nr. 1, 76 Abs. 2 Nr. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ein Anspruch auf Leistungen zur Sozialen Teilhabe in Form von Leistungen für Wohnraum. Gem. § 77 Abs. 1 SGB IX werden Leistungen für Wohnraum erbracht, um Leistungsberechtigten zu Wohnraum zu verhelfen, der zur Führung eines möglichst selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Lebens geeignet ist. Die Leistungen umfassen Leistungen für die Beschaffung, den Umbau, die Ausstattung und die Erhaltung von Wohnraum, der den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen entspricht. Die Hilfe bei der Beschaffung einer behinderungsgerechten Wohnung umfasst danach die individuelle Beratung sowie die Unterstützung bei der Suche nach einer geeigneten Wohnung (vgl. BT-Drs. 49/01, 321; Winkler in Neumann/Pahlen/Greiner/Winkler/Jabben, SGB IX, 14. Aufl. 2020, § 77 Rdnr. 4; Luthe in jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018 , § 77 Rdnr. 14), nicht jedoch die Beschaffung der Wohnung selbst und auch nicht die abstrakte Zusicherung der Übernahme von Wohnkosten.
15 
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
16 
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

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