Urteil vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (14. Senat) - L 14 AS 524/13

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 22. Oktober 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über einen Leistungsanspruch der Klägerinnen nach dem SGB II im Monat Mai 2011, insbesondere im Hinblick auf die Übernahme einer in diesem Monat fällig gewordenen Heizkostennachzahlung.

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Die im Juni 2005, September 2006 und Oktober 2008 geborenen Klägerinnen lebten gemeinsam mit ihrer nicht erwerbstätigen Mutter. Von September 2009 bis Januar 2011 bewohnten sie eine 85,78 m² großen Mietwohnung in A-Stadt (Bahnhofstraße 4) und bezogen vom Beklagten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Bis zu dessen Auszug am 25. Januar 2010 gehörte auch der seinerzeitige Partner der Mutter der Klägerinnen zu der Bedarfsgemeinschaft. An Heizkosten gewährte der Beklagte entsprechend den Abschlagsforderungen des seinerzeitigen Vermieters und nach Abzug der Pauschalen für Warmwasserbereitung 74,11 Euro für Januar, 78,28 Euro monatlich für Februar bis Mai und 138,96 Euro für Juni bis Dezember 2010.

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Am 06. Januar 2011 zogen die Klägerinnen und ihre Mutter nach Kostensenkungsaufforderung und mit Zustimmung des Beklagten in eine andere, ca. 75 m² große Wohnung (P-Straße 13, A-Stadt). Für diese war eine monatliche Netto-Kaltmiete in Höhe von 313,00 Euro, ein monatlicher Betriebskostenvorschuss in Höhe von 60,00 Euro und ein monatlicher Heizkostenvorschuss in Höhe von 82,00 Euro zu entrichten, insgesamt monatlich 455,00 Euro.

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Mit Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2010 bewilligte der Beklagte der Mutter der Klägerinnen auf ihren Antrag für den Zeitraum 01. Januar bis 30. Juni 2011 erneut Grundsicherungsleistungen. Ein individueller Leistungsanspruch der Klägerinnen ergab sich nach den Berechnungen des Beklagten im Hinblick auf überschießendes Einkommen nicht. Die drei Klägerinnen verfügten über jeweils 133 Euro monatlichen Unterhaltsvorschuss, 82,33 Euro monatliches Wohngeld (Klägerin zu 3: 82,34 Euro) und monatliches Kindergeld in Höhe von 184 Euro (Klägerin zu 3: 190 Euro). Der ursprünglich vorgenommene Abzug der Warmwasserpauschale entfiel im Rahmen späterer Änderungsbescheide (vom 26. März und 12. Mai 2011), sodass der Mutter der Klägerinnen letztlich für den Monat Mai 2011 ein Betrag in Höhe von 427,00 Euro bewilligt wurde. Ein eigener Leistungsanspruch der Klägerinnen wurde weiterhin nicht angenommen, da deren o.g. Einkommen (399,33 Euro bzw. 405,34 Euro) ihren Gesamtbedarf in Höhe von 328,75 Euro (215,00 Euro Sozialgeld, 113,75 Euro anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung) überstieg.

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Den am 23. Januar 2011 seitens der Klägerinnen und ihrer Mutter erhobenen Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2010 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2011 (W157/11) als unbegründet zurück. Als zustehender Leistungsanspruch der Mutter der Klägerinnen wurde hierin für Mai 2011 ein Betrag in Höhe von insgesamt 421,00 Euro errechnet. Die bewilligten Leistungen seien wegen einer falschen Kindergeldanrechnung rechtswidrig zu hoch gewesen, aus Vertrauensschutzgründen werde eine Rückforderung nicht geltend gemacht. Hinsichtlich der Klägerinnen legte die Beklagte im Einzelnen dar, dass das jeweilige Einkommen den Bedarf übersteige, weshalb sich kein eigener Anspruch ergebe.

6

Hiergegen haben allein die Klägerinnen am 25. Juli 2011 bei dem Sozialgericht Neubrandenburg Klage erhoben. Zur Begründung haben sie schließlich vorgetragen, es seien im Hinblick auf eine Nebenkostennachforderung für das Jahr 2010 höhere Leistungen für Mai 2011 zu zahlen. Ausweislich der vorgelegten Abrechnung der Vermieterin vom 04. April 2011 wurde eine Heizkostennachforderung in Höhe von 690,35 Euro (Gesamtkosten 2.239,84 Euro abzgl. Vorauszahlungen in Höhe von 1.549,49 Euro) sowie eine Betriebskostennachforderung in Höhe von 164,03 Euro für das Jahr 2010 geltend gemacht, jeweils fällig am 01. Mai 2011. Nach der Anlage zur Nebenkostenabrechnung betrug der Anteil der Wohnfläche der Wohnung der Klägerinnen an der Gesamtwohnfläche ca. 13,6 % (85,78 m² von insgesamt 630,96 m² Wohnfläche des mit einer Gaszentralheizung beheizten Gebäudes), während die auf die Wohnung der Klägerinnen entfallenden Wärmezählereinheiten ca. 27,6 % ausmachten (22.332,16 von insgesamt 81.038,65 Einheiten). Wegen der nach der Heizkostenverordnung vorzunehmenden Verteilung (70 % nach Verbrauch, 30 % nach Wohnfläche) machte der Anteil der Wohnung der Klägerin an den Heizkosten (ohne Warmwasser) hingegen 23,5 % aus. Unter Berücksichtigung auch der Warmwasser-Kosten betrug der Anteil ca. 23,2 %.

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Der Beklagte anerkannte die Betriebskostennachzahlung mit Bescheid vom 24. Juni 2011 (wohl versehentlich mit 167,03 Euro statt mit den von der Vermieterin geltend gemachten 164,03 Euro), berücksichtigte für den Monat Juni 2011 einen entsprechend höheren Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft und brachte den Betrag unmittelbar an die Vermieterin zur Auszahlung. Die Übernahme der Heizkostennachzahlung lehnte der Beklagte mit weiterem Bescheid vom 24. Juni 2011 hingegen wegen Unangemessenheit vollständig ab. Einem hiergegen erhobenen Widerspruch half er mit Widerspruchsbescheid vom 06. Oktober 2011 (W 1103/11) in Höhe von 148,58 Euro teilweise ab; im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Eine Umsetzung dieser Entscheidung erfolgte durch schlichte Überweisung des Betrages an die Mutter der Klägerinnen, ohne dass (für Mai oder für Juni 2011) eine gesonderte Leistungsberechnung erfolgt wäre. Ein gegen den vorgenannten Widerspruchsbescheid gerichtetes weiteres Klageverfahren (Sozialgericht Neubrandenburg – S 14 AS 2598/11) haben die Beteiligten wegen der Identität des Leistungsbegehrens mit dem vorliegenden Verfahren für erledigt erklärt.

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Die Kläger haben im vorliegenden Verfahren beantragt:

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Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27. Dezember 2010 in der Fassung seiner Änderungsbescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2011 (Az. W 157/11) verpflichtet, den Klägern für den Monat Mai 2011 Leistungen nach dem SGB II in der gesetzlichen Höhe zu bewilligen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hat darauf hingewiesen, es liege ein offensichtlich unwirtschaftliches Heizverhalten vor. Die tatsächlichen Heizkosten überstiegen den Grenzwert nach dem bundesweiten Heizkostenspiegel 2011 für das Abrechnungsjahr 2010 deutlich (2.239,84 Euro zu 1.386 Euro). Die Bereinigung der tatsächlichen Kosten auch um die Kosten der Warmwasseraufbereitung könne wegen der Höhe des übersteigenden Betrages dahinstehen. Besonderheiten, die einen derartig hohen Heizverbrauch erklären könnten, seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch das Alter der Kinder (5, 4 und 2 Jahre) rechtfertige keine derartige Überschreitung des Grenzwertes, es habe sich nicht mehr um Kleinkinder gehandelt. Der Beklagte habe Heizkosten bis zur Angemessenheitsgrenze von 1.386 Euro übernommen. Zusätzlich zu den laufenden Vorauszahlungen seien im Vorverfahren von der Heizkostennachforderung weitere 148,58 Euro übernommen worden, mithin insgesamt sogar zu viel. Einer Kostensenkungsaufforderung habe es auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht bedurft. Lediglich im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung seien Kostensenkungsaufforderungen als Information gegenüber dem Hilfebedürftigen mit Aufklärungs- und Warnfunktion von Bedeutung. In den Fällen eines unangemessenen Heizverhaltens sei eine solche Kostensenkungsaufforderung entbehrlich. Auch sei dem Beklagten ein früherer Hinweis gar nicht möglich gewesen, da er erst im April 2011 mit Einreichung der Nebenkostenabrechnung Kenntnis von den unangemessenen Heizkosten erlangt habe.

13

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 22. Oktober 2013 stattgegeben und den Beklagten verurteilt, „den Klägern Leistungen für den Monat Mai 2011 nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Hierbei hat er die im Mai fällige Nachzahlung für die Heizkosten i. H. v. 690,35 € als angemessene Kosten der Heizung zu berücksichtigen.“

14

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, zwar seien die Heizkosten objektiv nicht angemessen, sondern deutlich zu hoch. Der Höchstwert nach dem Heizkostenspiegel werde um circa 58 % überschritten, was unwirtschaftliches Heizen vermuten lasse. Diese Vermutung hätten die Klägerinnen auch nicht entkräften können. Gleichwohl sei die Heizkostennachforderung vollumfänglich zu übernehmen, da es den Klägerinnen nicht möglich gewesen sei, ihr Heizverhalten anzupassen. Es mangele an einer Kostensenkungsaufforderung. Es stehe auch nicht fest, dass die Klägerinnen auf anderem Wege Kenntnis von der Unangemessenheit der Heizkosten hätten erlangen können. Zwar sei die objektive deutliche Überschreitung des angemessenen Verbrauchs ein gewichtiges Indiz für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Unangemessenheit des Energieverbrauchs, doch für sich nicht ausreichend. Andere Indizien habe es nicht gegeben. Der vage Vortrag der Mutter der Klägerinnen zum Heizverhalten genüge als weiteres Indiz nicht. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerinnen in der Vergangenheit bereits unangemessene Heizkosten verursacht hätten und aufgrund dessen hätten vorgewarnt sein müssen. Die Berufung werde zugelassen, da die Klage besondere Schwierigkeiten tatsächlicher Art aufweise.

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Der Beklagte hat gegen das ihm am 08. November 2013 zugestellte Urteil am 06. Dezember 2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist er auf das deutliche Überschreiten des Grenzwertes, der unangemessenes Heizen indiziere. Auch habe die Mutter der Klägerinnen im Termin ausgesagt, sie habe für alle ihre bisher bewohnten Wohnungen hohe Heizkostennachforderungen erhalten und könne sich das nicht erklären. Diese Aussage lasse den Schluss zu, dass es sehr wohl das Heizverhalten der Mutter der Klägerinnen sei und nicht der bauliche Zustand der bisherigen Wohnung Ursache für die hohen Nachforderungen sein könne. Der Beklagte vertrete nach wie vor die Auffassung, dass in einem solchen Falle des objektiven unwirtschaftlichen Heizkostenverhaltens eine vorherige Kostensenkungsaufforderung entbehrlich sei. Das Sozialgericht habe sich trotz Hinweises des Beklagten nicht mit entsprechender Rechtsprechung des 10. Senats des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern auseinandergesetzt. Von einem Leistungsberechtigten nach dem SGB II könne nichts anderes erwarten werden als von einem Nichtleistungsberechtigten, der seine Heizkosten aus seinem eigenen Einkommen finanzieren müsse. Gerade beim Umzug in eine neue Wohnung, bei dem er die Kosten mangels Erfahrungswerten schlecht einschätzen könne, sei ein vorsichtiger Umgang mit den Heizkosten zu verlangen.

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Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des SG Neubrandenburg vom 22. Oktober 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerinnen beantragen,

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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

20

Sie verweisen auf die fehlende vorherige Kostensenkungsaufforderung. Selbst wenn eine solche entbehrlich sei, seien die Kosten jedenfalls nicht unangemessen. Sie machen die Verfassungswidrigkeit des § 22 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II geltend. Der unbestimmte Rechtsbegriff der „angemessenen Kosten“ lasse sich nicht verfassungsmäßig auslegen.

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Der für das Verfahren ursprünglich zuständig gewesene 10. Senat des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern hat das angegriffene Urteil mit Urteil vom 25. Januar 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

22

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerinnen hat das Bundessozialgericht (B 14 AS 157/17 B) dieses Urteil mit Beschluss vom 25. April 2018 wegen falscher Besetzung des Senats aufgehoben und die Sache an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen ist vom nunmehr zuständigen erkennenden Senat des Landessozialgerichts Gelegenheit gegeben worden, ergänzend vorzutragen. Hiervon hat sie keinen Gebrauch gemacht, sondern lediglich im Termin zur mündlichen Verhandlung erneut auf die nach ihrer Auffassung bestehende Erforderlichkeit einer Kostensenkungsaufforderung hingewiesen. Der Beklagte hat seinen bisherigen Vortrag unter nochmaligem Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 19. September 2008, B 14 AS 54/07 R, wiederholt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist auch begründet. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Ihnen steht entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kein Leistungsanspruch für den Monat Mai 2011 zu, da ihr jeweiliges Einkommen ausreichte, ihren Bedarf zu decken. Die vom Sozialgericht im Wege eines Grundurteils ausgesprochene Leistungsverpflichtung des Beklagten war daher aufzuheben und die Klagen der Klägerinnen abzuweisen.

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Mit dem angegriffenen Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2010 ist den Klägerinnen jeweils kein eigener Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zuerkannt worden. Der Beklagte hat hierbei (jedenfalls zunächst zutreffend) den individuellen Bedarfen der Klägerinnen in Höhe von insgesamt 328,75 Euro (215 Euro Sozialgeld, 113,75 Euro kopfteilige Kosten der Unterkunft und Heizung für die aktuell bewohnte Wohnung) deren Einkommen aus Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und Kindergeld in Höhe von 399,33 Euro bzw. 405,34 Euro gegenüber gestellt. Alle Sozialleistungen waren als Einkommen bei den minderjährigen Klägerinnen unabhängig davon zu berücksichtigen, ob ihnen diese persönlich oder ihrer Mutter gewährt wurden. Dies folgt für das der Mutter gewährte Kindergeld aus § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 05. Dezember 2006 (nunmehr Satz 5 der Norm), während Berechtigte des Anspruchs auf Unterhaltsvorschuss gemäß § 1 Abs. 1 Unterhaltsvorschussgesetz ohnehin die minderjährigen Klägerinnen selbst waren. Inhaber des Anspruchs auf das hier bezogene sog. Kinderwohngeld (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juni 2018 – B 14 AS 37/17 R – Rn. 16 f.) ist zwar nach der Konzeption des Wohngeldgesetzes (WoGG) grundsätzlich der Wohnungsmieter, § 1 Abs. 2 Alt. 1 WoGG, hier also die Mutter der Klägerinnen. Grundsicherungsrechtlich ist das Kinderwohngeld gleichwohl als Einkommen des Kindes anzusehen, für das es gewährt wird, da § 40 WoGG in der seit 2009 geltenden Fassung ausdrücklich anordnet, dass das einer vom Wohngeld ausgeschlossenen wohngeldberechtigten Person bewilligte Wohngeld bei Sozialleistungen nicht als deren Einkommen zu berücksichtigen ist, sodass nur eine Anrechnung auf den Bedarf der Kinder als Einnahme in Geld im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Betracht kommt (BSG, a.a.O., Rn. 20 ff., Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31. August 2017 – L 20 AS 1182/15).

25

Bei Erlass des Bewilligungsbescheides für das erste Halbjahr 2011 vom 27. Dezember 2010 ist der Beklagte mithin zutreffend davon ausgegangen, dass das Einkommen der Klägerinnen ihren grundsicherungsrechtlichen Bedarf um ca. 70 Euro monatlich übertrifft, sodass sich (nach Abzug dieses Einkommensüberschusses der Kinder aus Kindergeld) lediglich für deren Mutter ein Individualanspruch ergab. Auch aus der im Monat Mai 2011 fällig gewordenen Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2010 vom 04. April 2011 folgt kein Anspruch der Klägerinnen auf Änderung des vorgenannten Bescheides. Zwar ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Ob eine Änderung der Verhältnisse wesentlich ist, richtet sich dabei allein nach dem Verfügungssatz des maßgeblichen Verwaltungsaktes. Nur wenn dieser anders hätte lauten müssen, wäre die Änderung bereits vor dem Erlasszeitpunkt eingetreten, ist Wesentlichkeit im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X anzunehmen. Dabei ist im Falle einer Mehrheit von Adressaten des in Rede stehenden Verwaltungsaktes allein auf den den jeweiligen Adressaten betreffenden Verfügungssatz abzustellen. Da vorliegend allein die minderjährigen Klägerinnen den Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2011 und damit den Bewilligungsbescheid vom 27. Dezember 2010 zur Überprüfung des Gerichts gestellt haben, ist er gegenüber der Mutter der Klägerinnen bestandskräftig geworden. Ein Erfolg der Klage setzt mithin voraus, dass die Änderung (Fälligkeit der Nebenkostenabrechnung) zu einem eigenen Anspruch der Klägerinnen geführt hat, während eine (bloße) Erhöhung des Leistungsanspruchs deren Mutter der Klage nicht zum Erfolg verhelfen kann.

26

Ein eigener Anspruch der Klägerinnen ergibt sich jedoch nicht, selbst wenn man davon ausgeht, dass die im Mai 2011 zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft und Heizung um die Nachforderung für (kalte) Betriebskosten aus 2010 (kopfteilig) zu erhöhen sind, obschon die vermieterseits geltend gemachten 164,03 Euro vom Beklagten bereits an den Vermieter ausgezahlt und lediglich bescheidmäßig im (falschen) Monat Juni 2011 berücksichtigt worden sind; hierdurch verringerte sich lediglich der Einkommensüberschuss der Klägerinnen auf ca. 30 Euro. Denn weitere Forderungen der ehemaligen Vermieterin waren jedenfalls nicht anspruchserhöhend zu berücksichtigen. Insbesondere bestand kein Anspruch auf Berücksichtigung der Nachzahlung für im Jahr 2010 entstandene Heizkosten.

27

Ein solcher Anspruch ist allerdings nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerinnen die Wohnung, für welche die Abrechnung erstellt wurde, im Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr bewohnt haben, da es sich hier um einen Umzug während des Leistungsbezugs in Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit nach Aufforderung durch den Leistungsträger (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) gehandelt hat und die Heizkosten auch während des Leistungsbezuges verursacht worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 40/14 R – Rn. 21 in Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 – B 4 AS 9/11 R. Die mithin grundsätzlich mögliche Berücksichtigung auch der Heizkostennachforderung bei den Bedarfen für Unterkunft und Heizung im Mai 2011 scheidet aber deshalb aus, weil gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ein Anspruch hierauf nur insoweit besteht, wie diese angemessen sind.

28

Der Beklagte hatte in 2010 (nach Abzug der seinerzeit noch anzusetzenden Warmwasserpauschalen) bereits insgesamt 1.359,95 Euro auf die Heizkosten der Bedarfsgemeinschaft der Klägerinnen gezahlt. Für einen Leistungsanspruch der Klägerinnen zu 1. und 2. im allein streitigen Monat Mai 2011 wäre zu verlangen, dass wenigstens 1.478,26 Euro (entsprechend einer Nachzahlung in Höhe von wenigstens 118,31 Euro) als angemessene Heizkosten zu beanspruchen sind. Hinsichtlich der Klägerin zu 3., die über ein um 6,01 Euro höheres Einkommen verfügte, errechnet sich ein entsprechend noch höherer Betrag (Nachzahlung in Höhe von 124,35 Euro). Als angemessener Heizkostenbedarf für das Jahr 2010 können jedoch keinesfalls mehr als 1.386 Euro berücksichtigt werden. Dieser Betrag errechnet sich, wenn man die für einen Vier-Personen-Haushalt maximal angemessen Wohnfläche von 90 m² und den sich aus dem bundesweiten Heizspiegel für 2010 (in Ermangelung eines kommunalen Heizspiegels) ergebenden Maximalwert von 15,40 Euro je m² (gasbeheiztes Gebäude mit Wohnfläche zwischen 501 und 1000 m²) berücksichtigt. Dabei lässt der Senat zugunsten der Klägerinnen außer Betracht, dass weitere 164,03 Euro Betriebskostennachforderung vom Beklagten bereits übernommen und lediglich im falschen Monat in die Leistungsberechnung eingestellt worden sind, dass die tatsächliche Wohnfläche nicht 90, sondern lediglich knapp 86 m² betragen hat und dass der bundesweite Heizspiegel 2011 (für das Jahr 2010) erst im September 2011 veröffentlicht worden sein dürfte (so jedenfalls das Erstelldatum des im Internet unter https://www.heizspiegel.de/heizkosten-pruefen/heizspiegel/ veröffentlichten PDF-Dokuments), während sich nach dem Heizspiegel für das Vorjahr nur ein Maximalwert von 1.332 Euro ergeben würde. Unberücksichtigt bleibt schließlich der im Zuge des Vorverfahrens „anerkannte“ und zur Auszahlung gebrachte, nicht jedoch in die Leistungsberechnung für einen konkreten Monat eingestellte weitere Betrag in Höhe von 148,58 Euro.

29

Die auf die (ehemalige) Wohnung der Klägerinnen entfallenen Heizkosten lagen mit 1.979,99 Euro (ohne Warmwasserkosten) um 49 % bzw. 43 % und damit weit über den nach Heizspiegel (2010 bzw. 2011) maximal zu erwartenden Werten. Sie überstiegen zudem die durchschnittlichen Kosten des Rests des von den Klägerinnen seinerzeit bewohnten 8-Parteien-Miethauses um mehr als 95 %, lagen mithin fast doppelt so hoch. Geht man davon aus, dass die Klägerinnen im Hinblick auf ihr geringes Alter im Jahr 2010 einen überdurchschnittlichen Wärmebedarf hatten, ist gleichwohl festzustellen, dass der Durchschnittswert des Rests des Hauses um bis zu 30 % hätte überschritten werden können, ohne den Maximalwert des Heizspiegels 2011 zu erreichen. Hiermit war mithin ein bereits deutlich „wärmeres Wohnen“ möglich, als im Rest des Hauses üblich. Da die Wohnung der Klägerinnen im Erdgeschoss des Mehrparteienhausees belegen war und dieses im Übrigen mit 11,83 Euro/m² nur geringfügig oberhalb des im Heizspiegel als „mittel“ bezeichneten Bereichs vergleichbarer Gebäude lag (7,30 – 11,50 Euro/m²), sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die hohen tatsächlichen Kosten unvermeidbar mit dem Mietgegenstand verbunden waren. Erst Recht sind derartige Anhaltspunkte klägerseits nicht vorgetragen worden. Allein ursächlich für die massiv überhöhten Heizkosten kann mithin nur das Heizverhalten der Bewohner der Wohnung der Klägerinnen gewesen sein. Dabei kann dahinstehen, ob sich dies durch Heizen bei stundenlang geöffneten Fenstern, durch ständig deutlich überhöhte Temperaturen oder anderweitig dargestellt hat. Jedenfalls kann kein Heizverhalten vorgelegen haben, wie es üblicherweise zu erwarten ist, wenn die hierdurch beeinflussten Kosten selbst und nicht durch Dritte getragen werden.

30

Im Ergebnis ist die Heizkostennachforderung bei der Leistungsberechnung nicht zu berücksichtigen, weil es sich hierbei nicht um „angemessene“ Kosten im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II handelt, sondern um das Ergebnis eines offensichtlich grob unwirtschaftlichen Heizverhaltens. Auf einen derartigen unangemessenen „Bedarf“ besteht nach dem Gesetz kein Anspruch.

31

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts musste der Beklagte, um sich auf die Unangemessenheit der – wie gezeigt – massiv überhöhten Heizkosten berufen zu können, die Klägerinnen (bzw. deren Mutter) nicht zunächst durch eine Kostensenkungsaufforderung dazu anhalten, ihr Heizverhalten anzupassen und sich so vernünftig zu verhalten, wie auch ein Nichthilfebedürftiger üblicherweise agiert. Zwar werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung grundsätzlich auch Aufwendungen für die Heizung solange als Bedarf anerkannt, wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Dem Hilfebedürftigen soll hierdurch für eine Übergangszeit der räumliche Lebensmittelpunkt auch bei unangemessenen Heizkosten erhalten bleiben, nicht anders als im Falle sonstiger unangemessener Unterkunftskosten. Diese Regelung zielt jedoch vornehmlich auf diejenigen Fälle ab, in denen die unangemessenen Heizkosten gerade auf einer unangemessen Wohnungsgröße beruhen, sodass eine Senkung auch der Heizkosten nur durch einen Wohnungswechsel oder eine anderweitige Verkleinerung der bewohnten (und beheizten) Fläche möglich ist. Einschränkungen ergeben sich auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, allerdings in Fällen unwirtschaftlichen Heizverhaltens, vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14 AS 54/07 R.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

33

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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