Urteil vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - L 2 AL 9/14
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Gewährung eines Existenzgründerzuschusses.
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Der 1988 geborene Kläger hat nach seinem Realschulabschluss erfolgreich eine Ausbildung zum Metallbauer / Konstruktionstechnik absolviert. Er war zuletzt als Helfer im Bereich Metallbau bei der R. & Co KG NL E-Stadt tätig, auch mit überregionalen Arbeitsorten. Die Tätigkeit wurde zum 31. Januar 2013 beendet. Der Kläger meldete sich am 14. Dezember 2012 zum 1. Februar 2013 arbeitssuchend, bezog allerdings bis zum 26. Februar 2013 Krankengeld. Mit Bescheid vom 28. Februar 2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 27. Februar 2013 für die Dauer von 360 Tagen. Mit Bescheid vom 15. März 2013 wurde der Bewilligungsbescheid wegen der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit aufgehoben.
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Der Kläger stellte am 21. Februar 2013 einen Antrag auf Gewährung eines Existenzgründerzuschusses bei der Beklagten. Er gab an, ab dem 18. März 2013 eine selbständige hauptberufliche Tätigkeit als Spediteur (Fa. E. Transport & Logistik) aufnehmen zu wollen. Der Kläger fügte die Stellungnahme der IHK Rostock zur Tragfähigkeit der Existenzgründung, die Gewerbeanmeldung zum 18. März 2013 sowie die Bescheinigung über die Teilnahme an einem Existenzgründungsseminar bei. Zur Begründung seines Antrages führte er aus, er beantrage den Gründungszuschuss, um seine Arbeitslosigkeit auf schnellstem Wege zu beenden und auch nie wieder in die Abhängigkeit von Arbeitgebern und sozialen Netzen zu geraten, aber auch um seinen Start in die Selbständigkeit nicht auf Schulden aufzubauen. Neben den Anlaufkosten bestreite er aus seinen geringen Eigenmitteln die laufenden Kosten wie Fahrzeugmiete, -wartung, Versicherung und die Kraftstoffkosten. Mit den ersten Zahlungen der Kunden rechne er frühestens einen Monat nach seiner Gründung.
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Mit Schreiben vom 5. März 2013 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass gemäß § 4 SGB III die Vermittlung in Arbeit Vorrang vor den Leistungen der aktiven Arbeitsförderung wie der Gewährung eines Gründungszuschusses habe. Die Prüfung habe Vermittlungsoptionen entsprechend der Ausbildung und der Qualifikation des Klägers ergeben. Dem Kläger wurden zwei Stellenangebote für unbefristete Stellen übermittelt. Die Beklagte vermerkte hierzu: Es seien durch einen Suchlauf mehr als 200 offene Stellenangebote als Metallbauer ermittelt worden. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag seien regional ausreichende Integrationsmöglichkeiten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für den fachlich und persönlich in Betracht kommenden Arbeitsmarkt vorhanden.
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Mit Bescheid vom 11. April 2013 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Gründungszuschusses ab. Der Gründungszuschuss sei eine Ermessensleistung der aktiven Arbeitsmarktförderung nach § 93 Abs. 1 SGB III. Die Leistungen dürften nur dann gewährt werden, wenn sie notwendig seien für die dauerhafte Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt. Dabei müsse die Agentur das Für und Wider einer konkreten Förderung sachgerecht prüfen. Gemäß § 7 Satz 1 SGB III habe die Agentur für Arbeit unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit die für den Einzelfall am besten geeignete Leistung oder Kombination von Leistungen zu wählen. Dabei sei grundsätzlich gemäß § 7 S. 2 SGB III auf die Fähigkeiten der zu fördernden Person, die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und den anhand der Ereignisse der Beratungs- und Vermittlungsgespräche ermittelten arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarfen abzustellen. Im Hinblick auf die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit müsse die Agentur für Arbeit bei Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente den Förderaufwand und den damit zu erreichenden Erfolg sorgfältig abwägen. Bevor eine Förderung mit Gründungszuschuss erfolgen könne, sei zunächst zu prüfen, ob der Bewerber auch ohne Leistungen der aktiven Arbeitsmarktförderung in den Arbeitsmarkt dauerhaft eingegliedert werden könne. Zu den Fördervoraussetzungen gemäß § 93 SGB III sei der Kläger im Gespräch am 21. Februar 2013 informiert worden, u.a. auch darüber, dass die Agentur für Arbeit im Zusammenhang mit der Antragstellung auf den Gründungszuschuss zumutbare Stellen entsprechend der Qualifikation prüfen werde. Durch die Vermittlungsfachkraft sei der Kläger informiert worden, dass entsprechend seiner Qualifikation und des Stellengesuchs als Metallbauer nachweisbar passgenaue zumutbare Stellenangebote vorhanden seien. Zwei konkrete Angebote seien ihm ausgehändigt worden, zwei weitere am 5. März 2013 per Post unterbreitet. Der von dem Kläger beantragte Gründungszuschuss könne deshalb nicht gewährt werden.
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Mit Schreiben vom 22. April 2013 legte der Kläger Widerspruch gegen den ergangenen Bescheid ein. Der Widerspruch wurde nicht begründet. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Um zu gewährleisten, dass Leistungen aus dem Vermittlungsbudget im gesamten Jahr erbracht und möglichst viele Antragsteller gefördert werden können, habe die Agentur für Arbeit E-Stadt in ihren ermessenslenkenden Richtlinien bestimmt, dass die Vermittlungsfachkräfte den für den Kunden in Frage kommenden Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung seiner Qualifikation, Eignung, Person, Hemmnisse etc. einzuschätzen und zu entscheiden habe, ob eine zeitnahe, nachhaltige Vermittlung anstelle einer Gründungszuschuss-Förderung realisierbar sei. Das Interesse des Klägers liege darin, den Gründungszuschuss zu erhalten. Der Vermittlung in Arbeit sei grundsätzlich Vorrang vor der Gewährung von Leistungen der aktiven Arbeitsförderung einzuräumen (§ 4 Abs. 2 SGB III). Zu diesen Leistungen gehöre auch der Gründungszuschuss (§ 3 Abs. 2 SGB III). Auf dem für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsmarkt bestünden ausreichende Integrationsmöglichkeiten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Im angefochtenen Bescheid seien die Integrationsmöglichkeiten in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausführlich beschrieben worden. Die Arbeitslosigkeit hätte deshalb auch ohne die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit beendet werden können. Die Gewährung eines Gründungszuschusses diene der Sicherung des Lebensunterhalts und der sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung. Der Kläger führe in seinem Antrag aus, dass er das Fahrzeug miete. Es seien somit keine Investitionen erforderlich. Er rechne mit der ersten Zahlung seiner Kunden nach einem Monat der Selbständigkeit. Insofern würden die voraussichtlichen Einnahmen seiner hauptberuflichen Tätigkeit die Aufwendungen für den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung decken. Das persönliche Interesse des Klägers an einer Förderung müsse nach alledem hinter den Interessen der Versichertengemeinschaft an einer zweckentsprechenden, bedarfsorientierten und sparsamen Verwendung der Beitragsmittel zurückstehen.
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Am 14. Juni 2013 hat der Kläger form- und firstgerecht Klage beim Sozialgericht E-Stadt (SG) eingereicht. Der angefochtene Ablehnungsbescheid sei rechtswidrig. Er habe einen Anspruch auf Gewährung eines Gründungszuschusses gemäß § 93 SGB III. Die Ermessensentscheidung der Beklagten sei auf Null reduziert, so dass sich diese in eine gebundene Entscheidung umwandele. Der Kläger gehe davon aus, dass die Beklagte § 4 Abs. 2 SGB III fehlerhaft anwende, wenn sie der Auffassung sei, dass Leistungen der aktiven Arbeitsförderung entfallen würden, wenn alternative Stellen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Angestelltenverhältnis zur Verfügung stünden. § 4 Abs. 2 SGB III sage lediglich, dass der Vorrang der Vermittlung nicht gelte, wenn die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich seien. Seien die Leistungen für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich, entfalle der Vermittlungsvorrang. Dabei sei es unerheblich, ob eine Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt möglich sei. Die Anwendung der Auslegung der Beklagten würde dazu führen, dass der Antragsteller keine Wahl hätte. Dies würde den Kläger in seiner Wahlmöglichkeit reduzieren, und zwar auf nur eine Möglichkeit der Arbeitsaufnahme, nämlich das Angestelltenverhältnis. Dem Kläger würde das Recht verwehrt werden, einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen. Diese Anwendung von § 4 Abs. 2 SGB III sei verfassungswidrig. Mit der beruflichen Entscheidung des Klägers sei eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt gewährleistet. Nach § 4 Abs. 2 SGB III komme es somit nicht darauf an, dass für den Kläger auf dem ersten Arbeitsmarkt passgenaue Stellen im Angestelltenverhältnis zur Verfügung stehen würden. Nur rein vorsorglich sei angeführt, dass die von der Beklagten übermittelten Stellenangebote nicht zu einer dauerhaften Eingliederung des Klägers geführt hätten, da es sich um Leiharbeiterfirmen handele. Die Anstellung in einer Leiharbeiterfirma entspreche nicht dem Berufsbild des Klägers. Solche Firmen dürften von § 4 Abs. 1 SGB III nicht umfasst sein.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. April 2013 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2013 zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat sich in der Begründung auf die angefochtenen Bescheide bezogen.
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Mit Urteil vom 27. Januar 2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Bewilligung eines Gründungszuschusses nach § 93 Abs. 1 SGB III in der ab dem 1. April 2012 geltenden Fassung. Dem Arbeitslosen könne danach eine Förderung für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit gewährt werden. Der Gesetzgeber habe für die Bundesagentur mit der Ermessensvorschrift eine höhere Flexibilität bei der Förderung von Gründungen herstellen wollen. Selbst wenn der Kläger alle Anspruchsvoraussetzungen nach § 93 Abs. 2 SGB III erfülle, habe er nach § 39 Abs. 1 SGB I nur einen Anspruch auf ordnungsgemäße Ausübung des Ermessens durch die Behörde. Die Beklagte habe die Bewilligung des Gründungszuschusses zu Recht unter Anführung des Vermittlungsvorranges nach § 4 Abs. 1 SGB III abgelehnt. Es sei zuförderst Aufgabe der C. den Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Daher entspreche die Ermessensausübung dahin, Stellenangebote bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen, dem Zweck des Gesetzes. Ausweislich der Akte bestünden für den Kläger zumutbare Stellenangebote, die eine Eingliederung in absehbarer Zeit als Metallbauer erwarten ließen. Der Kläger sei noch sehr jung und familiär nicht gebunden. Einer bundesweiten Vermittlung stehe daher nichts im Wege. Das unbefristete Stellenangebot der A. AG sei nicht bereits deshalb unzumutbar, weil es sich um eine Zeitarbeitsfirma handele. Maßgebend sei letztlich, dass es sich um ein unbefristetes Arbeitsangebot handele, mit dem der Kläger dauerhaft eingegliedert werden könnte. Ein weiteres Angebot für einen Metallbauer bestünde bei der Bauschlosserei in C-Stadt bei S-Stadt. Schließlich habe ein Suchlauf für die letzten sieben Tage am 21. Februar 2013 insgesamt 200 offene Stellen für das Berufsbild Metallbauer – Konstruktionstechnik ergeben. Eine Möglichkeit, den Kläger in absehbarer Zeit dauerhaft in den Arbeitsmarkt einzugliedern, sei mithin realistisch, die Ablehnung der Förderung der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ermessensfehlerfrei. Eine Unvereinbarkeit mit dem höherrangigen Recht sei nicht erkennbar. Der Kläger werde auch nicht gehindert, sich als Spediteur zu betätigen, er werde lediglich nicht gefördert.
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Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2014 hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung gegen das ergangene Urteil eingelegt. Es sei unstreitig, dass der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Gründungszuschusses gemäß § 93 SGB III erfüllt habe. Die Formulierung des § 4 Abs. 2 SGB III habe den Zweck, dem Arbeitslosen die Wahlmöglichkeit zu geben, ob er eine Anstellung im Arbeitsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit aufnehme. Das Gesetz habe nicht den Zweck, den Arbeitslosen auf die Vermittlungsangebote der Arbeitsagentur zu beschränken. Wähle der Arbeitslose die Selbständigkeit, sei ihm ein Gründungszuschuss zu bewilligen, wenn dadurch eine dauerhafte Eingliederung erreicht werde. Dies sei bei dem Kläger der Fall, so dass das Ermessen der Behörde auf Null reduziert sei. Darüber hinaus liege eine Selbstbindung der Verwaltung vor. Zur Begründung werde auf die schriftliche Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit vom 26. August 2011 zur Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 5. September 2011 Bezug genommen. Anlässlich der Reform des § 93 SGB III sei eine schriftliche Stellungnahme durch die Bundesagentur für Arbeit am 26. August 2011 dahingehend erfolgt, dass die Umwandlung des Gründungszuschusses in eine Ermessensleistung kritisch gesehen werde, da der Gründungszuschuss aufgrund der materiell-rechtlichen Ausgestaltung der §§ 93 ff. SGB III einen Quasi-Pflichtleistungscharakter habe und somit sehr begrenzt steuerbar sei. Lägen die Eignungsvoraussetzungen und die Tragfähigkeit des Gründungsvorhabens vor, sei es wenig realistisch, eine Förderung abzulehnen. Der Kläger trägt weiter vor, eine Ausnahme für die Pflichtleistung käme nur dann in Betracht, wenn es des Gründungszuschusses nicht bedurft hätte. Dies wäre dann der Fall gewesen, wenn das Unternehmen in den ersten sechs Monaten einen solch hohen Gewinn abzuwerfen verspreche, dass der Unternehmer damit seinen Lebensunterhalt hätte bestreiten können. So sei dies jedoch im Falle des Klägers nicht gewesen; er habe eine Anschubfinanzierung gebraucht. In den ersten sechs Monaten habe er nicht von seiner selbständigen Tätigkeit leben können und habe daher im März ein Darlehen i.H.v. 5000,- € von seinem Vater erhalten, das er zur Sicherung des Lebensunterhalts und für notwendige Anschaffungen für sein Unternehmen eingesetzt habe.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts E-Stadt vom 27. Januar 2014 und unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 11. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2013 zu verurteilen, seinen Antrag auf Gewährung von Gründungszuschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte bezieht sich in der Begründung auf die angefochtene Entscheidung. Ergänzend trägt die Beklagte vor, gemäß § 4 Abs. 2 SGB III gelte der Vermittlungsvorrang auch im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, zu denen gemäß § 3 Abs. 2 SGB III auch der Gründungszuschuss nach § 93 SGB III rechne. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB III umfasse die Vermittlung alle Tätigkeiten, die darauf gerichtet seien, Ausbildungssuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines Ausbildungsverhältnisses und Arbeitssuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zusammenzuführen. Insoweit gehe der Hinweis des Klägers auf eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich einer Anstellung im Arbeitsverhältnis und der Aufnahme einer selbständigen Arbeit fehl. Eine Hilfestellung zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit sei nicht vorrangig. Diese stelle keine Vermittlung dar. Im Übrigen habe die Bundesagentur für Arbeit als Teil der vollziehenden Gewalt den Auftrag, die gesetzgeberischen Entscheidungen umzusetzen. Dies gelte selbstverständlich auch dann, wenn sie im Gesetzgebungsverfahren eine kritische Haltung gegenüber der Gesetzesänderung eingenommen habe.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Nach § 93 Abs. 1 SGG können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Ein Gründungszuschuss kann nach § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer (1.) bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Abs. 3 SGB III beruht, (2.) der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und (3.) ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.
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Die ermessenseröffnenden Voraussetzungen sind beim Kläger unstrittig erfüllt. Er hat der Beklagten die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachgewiesen und seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit dargelegt. Zudem hat er zum Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von weit über 300 Tagen verfügt.
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Da die Tatbestandsvoraussetzungen vorlagen, hatte die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei hatte die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Die Ermessensausübung unterliegt nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle.
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Ermessensfehler der Beklagten sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat das ihr eröffnete Entschließungsermessen erkannt und ausgeübt. Dabei hat sie im angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides die für die Entscheidung maßgeblichen Ermessensgründe formell-rechtlich ordnungsgemäß dargelegt. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte neben der Eigenleistungsfähigkeit des Selbständigen auch den Vermittlungsvorrang i.S.v. § 4 SGB III berücksichtigt hat (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. Februar 2014, L 8 AL 1515/13; LSG Hamburg, Urteil vom 23. September 2015, L 2 AL 20/14). Insoweit ist die Schlussfolgerung der Beklagten, dem Kläger sei kein Existenzgründerzuschuss zu gewähren, da dieser in unbefristete versicherungspflichtige Beschäftigungen hätte vermittelt werden können (wobei die Beklagte diese auch ausdrücklich dokumentiert hat), nicht zu beanstanden.
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Entgegen der Auffassung des Klägers liegt kein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vor. § 4 SGB III ist gerade nicht so zu verstehen, dass der Existenzgründerzuschuss stets dann zwingend zu gewähren ist, wenn mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit eine dauerhafte Eingliederung möglich ist. Aus der Gesetzesformulierung und auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich eindeutig, dass grundsätzlich die Vermittlung den Vorrang hat. Die Norm stellt klar, dass die Arbeitsvermittlung das zentrale Instrument zur Beendigung oder Verkürzung von Arbeitslosigkeit ist. Sie spiegelt auch das Wirtschaftlichkeitsprinzip im Arbeitsförderungsrecht wider. § 4 Abs. 2 SGB III ist auch nicht so zu verstehen, dass aktivierende Maßnahmen, zu denen auch die Gewährung von Gründungszuschuss gehört, sofort einzusetzen sind, sobald sie eine dauerhafte Eingliederung versprechen. Vielmehr ist die Norm so zu verstehen, dass die Leistungen der aktiven Arbeitsförderung erst die dauerhafte Eingliederung möglich erscheinen lassen, während dieses Ziel mit der Vermittlung nicht zu erreichen wäre.
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So führt auch der Gesetzgeber aus (BT/Drucks. 17/6277, S. 77):
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„Als Ziele guter Arbeitsmarktpolitik sind besonders eine rasche und möglichst nachhaltige Eingliederung in ungeförderte Erwerbstätigkeit – insbesondere in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung –, eine bessere Erschließung des inländischen Erwerbspersonenpotenzials und eine deutliche Steigerung der Beschäftigungsquote hervorzuheben. Dabei müssen Menschen, die nicht unmittelbar in ungeförderte Erwerbstätigkeit integriert werden können, gezielt unterstützt werden, ihre Vermittlungschancen für den allgemeinen Arbeitsmarkt und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern beziehungsweise zu erhalten. Damit werden Perspektiven der gesellschaftlichen Teilhabe und Lebenschancen eröffnet. Dies gilt insbesondere für die Verbesserung der Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund. Die Dienstleistungen der Arbeitsmarktpolitik müssen so ausgestaltet sein, dass die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter vorhandene Fähigkeiten und besonderen Unterstützungsbedarf der Ausbildung- und Arbeitsuchenden schnell erkennen, um rasch und passgenau zu vermitteln. Eine passgenaue Vermittlung setzt weiter voraus, es den Menschen zu ermöglichen, für die Anforderungen des Arbeitsmarktes ausreichend qualifiziert zu sein. Denn es gilt: Wer unzureichend ausgebildet ist, hat es schwerer eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden. Wer länger arbeitslos ist, hat es deutlich schwerer, wieder Beschäftigung zu finden.
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Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung den Auftrag des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und FDP vom 26. Oktober 2009 um, die Arbeitsmarktinstrumente auf den Prüfstand zu stellen, „vor Ort ein hohes Maß an Ermessensspielraum – kombiniert mit einem wirksamen Controlling – zu erreichen und dadurch die Integration in den Arbeitsmarkt entsprechend den regionalen Bedingungen deutlich zu verbessern“. Der Gesetzentwurf schafft die Voraussetzungen dafür, Effektivität und Effizienz beim Einsatz der Arbeitsmarktinstrumente zu erhöhen. Damit werden die zur Verfügung stehenden Mittel für die Integration in Erwerbstätigkeit, insbesondere in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, gezielt besser als bisher genutzt und die Integration in Erwerbstätigkeit beschleunigt sowie Beschäftigungsmöglichkeiten erschlossen.“
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Nach alledem hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Zulassungsgründe des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere ist eine Divergenz im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG im Hinblick auf die Entscheidung des SG Mannheim vom 23. August 2012 (S 14 AL 2139/12) nicht gegeben. Eine Divergenz liegt nur vor, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Ein solches Gericht ist das Sozialgericht Mannheim nicht. Im Übrigen liegt eine Abweichung ohnehin nicht vor. Das SG Mannheim hat in der o.g. Entscheidung nicht die Möglichkeit der Einbeziehung des Vermittlungsvorrangs insgesamt verneint, sondern eine Ermessensreduzierung auf Null im konkreten Fall unter Berücksichtigung der Regelung der dortigen Beteiligten in der Eingliederungsvereinbarung sowie des Umstandes, dass dem dortigen Kläger lediglich Helfertätigkeiten angeboten wurden, angenommen. Der hiesige Kläger hingegen hätte in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in seinem Ausbildungsberuf vermittelt werden können, worauf er von vornherein, also noch vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit, hingewiesen wurde.
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Referenzen
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- § 7 Satz 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 54 1x
- § 39 Abs. 1 SGB I 1x (nicht zugeordnet)
- § 93 SGB III 5x (nicht zugeordnet)
- §§ 93 ff. SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 SGB III 3x (nicht zugeordnet)
- § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 1 SGB III 2x (nicht zugeordnet)
- 8 AL 1515/13 1x (nicht zugeordnet)
- 2 AL 20/14 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 93 1x
- § 7 S. 2 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 93 Abs. 2 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 2 SGB III 8x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
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- 14 AL 2139/12 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 Abs. 2 SGB III 2x (nicht zugeordnet)