Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (8. Senat) - L 8 AS 369/19 B ER

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 16. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unzulässig, da der Wert der Beschwer 750 Euro nicht übersteigt.

2

Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Dieses ist nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG dann der Fall, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt und die Berufung nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr zum Gegenstand hat.

3

Wäre das vom Antragsteller mit dem Beschwerdeverfahren verfolgte Begehren im Hauptsacheverfahren Gegenstand einer Berufung, bedürfte diese der Zulassung, da der Wert der Beschwer 750 Euro nicht übersteigt und auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind.

4

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners, solange keine Sanktion gemäß § 31a, § 31b Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) festzusetzen, bis er sein Recht auf Akteneinsicht habe wahrnehmen können, nachdem der Antragsgegner ihn mit Schreiben vom 13. Juni 2019 zum möglichen Eintritt einer Sanktion für die Dauer von drei Monaten in Höhe von 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfes (127,20 Euro monatlich) angehört hat.

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Würde sich das einstweilige Rechtsschutzverfahren gegen einen bereits erlassenen Minderungsbescheid richten, wäre die Beschwerde mithin ersichtlich nicht statthaft, da der Wert der Beschwer nur 381,60 Euro (3 x 127,20 Euro) betragen würde. Nichts anderes kann aber gelten, wenn der Antragsteller hier vorbeugend den Erlass eines solchen Bescheides zu verhindern bzw. aufzuschieben begehrt. Denn auch dann betrifft das Verfahren einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt.

6

Das Bundessozialgericht (BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - B 9 SB 45/11 B; Beschluss vom 10. Oktober 2017- B 12 KR 3/16 R) hat bereits entschieden, dass die Wertgrenze des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG auch auf den - insoweit „umgekehrten“ - Fall einer Untätigkeitsklage Anwendung findet. Der Wortlaut des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG enthalte zwei Alternativen, zum einen Klagen, "die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung" betreffen (1. Alt.), zum anderen Klagen, die "einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt" betreffen (2. Alt.). Von der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Alt SGG würden auch Untätigkeitsklagen erfasst, denn diese seien entweder auf die Vornahme eines beantragten, aber ohne zureichenden Grund innerhalb von sechs Monaten nicht erlassenen Verwaltungsakts gerichtet (§ 88 Abs. 1 SGG) oder sie hätten den Erlass eines Widerspruchsbescheides zum Gegenstand, wenn ohne zureichenden Grund innerhalb von drei Monaten über einen Widerspruch nicht entschieden worden sei (§ 88 Abs. 2 SGG). Betreffen die zu erlassenden Verwaltungsakte Geld-, Dienst- oder Sachleistungen, die einen Wert von 750 Euro nicht übersteigen, unterliege auch die Untätigkeitsklage der Berufungsbeschränkung. Diese sich aus dem Wortlaut des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 2. Alt SGG ergebende Auslegung werde auch vom Sinn und Zweck der durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I S. 50) eingeführten Regelung gestützt. Danach sollten die Berufungsgerichte von vermögensrechtlichen Streitsachen von geringem Wert (sog. Bagatellfälle) entlastet werden (vgl. BT-Drucks 12/1217, S. 52, 71; BT-Drucks 16/7716, S. 21; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr. 16 S. 45; BSG SozR 3-2500 § 81 Nr. 8 S. 40). Die gewählte Klageart sei mithin für die Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedeutungslos. Entscheidend sei, dass die Berufung einen Rechtsstreit von geringem Wert betreffe. Demnach könne auch eine Untätigkeitsklage der Berufungsbeschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG unterliegen, etwa wenn die Untätigkeit der Verwaltung darin bestehe, dass sie über einen geltend gemachten Leistungsanspruch von geringem Wert nicht entscheidet oder einen Widerspruch, der einen sog. Bagatellfall betrifft, nicht bescheidet (BSG, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - B 9 SB 45/11 B – Rdnr. 9 ff.).

7

Diese Überlegungen gelten aber unabhängig davon, ob der Kläger bzw. Antragsteller mit seinem Verfahren den Erlass eines Verwaltungsaktes, der eine Geldleistung von „geringem Wert“ zum Gegenstand hat, zu erreichen oder - wie hier - zu verhindern versucht.

8

Die insoweit gegenteilige Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts ist demgegenüber unerheblich.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

10

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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