Urteil vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (6. Senat) - L 6 KR 7/15

Tenor

Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Rostock aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 1.104,67 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Beklagte berechtigt war, gegen Vergütungsansprüche der Klägerin mit einem Rückzahlungsanspruch in Höhe von 1.104,67 € aufzurechnen, weil die Klägerin wegen einer entsprechenden Überzahlung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten der Beklagten G. in der Zeit vom 29. September bis 10. Oktober 2008 zu Unrecht bereichert war. Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob der OPS 1-556.3 (Biopsie am Kolon durch Inzision: Colon sigmoideum, intraoperative Darmresektion) kodiert werden durfte.

2

Die am … 2008 geborene Versicherte der Beklagten befand sich wurde am 29. September 2008 wegen Blutbeimengungen im Stuhl und einer Anämie zur Durchführung einer Koloskopie stationär aufgenommen. Im Rahmen der Koloskopie wurde eine Biopsie vorgenommen. Bei dieser kam es zu einer Verletzung der Darmwand, mit Durchtritt des Colokopes in die freie Bauchhöhle. Der Operateur brach die Koloskopie sofort ab und begann eine Laparotomie, um die Durchtrittsstelle zu verschließen und das Abdomen auszuspülen. Nach Eröffnung des Bauchraumes und Auffinden der Perforationsstelle wurde diese mit zwei Haltenähten fixiert und vernäht, wobei es im Operationsbericht heißt, dass die Perforationsstelle zunächst exzidiert wurde und ebenfalls in die Histologie gegeben wurde. Am Dünndarm fand sich ein Meckel-Divertikel, das abgetragen wurde. Intraoperativ wurde eine i.v.-Antibiose mit Baypen und Clont begonnen. Histopathologisch zeigte sich im Untersuchungsgut zum einen ein Meckel-Divertikel, auch mit Magenschleimhautheterotopie, zum anderen an beiden, gemeinsam beurteilten Resektaten aus dem Bereich der Sigma-Perforationsstelle das Bild einer akuten bis subakuten erosiven Kolitis. Die Ursache der rezidivierenden Darmblutungen konnte vom Pathologen nicht festgestellt werden. Postoperativ erfolgte ab dem 4. Tag der langsame Nahrungsaufbau. Am 07. Oktober 2008 konnte die Antibiose beendet werden.

3

Mit Rechnung vom 30. Oktober 2008 berechnete die Klägerin für die Behandlung der bei der Beklagten Versicherten für den Zeitraum vom 29. September 2008 bis 10. Oktober 2008 unter Berücksichtigung der DRG G04A einen Gesamtbetrag in Höhe von 8.479,67 €, den die Beklagte zunächst vollständig beglich.

4

Die Beklagte beauftragte den MDK mit der Prüfung der Abrechnung im Hinblick auf die Hauptdiagnose und den Ressourcenverbrauch der Nebendiagnosen. Der MDK gelangte mit Gutachten vom 21. September 2009, 24. Februar 2010 und 03. September 2010 zu dem Schluss, dass nicht das Meckel`sche Divertikel Q43.0, sondern die K52.8 als Hauptdiagnose zu kodieren sei. Ursache für die Blutung sei die erosive Kolitis K52.8 gewesen. Aus dem Divertikel habe es nicht geblutet. Die Perforation sei unter K63.1 konkret abgebildet. Die versehentliche Stich- und Risswunde während eines Eingriffs könne nicht zusätzlich als Nebendiagnose kodiert werden, da diese Verletzung andernorts klassifiziert sei: K63.1. Die Biopsie am Colon durch Inzision sei nicht zusätzlich neben der endoskopischen Biopsie am Verdauungstrakt zu kodieren. Der OPS 1-556.3 sei zu streichen. Es resultiere bei beiden Hauptdiagnosen Q43.0 oder K52.8 die G18B. Die Beklagte gelangte zu dem Schluss, dass nur ein Betrag i. H. v. 7.375,00 € zu zahlen und sie zur Verrechnung des aus ihrer Sicht zu viel gezahlten Betrages berechtigt sei. Die Verrechnung nahm die Beklagte in Höhe von 1.104,67 € vor.

5

Die Klägerin änderte daraufhin ihre Rechnung mit Datum vom 17. Februar 2011 dahingehend ab, dass als Hauptdiagnose die K52.8 angegeben wurde. Ausweislich der Rechnung änderte sich durch die Änderung der Hauptdiagnose nicht die zugrundeliegende DRG, so dass sich die Rechnung weiterhin auf 8.479,67 € belief.

6

Die Klägerin hat am 26. März 2014 Klage auf den Differenzbetrag erhoben. Streitrelevant sei allein der OPS-Kode 1-556.3: Biopsie am Kolon durch Inzision: Colon sigmoideum. Aus dem OP-Bericht ergebe sich, dass im Rahmen der Ileo-Koloskopie eine Biopsie und dass nach der Laparotomie nochmals eine Biopsie durchgeführt wurde. Aufgrund der Darmperforation war eine Laparotomie notwendig und nach der Laparotomie wurde die Perforationsstelle selbst exzidiert. Darüber hinaus wurde das Meckel-Divertikel ovalär ausgeschnitten. Es ergaben sich aus drei unterschiedlichen Eingriffen drei Gewebeproben. Dies sei auch anhand des Histologie-Befundes dokumentiert. Die Endoskopie sei mit dem OPS 1-650.2 und die endoskopische Biopsie mit dem OPS 1-444.7 abgebildet. Die Entfernung des Meckel-Divertikels sei mit dem OPS 5-451.1 kodiert worden. Durch die Streichung des OPS-Kodes 1-556.3 werde der Sachverhalt bzw. der Aufwand der intraoperativen Dickdarmresektion nach Inzision in der Kodierung gar nicht dargestellt. Entsprechend der DKR P001 seien aber alle signifikanten Prozeduren zu kodieren.

7

Die Klägerin hat beantragt,

8

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.104,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.11.2008 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Sie hat vorgetragen, dass der OPS-Kode 1-556.3 zu streichen sei, wodurch die günstigere DRG G18B abrechnungsrelevant werde. Die Laparotomie sei nicht durchgeführt worden, um die Biopsie zu ermöglichen, sondern um die Perforationsstelle wieder zu verschließen. Der Aufwand sei bereits in der OPS 5-451.1 abgebildet.

12

Das SG hat mit Urteil vom 15. Januar 2015 der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 1.104,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. November 2008 verurteilt. Die streitige OPS 1-556.3 könne kodiert werden, da anderenfalls der durch die Dickdarmresektion entstandene Aufwand in der Kodierung nicht abgebildet würde. Dieser Aufwand sei auch nicht in einer anderen Prozedur - insbesondere nicht im OPS 1-444.7 enthalten. Durch die Streichung des OPS-Kodes 1-556.3 werde der Sachverhalt bzw. der Aufwand der intraoperativen Dickdarmresektion nach Inzision in der Kodierung gar nicht dargestellt.

13

Gegen das Urteil hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt. Zur Begründung verweist die Beklagte auf ein eigens zu diesem Zweck eingeholtes MDK Gutachten vom 15. Mai 2015. Der MDK gelangt zu dem Schluss, dass die strittige Prozedur 1-556.3 nicht habe kodiert werden dürfen, da sie ein unselbständiger Teil der Prozedur 5-467.03 gewesen sei. So sei es ein Teilaspekt aller resezierenden Operationen, dass das entfernte Gewebe histologisch untersucht werde. Nach dem Prinzip der monokausalen Kodierung könne daher die 1-556.3 nicht kodiert werden, da notwendige Bedingung für die Gewebeentnahme die durchgeführte Operation gewesen sei.

14

Die Beklagte beantragt,

15

das Urteil des Sozialgerichts Rostock aufzuheben und die Klage abzuweisen.

16

Die Klägerin beantragt,

17

die Berufung zurückzuweisen.

18

Sie führt aus, dass es ausweislich medizinischer Fachliteratur nicht zwingend sei, im Rahmen einer Operation zur Behandlung einer Darmperforation Gewebe zu entnehmen. Zum Beleg wird ein Artikel aus einer medizinischen Fachzeitschrift aus dem Jahre 2004 zur Akte gereicht, in dem die Autoren zu dem Schluss gelangen, dass bei örtlich sauberen Verhältnissen auch eine Vernähung ohne Gewebeentnahme möglich sei. Damit sei die Argumentation des MDK widerlegt, dass es sich bei der Biopsie um einen unselbständigen Teil der vorgenommen, mit dem Kode 5-467.03 zu kodierenden Operation gehandelt hätte. Die 5-467.03 bilde den Aufwand nicht zutreffend ab. Im Ergebnis existiere kein OPS-Code der den Sachverhalt zutreffend abbilde, weshalb am Aufwand orientiert die OPS 1-556.3 zu kodieren sei.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung ist begründet.

20

Die Beklagte war berechtigt 1.104,67 € aus der hier streitgegenständlichen Behandlung zu verrechnen, da die Klägerin aus der fraglichen Behandlung keinen über 7.375,00 € hinausgehenden Vergütungsanspruch hat.

21

Wegen der gesetzlichen und vertraglichen Grundlagen des Anspruchs der Beklagten auf Vergütung der Krankenhausbehandlung der Versicherten nach Fallpauschalen wird auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen.

22

Abrechnungsrelevant ist entgegen der Ansicht der Klägerin die DRG G18B, womit sich unter Zugrundelegung des vereinbarten Basisfallwertes i. H. v. 2.680,25 € ein effektives Entgelt i. H. v. 6.647,02 € errechnet, welches zzgl. der vereinbarten Zu- und Abschläge und des Entgeltes für eine Begleitperson mit medizinischer Begründung zu einem abrechnungsfähigen Betrag i. H. v. 7.375,00 € führt, weshalb die Beklagte berechtigt war 1.104,67 € der zunächst gezahlten 8.479,67 € zu verrechnen.

23

Zu einer Abrechnung auf Grundlage der DRG G04A, wie sie die Klägerin begehrt, gelangt man bei den hier unstreitigen Diagnosen und den unstreitigen Prozeduren diagnostische Koloskopie (OPS 1-650.2), endoskopische Biopsie am Verdauungstrakt (OPS 1-444.7) und lokale Exzision und Destruktion von erkranktem Gewebe des Dünndarms (OPS 5-451.1) nur dann, wenn der OPS 1-556.3 kodiert wird und zwar unabhängig davon, ob die Versorgung der Perforationsstelle ausschließlich durch den OPS 1-556.3 oder durch den OPS 1-556.3 und den OPS 5-467.03 kodiert wird.

24

Eine Kodierung des OPS 1-556.3 ist im vorliegenden Fall nicht möglich. Vielmehr ist die geschehene Behandlung zutreffend und abschließend durch den OPS 5-467.03 erfasst.

25

Der OPS Katalog basiert ersichtlich auf einer systematischen Gliederung, wobei auf erster Ebene nach der Art der zu kodierenden Maßnahme zu differenzieren ist. Zweck der hier durchgeführten Öffnung der Bauchdecke der Versicherten war offensichtlich das Auffinden der Perforationsstelle und deren Vernähung. Im Kapitel 5 „Operationen“ findet sich mit dem OPS 5-467.03 (Andere Rekonstruktion des Darmes: Naht nach Verletzung: Kolon) eine Prozedur, die diesen Vorgang sprachlich vollständig abbildet. Den Vorgang stattdessen mit dem OPS 1-556.3 (Biopsie durch Inzision) abzubilden, kommt indessen nicht in Betracht. Der OPS 1-556.3 befindet sich im Prozedurenkatalog unter der Überschrift „diagnostische Maßnahmen“. Bereits rein sprachlich scheidet eine Kodierung dieser Prozedur anstatt des OPS 5-467.03 aus. Schließlich war Ziel der Operation offensichtlich das Auffinden und Versorgen der Perforationsstelle und damit letztlich genau das, was der OPS 5-467.03 stichwortartig umschreibt.

26

Der OPS 1-556.3 kann schließlich auch nicht zusätzlich zum OPS 5-467.03 kodiert werden. Die maßgeblichen Kodierrichtlinien 2008 lassen eine solche „Mehrfachkodierung“ nicht zu. Dies ergibt sich aus dem aus DKR P001f und DKR P003 ableitbaren Prinzip der monokausalen Kodierung, nach welchem eine Prozedur vollständig mit all ihren Komponenten, wie z.B. Vorbereitung, Lagerung, Anästhesie, Zugang, Naht usw., in einem Kode abgebildet wird (vgl. zu einer anderen Fassung der DKR: BSG, Urteil vom 18. September 2008 – B 3 KR 15/07 R –, SozR 4-2500 § 109 Nr 11, Rn. 20). Aus der Tatsache, dass in diversen OPS Hinweise und/oder Ausführungen dazu enthalten sind, was zum Inhalt (Excl./Incl.) gehört, kann geschlossen werden, dass ein Abweichen vom Grundsatz der monokausalen Kodierung nur in diesen Fällen geboten ist. Wie ausgeführt, ist die Behandlung der Verletzung des Darms (des durch das Endoskop verursachten Defektes) vollständig mit dem OPS 5-467.03 abgebildet. Nach dem eigenen, durch Literatur gestützten Vortrag der Klägerin sind im Rahmen einer Vernähung des Darmes Gewebeentnahmen keineswegs unüblich, wenn auch nicht ausnahmslos üblich. Keineswegs handelt es sich aber um einen, mit der Versorgung der Verletzung nicht in Zusammenhang stehenden Vorgang, weshalb nach dem Prinzip der monokausalen Kodierung von einer Abbildung durch den OPS 5-467.03 ausgegangen werden muss.

27

Für eine gleichwohl mögliche gesonderte Kodierung der Biopsie fehlt es im Prozedurenkatalog an einem entsprechenden Hinweis. Ein solcher findet sich weder im „Hauptschlüssel“ 5-467.03 noch auf übergeordneter Ebene. Vielmehr sind zu Beginn des übergeordneten Abschnitts „Operationen am Verdauungstrakt“ (5-42...5-54) sieben einzelne Hinweise zur zusätzlichen Kodierbarkeit einzelner Prozeduren aufgeführt, wenn bestimmte Operationstechniken oder weitere Merkmale erfüllt sind. Eine anlässlich der Operations-Prozedur vorgenommene Biopsie findet sich in dieser abschließenden Liste jedoch nicht, womit sie (bei allen Prozeduren dieses Abschnitts) auch nicht zusätzlich kodiert werden kann. Dabei liegt es auf der Hand, dass es bei zahlreichen Operationsprozeduren im Abschnitt 5.42 bis 5-54 auch häufig bis regelhaft zur Entnahme von Gewebe kommen wird, welches ebenso regelhaft einer histologischen Untersuchung zugeführt wird. Entscheidend ist jedoch, dass nicht die Gewinnung des Gewebes, sondern die eigentliche Operationsprozedur den Eingriff charakterisiert und erforderlich macht. Bestätigt wird diese Argumentation in systematischer Hinsicht dadurch, dass im Bereich der diagnostischen Prozeduren (bspw. im Abschnitt 1-65 - Diagnostische Endoskopie des unteren Verdauungstraktes) die gesonderte Kodierung einer Biopsie durch entsprechenden ausdrücklichen Hinweis durchaus ermöglicht wird.

28

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die alleinige Kodierung der Biopsie (OPS 1-556.3) ohne Verschlüsselung der laparotomischen Darmrekonstruktion (5-467.03) in die erlösträchtigere DRG G04A führen würde. Dies ist zwar insofern befremdlich, als dass eine weniger aufwändige Operation (bloße Gewebeentnahme ohne rekonstruktive Operation) zu einem höheren Erlös führt. Derartige Widersprüchlichkeiten sind im selbstlernenden „DRG-System“ jedoch hinzunehmen und gegebenenfalls in späteren Versionen durch die Vertragsparteien zu beseitigen. Für die zutreffende Kodierung eines Einzelfalles kommt es jedoch nicht auf die Höhe des erzielbaren Erlöses, sondern auf die zutreffende und umfassende Abbildung der tatsächlich durchgeführten medizinischen Maßnahmen an. Da die Laparotomie nicht zum Zwecke der Biopsie, sondern zur Versorgung der im Rahmen der Koloskopie verursachten Verletzung erfolgte, und der OPS für die Biopsie die Rekonstruktion des Darmes nicht mit abbilden würde, scheidet die alleinige Kodierung der Biopsie aber ebenso aus wie ihre zusätzliche Kodierung.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. 154 Abs. VwGO.

30

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 SGG).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen