Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - L 2 AL 33/18 B PKH

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 28. Mai 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Rostock zurückverwiesen

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein erstinstanzliches Klageverfahren, in dem die Gewährung von Insolvenzgeld (InsG) für die Zeit vom 01. Januar 2009 bis 31. März 2009 streitig ist.

2

Nachdem am 02. November 2010 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn K. eröffnet worden war, beantragte der Kläger am 25. November 2010 die Gewährung von InsG bei der Beklagten und machte für den Streitzeitraum noch offene Arbeitsentgelt-ansprüche iHv 1.164,51 € monatlich zuzüglich eines Beitragszuschusses zur freiwilligen Sozialversicherung geltend. Das Arbeitsverhältnis sei fristlos vom Arbeitgeber K. am 31. März 2009 gekündigt worden. Kündigungsschutzklage hatte der Kläger nicht erhoben.

3

Wegen offener Arbeitsentgeltansprüche für den Zeitraum 01. Januar 2006 bis 20. April 2009 hatte der Kläger zunächst am 20. April 2009 einen Mahnbescheid erwirkt, gegen den Herr K. Widerspruch eingelegt hatte. Im Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Rostock wurde die Klage gegen Herrn K. mit Urteil vom 02. März 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass nach den Gesamtumständen von einer Lebens- und zuletzt zumindest von einer Wirtschaftspartnerschaft auszugehen sei. Es könne nur der Schluss gezogen werden, dass sich die Parteien darüber einig gewesen seien, dass mit Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Herrn K. das Entgelt des Klägers auf 550,00 € bzw. 450,00 € brutto abgesenkt worden sei und das erzielte Nettoentgelt in die Finanzierung des Lebens habe eingehen sollen.

4

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung vor dem Landesarbeitsgericht eingelegt; das Verfahren ist wegen der Insolvenz des Herrn K. unterbrochen.

5

Mit Schreiben vom 14. Januar 2011 teilte die Beklagte mit, dass über den Antrag noch nicht entschieden werden könne, da die Entscheidung über die Berufung noch ausstehe. Der Kläger wies daraufhin auf das Ruhen des Berufungsverfahrens hin, weshalb nicht absehbar sein, wann es zu einer Entscheidung komme.

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Mit Bescheid vom 20. Juni 2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld ohne weitere Begründung ab.

7

Mit Schreiben vom 21. Juni 2011 bat die Beklagte (ausweislich der angegebenen Kundennummer die für die Zahlung von Arbeitslosengeld zuständige Leistungsabteilung), über den Stand des arbeitsgerichtlichen Verfahrens bis zum 15. Juli 2011 zu informieren. Es werde dann ein Anspruchsübergang geprüft. Der Kläger teilte unter Bezugnahme auf dieses Schreiben und seinen Insolvenzantrag erneut mit, dass das Arbeitsgerichtsverfahren durch die Insolvenz unterbrochen sei. Er gehe jedoch davon aus, dass alle notwendigen Belege für eine vorläufige Bewilligung von Insolvenzgeld vorlägen.

8

Die Insolvenzgeldabteilung der Beklagten teilte daraufhin mit, dass zur Feststellung der noch offenen Arbeitsentgeltansprüche allein das Urteil des Landesarbeitsgerichts entscheidend sei.

9

Mit Schreiben vom 16. November 2015 teilte der Kläger mit, dass die Insolvenzverwalterin sich vor dem Arbeitsgericht verpflichtet habe, gegenüber der Beklagten Mitteilung über getroffene Feststellungen und das Vorliegen eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem Schuldner zu machen. Die Insolvenzverwalterin habe keine Fortführung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens betreffend seine Zahlungsklage gestattet. Er bitte nunmehr um Entscheidung über seinen Insolvenzgeldantrag.

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Mit Schreiben vom 20. November 2015 teilte die Beklagte unter Beifügung des Ablehnungsbescheides vom 20. Juni 2011 mit, dass über den Antrag bereits rechtskräftig entschieden worden sei. Wenn sich aufgrund neuer Erkenntnisse ein anderer Sachverhalt ergebe, werde der Kläger gebeten, einen neuen Antrag zu stellen.

11

Der Kläger teilte daraufhin mit Schreiben vom 25. November 2015 mit, den Bescheid vom 20. Juni 2011 nicht erhalten zu haben. Hätte er ihn erhalten, hätte er sofort Widerspruch dagegen eingelegt. Er bitte nunmehr um kurzfristige Entscheidung über den Insolvenzgeldantrag.

12

Mit Bescheid vom 09. Dezember 2015 lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 20. Juni 2011 und gestützt auf § 44 SGB X die Gewährung von Insolvenzgeld ab, weil offene Arbeitsentgeltansprüche nicht festgestellt werden könnten.

13

Hiergegen erhob der Kläger am 04. Januar 2015 Widerspruch und verwies darauf, dass sich Herr K. nachweislich strafbar gemacht habe. Zudem sei der Zeitraum Januar bis März 2009 nicht hauptsächlicher Gegenstand des Arbeitsgerichtsverfahrens gewesen, dieser sei allein Gegenstand des Antrages auf Insolvenzgeld.

14

Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Insolvenzverwalterin unter dem 16. Februar 2016 mit, dass das vom Kläger betriebene Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht nach Insolvenzeröffnung von diesem nicht weitergeführt bzw. aufgenommen worden sei. Er habe die Entgeltansprüche zur Tabelle angemeldet, aber diese seien wegen des erstinstanzlichen Urteils bestritten worden.

15

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zunächst verwies sie darauf, dass der Bescheid vom 20. Juni 2011 noch nicht bestandskräftig geworden sei, sodass § 44 SGB X nicht anzuwenden sei und eine Überprüfung in der Sache erfolge. Da die Insolvenzverwalterin vor dem Hintergrund des arbeitsgerichtlichen Urteils die zur Tabelle angemeldete Forderung bestreite, würden keine ausstehenden Arbeitsentgeltansprüche anerkannt und somit die Voraussetzungen für einen Insolvenzgeldanspruch nicht vorliegen. Auf dem Widerspruchsbescheid ist vermerkt „abgesandt am: 25.02.2016“.

16

Am 12. September 2016 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Rostock erhoben und geltend gemacht, den Widerspruchsbescheid erst am 22. August 2016 erhalten zu haben. Auf Nachfrage des SG hat der Kläger ergänzend mitgeteilt, er sei in der Zeit vom 24. Februar 2016 bis 22. August 2016 mit Ausnahme weniger Tage immer an seinem Wohnsitz gewesen und habe täglich den Briefkasten auf eingehende Post kontrolliert.

17

Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, Voraussetzung für einen Anspruch auf Insolvenzgeld sei, dass die für den Insolvenzgeldzeitraum rückständigen Arbeitsentgeltansprüche durchsetzbar seien. Nicht durchsetzbar seien Arbeitsentgeltansprüche, für die dem Insolvenzverwalter ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 146 Abs. 2 InsO zustehe, § 184 Abs. 1 Nr. 3 SGB III a. F. Werde die Entgeltforderung vom Arbeitgeber oder vom Insolvenzverwalter bestritten und habe der Arbeitnehmer auch keinen arbeitsgerichtlichen Titel über die Forderung erwirkt, so sei von einem nicht durchsetzbaren Arbeitsentgeltanspruch auszugehen. Die geltend gemachten, noch offenen Forderungen auf Arbeitsentgelt für den Insolvenzgeldzeitraum würden vorliegend von der Insolvenzverwalterin bestritten. Der Kläger habe noch vor Insolvenzeröffnung Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben, die mit Urteil vom 02. März 2010 abgewiesen worden sei. Die hiergegen eingelegte Berufung beim Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern sei bislang nicht entschieden. Das Gerichtsverfahren sei durch die Insolvenzeröffnung unterbrochen worden. Die streitigen Ansprüche seien gemäß § 189 SGB III a.F. auf die Beklagte übergegangen. Der Rechtsstreit vor dem Landesarbeitsgericht sei weder durch die Insolvenzverwalterin, noch durch die Beklagte gemäß § 180 InsO aufgenommen worden. Die streitigen Arbeitsentgeltforderungen seien nicht rechtskräftig festgestellt. Sie könnten zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht mehr rechtskräftig festgestellt werden, weil Verjährung eingetreten sei. Für Arbeitsentgeltansprüche gelte die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Der Ablauf der Verjährungsfrist sei vorliegend durch den Mahnbescheid vom 20. April 2009 und das folgende arbeitsgerichtliche Verfahren gehemmt worden (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Die Hemmung ende, wenn das Verfahren nach Unterbrechung länger als sechs Monate nicht betrieben werde. Das Verfahren sei durch Insolvenzeröffnung am 02. November 2010 unterbrochen und danach nicht wieder aufgenommen worden, sodass die Hemmung der Verjährungsfrist am 02. Mai 2011 geendet habe. Die Verjährung sei somit spätestens im Jahr 2015 eingetreten ist.

18

Gegen den am 05. Juni 2018 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 29. Juni 2018. Er trägt vor, mit dem Antrag auf Insolvenzgeld sei der Arbeitsentgeltanspruch auf die Beklagte übergegangen, sodass er im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht mehr aktivlegitimiert gewesen sei.

II.

19

Die zulässige Beschwerde ist in dem Sinne begründet, dass der Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 28. Mai 2018 aufzuheben war und das SG nunmehr gehalten ist, unter Prüfung sowohl der wirtschaftlichen Voraussetzungen als auch der hinreichenden Erfolgsaussicht erneut über die PKH zu befinden.

20

Das SG durfte die begehrte PKH nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht (§ 73 a SGG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO) mit der Begründung versagen, die streitigen Arbeitsentgeltansprüchen seien nicht rechtskräftig festgestellt und könnten wegen Verjährung auch nicht mehr rechtskräftig festgestellt werden.

21

Soweit das SG auf die Vorschrift des § 184 Abs. 1 Ziff. 3 SGB III a. F. verweist, ist diese Regelung nicht einschlägig. Danach hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die der Insolvenzverwalter wegen eines Rechts zur Leistungsverweigerung nicht erfüllt. Der Ausschlussgrund greift nur, wenn sich der Insolvenzverwalter ausdrücklich auf das Leistungsverweigerungsrecht beruft. Gemeint ist hier das Leistungsverweigerungsrecht bei Verjährung des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts nach § 146 Abs. 2 InsO; andere Einwendungen und Einreden werden von der Vorschrift nicht erfasst (Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, 10/18, § 166 SGB III Rz. 38). Auf ein solches Leistungsverweigerungsrecht hat sich die Insolvenzverwalterin jedoch nicht berufen.

22

Zu Recht geht das SG davon aus, dass der Insg-Anspruch einen durchsetzbaren Anspruch auf Arbeitsentgelt voraussetzt. Soweit die Insolvenzverwalterin die Entgeltforderung bestritten hat, genügt dies allein jedoch noch nicht, um von einem nicht durchsetzbaren Arbeitsentgeltanspruch ausgehen zu können. Vielmehr muss dieser Frage zunächst im Rahmen der Amtsermittlungspflicht nachgegangen werden; erst nach Ausschöpfung aller vorhandenen Beweismittel kann dann ggf. die Nichtdurchsetzbarkeit des Anspruchs angenommen werden (vgl. Schmidt in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, Sozialgesetzbuch III, 6. Auflage 2017, § 165 Rz. 71).

23

Im Übrigen sind Einreden gegen den Anspruch auf Arbeitslohn nur dann erheblich, wenn sie von dem Arbeitgeber oder später durch den Insolvenzverwalter bereits geltend gemacht worden sind; das gilt insbesondere für die Erhebung der Einrede der Verjährung (E. Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 165 SGB III (Stand: 15.01.2019) Rz. 82; Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB, 06/18, § 165 SGB Rz. 164a; Schmidt in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, Sozialgesetzbuch III, 6. Auflage 2017, § 165 Rz. 74). Abgesehen davon, dass die Erhebung der Einrede der Verjährung durch den Arbeitgeber oder die Insolvenzverwalterin nicht ersichtlich ist, lässt sich aufgrund der Aktenlage eine Verjährung des Anspruchs zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Gesuchs im Dezember 2016 nicht feststellen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach § 204 Abs. 1 Ziff. 10 BGB die Verjährung auch durch die Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren gehemmt wird; die Hemmung endet erst sechs Monate nach Beendigung des Insolvenzverfahrens insgesamt (BGH, Urteil vom 08. Dezember 2009 – XI ZR 181/08 –, juris). Eine solche Forderungsanmeldung war durch den Kläger erfolgt.

24

Das SG wird in eigener Verantwortung und unter Bindung an die Ausführungen des Senats erneut sowohl hinsichtlich der hinreichenden Erfolgsaussicht als auch hinsichtlich der wirtschaftlichen Voraussetzungen in der Sache zu entscheiden haben.

25

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

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