Beschluss vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (8. Senat) - L 8 SO 52/22 KL

Tenor

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen ist örtlich unzuständig. Der Rechtsstreit wird an das sachlich und örtlich zuständige Landessozialgericht Baden-Württemberg verwiesen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen den Schiedsspruch der Schiedsstelle für das Land Niedersachsen (§ 81 SGB XII) vom 22.4.2022, mit dem der Investitionsbetrag für die von der in Mannheim ansässigen Klägerin in Ammerland betriebene Pflegeeinrichtung für die Zeit vom 1.3.2021 bis 28.2.2022 pflegetäglich auf 16,73 € festgesetzt worden ist. Die Schiedsstelle hat in ihrer Rechtsmittelbelehrung unter Hinweis darauf, dass die Frage der örtlichen Zuständigkeit umstritten sei, angegeben, die Klage sei beim Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zu erheben. Demgemäß hat die Klägerin die Klage hier eingereicht.

2

Mit Verfügung vom 30.5.2022 hat der Vorsitzende die Beteiligten zur Frage der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 57 Abs. 1 S. 1 SGG und zur Verweisung des Rechtsstreits an das Landessozialgericht Baden-Württemberg angehört.

II.

3

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen ist örtlich unzuständig. Der Senat hat die örtliche Unzuständigkeit nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen auszusprechen (§ 98 S. 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 S. 1 GVG) und den Rechtsstreit zugleich an das Landessozialgericht Baden-Württemberg als örtlich für die Klage zuständiges Landessozialgericht zu verweisen.

4

Die örtliche Zuständigkeit für die Klage gegen einen Schiedsspruch der Schiedsstelle gemäß § 81 SGB XII (in der seit dem 1.1.2020 gültigen Fassung vom 23.12.2016), hinsichtlich derer sich die sachliche Zuständigkeit des Landessozialgerichts aus § 29 Abs. 2 Nr. 1 SGG (in der Fassung vom 9.6.2021) ergibt, richtet sich im vorliegenden Fall allein nach § 57 Abs. 1 SGG. Gemäß § 57 Abs. 1 S. 1 SGG ist örtlich das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz hat. Klagt eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, in Angelegenheiten nach dem SGB XI ein Unternehmen der privaten Pflegeversicherung oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts oder des Schwerbehindertenrechts ein Land, so ist der Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Beklagten maßgebend, wenn dieser eine natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts ist (§ 57 Abs. 1 S. 2 SGG). § 57 Abs. 1 SGG findet auch Anwendung auf die örtliche Zuständigkeit bei erstinstanzlich dem Landessozialgericht nach § 29 Abs. 2 SGG zugewiesenen Angelegenheiten; nur, soweit § 29 SGG in den Absätzen 3 und 4 Regelungen über die örtliche Zuständigkeit enthält oder sich andernorts Sonderregelungen finden, gehen diese vor (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 29 Rn. 1, 4; Stotz in jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 29 Rn. 24 f.). Die örtliche Zuständigkeit richtet sich in den Fällen des § 29 Abs. 2 SGG nach den allgemeinen Regelungen in §§ 57 und 58 SGG (Keller, a.a.O., § 29 Rn. 4). Insbesondere enthält § 29 Abs. 2 SGG keine konkludente Regelung über die örtliche Zuständigkeit mit der Folge, dass das Landessozialgericht für die im Land ansässigen Schiedsstellen zuständig wäre (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.2.2013 - L 27 P 28/12 KL - juris Rn. 6; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.1.2013 - L 4 P 758/11 KL - juris Rn. 91; Hessisches LSG, Urteil vom 14.2.2018 - L 4 SO 229/16 KL - juris Rn. 6). Die Entstehungsgeschichte des § 29 Abs. 2 SGG, mit dem zum 1.4.2008 eine originäre erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialgerichte geschaffen wurde, gibt keine Hinweise darauf, dass auch eine örtliche Zuständigkeit geregelt werden sollte. Vielmehr wurde „zur Entlastung der Sozialgerichte und zur Verkürzung der Phase der Unsicherheit, mit der die Parteien während des im Instanzenzug teilweise über Jahre anhängigen Rechtsstreits belastet sind, (…) eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Landessozialgerichte für die genannten Rechtsstreitigkeiten geschaffen“ (BT-Drucks. 16/7716, S. 16), was allein die sachliche Zuständigkeit betrifft.

5

Für eine sinngemäße Anwendung des § 57 Abs. 1 S. 1 SGG zur Vermeidung doppelter Rechtshängigkeiten unter Begründung der örtlichen Zuständigkeit bei dem für den Sitz und den Bezirk der beklagten Schiedsstelle zuständigen Landessozialgerichts (so LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27.8.2019 - L 6 P 20/12 KL - juris Rn. 37, auf das die Schiedsstelle in der Rechtsmittelbelehrung Bezug genommen hat) sieht der Senat keine Möglichkeit. Zum einen kann im Rahmen des Sozialhilferechts, anders als im Pflegeversicherungsrecht (zu dem die vorgenannte Entscheidung des LSG Mecklenburg-Vorpommern ergangen ist) die Klage schon nicht direkt gegen die Schiedsstelle erhoben werden (vgl. § 77 Abs. 2 S. 4 SGB XII). Zum anderen ist der Wortlaut des § 57 Abs. 1 S. 1 SGG eindeutig. Für eine gesetzliche Regelungslücke ist nichts ersichtlich, so dass Zweckmäßigkeitserwägungen - wie sie von der Schiedsstelle und dem Beklagten angeführt werden - für die Frage der Begründung der örtlichen Zuständigkeit nicht herangezogen werden können. Eine Vorschrift wie der das Vertragsarztrecht betreffende § 57a SGG, der der Prozessökonomie und der Bündelung von Erfahrungswissen an einem Gericht dient, fehlt für den Bereich des Sozialhilferechts (vgl. hierzu näher Hessisches LSG, a.a.O., juris Rn. 7). Die eindeutige Systematik und Entstehungsgeschichte des § 29 Abs. 2 SGG und die fehlende Analogiefähigkeit der Spezialregelung des § 57a SGG stehen auch einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift entgegen.

6

Die Klägerin hatte ihren Sitz bereits zur Zeit der Klageerhebung in Mannheim und damit im Zuständigkeitsbereich des Landessozialgerichts Baden-Württemberg. § 57 Abs. 1 S. 2 SGG ist nicht einschlägig.

7

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

8

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 98 S. 2 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 S. 3 GVG).

 


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