Urteil vom Landessozialgericht NRW - L 14 An 127/85
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18. April 1985 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Vormerkung einer Ausfallzeit vom 09.07. bis 09.08.1968.
3Die am 00.00.1952 geborene Klägerin besuchte bis Juni 1868 eine Realschule in C. Sie erhielt laut Konferenzbeschluß vom 06.06.1968 das Abschlußzeugnis. Es wurde hierin ein Schulbesuch bis zum 15.06 1968 bestätigt. Die Klägerin besuchte anschließend vom 10.08.1968 bis 31.07.1970 die Kaufmännischen Schulen der Industrie- und Handeskammer zu C und legte dort die entsprechende Abschlußprüfung ab.
4Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 11.01,1984 den Antrag der Klägerin auf Vormerkung der Ausbildungszeit vom 01.04 1963 bis 15.06.1968 als Ausfallzeit mit der Begründung ab, diese sei vor Vollendung des 16. Lebensjahres zurückgelegt worden. Sie lehnte ferner die Anerkennung der nachfolgenden Zeit vom 16.06.1968 bis 09.08.1968 als Ausfallzeit ab, weil es sich nicht u eine Ausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG gehandelt habe. Die Klägerin hat hiergegen am 02.02.1984 Widerspruch eingelegt und zu dessen Begründung vorgetragen, die Ferien seien Bestandteil der Schulausbildung, so daß sie sich bei Vollendung des 16. Lebensjahres am 08.07.1968 noch in dieser befunden habe. Das Schuljahr habe nämlich erst am 31.07.1968 geendet. Die Beklagte wies mit Bescheid vom 29.03.1984 den Widerspruch im wesentlichen mit der bisherigen Begründung zurück (abgesandt per Einschreiben am 02.04.1984),
5Hiergegen richtet sich die am 27.04.1984 erhobene Klage. Die Klägerin hat zu deren Begründung im wesentlichen vorgetragen, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 17 - seien die Ferien zur Schulausbildung zu rechnen, so daß sie sich im Juli 1968 in dieser befunden habe. Das Schuljahr habe nach der bundeseinheitlichen Regelung in allen allgemeinbildenden Schulen erst am 31.07. geendet. Der Monat Juli 1968 sei demzufolge als Ausfallzeit anzuerkennen.
6Die Beklagte hat die angefochtenen Bescheide für rechtens gehalten.
7Das Sozialgericht Dortmund hat mit Urteil vom 18.04.1985 der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, die Zeit vom 09.07. bis 09.08.1968 als Ausfallzeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AVG vorzumerken. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
8Gegen das am 29.04.1985 zugestellte Urteil richtet, sich die am 28.05.1985 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie tragt zu deren Begründung im wesentlichen vor, der Ansicht des Sozialgerichts könne nicht gefolgt werden. Die Bejahung eines Überbrückungstatbestandes: als Ausfallzeit sei nach den Entscheidungen des BSG lediglich dann angenommen worden, wenn sie zwischen zwei anrechenbaren Ausfallzeiten liege. Da im Falle der Klägerin die Schulausbildung vor Vollendung des 16. Lebensjahres beendet worden sei und sie nicht als Ausfallzeit anzurechnen sei, könne die Rechtsprechung des BSG zur Überbrückung nicht angewandt werden.
9Die Beklagte beantragt,
10das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom.18.04.1985 abzuändern und die Klage abzuweisen.
11Die Klägerin ist durch Postzustellungsurkunde am 07.11.1986 vom Termin zur mündlichen Verhandlung am 28.11.1986 benachrichtigt worden. Sie hat ihr Nichterscheinen angekündigt und ist auch nicht erschienen.
12Der Senat hat beim Kultusminister für das Land Nordrhein-Westfalen angefragt, ob bereits 1968 Rechtsvorschriften bestanden haben, nach denen das Ende des Schulverhältnisses festgelegt sei. Auf den Inhalt der am 06.03.1986 erteilten Antwort wird verwiesen.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-,und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie die Verwaltungsakte der Beklagten- Az.: 000 - Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
14Entscheidungsgründe:
15Der Senat hat trotz des Nichterscheinens der Klägerin aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung entschieden (vgl. § 124 Abs. 1 SGG; BSG SozR Nr. 5 zu § 110 SGG), nachdem sie in der Terminsbenachrichtigung auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen worden ist, Anlaß zu einer Vertagung hat nicht bestanden; die Klägerin hat eine solche auch nicht beantragt. Sie hatte nur begehrt, die Anordnung ihres persönlichen Erscheinens aufzuheben. Der Senat ist dem nachgekommen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung sind keine neuen Tatsachen vorgetragen worden.
16Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vormerkung des Monats Juli 1968 als Ausfallzeit.
17Gemäß § 36 Abs. 1. Ziffer 4 Buchst. b AVG sind Ausfallzeiten u. Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden weiteren Schulausbildung. Die Klägerin erfüllt nicht diese Voraussetzung, da sie ihre Schulausbildung bereits vor Vollendung des 16. Lebensjahres beendet hat. Sie hat ausweislich des Abschlußzeugnisses der besuchten Realschule laut Konferenzbeschluß vom 06.06.1968 das Zeugnis am 15.06.1968 - also vor ihrem 16. Geburtstag am 09.07.1968 - erhalten. Mit der Aushändigung unterlag sie damit nicht mehr der Schulpflicht. Es erfolgte auch kein weiterer Schulbesuch über diesen Zeitpunkt hinaus. Der Senat stützt seine Auffassung auf das im Jahre 1968 geltende Schulrecht in Nordrhein-Westfalen (NRW). Es hat zu jener Zeit zwar noch keine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Beendigung des Schulverhältnisses gegeben. Eine solche existiert erst seit Erlaß der Allgemeinen Schulordnung (ASchO) vom 08.11.1978 (GVBl. NW S. 552) in § 7. Danach endet gemäß Abs. 1 Buchst. a das Schulverhältnis, wenn der Schüler den Bildungsgang durchlaufen oder seine Schulpflicht erfüllt hat und ihm ein Abschluß- oder Abgangszeugnis erteilt ist. Der Senat entnimmt aber der damals geltenden Versetzungsordnung für die Realschulen des Landes NRW (RdErl. d. Kultusministers vom 20.07.1967 - III D. 36 - 62/0 - 8680/67 im Amtsblatt d. KM NW 1967, S. 225) in Verbindung mit den Zeugnissen, daß bereits 1968 die Aushändigung bzw. Erteilung eines Abschlußzeugnisses für die Beendigung des Schulverhältnisses maßgebend gewesen ist. So ist in Nr. 12 des Erlasses geregelt, daß das Versetzungszeugnis auf den Tag der. Aushändigung ausgestellt wird. In Nr. 13 ist die Regelung getroffen, wann ein Abschlußzeugnis ausgestellt werden kann. Auch wenn hierin nicht noch einmal ausdrücklich das Aufführen des Aushändigungsdatums genannt ist, ergibt sich aus dem Aufbau der Regelungen, daß auch das Abschlußzeugnis auf den Tag der Aushändigung auszustellen ist. Die beiden Regelungen in Nr. 12 und 13 stehen nämlich im Sachzusammenhang. Der allgemeine Grundgedanke, wie - mit welchem Inhalt - ein Zeugnis auszustellen ist, findet sich in Nr. 12. Nr. 13 enthält dann, weil nicht nur eine Versetzung bescheinigt wird, zusätzlich die Voraussetzungen, wann ein Abschlußzeugnis ausgestellt werden kann. Im übrigen bleibt es bei der Gestaltung der Nr. 12, also mit Aushän.dig ungs datum. Es ist demzufolge - worauf die Auskunft des Kultusministers vom 06.03.1986 zu Recht hinweist - auch im Abschlußzeugnis der Tag des Konferenzbsschlusses und das Aushändigungsdatum erfaßt. Es sollte mithin mit dem Tag der Aushändigung des Abschlußzeugnisses festgelegt werden, daß das SchulVerhältnis beendet war. Diese Auslegung wird durch den Runderlaß.des KM vom 08.11.1978 - Einführung in die Allgemeine Schulordnung - J C 2.30 - 40/0 - 2681/78 in GABI. NW S. 491 - bestätigt. In diesem ist unter Mr. 3 u.a-. dargelegt, daß die ASchO weitgehend an schon geltende Regelungen anschließt und daher nur in geringem Umfang inhaltliche Veränderung für die Praxis der Schulen, Schulträger und Aufsichtsbehörden zur Folge haben werde. Die Vorschrift des §7 Abs. 1 a ASchO gibt daher den bis dahin im Erlaßwege gehandhabten Rechtszustand wieder, daß das Schulverhältnis mit Erteilung des Abschlußzeugnisses endet. - Hieran ändert sich auch nichts durch den Hinweis der Klägerin auf die bundeseinheitliche Festlegung des Schuljahrendes am 31.07. eines jeden Jahres. Die Festlegung des Schuljahres ist auf das Abkommen zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens vom 28.10.1964 (Hamburger Abkommen) zurückzuführen. In § 3 ist u. a. geregelt, daß die Ferien in erster Linie nach pädagogischen Gesichtspunkten festgelegt werden. Die Gesamtdauer beträgt während des Schuljahres 75 Werktage. Die Ferienabschnitte werden von den einzelnen Ländern festgelegt. Da sich somit nach diesem Abkommen von Bundesland zu Bundesland Ferienzeiten ergeben, die unabhängig von dem vereinbarten Schuljahr das 01. August bis 31. Juli des folgenden Kalenderjahres gerade im Sommer vor und nach dem 31.07. beginnen und enden, zeigt sich deutlich, daß der 31.07. für die Beendigung des Schulverhältnisses im einzelnen Bundesland - hier NRW - nicht maßgebend sein kann. Die Sommerferien wären sonst anderenfalls völlig zufällig einmal Bestandteil des zurückliegenden Schuljahres, ein anderesmal nicht. - Soweit sich die Klägerin ferner auf die Entscheidung des BSG in BSG SozR 2200 § 1259 Nr. 17 bezieht, ist diese für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Sie betrifft vielmehr den Ablauf und das Ende einer Fachschulausbildung, die durch Prüfungen abgeschlossen wird, nicht aber die Frage t wann eine ( Allgemein) Schulausbildung beendet ist. Der Sachverhalt in jener Entscheidung ist darüber hinaus insofern anders gelagert, als nach dem dargestellten Sachverhalt jenen Schülern noch keine Abschlußzeugnisse ausgehändigt waren. Das letztere ist gerade aber der rechtlich maßgebliche Vorgang im vorliegenden Fall. - Da die Klägerin somit die Schulausbildtmg Vor Vollendung des 16. Lebensjahres beendet hat., stellt die Zeit, vom 16.06.1368 bis 09. 0.8.19 6 8 keine Ausfallzeit i.S.d. § 36 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b AVG dar.
18Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kann die Zeit auch nicht als sogenannte Überbrückungsausfallzeit zwischen zwei Ausfallzeiten im Sinne der Rechtsprechung des BSG anerkannt werden. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, daß das BSG die Möglichkeit der Anerkennung einer Übergangszeit als Ausfallzeit nur dann erörtert, wenn sie zwischen zwei anrechenbaren Ausbildungs- und Ausfallzeiten liegt (vgl. BSG SozR Nr. 16 zu § 1259 RVO; BSG SozR § 1259 Nr. 66). Es hat hierzu u. a. in der zuletzt genannten Entscheidung insbesondere ausgeführt, erst die gemeinsame Umschließung durch Ausfallzeiten im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG könne es letztlich rechtfertigen, auch die unvermeidlich e Zwischenzeit an dem beiderseits gleichen Rechtscharakter der vorangehenden und der nachfolgenden Zeit teilnehmen zu lassen. Es ist damit der Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung von der Rechtsprechung Rechnung getragen worden, daß Zeiten, die keinen Bezug zur Rentenversicherung aufweisen, nicht zu berücksichtigen sind. Es muß vielmehr ein solcher durch das Vorliegen sozialrechtlich relevanter Zeiten vor und nach der Überbrückungszeit hergestellt werden. Dies ist - wie oben bereits dargelegt - bei der Klägerin gerade nicht der Fall, weil sie ihre Schulausbildung vor Vollendung des 16. Lebensjahres beendet hat und diese keine Ausfallzeit im Sinne des § 36 AVG darstellt.
19Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
20Der Senat hat die Revision nicht zugelassen (§ 160 Abs. 1 SGG).
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