Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 19 AS 1256/15 B
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 01.04.2015 geändert. Die Vergütung des Beschwerdegegners wird auf 502,18 EUR festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung streitig.
4Gegen den Bescheid vom 06.08.2009, mit dem der Beklagte die Übernahme von rückständigen Unterkunftskosten abgelehnt hatte, legten die drei Kläger, vertreten durch den Beschwerdegegner, mit Schreiben vom 31.08.2009 Widerspruch ein.
5Am 06.01.2011 erhoben die Kläger, vertreten durch den Beschwerdegegner, Untätigkeitsklage.
6Durch Beschluss vom 12.04.2013 bewilligte das Sozialgericht Duisburg den Klägern Prozesskostenhilfe und ordnete den Beschwerdegegner bei.
7Im Erörterungstermin vom 23.04.2013 schlossen die Beteiligten einen Vergleich, in dem sich der Beklagte verpflichtete einen Gesamtbetrag von 200,00 EUR zum Ausgleich sämtlicher Mietrückstände im Zeitraum vom 01.09.2006 bis zum 06.08.2009 zu zahlen und die Klägerin zu 1) sämtliche noch anhängigen Widersprüche bezüglich Mietrückständen für erledigt erklärte. Der Beklagte übernahm die Hälfte der Kosten des Widerspruchsverfahrens. Die Kosten des Gerichtsverfahrens wurden gegeneinander aufgehoben. Der Termin dauerte von 12.00 Uhr bis 12.35 Uhr.
8Der Beschwerdegegner hat beantragt, seine Vergütung aus der Staatskasse auf 963,90 EUR festzusetzen und zwar in Höhe von:
9Verfahrensgebühr Nr. 3102, 1008 VV RVG 400,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 190,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR 19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG 153,90 EUR.
10Zur Begründung gab er an, dass sich das vorliegende Verfahren trotz seines Charakters als Untätigkeitsklage in keiner Weise von einer gewöhnlichen Klage unterschieden habe. Dies gelte insbesondere in Hinblick auf die Verfahrens- und Terminsdauer, die Anzahl der Schriftsätze, die rechtliche Schwierigkeit und die Wichtigkeit für die Kläger.
11Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Vergütung am 14.03.2014 auf 811,58 EUR festgesetzt in Höhe von:
12Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 272,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 190,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR 19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG 129,58 EUR.
13Hiergegen hat der Beschwerdegegner Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle unzutreffend von dem Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG ausgegangen sei.
14Ebenfalls hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Er hat beantragt, die Vergütung auf 502,18 EUR festzusetzen und zwar in Höhe von:
15Verfahrensgebühr Nr. 3102,1008 VV RVG 272,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 130,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR 19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG 80,18 EUR.
16Es sei der Ansatz einer unterdurchschnittlichen Verfahrensgebühr (170,00 EUR nach Nr. 3102 VV RVG a. F. + 102,00 EUR Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG) angemessen, da die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger allenfalls durchschnittlich, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse als gering und Umfang sowie Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit als unterdurchschnittlich einzustufen seien. Die Terminsdauer habe dem Durchschnitt entsprochen. Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit im Termin hinsichtlich der Untätigkeit des Beklagten seien als unterdurchschnittlich einzustufen. Eine Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr nach Nr. 1005, 1006 RVG sei nicht angefallen. Eine Einigungsgebühr könne nicht gewährt werden, da die Prozesskostenhilfe nur für die Untätigkeitsklage bewilligt worden sei.
17Durch Beschluss vom 01.04.2015 hat das Sozialgericht Duisburg auf die Erinnerung des Beschwerdegegners die Kosten auf 963,90 EUR festgesetzt und die Erinnerung des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
18Gegen den am 08.04.2015 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 15.04.2015 beim Sozialgericht Beschwerde eingelegt. Er verfolgt sein Begehren weiter. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
19Der Beschwerdegegner trägt vor, dass der im Erörterungstermin geschlossene Vergleich von der Prozesskostenhilfebewilligung mitumfasst gewesen sei. Der streitgegenständliche Widerspruch sei für erledigt erklärt worden, so dass die Bescheidung des Widerspruchs nicht mehr erforderlich gewesen sei. Diese Erledigung sei die Gegenleistung für die entsprechende Verpflichtung des Beklagten nach Nr. 1 des Vergleiches gewesen. Damit sei unmittelbar über den Klagegegenstand verfügt worden. Auch sei eine Einigung über die Kosten des Klageverfahrens getroffen wurden. Insoweit sei die Vergleichsgebühr unabhängig vom Mehrvergleich ausgelöst worden.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
21II.
22Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
23A.
24Die Beschwerde ist zulässig (§§ 1 Abs. 3, 56 Abs. 2 RVG).
25Die Beschwerde ist statthaft. Die Beschwer des Beschwerdeführers übersteigt den Betrag von 200,00 EUR. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung der Vergütung durch das Sozialgericht auf 963,90 EUR und begehrt die Festsetzung einer Vergütung von 502,18 EUR. Die Differenz zwischen festgesetzter und begehrter Vergütung beträgt mehr als 200,00 EUR. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG) ist gewahrt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 S. 1 RVG).
26B.
27Die Beschwerde ist begründet.
28Dem Beschwerdegegner steht gegenüber der Staatskasse kein Anspruch auf Festsetzung einer höheren Vergütung als 502,18 EUR zu. Eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG ist nicht angefallen (1). Die Verfahrensgebühr wird auf 232,00 EUR festgesetzt (2). Die Terminsgebühr beläuft sich auf 130,00 EUR (3).
29Nach § 45 Abs. 1 S. 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung von der Staatskasse, soweit in Abschnitt 8 des RVG nichts anderes bestimmt ist. Dieser Vergütungsanspruch ist gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 RVG nach seinem Grund und seiner Höhe von dem Umfang der Beiordnung abhängig (Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl., § 48 Rn. 5 m.w.N.). Der beigeordnete Rechtsanwalt kann sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab Wirksamwerden seiner Beiordnung und unter der Voraussetzung einer wirksamen Vollmacht des begünstigten Beteiligten ergeben. Vorliegend besteht ein Vergütungsanspruch des Beschwerdegegners. Zwischen den Klägern und ihm hat ein Mandatsverhältnis bestanden. Im Beschluss vom 12.04.2013 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an die Kläger ist der Beschwerdegegner für die erhobene Untätigkeitsklage uneingeschränkt beigeordnet worden.
30Der beigeordnete Rechtsanwalt kann nach § 48 Abs. 1 S. 1 RVG sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab Wirksamwerden seiner Beiordnung ergeben. Nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG findet auf die Gebührenbemessung das RVG i.d.F. bis zum 31.07.2013 (a.F.) Anwendung. Falls der unbedingte Prozessauftrag vor dem 01.08.2013 - wie im vorliegenden Fall - erteilt worden ist, richtet sich die Vergütung nach der RVG a.F.
311. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners ist eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1002, 1006 VV RVG a. F. nicht angefallen.
32Nach Nrn. 1000 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 1006 VV RVG a.F. entsteht eine Einigungsgebühr in gerichtskostenfreien Verfahren für die Mitwirkung des Rechtsanwaltes bei dem Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit über die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird (Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VV RVG a.F.), es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 Abs. 1 S. 2 VV RVG a.F.). Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden; zudem soll die Belastung der Gerichte gemindert werden (BGH, Urteil vom. 20.11.2008 - IX ZR 186/07 - FamRZ 2009,30). Dies gilt gemäß Nr. 1000 Abs. 4 VV RVG auch bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann. Insoweit sind die Bestimmungen der §§ 53ff. SGB X über den öffentlich-rechtlichen Vertrag, insbesondere § 53 Abs. 2 SGB X, wonach ein öffentlich-rechtlicher Vertrag über Sozialleistungen (vgl. § 11 SGB I) nur geschlossen werden kann, soweit die Erbringung der Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht, § 54 SGB X über die Voraussetzungen eines Vergleichsvertrages und die Formvorschrift des § 56 SGB X zu beachten.
33Zwar haben die Beteiligten durch den Abschluss des Vergleiches im Erörterungstermin einen Vergleichsvertrag i.S.v. § 54 SGB X über die Ansprüche der Kläger auf Übernahme weiterer Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 01.09.2006 bis zum 06.08.2009 geschlossen und hat der Beschwerdegegner ausweislich des Terminprotokolls an der Einigung mitgewirkt. Jedoch wird diese Tätigkeit nicht vom Vergütungsanspruch des Beschwerdegegners aus § 45 RVG umfasst. Dieser bestimmt sich nach § 48 Abs. 1 RVG nach dem Beschluss, durch den die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet oder bestellt worden ist (LSG Hessen, Beschlüsse vom 23.06.2014 - L 2 AS 568/13 B -, vom 26.05.2011 - L 7 AS 371/10 B und vom 24.01.2011 - L 2 SF 30/09 E -; siehe auch LSG Thüringen, Beschluss vom 07.12.2015 - L 6 SF 850/15 B). Der Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse ist damit nach Grund und Höhe vom Umfang der Beiordnung abhängig. Der Grund der Beiordnung bestimmt sich nach dem Streitgegenstand des Verfahrens. Die Erledigung von weiteren, über den eigentlichen Streitstoff hinausreichende Streitgegenständen, die ggfs. in anderen Verfahren anhängig sind oder werden könnten, ist daher für die Entstehung einer Einigungsgebühr ohne Bedeutung (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 26.05.2011 - L 7 AS 371/10 B; vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § 48 Rn. 154). Vorliegend ist Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens ausschließlich eine Untätigkeitsklage gewesen. Gegenstand des Verfahrens ist nicht die Frage der Übernahme von weiteren Kosten für die Unterkunft und Heizung durch den Beklagten gewesen. Auch die vom Sozialgericht angeführte Überlegung, dass durch den Vergleich eine Sachentscheidung getroffen wurde, wodurch ein weiteres gerichtliches Verfahren verhindert werden konnte, und vom Erlass von abändernden Bescheiden wegen der damit verbundenen Kompliziertheit der Regelungen abgesehen wurde, rechtfertigt nicht, dass allein die Erledigung von weiteren, über den eigentlichen Prozesstoff hinausgehenden Streitgegenständen vom Vergütungsanspruch eines beigeordneten Rechtsanwalts umfasst ist. Die Frage, ob durch den Abschluss des Vergleiches im Erörterungstermin vom 23.04.2013 eine Einigungs-/Erledigungsgebühr als Kosten des Widerspruchsverfahrens, das durch den Vergleich erledigt worden ist, angefallen ist, ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
34Hinsichtlich des Streitgegenstandes des gerichtlichen Verfahrens - Anspruch der Kläger auf Bescheidung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 06.08.2009 - haben die Kläger in Ziffer 4 des Vergleichs - Erklärung der Erledigung des Verfahrens - auf ihren Anspruch i.S.v. Nr. 1000 S. 2 VV RVG a.F. verzichtet. Dies gilt auch für die außergerichtlichen Kosten der Kläger im gerichtlichen Verfahren. Die Einigung in Ziffer 3 des Vergleichs, dass die Kosten des Gerichtsverfahrens gegeneinander aufgehoben werden, beinhaltet den vollständigen Verzicht der Kläger auf Erstattung der Kosten der Untätigkeitsklage.
35Ebenso ist keine Erledigungsgebühr nach Nrn. 1006, 1002 VV RVG a.F. angefallen. Hiernach entsteht in Verfahren nach § 183 SGG eine Erledigungsgebühr, wenn sich die Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts oder durch den Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt
362. Der Tatbestand des Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG a.F. ist gegeben. Der Beschwerdegegner hat für die Kläger ein nach § 183 SGG gerichtskostenfreies Verfahren betrieben. Die Vorschrift der Nr. 3103 VV RVG i.d.F. bis zum 31.07.2013 findet auf Untätigkeitsklagen keine Anwendung (Beschluss des Senats vom 05.05.2008 - L 19 B 24/08 AS). Der sich aus Nr. 3102, 1008 VV RVG a.F. ergebende Gebührenrahmen beträgt 64,00 EUR bis 736,00 EUR.
37Der Ansatz einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG a. F. von 400,00 EUR (Mittelgebühr) durch den Beschwerdegegner ist unbillig. Bei der Bestimmung der Betragsrahmengebühr ist von der Mittelgebühr auszugehen, die bei einem Normal-/Durchschnittsfall als billige Gebühr zu Grunde zu legen ist. Unter einem "Normalfall" ist ein Fall zu verstehen, in dem sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts unter Beachtung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG nicht nach oben oder unten vom Durchschnitt aller sozialrechtlichen Fälle abhebt (BSG, Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30, juris Rn. 24). Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus dem Vergleich mit den sonstigen bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitsachen. Die Mittelgebühr beträgt im vorliegenden Fall 400,00 EUR. Bei Abweichungen von einem Durchschnittsfall kann der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG eine geringere oder höhere Gebühr bis zur Grenze des vorgegebenen Rahmens ansetzen. Hinsichtlich der Überprüfung der Billigkeit einer Gebühr billigt die Rechtsprechung dem Rechtsanwalt einen Toleranzrahmen von bis zu 20 % zu (BSG, a.a.O., juris Rn.19 m.w.N.). Die in § 14 Abs. 1 RVG aufgezählten fünf Bemessungskriterien stehen selbstständig und gleichwertig nebeneinander. Sämtliche Kriterien sind geeignet, ein Abweichen von der Mittelgebühr nach oben oder unten zu begründen. Zudem kann das Abweichen eines Bemessungskriteriums von jedem anderen Bemessungskriterium kompensiert werden (BSG, a.a.O., juris Rn. 38).
38Nach wertender Gesamtbetrachtung handelt es sich vorliegend nicht um einen Normal-/Durchschnittsfall, sondern um einen weit unterdurchschnittlichen Fall, der keinen höheren Ansatz als 232,00 EUR (Hälfte der Differenz zwischen Mindest- und Mittelgebühr [400,00 EUR + 64,00 EUR = 464,00 EUR: 2]) rechtfertigt. Sämtliche Bewertungskriterien sind als unterdurchschnittlich, teilweise als erheblich unterdurchschnittlich zu bewerten.
39Eine Untätigkeitsklage nach § 88 SGG hat für einen Kläger aufgrund ihres eingeschränkten Streitgegenstands nur erheblich unterdurchschnittliche Bedeutung. Gegenstand einer solchen Klage ist allein die Vornahme eines Verwaltungsaktes gleich welchen Inhalts. Sie zielt nur auf die Erzwingung des Fortgangs des Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens ab. Die begehrte Sachentscheidung kann mit der Untätigkeitsklage nicht erreicht werden. Daher hat die Untätigkeitsklage für einen Kläger in aller Regel weniger Bedeutung als die übrigen Klage- und Antragsverfahren, die auf ein konkretes materielles Ziel ausgerichtet sind (ständige Rechtsprechung des Senats, siehe Beschlüsse vom 01.12.2014 - L 19 AS 2043/14 B - m.w.N. und vom 05.05.2008 - L 19 B 24/08 AS; LSG NRW, Beschluss vom 07.01.2105 - L 12 SO 302/14 B; LSG Thüringen, Beschluss vom 25.10.2010 - L 6 SF 652/10 B; siehe auch LSG Sachsen, Beschluss vom 18.10.2013 - L 8 AS 1254/12 B KO). Anhaltspunkte, die es rechtfertigen, der Untätigkeitsklage im vorliegenden Fall eine zumindest durchschnittliche Bedeutung beizumessen, ergeben sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vortrag des Beschwerdegegners.
40Da die Kläger auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung ihres soziokulturellen Existenzminimums angewiesen gewesen sind und ihnen deshalb auch Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, sind ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse als erheblich unterdurchschnittlich zu bewerten.
41Ebenfalls ist die objektive Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit bei einer Untätigkeitsklage als weit unterdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Erhebung der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG handelt es sich um eine anwaltliche Tätigkeit einfacher Art. Es ist weder die Auseinandersetzung mit schwierigen Rechtsfragen noch mit medizinischen Unterlagen und Gutachten, die in sozialgerichtlichen Verfahren typisch ist, erforderlich. In der Regel bedarf es lediglich der Prüfung, ob über den Antrag oder den Widerspruch nicht innerhalb der Sperrfrist von sechs bzw. drei Monaten entschieden worden ist und es an einem zureichenden Grund für die Untätigkeit der Behörde fehlt. Die Prüfung des Vorliegens eines zureichenden Grundes i.S.v. § 88 Abs. 1 SGG ist in der Regel auch einfach. Aus dem Vortrag des Beschwerdegegners ergibt sich kein Anhaltspunkt, dass die Prüfung der Zulässigkeit und Begründetheit der Untätigkeitsklage im vorliegenden Fall eine sich aus dem Einzelfall ergebende Schwierigkeit aufgewiesen hat.
42Soweit der Beschwerdegegner in seinem Kostenfestsetzungsantrag anführt, dass sich das Verfahren in keiner Weise von einer gewöhnlichen Klage im Hinblick auf Verfahrensdauer, Terminsdauer, Anzahl der Schriftsätze, die rechtliche Schwierigkeit und die Wichtigkeit für seine Mandanten unterschieden habe, verkennt der Beschwerdegegner, dass eine Untätigkeitsklage unbeschadet des Interesses eines Klägers am materiell-rechtlichen Ausgang des Verwaltungs- und Vorverfahrens nur auf die Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs zielt und sich prozessual im Zweck der Verfahrensförderung erschöpft. Sämtliche Aktivitäten, die auf eine Klärung der zwischen den Beteiligten streitigen materiell-rechtlichen Rechtsfragen zielen, sind nicht im Rahmen einer Untätigkeitsklage, sondern in dem laufenden außergerichtlichen Verfahren zu entfalten. Zwar sind zwischen dem Beschwerdegegner und dem Beklagten im Hinblick darauf, dass die Kläger, vertreten durch den Beschwerdegegner, am gleichen Tag, dem 31.08.2009, Widersprüche gegen zwei Bescheide erhoben haben, Irritationen im gerichtlichen Verfahren dahingehend entstanden, aufgrund welchen Widerspruchs die Kläger Untätigkeitsklage erhoben haben. Dies begründet aber im Vergleich zu anderen Untätigkeitsklagen keine besondere Schwierigkeit des Verfahrens. Einem Prozessbevollmächtigten sollte schon bei der Erhebung einer Untätigkeitsklage klar sein, in welchem Widerspruchsverfahren er das Vorliegen eines zureichenden Grundes für die Nichtbescheidung verneint. Insoweit ist anzumerken, dass der Beschwerdegegner selbst zur Irritation beigetragen hat, indem er der Klageschrift einen Bescheid vom 27.07.2010 beigefügt hatte, der Gegenstand des zweiten anhängigen Widerspruchsverfahren war. Soweit das Sozialgericht angeführt hat, dass eine schwierige Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf die Untätigkeitsklage erforderlich gewesen sei, ergibt sich diese Schwierigkeit weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vortrag des Beschwerdegegners.
43Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist als leicht unterdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sind der Arbeits- und Zeitaufwand, den ein Rechtsanwalt in der Sache betrieben hat und den er objektiv auf die Sache verwenden musste, zu würdigen. Die Zahl der gefertigten Schriftsätze, einschließlich ihres Inhalts, kann ein Indiz für den zeitlichen Aufwand der anwaltlichen Tätigkeit darstellen (BSG, a.a.O., juris Rn. 30). Der Beschwerdegegner hat im Klageverfahren 8 Schriftsätze - eine einseitige Klageschrift ohne Begründung, 4 einzeilige Anträge auf Fristverlängerung zur Stellungnahme sowie drei kurze Schriftsätze, die inhaltlich die Vorlage von Unterlagen in dem zweiten Widerspruchsverfahren, das nicht Gegenstand des Gerichtsverfahren gewesen ist, betroffen hat - gefertigt. Weitere zeitintensive Tätigkeiten - wie etwa das Lesen und Auswerten von medizinischen Gutachten, das Verfassen von Schriftsätzen, die sich mit komplexen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen auseinandersetzen, die Sichtung und Auswertung von Rechtsprechung, die Einsicht in Akten - sind nicht angefallen bzw. nicht belegt. Der die anhängige Untätigkeitsklage betreffende Arbeitsaufwand ist gering gewesen. Er hat sich auf die Fristüberwachung und die Fertigung der Klageschrift sowie der Verlängerungsanträge zur Stellungnahme beschränkt. Die materielle Rechtslage hinsichtlich des Inhalts des begehrten Bescheides brauchte vom Beschwerdegegner weder geprüft noch dargelegt zu werden. Eine Darlegung der materiellen Rechtslage ist auch vom Beschwerdegegner im Verfahren nicht erfolgt. Dabei ist im vorliegenden Fall auch der sich aus der Vorbefassung des Beschwerdegegners ergebende Synergieeffekt mit zu berücksichtigen. Da der Beschwerdegegner die Kläger im Widerspruchsverfahren vertreten hat, ist eine Einarbeitung in den Verlauf des Widerspruchsverfahrens, insbesondere hinsichtlich der Prüfung des Fristablaufs und des Vorliegens eines unzureichenden Grundes i.S.v. § 88 Abs. 1 SGG, nicht erforderlich gewesen. Weder die Dauer des gerichtlichen Verfahrens - mehr als zwei Jahre - (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R -, a.a.O., juris Rn 29; Beschluss des Senats vom 20.01.2015 - L 19 AS 2291/14 B ) noch der zu berücksichtigende zeitliche Aufwand zur Vorbereitung des Erörterungstermins rechtfertigt den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als durchschnittlich zu beurteilen. Der Arbeits- und Zeitaufwand, der inhaltlich die Tätigkeit des Beschwerdegegners im zweiten Widerspruchsverfahren betroffen hat, ist nicht in die Bewertung mit einzubeziehen. Dieser kann allenfalls bei der Bemessung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2501 VV RVG a.F. für dieses Widerspruchsverfahren berücksichtigt werden.
44Ein besonderes Haftungsrisiko des Beschwerdegegners ist nach Aktenlage nicht erkennbar und ergibt sich auch nicht aus seinem Vortrag (siehe zum Haftungsrisiko von Rechtsanwälten in Verfahren nach § 183 SGG kritisch: LSG Sachsen Beschluss vom 18.10.2013 - L 8 AS 1254/12 B KO).
45Bei Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG, insbesondere auch der Tatsache, dass unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Herabbemessung der Mittelgebühr rechtfertigen können (BSG, Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R -, a.a.O.), kommt dem konkreten Verfahren eine unterdurchschnittliche Bedeutung zu, die nicht den Ansatz einer Mittelgebühr rechtfertigt.
463. Des Weiteren ist eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 W RVG a.F. als Anwesenheitsgebühr in einem gerichtlichen Termin entstanden, die dem Beschwerdegegner nach § 48 Abs. 1 S. 1 RVG zu vergüten ist. Die vom Beschwerdegegner angesetzte Mittelgebühr von 200,00 EUR ist unbillig. Grundsätzlich sind bei jeder Betragsrahmengebühr die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG gesondert zu prüfen.
47Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist als durchschnittlich zu beurteilen. Bei der Beurteilung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit ist auf den tatsächlichen Arbeits- und Zeitaufwand für die Terminsteilnahme, der wesentlich durch die Anzahl und die Dauer der anberaumten Termine bestimmt wird, abzustellen. Der Arbeits- und Zeitaufwand für die Vorbereitung eines anberaumten gerichtlichen Termins ist nicht zu berücksichtigen (vgl. Beschlüsse des Senats vom 25.05.2012 - L 19 AS 385/12 B - und vom 25.10.2010 - L 19 AS 1513/10 B - m.w.N.; LSG Thüringen, Beschluss vom 26.11.2014 - L 6 SF 1079/14 B m.w.N.), da mit der Terminsgebühr nur die Tätigkeit des Rechtsanwalts während eines gerichtlichen Termins - Vertretung des Mandanten im Termin - abgegolten wird. Die übrigen prozessualen Tätigkeiten werden, abgesehen von dem besonderen Mitwirken i.S.v. Nr. 1006 VV RVG a.F., durch die Verfahrensgebühr abgegolten. Die Terminsdauer von 35 Minuten entspricht einer durchschnittlichen Terminsdauer vor den Sozialgerichten von 30 bis 50 Minuten (vgl. Beschluss des Senats vom 16.12.2015 - L 19 AS 1475/15 B -; LSG Bayern, Beschluss vom 23.09.2015 - L 15 SF 273/14 E -; LSG Hessen, Beschluss vom 28.04.2014 - L 2 AS 708/13 B - mit Darstellung des Meinungstandes; LSG Sachsen, Beschlüsse vom 06.12.2013 - L 8 AS 527/13 B KO - und vom 19.06.2013 - L 8 AS 45/12 B KO - m.w.N.). Bezüglich der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger und dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse wird auf die Ausführungen zu der im Verfahren angefallenen Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG a.F. Bezug genommen. Es sind nach Aktenlage keine Unterschiede erkennbar und auch nicht vorgetragen worden, die insofern eine unterschiedliche Bewertung rechtfertigten. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass bei der Durchführung des gerichtlichen Termins tatsächliche Schwierigkeiten für die anwaltliche Tätigkeit, wie z. B. die Teilnahme an einer Beweisaufnahme mit Befragung von Zeugen und Sachverständigen, nicht entstanden sind. Allein die Dauer des Termins rechtfertigt unter Berücksichtigung der übrigen Bemessungskriterien nicht den Ansatz einer Mittelgebühr, sondern wird bei einer Gebühr von 130,00 EUR (60% der Differenz zwischen Mindest- und Mittelgebühr [20,00 EUR + 200,00 EUR = 220,00 EUR: 2 = 110,00 EUR = Hälfte zwischen Mindest- und Mittelgebühr]) ausreichend berücksichtigt.
48Damit beläuft sich der Vergütungsanspruch des Beschwerdegegners auf insgesamt 454,48 EUR, der sich wie folgt zusammensetzt:
49Verfahrensgebühr Nr. 3102,1008 VV RVG a.F. 232,00 EUR Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG a.F. 130,00 EUR Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG a.F. 20,00 EUR 19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG a.F. 72,58 EUR.
50Im Hinblick auf die beschränkte Beschwerdeeinlegung seitens des Beschwerdeführers ist der Vergütungsanspruch daher auf 502,18 EUR festzusetzen.
51Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 S. 2 RVG).
52Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 56 Abs. 2 S. 3 RVG).
53Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
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