Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 12 AS 1269/20
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 17.07.2020 geändert und den Klägerinnen Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung des Rechtsanwalts X, E-Str. 0, Münster, bewilligt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
1
Gründe:
2A.
3Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft, der Beschwerdewert übersteigt 750,00 € (§§ 172 Abs. 3 Nr. 2 b) i.V.m. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung höherer Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Bewilligungszeitraum für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) von Dezember 2018 bis November 2019. Die Klägerinnen haben den Streitgegenstand zulässigerweise insoweit beschränkt (dazu BSG Urteile vom 04.06.2014, B 14 AS 42/13 R, juris Rn. 12 ff.; und vom 06.08.2014, B 4 AS 55/13 R, juris Rn. 12).
5Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung betrugen monatlich 420 € Kaltmiete, 154,90 € Betriebskosten und 75,10 € Heizkosten. Die Beklagte bewilligte den Klägerinnen Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 456,30 € (Bruttokaltmiete) und 75,10 € Heizkosten (Bescheid vom 06.11.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.02.2020). Insofern ist die Berücksichtigung monatlich 118,60 € hinter den tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zurückgeblieben. Klägerseitig wird hiervon unter Rückgriff auf die Werte der Wohngeldtabelle ein Gesamtbetrag von 768 € geltend gemacht (zur Zusammenrechnung der Beschwer bei subjektiver Klagehäufung/Streitgenossenschaft: Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 144 SGG Rn. 21; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, §144 Rn. 16 m.w.N.).
6B.
7Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Sozialgericht Münster folgt aus § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 Zivilprozessordnung (ZPO).
8I. Danach erhält ein Beteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei reicht es für die Bejahung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (LSG NRW Beschluss vom 11.12.2012, L 7 AS 1906/12 B). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist bereits dann vorgesehen, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (BVerfG Beschlüsse vom 04.08.2016, 1 BvR 380/16 und vom 07.04.2000, 1 BvR 81/00). Dies ist in aller Regel dann anzunehmen, wenn der Rechtsstandpunkt eines Klägers vertretbar ist und die behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen nachweisbar erscheinen (LSG NRW Beschluss vom 23.04.2012, L 7 AS 1059/11 B; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 73 a Rn. 7a). Bei schwierigen und noch nicht eindeutig geklärten Rechtsfragen, die für die Entscheidung erheblich sind, ist grundsätzlich Prozesskostenhilfe zu gewähren (BVerfG Beschluss vom 13.03.1990, 2 BvR 94/88, juris; BVerfG Beschluss vom 22.05.2012, 2 BvR 820/11, juris Rn. 11).
9II. Nach diesen Maßstäben sind hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen. Vorliegend hängt die Rechtmäßigkeit der Ermittlung abstrakt angemessener Aufwendungen durch die Beklagte von einer schwierigen Rechtsfrage ab, deren Beantwortung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist (vgl. LSG NRW Beschluss vom 08.04.2021, L 7 AS 1493/20 B, juris Rn. 12) und weitere Tatsachenermittlungen bedingen wird.
101. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden gem. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Bei dem entscheidenden gesetzlichen Tatbestandsmerkmal „Angemessenheit“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff; dieser ist gerichtlich voll überprüfbar. Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für die Unterkunft hat in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten, zu ermitteln; dann ist die konkrete Angemessenheit dieser Aufwendungen im Vergleich mit den tatsächlichen Aufwendungen zu prüfen, insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen, einschließlich eines Umzugs (zum Ganzen BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 16 ff., 19; Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 11/20 R, juris Rn. 16).
11Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der sog. Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen, das sich zusammensetzt aus der Bestimmung der (abstrakt) angemessenen Wohnungsgröße für die leistungsberechtigten Personen, der Bestimmung des angemessenen Wohnungsstandards, der Ermittlung der aufzuwendenden Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept und der Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten (zum Ganzen BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 20; BSG Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 11/20 R, juris Rn. 17; jeweils m.w.N.).
12Das schlüssige Konzept soll die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarkts im Vergleichsraum dem Angemessenheitswert zugrunde liegen und dieser realitätsgerecht ermittelt wird. Schlüssig ist ein Konzept, wenn es neben rechtlichen zudem bestimmte methodische Voraussetzungen erfüllt und nachvollziehbar ist. Dies erfordert trotz Methodenvielfalt insbesondere eine Definition der untersuchten Wohnungen nach Größe und Standard, Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung, Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht, Repräsentativität und Validität der Datenerhebung, Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung, Vermeidung von „Brennpunkten“ durch soziale Segregation sowie eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird. Es kann verschiedene Methoden geben, um ein schlüssiges Konzept in diesem Sinne zu erstellen und den damit unmittelbar zusammenhängenden Vergleichsraum oder ggf. mehrere Vergleichsräume zu bilden, weil weder aus § 22 SGB II noch aus §§ 22a bis 22c SGB II die Anwendung eines bestimmten Verfahrens rechtlich zwingend ableitbar ist (dazu zuletzt BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 24 ff.; BSG Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 11/20 R, juris Rn. 20; sowie grundlegend BSG Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R, juris Rn. 18 f.).
132. a) Eine ungeklärte, schwierige Rechtsfrage betrifft vorliegend bereits die Ordnungsgemäßheit der Vergleichsraumbildung respektive der Zuständigkeit der Beklagten für die Erstellung eines schlüssigen Konzeptes.
14Dabei bliebe im Hauptsacheverfahren zunächst klarzustellen, ob das im Beschwerdeverfahren als „schlüssiges Konzept der Beklagten“ (Schriftsatz des prozessbevollmächtigten Kreises vom 04.02.2021) übersandte Dokument tatsächlich von dieser erstellt oder in Auftrag gegeben worden ist, oder aber von ihrem Bevollmächtigten. Hierfür könnte dessen Internetauftritt sprechen, in dem eine zusammenfassende Übersicht der Angemessenheitswerte der dem Kreis angehörenden Gemeinden, u.a. der Beklagten, veröffentlicht ist. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens bleibt davon auszugehen, dass die Beklagte entsprechend der Darstellung ihres Bevollmächtigten Konzepterstellerin ist.
15Der Vergleichsraum ist der Raum, für den ein grundsätzlich einheitlicher abstrakter Angemessenheitswert zu ermitteln ist, innerhalb dessen einer leistungsberechtigten Person ein Umzug zur Kostensenkung grundsätzlich zumutbar ist und ein nicht erforderlicher Umzug nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II zu einer Deckelung der Aufwendungen auf die bisherigen führt. Er ist ein ausgehend vom Wohnort der leistungsberechtigten Person bestimmter ausreichend großer Raum der Wohnbebauung, der aufgrund räumlicher Nähe, Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bildet (BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 22; BSG Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 30/08 R, juris Rn. 21).
16Nach der auch für schlüssige Konzepte im Rahmen des § 22 Abs. 1 SGB II entsprechend anzuwendenden gesetzgeberischen Vorgabe in § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II bildet zwar das Zuständigkeitsgebiet eines Jobcenters zunächst einen Vergleichsraum, der indes aufgrund der örtlichen Gegebenheiten in mehrere Vergleichsräume zu unterteilen sein kann, für die jeweils eigene Angemessenheitswerte bestimmt werden können. Als solche örtlichen Gegebenheiten kommen weniger unterschiedliche Landschaften, sondern eher räumliche Orientierungen, wie Tagespendelbereiche für Berufstätige oder die Nähe zu Ballungsräumen, sowie aus der Datenerhebung ersichtliche, deutliche Unterschiede im Mietpreisniveau in Betracht (BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 11/18 R, juris Rn. 22).
17Die dargelegten im Rahmen der Vergleichsraumbildung zu beachtenden „oszillierenden“ Anforderungen können zu einer Mehrzahl als schlüssig denkbarer Vergleichsraumbildungen im Rahmen einer eigenverantwortlichen Methodenfreiheit des Konzepterstellers führen, so dass die Schlüssigkeit grds. eine nachvollziehbare Erläuterung der Vergleichsraumbildung unter Gewichtung der höchstrichterlich ohne innere Ordnung entwickelten Parameter bedingt (vgl. BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 26). Eine solche Erläuterung fehlt in dem erst im Beschwerdeverfahren angeforderten und vorgelegten Konzept der Beklagten vom 10.07.2018, die ohne weiteres auf ihr gesamtes Stadtgebiet abstellt.
18Die Beklagte handelt allerdings als kreisangehörige Stadt ihres Prozessbevollmächtigten, einer Optionskommune (§ 6a SGB II i.V.m. § 1, Anlage zu § 1 der Verordnung zur Zulassung von kommunalen Trägern als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende
Hält man die (partielle – vgl. § 1 Abs. 1 der Kommunalen Satzung) Aufgabenwahrnehmung durch die Beklagte in eigenem Namen aufgrund landesrechtlicher Vorschriften für mit Bundesrecht vereinbar (so LSG NRW Urteil vom 23.05.2019, L 7 AS 1440/18, juris Rn. 25; LSG NRW Urteil vom 22.08.2006, L 1 AS 5/06, juris Rn. 16ff.; zum Problemkreis: BSG Urteil vom 03.09.2020, B 14 AS 24/17 R, juris Rn. 29ff., insb. 37ff.: Grundsatz der „Leistungen aus einer Hand“ bei einer, im Vergleich zur vorliegenden, umgekehrt partiellen Aufgabenübertragung [Leistungen der Eingliederung in Arbeit einerseits und Leistungen der Sicherung zum Lebensunterhalt andererseits] auf einen anderen Rechtsträger; Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, 05/21, § 6a Rn. 21f.; zur Reichweite der Bundeskompetenzen: BVerfG Urteil vom 07.10.2014, 2 BvR 1641/11, juris Rn. 142ff.), ist bislang jedenfalls die Rechtsfrage ungeklärt, ob damit das Recht und die Pflicht der zur Erstellung eines eigenen schlüssigen Konzeptes für das Gebiet der kreisangehörigen Beklagten einhergehen und damit die Bildung des Vergleichsraumes von vorneherein determinieren kann. Hiergegen könnten immerhin die Wertungen der §§ 22a Abs. 1 S. 1, 22b Abs. 1 S. 4 SGB II sprechen, die die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen den Kreisen und kreisfreien Städten zuweisen und im Rahmen der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG Beschluss vom 06.10.2017, 1 BvL 2/15, juris Rn. 17; BSG Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 22/20 R, juris Rn. 34; BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 11/18 R, juris Rn. 22).
20Sollte hiervon nicht auszugehen sein, sondern Ausgangspunkt für die Bildung des Vergleichsraumes das Gebiet des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, einer Optionskommune, sein, ist zu klären, ob sich dieser das Konzept der Beklagten „zu eigen machen“ könnte, weil in der Rechtsprechung auch keine Bedenken bestehen Dritte (sachverständige privatwirtschaftliche Unternehmen) mit der Aufgabe der Konzepterstellung i. S. e. Verwaltungsgutachtens zu betrauen (vgl. statt vieler: BSG Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 11/20 R, juris Rn. 4, 26; Senatsurteil vom 10.03.2021, L 12 AS 809/18, juris). In diesem Fall wäre dem bevollmächtigten Kreis Gelegenheit zur Nachbesserung des Konzeptes in Bezug auf eine schlüssige Begründung für die Vergleichsraumbildung nach o.a. Maßstäben zu geben (vgl. BSG Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R, juris Rn. 28, 39; BSG Urteil vom 18.11.2014, B 4 AS 9/14 R, juris Rn. 19). Dabei wird zu hinterfragen sein, ob, ohne dass der Mietwohnungsbestand im Stadtgebiet der Beklagten bekannt ist (vgl. S. 1 des Konzeptes vom 10.07.2018) von einem eigenen Wohnungsmarkt ausgegangen werden kann (vgl. BSG Urteil vom 12.12.2013, B 4 AS 87/12 R, juris Rn. 22; Senatsurteil vom 10.03.2021, L 12 AS 809/18, juris Rn. 61).
21b) Ein Klageerfolg kommt auch aus dem Gesichtspunkt der fehlenden Repräsentativität der Daten in Betracht.
22Repräsentativität der Daten bedeutet in Anlehnung an mietrechtliche Grundsätze, dass sie ein realistisches Abbild des Wohnungsmarkts liefern müssen, für den das Konzept gelten soll. Um dies zu gewährleisten, müssen in der Regel eigenständige Primärerhebungen auf der Basis von Zufallsstichproben durchgeführt werden, so dass jede Wohnung die gleiche Chance hat, in der Stichprobe vertreten zu sein, und es muss sichergestellt werden, dass alle Wohnungen mit ihren mietpreisbestimmenden Merkmalen in dieser Stichprobe annähernd im gleichen Verhältnis wie in der Grundgesamtheit enthalten sind. Die Anforderungen an den Stichprobenumfang sind abhängig insbesondere von der Größe und Struktur des Wohnungsmarkts (homogener oder eher heterogener Wohnungsbestand mit der Folge einer erheblichen Mietendifferenzierung) und der konkreten Ausgestaltung des Konzepts. Wie hoch die "Ergebnisstichprobe", also die letztlich verwertbare Datenbasis, danach sein muss, kann nicht generell festgelegt werden. Die Aussagekraft einer Stichprobe hängt in erster Linie davon ab, wie verlässlich sie die Grundgesamtheit abbildet und nicht von ihrem Umfang (BSG Urteil vom 03.09.2020, B 14 AS 34/19 R, juris Rn. 25). Innerhalb dieses Rahmens weist das BSG die Beurteilung der Validität und Repräsentativität der tatrichterlichen Beweiswürdigung zu (BSG Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 11/20 R, juris Rn. 21, 26). Dies führt letztlich zu revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden deutlich divergierenden Bewertungsmaßstäben der Instanzgerichte (vgl. beispielhaft einerseits Schleswig-Holsteinisches LSG Urteil vom 19.05.2020, L 3 AS 94/19, juris Rn. 88 mit Verweis auf Schleswig-Holsteinisches LSG Urteil vom 15.01.2018, L 3 AS 109/15, juris Rn. 65ff.; nachfolgend: BSG Urteil vom 05.08.2021, B 4 AS 82/20 R, Terminbericht bei juris; andererseits Senatsurteile vom 10.03.2021, L 12 AS 1846/17; L 12 AS 809/18, juris Rn. 61, letzteres anhängig: BSG B 4 AS 198/21 B), so dass Prozesskostenhilfe in der Regel schon aus diesem Grunde zu bewilligen sein wird.
23Vorliegend hat die Beklagte den Gesamtwohnungsbestand in ihrem Stadtgebiet auf Grundlage einer Monatsstatistik ihres Prozessbevollmächtigten für den Juli 2018 (Stand vom 31.12.2017) mit 16.982 festgestellt. Wie viele Wohnungen hiervon vermietet sind, hat die Beklagte nicht erhoben. Bereits hierdurch könnte die Beurteilung einer Datenrepräsentativität als beeinträchtigt angesehen werden. Zur Ermittlung eines abstrakt angemessenen Quadratmeterpreises hat die Beklagte 496 Daten aus dem Bestand der von ihr bearbeiteten Wohngeldfälle, herangezogen. Diese Daten hat sie – ohne dass Gründe hierfür benannt worden sind - auf 360 Fälle reduziert, indem sie allein die Fälle berücksichtigt hat, in denen tatsächlich ein Mietzuschuss bewilligt worden ist. Ferner hat sie die tatsächlichen Mietkosten der Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) herangezogen. Primärerhebungen in Bezug auf die Bestandsmieten hat die Beklagte nicht durchgeführt. Insofern bleibt zweifelhaft, ob durch das von der Beklagten gewählte Vorgehen jede Wohnung die gleiche Chance hatte, in der Stichprobe vertreten zu sein und sich die Stichprobe nicht de facto auf bestimmte Stadtteile mit schwachem Einkommensniveau reduziert (vgl. BSG Urteil vom 03.09.2020, B 14 AS 34/19 R, juris Rn. 35; BSG Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 22/20 R, juris Rn. 37). Soweit die Beklagte es überdies unterlassen hat, atypische Mietverhältnisse oder Mietverhältnisse älteren Datums vor der Datenauswertung auszuscheiden, wird die Aussagekraft der Stichprobe für das Mietpreisniveau (im streitgegenständlichen Zeitraum) weiter beeinträchtigt. Ob dieser Beeinträchtigung und der Gefahr von „Zirkelschlüssen“ durch die Beschränkung auf Grundsicherungs- und Wohngeldfälle (vgl. BSG Urteil vom 18.11.2014, B 4 AS 9/14 R, juris Rn. 23) durch die ergänzende Primärerhebung von Angebotsmieten (nicht Neuvertragsmieten – vgl. § 22c Abs. 1 S. 3 SGB II) hinreichend begegnet ist, bedürfte einer näheren Untersuchung des Wohnungsmarktes unter Mitwirkung der Beklagten im Klageverfahren (vgl. BSG Urteil vom 17.09.2020, B 4 AS 22/20 R, juris Rn. 33). Zweifel bestehen jedenfalls insofern, als die Beklagte über den Zeitraum vom 01.06.2017 bis 31.05.2018 durch Auswertung von Annoncen in Tageszeitungen, in kostenlosen wöchentlichen Anzeigeblättchen sowie auf regionalen Internetseiten, um Verdoppelungen bereinigt, lediglich 107 weitere Daten erhalten und diese nicht in ein statistisch validiertes Verhältnis zu den insgesamt 1.430 berücksichtigten Bestandsmietendaten gesetzt hat (vgl. BSG Urteil vom 16.06.2015, B 4 AS 44/14 R, juris Rn. 22; Bay. LSG Urteil vom 14.12.2017, L 7 AS 408/15, juris Rn. 50). Die Beklagte hat den durchschnittlichen Quadratmeterpreis für eine Nettokaltmiete in den jeweiligen Wohnungsgrößenklassen im Ausgangspunkt durch eine Multiplikation der jeweiligen Bestandsmietendaten und Wohnungsangebotsdaten mit dem durchschnittlichen Quadratmeterpreis errechnet. Diese Werte hat sie addiert und den Durchschnittspreis für die jeweilige Gesamtfallzahl ermittelt. Dies führt dazu, dass die Berücksichtigung der durchgehend höher als die Bestandsmieten liegenden Angebotsmieten je nach (zufälliger) Anzahl der Größe der Datensätze in der jeweiligen Wohnungsgrößenklasse unterschiedlich gewichtet worden sind. Ob dies mit der Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze vereinbar ist, bliebe zu klären. Obwohl die Daten der Bestandsmieten der Leistungsempfänger nach dem SGB II und SGB XII als nachfrage- und preisrelevanter Faktor in die Ermittlung der abstrakt noch angemessenen Quadratmetermiete für das einfache Segment einbezogen worden sind, haben Modifizierungen, insbesondere die Einbeziehung der Nachfragekonkurrenz nach preiswertem Wohnraum durch andere Niedrigeinkommensbezieher nicht stattgefunden (vgl. BSG Urteil vom 18.11.2014, B 4 AS 9/14 R, juris Rn. 23).
243. Im Falle einer fehlenden Schlüssigkeit des Konzeptes und der fehlenden Möglichkeit der Nachbesserung durch die Beklagte/deren Prozessbevollmächtigten wären mangels in rechtlich zulässiger Weise bestimmter abstrakter Angemessenheitsgrenzen die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft diesem Bedarf zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem Wohngeldgesetz
C.
26Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe liegen vor.
27D.
28Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).
29E.
30Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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