Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 15 SB 343/21 B
Tenor
Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 17.08.2021 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
1
Gründe:
2Die aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht gemäß § 4 Abs. 3 2. Teilsatz JVEG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Staatskasse, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat und über die der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache in der Besetzung durch drei Berufsrichter ohne ehrenamtliche Richter entscheidet (§ 4 Abs. 7 Satz 2 und 3 JVEG), ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die dem Antragsteller für seine Dolmetschertätigkeit bei der Untersuchung der Klägerin am 01.11.2021 zustehende Vergütung unter Anwendung von §§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 9 Abs. 5 Satz 1 JVEG in der ab dem 01.01.2021 geltenden Fassung des KostRÄG 2021 vom 21.12.2020 (BGBl I 3229) zu Recht antragsgemäß auf 431,59 Euro festgesetzt. Es ist dabei zu Recht davon ausgegangen, dass die Übergangsregelung des § 24 Satz 1 JVEG nicht zur Anwendung des bis zum 31.12.2020 geltenden Rechts führt, weil der Auftrag an den Antragsteller nicht bereits durch die Beweisanordnung vom 03.09.2020 bzw. deren Zugang oder die Ende November 2020 durch den Sachverständigen erfolgte Einbestellung des Antragstellers zu der Untersuchung der Klägerin, sondern erst bei der Untersuchung der Klägerin am 11.01.2021 erteilt worden ist. Der Senat schließt sich den überzeugenden Erwägungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss, die der ganz herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung entsprechen (vgl. z.B. OLG Stuttgart, Beschl. v. 06.10.1994 - 1 Ws 203/94 -, juris Rn. 2; Jahnke/Pflüger, JVEG, 28. Aufl. 2021, § 24 Rn. 4; Binz, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl. 2021, § 24 JVEG Rn. 3; Schneider, JVEG, 4. Aufl. 2021, § 24 Rn. 7; Simon/Pannen, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 24 JVEG Rn. 2 f.; Weber, in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, § 24 JVEG Rn. 4; Bleutge, in: BeckOK-Kostenrecht, Stand: 01.10.2021, § 24 JVEG Rn. 5) nach eigener Prüfung an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
3Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen Bewertung. Entgegen der Auffassung der beschwerdeführenden Staatskasse ist der Wortlaut von § 24 Satz 1 JVEG keinesfalls eindeutig in dem Sinne, dass bereits mit der Ladung des Dolmetschers zu einer mündlichen Verhandlung oder – bei der gerichtlichen Anordnung, dass die Untersuchung durch den mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragten Sachverständigen im Beisein eines Dolmetschers erfolgen soll, wie sie hier in der Beweisanordnung vom 03.09.2020 erfolgt ist – mit der Einbestellung des Dolmetschers durch den Sachverständigen zu der Untersuchung der Auftrag an den Dolmetscher erteilt wird. Unter der Erteilung eines Auftrags kann vielmehr zwanglos auch die verbindliche Aufforderung verstanden werden, die erforderliche Leistung zu erbringen. Dies geschieht bei einem Dolmetscher, der in einem gerichtlichen Termin oder während einer sachverständigen Untersuchung übersetzen soll, erst im Verhandlungstermin oder bei der konkreten Untersuchung, denn erst dann kann der Dolmetscher überhaupt die erforderliche Leistung erbringen. Damit besteht ein wesentlicher Unterschied zu mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens beauftragten Sachverständigen und zu mit der Übersetzung von Schriftstücken beauftragten Übersetzern, die mit ihrer Tätigkeit bereits mit Zugang (vgl. § 130 BGB) der gerichtlichen Aufforderung, ein Sachverständigengutachten oder eine Übersetzung anzufertigen, beginnen können und dies in der Regel auch sollen. Bei Dolmetschern ist demgegenüber die Ladung zu einem Verhandlungstermin oder die Einbestellung zu einem Untersuchungstermin durch den Sachverständigen lediglich Vorbereitungshandlung.
4Aus § 9 Abs. 5 Satz 2 und 3 JVEG, wonach einem Dolmetscher im Falle der Aufhebung eines Termins, zu dem er geladen war, unter bestimmten Voraussetzungen eine pauschale Ausfallentschädigung bis zur Höhe des Honorars für zwei Stunden zu gewähren ist, folgt nichts anderes. Bei der Ausfallentschädigung handelt es sich in der Sache um den Ersatz eines Vertrauensschadens, der dem Dolmetscher dadurch entstanden ist, dass er wegen des anberaumten Termins andere Aufträge nicht angenommen hat und deshalb Einkommensverluste erleidet. Der Ersatz eines Vertrauensschadens setzt aber nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht zwingend voraus, dass die Erbringung einer vergütungspflichtigen Tätigkeit bereits rechtsverbindlich (vertraglich) vereinbart oder (einseitig hoheitlich) angeordnet wurde. Entscheidend ist vielmehr, ob derjenige, dessen Vertrauen enttäuscht wurde, eine Grundlage für sein Vertrauen hatte, sein Vertrauen also schutzwürdig ist, z.B. - in zivilrechtlichen Beziehungen - weil er aufgrund des Verhaltens seines potentiellen Vertragspartners davon ausgehen durfte, dass es zum Vertragsschluss kommt. Eine solche Vertrauensgrundlage wird durch die Ladung eines Dolmetschers zu einem Termin gesetzt. Vor diesem Hintergrund lässt § 9 Abs. 5 Satz 2 und 3 JVEG ohne weiteres die Sichtweise zu, dass einem zu einem Termin geladenen Dolmetscher erst in dem Termin der Auftrag zur Leistungserbringung erteilt wird.
5Für die Annahme, dass der Auftrag an einen Dolmetscher, der in einem gerichtlichen Termin oder bei einer Untersuchung durch einen Sachverständigen dolmetschen soll, erst in dem Termin oder bei der Untersuchung erteilt wird, spricht vor allem der Sinn und Zweck von § 24 Satz 1 JVEG. Die Vorschrift dient der Vereinfachung und damit sowohl der Zweckmäßigkeit als auch der Rechtssicherheit (Weber, in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Aufl. 2021, § 24 JVEG Rn. 2). Dieser Zweck wird am ehesten erreicht, wenn man auf den gerichtlichen Termin oder den Tag der Untersuchung durch den Sachverständigen abstellt. Der entsprechende Tag ist in der Regel ohne weiteres, wie hier z.B. durch das Lesen der ersten Seite des Sachverständigengutachtens, feststellbar. Demgegenüber bedürfte es, wenn es um das Dolmetschen während einer sachverständigen Untersuchung geht, stets weiterer Ermittlungen, wenn man entsprechend der Auffassung der beschwerdeführenden Staatskasse darauf abstellen würde, wann der Dolmetscher zu der Untersuchung einbestellt wurde. Hierzu müsste, wie es im vorliegenden Fall auch erfolgt ist, stets der Sachverständige gesondert befragt werden. Es könnte sogar sein, dass der Zeitpunkt der Einbestellung des Dolmetschers durch den Sachverständigen im Nachhinein gar nicht mehr feststellbar ist, z.B. wenn die Einbestellung telefonisch erfolgt ist und weder der Sachverständige noch der Dolmetscher hierüber Aufzeichnungen geführt haben. Die Auffassung der beschwerdeführenden Staatskasse kann damit zu Problemen führen, die § 24 Satz 1 JVEG gerade vermeiden will.
6Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.
7Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG, § 177 SGG).
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