Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (5. Senat) - L 5 KR 48/05

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 11. März 2005 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben sich die Beteiligten für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für Behandlungspflege.

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Die 1945 geborene Klägerin lebt seit 1974 wegen einer geistigen Behinderung in einer Wohnstätte für Menschen mit einer geistigen Behinderung in K.. Sie ist Sozialhilfeempfängerin, insoweit zuständig ist die Beigeladene, und bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied versichert. Im Juli 2000 erlitt die Klägerin einen Schlaganfall mit der Folge eines erhöhten Betreuungsumfangs. Sie zog daher zum 30. August 2001 in das A.-Haus, eine Einrichtung der M.-Heime e.V. in K.. Bei der Einrichtung handelt es sich um eine nach § 43a Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI) anerkannte vollstationäre Einrichtung für behinderte Menschen.

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Die Klägerin erhielt vom 30. August 2001 bis 31. Juli 2003 sowie laufend seit 3. September 2003 Leistungen der Pflegestufe I. Die Pflegekasse übernahm 10 v. H. des nach § 93 Abs. 2 BSHG vereinbarten Heimentgelts, jedoch nicht mehr als 256,00 EUR monatlich, die Beigeladene die übrigen Unterbringungskosten im Rahmen der Eingliederungshilfe.

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Am 2. April 2003 ging bei der Beklagten eine Verordnung häuslicher Krankenpflege ab 29. März 2003 durch den Hausarzt der Klägerin J. V. wegen u. a. Unterschenkelödemen, Herzinsuffizienz, Hypertonus zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung ein. Notwendig sei das Anlegen von Kompressionsverbänden einmal täglich siebenmal die Woche. Die Leistungen wurden durch Pflegekräfte des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) erbracht, die die Klägerin täglich aufsuchten. Die gesamten Kosten belaufen sich für die streitige Zeit von März 2003 bis August 2003 auf insgesamt 1.262,80 €.

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Mit Bescheid (ohne Rechtsmittelbelehrung) vom 4. April 2003 lehnte die Beklagte erstmals eine Kostenübernahme ab. Seit 30. August 2001 übernehme ihre Pflegekasse u. a. die medizinischen Behandlungspflegekosten. Mit Bescheid vom 21. August 2003 wiederholte die Beklagte nach Eingang weiterer Verordnungen ihre ablehnende Entscheidung. Häusliche Krankenpflege dürfe nur verordnet werden, wenn diese im eigenen Haushalt erbracht werde. Daran fehle es hier. Hiergegen legte die Betreuerin der Klägerin (Aufgabenkreis Gesundheitssorge) Widerspruch ein. Die Kosten der Behandlungspflege seien sehr wohl zu erstatten. Die im Heimvertrag vereinbarten Leistungen enthielten gerade keine medizinische Behandlungspflege. Diese könne die Einrichtung gar nicht erbringen, so dass im Bedarfsfall externe Hilfe hinzugezogen werden müsse. Auf entsprechende Bitte der Beklagten legte die Klägerin eine Leistungsvereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG sowie den Heimvertrag "für vollstationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe (BSHG)" vor. Die Beklagte blieb bei ihrer Auffassung und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 5. März 2004 zurück. Zwar werde die medizinische Notwendigkeit der Behandlungspflege nicht angezweifelt und die Verordnung entspreche auch den Richtlinien, es sei aber keine eigenständige Haushaltsführung gegeben. Die Klägerin bewohne zusammen mit einer anderen Frau ein Zweibettzimmer. Dieses sei durch die Einrichtung möbliert. Die Wartung, Instandhaltung und Reinigung der Zimmer werde durch die Einrichtung sichergestellt. Die Versorgung mit Heizung sowie Kalt- und Warmwasser erfolge durch die Einrichtung. Die Verpflegung sei vertragsgemäß von der Einrichtung in Form einer Vollversorgung sichergestellt. Es gebe keine Unterteilung in Miet- und Versorgungsvertrag, sondern einen Heimvertrag. Die Verantwortung für die Haushaltsführung und den Lebensalltag liege allein bei der Einrichtung und nicht beim Bewohner. In den Leistungen der Pflegeversicherung seien die Kosten für die medizinische Behandlungspflege mit inbegriffen.

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Die Klägerin hat am 5. April 2004 beim Sozialgericht Kiel Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen: Das Wohnheim, in dem sie lebe, sei eine Einrichtung der Eingliederungshilfe. Dort stehe ihr ein behindertengerechtes Zimmer mit eigenen Möbeln zur Verfügung. Nach dem Heimvertrag gewähre ihr das Heim als Leistung Unterkunft, Verpflegung, Betreuung und die Bereitstellung von betriebsnotwendigen Anlagen. Nicht umfasst hingegen seien pflegerische oder ärztliche Leistungen. Dazu regele § 2 Abs. 5 des Heimvertrages, dass im Bedarfsfall die Einrichtung den Bewohnern unter Beachtung der freien Arztwahl ärztliche Hilfe vermittele. Die Pflege durch die DRK-Sozialstation sei notwendig gewesen, weil im Wohnheim ausschließlich pädagogisches Personal eingesetzt werde. Es handele sich um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe im Sinne von § 71 Abs. 4 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI), also gerade nicht um eine Pflegeeinrichtung. In dem Wohnheim habe sie, die Klägerin, ihren eigenen Haushalt. Darunter werde allgemein die private Lebens- und Wirtschaftsführung verstanden. Bei der Auslegung des Begriffs Haushalt solle weiterhin das Gebot versichertenfreundlicher Auslegung berücksichtigt werden. Die Beklagte verkenne, dass den Einrichtungen der Eingliederungshilfe eine Sonderstellung zukomme, wie sich aus § 43a SGB XI bezüglich der Leistungen für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe ergebe. § 43a SGB XI sei eingeführt worden, weil behinderte Pflegebedürftige, die sich in vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe befänden und dort auch in pflegerischer Hinsicht betreut würden, nicht in der Weise ausgegrenzt werden sollten, dass ihnen Leistungen der Pflegeversicherung überhaupt nicht zustehen könnten. Eine solche gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) verstoßende Benachteiligung Behinderter ergebe sich im Rahmen der Krankenversicherung in ähnlicher Weise, wenn man dort die Leistung der Behandlungspflege unter Hinweis auf den Aufenthalt in einer Einrichtung zur Eingliederungshilfe verweigere. Da eine dem § 43a SGB XI entsprechende Regelung im SGB V fehle und eine Benachteiligung Behinderter gegen das GG verstoße, werde nur eine weite Auslegung des Begriffs des Haushalts den Vorgaben der Verfassung gerecht. Daher könne die Behandlungspflege jedenfalls nicht deshalb versagt werden, weil der Versicherte in einer vollstationären Einrichtung der Eingliederungshilfe lebe. Soweit die Beklagte die Ablehnung der Behandlungspflege damit begründe, dass die Klägerin Leistungen der Pflegeversicherung erhalte, übersehe sie, dass gemäß § 13 Abs. 2 SGB XI gerade die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt blieben.

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Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung die Leiterin der Behinderteneinrichtung Frau O. über die Einrichtung angehört. Mit Urteil vom 11. März 2005 hat es der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Der Begriff des Haushalts sei weit auszulegen. Er diene zur Abgrenzung gegenüber der Krankenhauspflege. Durch das Tatbestandsmerkmal "eigener Haushalt" solle nur vermieden werden, dass es zur Doppelleistung von Behandlungspflege in vollstationären Krankenpflegeeinrichtungen komme, da diese Einrichtungen solche Leistungen ohnehin erbrächten. Der Anspruch auf Kostenübernahme für die medizinische Behandlungspflege sei nicht durch § 43a Abs. 1 SGB IX ausgeschlossen. Diese Regelung umfasse nur diejenigen Aufwendungen der medizinischen Behandlungspflege, die gleichzeitig mit verursachend für den anerkannten Pflegebedarf seien.

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Gegen das ihr am 5. April 2005 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, eingegangen beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht am 29. April 2005. Zur Begründung trägt die Beklagte vor: Sie sei weiterhin der Auffassung, dass die Kosten der Behandlungspflege durch die bezogenen Leistungen nach § 43a Abs. 1 SGB XI als abgegolten gelten. Eine weitere Vergütung der medizinischen Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V hätte eine Doppelleistung zur Folge.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 11. März 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung der Beklagten diene die Pauschalzahlung der Pflegekasse im Sinne des § 43a SGB XI lediglich der Abgeltung der dort in Abs. 2 genannten Leistungen. Leistungen der medizinischen Behandlungspflege würden durch Zahlungen nach dieser Vorschrift jedoch nur insoweit abgegolten, als sie aus der Tatsache der Pflegebedürftigkeit resultierten. Diese Einschränkung solle erkennbar verhindern, dass Leistungen der medizinischen Behandlungspflege dort erbracht würden, wo diese Leistungen bereits vorgehalten würden und somit ein zusätzlicher Bedarf nach diesen Leistungen nicht bestehe. Dies sei jedoch bei der Einrichtung nicht der Fall, in der die Klägerin in ihrem eigenen Haushalt lebe. Die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BSG vom 1. September 2005 (B 3 KR 19/04), wonach ein eigener Haushalt nur dann vorliege, wenn der Betroffene die Kosten der Lebens- und Wirtschaftführung im Wesentlichen selbst trage, überzeuge nicht. Die Frage der Kostentragung sei ein untaugliches Abgrenzungskriterium. So würden z. B. Sozialhilfe- bzw. Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II) die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen ebenfalls nicht selbst tragen. Gleichwohl sei § 37 Abs. 2 SGB V auf sie anzuwenden. Maßgebend sei nämlich nicht, wer im Hintergrund die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung übernehme, sondern ob im konkreten Fall die betreffende Person selbst es sei, die ihr Leben innerhalb der von ihr bewohnten Räume bestimme. Bei der Klägerin sei das der Fall.

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Soweit das BSG auf einen Anspruch gegen den zuständigen Sozialhilfeträger hinweise, beantrage sie

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die Beigeladene zu verpflichten, die Kosten für die Behandlungspflege der Klägerin zu übernehmen.

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In diesem Zusammenhang weise sie darauf hin, dass sie bereits beim Sozialamt die Übernahme der Behandlungskosten beantragt habe. Dazu hat die Klägerin ihren Antrag vom 9. Mai 2003, gerichtet an die Beigeladene, vorgelegt sowie deren ablehnenden Bescheid vom 26. Mai 2003. Über ihren Widerspruch sei bisher nicht entschieden worden. Unabhängig von der Kritik an dem Urteil des BSG sei auf § 43 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) hinzuweisen, wonach die Beklagte als durch die Klägerin zuerst angegangene Leistungsträgerin zur vorläufigen Übernahme der Kosten verpflichtet gewesen sei. Die in der Vorschrift bestimmte Vorläufigkeit der Leistung stehe einer Verurteilung der Beklagten insoweit nicht entgegen, da die Zahlungen an die Betroffene nach Klärung des Zuständigkeitsstreits von dieser etwa nicht zurückzuzahlen seien, sondern durch den vorläufig verpflichteten Leistungsträger nur im Wege eines Erstattungsanspruchs bei dem eigentlich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger geltend gemacht werden könnten.

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Der beigeladene Sozialhilfeträger schließt sich den Ausführungen der Klägerin an. Die enge Auslegung des Begriffs "in ihrem Haushalt" im Sinne des § 37 Abs. 2 SGB V hätte zur Folge, dass Menschen, die auf Grund ihrer Behinderung nicht in der Lage seien, in einer eigenen Wohnung zu leben, benachteiligt würden. Dies werde dem Regelungswunsch der Vorschrift nicht gerecht. Dem BSG sei daher in seiner Entscheidung vom 1. September 2005 nicht zu folgen.

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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten verwiesen.

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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zutreffend hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden eine Leistungspflicht gegenüber der Klägerin abgelehnt. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Grundlage des geltend gemachten Anspruchs der Klägerin ist § 13 Abs. 3 SGB V, da die Leistung bereits erbracht und die Kosten der Klägerin von dem DRK in Rechnung gestellt wurden. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse die für die Versicherte für eine selbst beschaffte Leistung entstandenen Kosten zu erstatten, wenn die Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde und notwendig war. Voraussetzung des Kostenerstattungsanspruchs bzw. Übernahmeanspruchs ist dabei, dass die Klägerin einen entsprechenden Sachleistungsanspruch hatte. Das ist nicht der Fall.

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Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlungspflege bei der Klägerin wird von der Beklagten nicht angezweifelt. Auch die Ordnungsgemäßheit der Verordnung der häuslichen Krankenpflege ist unstreitig. Zutreffend lehnt die Beklagte eine Kostenübernahme gleichwohl mit dem Hinweis darauf ab, dass die Klägerin weder über einen eigenen Haushalt verfüge noch bei ihrer Familie lebe. Letzteres ist zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig.

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Haushalt ist die häusliche wohnungsmäßige familienhafte Wirtschaftsführung (BSG SozR 2200 § 199 Nr. 3); dieser wird zum "eigenen Haushalt", wenn die Betreffende die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen selbst trägt (BSG, Urteil vom 1. September 2005 - B 3 KR 19/04 R -; SozR 2200 § 199 Nr. 3; SozR 3-2500 § 37 Nr. 5). Entscheidend danach ist, ob der Versicherten eine eigenständige und eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich ist. Aus dem Erfordernis des eigenen Haushalts ist zu schließen, dass bei einem Daueraufenthalt, wie z. B. derjenige der Klägerin in einer Einrichtung der Behindertenhilfe, ein Leistungsanspruch nur besteht, wenn keine umfassende Versorgung der Versicherten von der Einrichtung durchgeführt wird. Diese Ausnahme trifft auf die Klägerin nicht zu. Ihr Aufenthalt im Wohnheim fand nicht auf der Grundlage eines frei ausgehandelten und von ihr selbst finanziell getragenen Mietvertrages statt, sondern auf der Grundlage eines Heimvertrages für vollstationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Die Klägerin war auf Grund ihrer schweren Behinderung zur eigenverantwortlichen und selbstständigen Führung eines Haushalts nicht in der Lage. Derartige Verträge beruhen auf den Vorschriften des Heimgesetzes (HeimG). Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG sind Heime im Sinne dieses Gesetzes Einrichtungen, die dem Zweck dienen, ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner unabhängig sind sowie entgeltlich betrieben werden. Dementsprechend hat sich der Heimträger in § 2 des Heimvertrages verpflichtet, der Klägerin nicht nur Unterkunft zur Verfügung zu stellen, sondern auch Verpflegung und Betreuung im weiten Rahmen, wobei sich dieser an dem konkreten Bedarf der Bewohner ausrichtet. Dafür schuldet die Klägerin nach § 4 des Heimvertrages einen täglichen Pauschalsatz (zur Zeit des Vertragsschlusses am 16. Juli 2003 in Höhe von täglich 57,71 EUR) und keine alleinige Miete. Es handelte sich insgesamt damit in der streitigen Zeit nicht um ein reguläres Mietverhältnis, sondern um eine vom Beigeladenen getragene Maßnahme der Eingliederungshilfe nach §§ 39 ff. BSHG (jetzt §§ 53 ff. SGB XII). Damit fehlte es gleichzeitig an der für die häusliche Krankenpflege gemäß § 37 SGB V notwendigen eigenständigen und eigenverantwortlichen Wirtschaftsführung.

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Mit dieser Einschätzung folgt der erkennende Senat der Entscheidung des BSG vom 1. September 2005 (a. a. O.) und verweist zur weiteren Begründung auf diese. Die gegen dieses Urteil seitens der Klägerin erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Der Hinweis auf Sozialhilfe- bzw. Alg II-Empfänger verkennt, dass bei diesen Personen die Unterbringung nicht auf Grund eines Heimvertrages nach dem HeimG mit den entsprechenden zusätzlichen Betreuungsleistungen erfolgt, sondern auf Grund eines Mietvertrages. Denn die gerade damit verbundene umfassende Betreuungsleistung der Klägerin begründet die Nähe zur stationären Unterbringung und stellt damit den Ausschluss der eigenen Haushaltsführung dar.

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Der Senat stimmt auch der Auffassung des BSG zu, dass der Ausschluss von Bewohnern einer Einrichtung der Behindertenhilfe von der häuslichen Krankenpflege nicht verfassungswidrig ist. Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz oder gegen das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG vor. Denn der Gesetzgeber verfügt über einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung der Frage, welche Lebensrisiken er mit bestimmten sozialen Leistungen absichert und welche nicht. Das Tatbestandsmerkmal "eigener Haushalt" stellt kein sachfremdes oder systemwidriges Abgrenzungskriterium für die Behandlungspflege nach § 37 SGB V dar.

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Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Klägerin, die Beklagte könne zur vorläufigen Leistungserbringung gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I verpflichtet werden. Denn die Klägerin hat bei der Beklagten keinen entsprechenden Antrag gestellt. Nur in dem Fall verdichtet sich jedoch der Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 43 Abs. 1 Satz 2 zu einem (einklagbaren) Rechtsanspruch (siehe auch Urteil des erkennenden Senats vom 26. April 2006 - L 5 KR 143/04).

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Ob die Klägerin, wie sie in ihrer Berufungsbegründung meint, einen Anspruch gegen die Beigeladene hat, weil es sich gemäß den §§ 53 Abs. 1, 55 Satz 1 SGB XII um Kosten, die im Zusammenhang mit der gewährten Eingliederungshilfe zu übernehmen seien, handele, kann dahingestellt bleiben. Denn der Senat sieht sich nicht berechtigt, die Beigeladene zur Leistung zu verurteilen. Eine solche Verurteilung ermöglicht insbesondere nicht § 75 Abs. 5 SGG. Danach kann ein Versicherungsträger oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung verurteilt werden. Diese Vorschrift findet jedoch auf den Sozialhilfeträger keine Anwendung, wie der Senat in der bereits zitierten Entscheidung vom 26. April 2006 entschieden hat.

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Schon der Wortlaut der Vorschrift steht einer Verurteilung des Sozialhilfeträgers entgegen. Bei ihm handelt es sich nämlich weder um einen Versicherungsträger, da die Eingliederungshilfe als Sonderform der Sozialhilfe keine Versicherungsleistung ist, noch geht es um eine Angelegenheit des sozialen Entschädigungsrechts. Sinn und Zweck der Vorschrift gebietet nach Auffassung des Senats nicht, die Vorschrift erweiternd auf Angelegenheiten der Sozialhilfe, für die die Sozialgerichtsbarkeit seit 1. Januar 2005 zuständig ist, zu erweitern. Das BSG hat in der von der Klägerin zitierten Entscheidung vom 26. Oktober 2004 (B 7 AL 16/04 R) die Frage der analogen Anwendung dieser Vorschrift ausdrücklich offen gelassen. Der Ausnahmecharakter des § 75 Abs. 5 SGG steht jedoch einer erweiternden Auslegung auf die Sozialhilfe entgegen. In § 75 Abs. 5 SGG wird nämlich von der Regel abgewichen, dass nur Beklagte verurteilt werden können, nicht aber ein anderer Verfahrensbeteiligter, und damit grundsätzlich auch nicht ein Beigeladener (Keller/Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 75 Rn. 18 ff.). Darüber hinaus wird in § 75 Abs. 5 SGG von der grundsätzlichen Verpflichtung abgewichen, dass eine Behörde vor der Verurteilung zunächst die Leistungsgewährung im Rahmen eines Vorverfahrens überprüft (§ 78 SGG). Vielmehr ermöglicht sie, ohne vorherige Bescheidung durch die Beigeladene diese zur Leistung zu verurteilen. Als damit "doppelte" Ausnahmevorschrift ist § 75 Abs. 5 SGG eng auszulegen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde daher eine entsprechende Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG nur in wenigen Ausnahmefällen angenommen.

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Darüber hinaus fehlt es nach Auffassung des Senats an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat durch das 7. SGG-ÄndG vom 9. Dezember 2004 eine Vielzahl von Vorschriften im SGG im Hinblick auf die Zuständigkeiten für das SGB II und SGB XII geändert. § 75 Abs. 5 SGG ist jedoch nicht neu gefasst worden. Aus diesem Grund hält es der Senat nicht für zulässig, den Ausnahmecharakter der Vorschrift zu vernachlässigen und von ihrem eindeutigen Wortlaut abzuweichen (so auch Beschluss des 9. Senats des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. November 2005 - L 9 B 268/05 SO ER und vom 14. November 2005 - L 9 B 260/05 SO/ER).

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Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183, 193 SGG.

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Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Denn die Frage der analogen Anwendung des § 75 Abs. 5 SGG auf Sozialhilfeträger ist höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.


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