Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (7. Senat) - L 7 R 187/07

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. September 2007 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach einem Versicherten hat, der während des ersten Ehejahres verstorben ist.

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Die erste Ehe der am 7. Mai 1956 geborenen Klägerin endete aufgrund des Todes des Ehemannes und die zweite Ehe der Klägerin durch Ehescheidung im Jahre 1998. Im Laufe des Jahres 1998 lernte die Klägerin den Versicherten Herrn B. K. kennen, den sie im April 2000 in ihren Haushalt aufnahm und mit ihm eine eheähnliche Lebensgemeinschaft führte. In dem Haushalt lebten außerdem drei Kinder der Klägerin aus der geschiedenen Ehe. In der Zeit von etwa Januar oder Februar 2002 bis März 2003 lebte außerdem die pflegebedürftige Mutter des Versicherten in dem Haushalt. Sie verstarb im April 2004.

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Im Juli des Jahres 2004 wurde bei dem verstorbenen Versicherten ein Adenokarzinom diagnostiziert. Bei einer Operation am 15. Juli 2004 wurde eine Metastase in Höhe des Brustwirbelkörpers (BWK) 8 entfernt. Eine anschließend durchgeführte ausgedehnte Suche nach dem Primärtumor blieb erfolglos. Bei einer ambulanten Vorstellung des Versicherten im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein am 15. September 2004 wurden eine spinale Metastasierung (BWK 7, 8 und 9) sowie eine suspekte Läsion im Bereich des linken Oberlappens sowie im Bereich der Leber diagnostiziert. Während des stationären Aufenthalts des Versicherten in der Zeit vom 28. September bis zum 11. Oktober 2004 kam es unter Therapie zu einem Fortschreiten der Erkrankung („Progress unter Radiatio“), und im Entlassungsbericht des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 14. Oktober 2004 zu der strahlentherapeutischen Behandlung des verstorbenen Versicherten in der Zeit vom 31. August 2004 bis zum 5. Oktober 2004 wurde mitgeteilt, dass der Versicherte von den Kollegen der Medizinischen Klinik I in der Klinik für Strahlentherapie und Nuklearmedizin des Universitätsklinikums Lübeck mit der Frage nach einer palliativen Bestrahlung der Metastasen der Brustwirbelsäule vorgestellt worden sei. Nach Resektion einer Adenokarzinommetastase im Bereich der Brustwirbelsäule bestehe die Indikation zur palliativen Radiatio. Anschließend wurde die Behandlung des Versicherten bis zum 11. Oktober 2004 in der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein fortgeführt. Der Versicherte, der die Klägerin bereits in den vorangegangenen Jahren des Zusammenlebens wiederholt gefragt hatte, ob sie ihn nicht heiraten wolle und der auch beim Vater der Klägerin um die Hand der Tochter angehalten hatte, wandte sich während dieser Krankenhausbehandlung mit einer telefonischen Kurznachricht (SMS) erneut an die Klägerin mit der Bitte, ihn zu heiraten. Daraufhin begab sich die Klägerin an einem der beiden folgenden Tage zum Standesamt, um einen Termin für die Eheschließung in etwa 14 Tagen zu vereinbaren. Als Termin für die Eheschließung wurde auf Wunsch des Versicherten der 22. Oktober 2004 festgelegt. Nach der Eheschließung wurde die palliative Behandlung des Versicherten fortgesetzt und eine Chemotherapie durchgeführt. Auf Wunsch des Versicherten und seiner Ehefrau wurde der Versicherte aus einem weiteren stationären Aufenthalt im März 2005 aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen, wo er nach etwa einer Woche am 24. März 2005 verstarb.

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Am 7. April 2005 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Hinterbliebenenrente nach dem verstorbenen Versicherten. Die Beklagte zog die den Versicherten betreffenden Verwaltungsvorgänge bei. Nach deren Auswertung lehnte sie den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 25. Mai 2005 mit der Begründung ab, dass der Gesetzgeber das Vorliegen einer Versorgungsehe unterstelle, wenn ein Ehegatte innerhalb eines Jahres versterbe. Diese gesetzliche Vermutung könne zwar widerlegt werden. Nach Würdigung des Sachverhalts müsse hier jedoch von einer Versorgungsehe ausgegangen werden. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass der Versicherte sie bereits im Jahre 2002 habe heiraten wollen, dass sie dazu aber noch nicht bereit gewesen sei, weil sie die vorangegangene Scheidung noch nicht voll verarbeitet gehabt habe. Im Mai des Jahres 2004 habe sie sich zur Heirat entschlossen. Ein fester Heiratstermin sei jedoch noch nicht abgesprochen worden, da die Mutter des Versicherten im April 2004 überraschend verstorben sei. Erst danach am 15. Juli 2004 habe sich herausgestellt, dass der Versicherte an einem bösartigen Tumor leide und dass eine Krebstherapie durchgeführt werden müsse. Auch zum Zeitpunkt der Hochzeit am 22. Oktober 2004 seien sowohl sie als auch der Versicherte davon ausgegangen, dass eine erfolgreiche Behandlung durchgeführt werde. Die behandelnden Ärzte hätten ihr nach der Operation erklärt, der Eingriff sei gut verlaufen. Im Januar 2005 sei ihr von den behandelnden Ärzten im Krankenhaus erstmalig mitgeteilt worden, dass ihr Ehemann nicht mehr lange leben werde. Darauf holte die Beklagte eine Stellungnahme ihres ärztlichen Prüfdienstes ein, der zu der Auffassung gelangte, dass den ärztlichen Unterlagen keine Hinweise auf eine positive Prognose bezüglich der Tumorerkrankung zu entnehmen seien. Die Progredienz der Erkrankung sei bereits im Bericht vom 15. September 2004 beschrieben worden. In den Unterlagen fänden sich keine Hinweise, in welchem Umfang und wie seine damalige Partnerin, die Klägerin, über die Erkrankung und Prognose aufgeklärt worden sei. Außerdem holte die Beklagte eine Auskunft zu den ehemaligen Meldeanschriften der im April 2004 verstobenen Mutter des Versicherten ein.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten habe weniger als ein Jahr gedauert. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Hinterbliebenenrente, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt sei, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Die Regelung solle einem Missbrauch der Ehe vorbeugen und manipulierte Folgen verhindern. Die Vermutung sei nur dann widerlegt, wenn die Abwägung aller zur Eheschließung führenden Motive beider Ehegatten ergebe, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, dem Hinterbliebenen eine Versorgung zu verschaffen. Dabei seien sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, die einen Schluss auf den Zweck der Ehe zuließen. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast habe der hinterbliebene Ehegatte die besonderen Umstände für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung darzulegen und zu beweisen. Als besondere Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprächen, seien anzusehen:

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- plötzlicher unvorsehbarer Tod,

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- Heirat zur Sicherung der erforderlichen Betreuung/Pflege des anderen Ehegatten, wenn der Tod des Ehegatten auf absehbare Zeit nicht zu erwarten war,

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- die tödlichen Folgen einer Krankheit waren bei der Eheschließung nicht vorhersehbar,

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- Nachholung einer gültigen deutschen Trauung durch hier in ungültiger - nach ausländischem Recht gültiger - Ehe lebende Ausländer,

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- Vorhandensein gemeinsamer leiblicher minderjähriger Kinder bzw. Schwangerschaft,

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- Erziehung eines minderjährigen Kindes des verstorbenen Versicherten durch den Hinterbliebenen.

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Maßgebend seien die Umstände des Einzelfalles. Hier sei nach dem Ergebnis der sozialmedizinischen Beurteilung davon auszugehen, dass sowohl der Klägerin als auch dem verstorbenen Versicherten zum Zeitpunkt der Heirat der lebensbedrohende Charakter der Krebserkrankung bekannt gewesen sein müsse. Der Verlauf der Krankheit des verstorbenen Ehegatten widerlege nicht die Vermutung einer Versorgungsehe. Es sei nicht zu erkennen, dass es sich bei der Eheschließung am 22. Oktober 2004 um die konsequente Verwirklichung eines seit langem bestehenden und verfestigten Heiratsentschlusses gehandelt habe, ohne dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, der Klägerin durch eine formelle Legalisierung der jahrelangen Beziehung eine Versorgung zu verschaffen.

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Dagegen hat sich die Klägerin mit der am 31. Januar 2006 erhobenen Klage gewandt, zu deren Begründung sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft hat. Ihr verstorbener Ehemann habe ihr bereits seit dem Jahr 2000 immer wieder Heiratsanträge gemacht und auch im Beisein der Kinder offiziell um ihre Hand angehalten. Im Mai 2004 sei sie dann bereit gewesen, den Versicherten zu heiraten. Allerdings sei ein fester Termin nicht abgesprochen worden, da die Mutter des Versicherten im April 2004 verstorben sei. Sie habe die Mutter des Versicherten in der Zeit bis etwa April 2004 (offenbar gemeint: April 2003) für ein Jahr gepflegt. Dann habe die Demenz der Mutter des Versicherten derart zugenommen, dass die Betreuung habe abgegeben werden müssen. Auch die Übernahme der Pflege zeige, dass von einer reinen Versorgungsehe nicht ausgegangen werden könne. Weder sie noch ihr Ehemann seien vor der Hochzeit am 22. Oktober 2004 über den Gesundheitszustand und die Prognose aufgeklärt worden. Ihre Tochter C. habe sie praktisch bei jedem Besuch im Krankenhaus begleitet. Ihr Ehemann habe ihr und ihrer Tochter jedes Mal erklärt, dass man ihm keine Auskünfte zu seiner Erkrankung erteile. Man habe sie vertröstet und ihr erklärt, man müsse weitere Untersuchungen durchführen. Ein offenes und klärendes Gespräch sei nicht einmal bei der letzten Entlassung des Ehemanns aus dem Krankenhaus erfolgt. Als man ihr schließlich erklärt habe, dass geplant sei, ihren Mann in ein Hospiz zu überweisen, habe sie darauf bestanden, dass ihr Ehemann nach Hause komme. Auch bei der Entlassung sei ihr nicht gesagt worden, dass ihr Ehemann in kurzer Zeit sterben würde. Eine Woche nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sei ihr Ehemann gestorben. Zum Zeitpunkt der Heirat sei ihr über aufgetretene Metastasen nichts bekannt gewesen, und der Versicherte habe sich nach der Strahlenbehandlung körperlich gut gefühlt.

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Die Klägerin hat beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Aufhebung der Bescheide vom 25. Mai 2005 und vom 12. Januar 2006 eine Witwenrente aus der Versicherung ihres am 24. März 2005 verstorbenen Ehemannes B. K. zu gewähren.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat sich auf die Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides bezogen.

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Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 4. September 2007 die Tochter der Klägerin, C. Ba., als Zeugin zu den Umständen der Heirat vernommen. Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Als besondere Umstände, die zur Widerlegung der Vermutung der Versorgungsehe herangezogen werden könnten, seien zu berücksichtigen:

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- Dauer der zuvor bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft,

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- Heiratsabsicht vor Ausbruch der Krankheit als Plan für die Zukunft,

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- Versuch, neuen Lebensmut und Motivation zu geben im Kampf gegen den Krebs; Demonstration der Zusammengehörigkeit und Unterstützung,

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- ausreichende eigene Versorgung des Hinterbliebenen.

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Für die Widerlegung genüge, dass beide Partner eine dauerhafte Beziehung mit Heiratsabsicht aufgebaut hätten, die gerade nicht auf gegenseitige Versorgungsansprüche ausgerichtet sei. Dass zum Zeitpunkt der Eheschließung der Tod des Versicherten in absehbarer Zeit zu erwarten sei, sei dann unschädlich. Die Kammer gehe davon aus, dass der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann die ungünstige und tödliche Prognose der Krebserkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung am 22. Oktober 2004 nicht bekannt gewesen sei. Letztlich könne dies jedoch dahinstehen, weil die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung auch bei Kenntnis der Ehepartner nicht ausgeschlossen sei. Es lägen besondere Umstände vor, die gegen das Überwiegen der Versorgungsabsicht sprächen. Die hier vorliegende länger andauernde nichteheliche Lebensgemeinschaft und die Heiratsabsicht lange vor dem Ausbruch der Krebserkrankung des Versicherten reichten zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Versorgungsehe aus und zwar erst recht, wenn nicht festgestellt werden könne, dass die Klägerin und der Versicherte über die tödliche Prognose der Krebserkrankung informiert gewesen seien.

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Gegen das ihr am 12. Oktober 2007 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 22. Oktober 2007 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt: Die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI, nach der beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war, werde entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht widerlegt. Nach den Daten im Versicherungsverlauf sei davon auszugehen, dass der verstorbene Versicherte vor seinem Tod zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der Klägerin beigetragen habe. Die Zahlung einer Hinterbliebenenrente an die Klägerin würde zumindest die Deckung eines gewissen Grundbedarfs garantiert haben. Die Auffassung des Sozialgerichts, dass die langjährig bestehende Beziehung der Klägerin mit dem Versicherten dem alleinigen oder überwiegenden Versorgungsgedanken entgegenstehe, werde nicht geteilt. Ein langjähriges eheähnliches Zusammenleben unterstreiche vielmehr die Rechtsvermutung, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck sei, der späteren Witwe eine Versorgung zu verschaffen, da einem langjährigen Zusammenleben „ohne Trauschein“ die bewusste Entscheidung zugrunde liege, eben nicht zu heiraten. Letzteres gelte umso mehr, wenn nach jahrelangem Zusammenleben „ohne Trauschein“ nach dem Bekanntwerden einer zum Tode führenden Erkrankung des Partners geheiratet werde. Dabei komme es nicht entscheidend darauf an, ob dem Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung die konkret begrenzte Lebenserwartung noch nicht bekannt gewesen sei. Aus den vorliegenden medizinischen Befunden ergebe sich, dass beim Versicherten ab Juni 2004 Schmerzen aufgetreten seien, deren Ursache nicht festzustellen gewesen sei. Ein stationärer Aufenthalt im Universitätsklinikum Lübeck vom 13. Juli bis zum 26. Juli 2004 habe schließlich Aufschluss darüber gegeben, dass die Schmerzen durch eine Metastase verursacht worden sei. Der ursprüngliche Herd der Erkrankung sei zunächst nicht festzustellen gewesen. Daraufhin sei im Juli 2004 eine Resektion der Metastase erfolgt. Trotz eines weiteren stationären Aufenthalts im Zeitraum vom 29. Juli bis zum 7. August 2004 habe die Ursache der Metastase zunächst nicht ermittelt werden können. Es habe sich eine weitere Strahlentherapie angeschlossen. Trotz laufender Behandlung sei ab September 2004 ein Progress der Erkrankung zu verzeichnen gewesen. So habe der behandelnde Hausarzt eine ab Anfang September eingetretene Verschlechterung beschrieben. Aus dem Bericht des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 14. Oktober 2004 über den Verlauf der strahlentherapeutischen Behandlung ergebe sich, dass „nun wohl eine anstehende palliative Chemotherapie“ zu erwarten sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei damit zu erwarten gewesen, dass nur noch eine rein krankheitsverzögernde bzw. -lindernde Therapie durchgeführt werden könne. Zumindest habe sich die medizinische Situation zu diesem Zeitpunkt als offen dargestellt. Die Annahme, dass sich die Eheleute über die grundsätzliche Lebensbedrohlichkeit des Zustandes des Versicherten nicht im Klaren gewesen wären, erscheine lebensfern. Auch wenn die Klägerin angebe, dass die Eheschließung bereits längerfristig geplant gewesen sei, sei festzustellen, dass konkrete Vorbereitungen für eine frühere Eheschließung nicht erfolgt seien. Eine allgemeine Heiratsabsicht reiche im vorliegenden Zusammenhang nicht aus. Unter diesen Umständen sei der Vollbeweis, dass die Ehe nicht aus Versorgungsgründen geschlossen worden sei, nicht zu führen, so dass die gesetzliche Vermutung des § 46 Abs. 2a SGB VI nicht widerlegt sei.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. September 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Senat hat Auskünfte des den verstorbenen Versicherten behandelnden Hausarztes Dr. W. vom 3. Juli 2008 und vom 8. Juli 2008 sowie der Assistenzärztin im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Dr. B., vom 21. Juli 2008 eingeholt. In der mündlichen Verhandlung am 19. August 2008 hat der Senat die Klägerin ausführlich befragt und die Tochter der Klägerin, C. Ba., zu den Umständen der Eheschließung des Versicherten mit der Klägerin als Zeugin vernommen.

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Die den verstorbenen Versicherten sowie die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf ihren Inhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts, mit dem die Beklagte zur Gewährung einer Hinterbliebenenrente verurteilt worden ist, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

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Gemäß § 46 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und eine der in § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB VI genannten Voraussetzungen erfüllt wird. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung besteht der Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente ab Vollendung des 45. Lebensjahres. Da der Versicherte vor dem 1. Januar 2012 verstorben ist, gilt diese Altersgrenze gem. § 242a Abs. 4 SGB VI in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung hier auch über den 31. Dezember 2007 hinaus.

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Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 SGB VI sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der verstorbene Versicherte hat die allgemeine Wartezeit erfüllt, die Klägerin hat nicht wieder geheiratet, und sie hatte bereits zum Zeitpunkt des Beginns der Witwenrente das 45. Lebensjahr vollendet. Das ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Gemäß § 46 Abs. 2a SGB VI besteht der Anspruch auf eine Witwenrente oder Witwerrente jedoch nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese Regelung ist durch Art. 1 Nr. 6. b) des Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens (AVmEG) vom 21. März 2001 (BGBl. I S. 403) eingefügt worden und gilt gemäß § 242a Abs. 3 SGB VI nur, wenn die Ehe - wie hier - ab dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde.

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Die gesetzliche Vermutung, nach der es sich bei Ehen, die nicht mindestens ein Jahr gedauert haben, um Versorgungsehen handelt, hat der Gesetzgeber aus entsprechenden Regelungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 65 Abs. 6 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII), im Recht der Kriegsopferversorgung (§ 38 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz - BVG) und dem Recht der Beamtenversorgung (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG) übernommen. Deshalb kann bei der Auslegung auch auf die zu den genannten Vorschriften ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Die gesetzliche Vermutung ist gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) nur durch den vollen Beweis des Gegenteils zu widerlegen. Der Vollbeweis erfordert zumindest eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit.

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Die gesetzliche Vermutung basiert auf einer Typisierung und bezweckt auch, dass zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts keine „unerfreulichen und im Ergebnis unsicheren Ausforschungen im Bereich der privaten Lebenssphäre“ vorgenommen werden müssen (BSG, Urt. v. 3. September 1986 - 9a RV 8/84 - BSGE 60, 204 = SozR 3100 § 38 Nr. 5; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22. Mai 2008 - L 21 R 39/05, veröffentl. in juris; Gürtner in: KassKomm., § 46 SGB VI Rz. 46c; Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsgesetz, § 38 Anm. 5.). Der Widerlegungstatbestand der „besonderen Umstände“ gebietet eine typisierende Betrachtungsweise (BSG, a.a.O.). Auf der anderen Seite sollen nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 28. März 1973 - 5 RKnU 11/71, BSGE 35, 272 = SozR Nr. 2 zu § 594 RVO) alle Umstände des Einzelfalles, die nicht schon von der Vermutung selbst erfasst sind und geeignet sind, einen Schluss auf den Zweck der Heirat zuzulassen, als besondere Umstände zu berücksichtigen sein. Welche Umstände danach geeignet sind, als „besondere Umstände“ die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe zu widerlegen, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt.

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Teilweise wird davon ausgegangen, dass eine länger dauernde nichteheliche Lebensgemeinschaft vor der Eheschließung als besonderer Umstand gegen die Versorgungsvermutung sprechen könne (vgl. Schl.-Holst. LSG, Urt. v. 7. März 2007 - L 8 R 207/06). Davon ist auch das Sozialgericht ausgegangen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass einer langjährig bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft auch eine bewusste Entscheidung für diese inzwischen gesellschaftlich weitgehend akzeptierte Form des Zusammenlebens zugrunde gelegen haben kann und dass unter diesen Umständen dem Entschluss, diese Form des Zusammenlebens zu beenden und eine Ehe einzugehen, das Motiv der Sicherung der Hinterbliebenenversorgung des überlebenden Partners zugrunde liegen kann (so auch Urteil des Schl.-Holst. LSG vom 21. März 2007 - L 8 R 112/06; Bayer. LSG, Urt. v. 2. Februar 1972 - L 2 U 98/70, Breith. 1972, S. 742).

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Der Senat geht mit der in Literatur und Rechtsprechung allgemein vertretenden Auffassung davon aus, dass als Umstand, der gegen eine Versorgungsehe sprechen kann, der unvorhersehbare plötzliche Tod des Versicherten, z. B. durch Unfall oder Verbrechen anzusehen ist (vgl. Kamprad in: Hauck/Noftz, SGB VI, K § 46 Rz. 38; Butzer in: GK-SGB VI, § 46 Rz. 113; Vogel in: DAngVers 2001, 434, 435; so ausdrücklich die Gesetzesbegründung zum Altersvermögensgesetz, BT-Drucks. 14/4595, S. 44). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass bei einer fehlenden Vorhersehbarkeit des baldigen Ablebens des Versicherten, die eine Vorplanung der Ehepartner ausschließt, die Vermutung nicht gerechtfertigt ist, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat in der Versorgung des überlebenden Partners zu suchen ist. Deshalb spricht auch das Vorliegen einer konkreten Heiratsabsicht bereits vor dem Auftreten einer lebensbedrohlichen Erkrankung gegen die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe. Entsprechendes gilt nach Auffassung des Senats, wenn die tödlichen Folgen einer Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht vorhersehbar waren oder den Ehepartnern nachweislich nicht bekannt waren. Die fehlende Kenntnis vom bevorstehenden Tod des Versicherten spricht bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise dagegen, dass die Versorgung nach dem Tod ausschlaggebend für die Motivation zur Eingehung der Ehe gewesen ist.

39

Im vorliegenden Fall kann eine übereinstimmende feste Absicht, die Ehe einzugehen, in der Zeit vor der Diagnose der Krebserkrankung des Versicherten im Juli 2004 nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Zwar haben sowohl die Klägerin als auch die als Zeugin vernommene Tochter glaubhaft angegeben, dass der Versicherte die Klägerin bereits Jahre vor der Eheschließung immer wieder gefragt habe, ob sie ihn heiraten wolle, und dass der bereits etwa im Jahr 2001 bei dem damals noch lebenden Vater der Klägerin förmlich um die Hand der Klägerin angehalten habe. Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin hat sie dies jedoch zunächst abgelehnt, weil sie ihre Scheidung aus dem Jahre 1998 noch nicht so weit verarbeitet hatte, dass sie sich auf eine neue Ehe einlassen konnte. Dass die Klägerin und ihr späterer Ehemann die Eheschließung bereits im Mai 2004 und damit vor der Diagnose der Krebserkrankung des Versicherten fest vereinbart hatten, konnte der Senat nicht feststellen. Die Angaben der Klägerin dazu in der mündlichen Verhandlung waren wenig konkret. Auf Nachfrage konnte sie nicht die Situation schildern, in der dieser Entschluss zustande gekommen ist und auch sonst keinerlei Einzelheiten zu einem entsprechenden Gespräch mit ihrem damaligen Lebenspartner angeben. Gegen die Angabe der Klägerin, dass der Entschluss zu heiraten bereits im Mai 2004 getroffen wurde, spricht auch die Angabe der Zeugin, dass die Klägerin Anfang Oktober 2004 eine telefonische Kurznachricht (SMS) ihres Lebenspartners mit der Bitte, ihn zu heiraten, erhalten habe, dass die Klägerin anlässlich dieser SMS noch einmal überlegt habe und dass die Zeugin ihr zugeraten habe, nun zu heiraten. Die Tatsache, dass die Klägerin Anfang Oktober 2004 noch unsicher war, ob sie den Versicherten heiraten solle und dass sie sich dazu erst entschlossen hat, nachdem ihr von der Tochter zugeraten wurde, spricht gegen einen festen Entschluss zur Eheschließung bereits im Mai 2004. Zudem hat die Zeugin glaubhaft erklärt, dass die Klägerin die Frage des Versicherten, ob sie ihn heiraten wolle auch schon lange vor Mai 2004 wiederholt mit „Ja“ beantwortet habe. Daraus sind aber offenbar keine unmittelbaren Konsequenzen gezogen worden. Dass auch im Mai 2004 noch kein Termin für eine Hochzeit vereinbart worden war und noch keinerlei Vorbereitungen für eine Hochzeit getroffen worden waren, hat auch die Klägerin eingeräumt. Unter diesen Umständen geht der Senat davon aus, dass es zu einem verbindlichen Entschluss der Klägerin, die Ehe mit dem Versicherten einzugehen, erst gegen Anfang des Monats Oktober 2004, etwa zwei Wochen vor der am 22. Oktober 2004 erfolgten Eheschließung, gekommen ist.

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Zu dem Zeitpunkt, als sich die Klägerin endgültig entschlossen hatte, den Versicherten zu heiraten, stand bereits fest, dass die Krebserkrankung das Leben des Versicherten in absehbarer Zeit beenden werde. Das ergibt sich aus dem Inhalt der vorliegenden medizinischen Befunde, die bereits durch Dr. C. in seiner prüfärztlichen Stellungnahme vom 2. September 2005 für die Beklagte nachvollziehbar ausgewertet worden sind, und wird durch die vom Senat eingeholten Berichte des behandelnden Hausarztes Dr. W. vom 3. Juli 2008 und vom 8. Juli 2008 sowie den Bericht der Assistenzärzte H. und Bb., Medizinische Klinik I - Hämatologie/Onkologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 21. Juli 2008 bestätigt. Ferner steht nach dem Inhalt der Berichte des Dr. W. vom 3. Juli 2008 und vom 8. Juli 2008 sowie dem Bericht der Ärzte des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 21. Juli 2008 fest, dass der Versicherte am 10. August 2004 durch seinen Hausarzt und auch wiederholt im Krankenhaus über seine Erkrankung aufgeklärt worden ist. Ihm ist mitgeteilt worden, dass er einen bösartigen Krebs habe, der auch bereits Metastasen gesetzt hatte und dass der Krebs sein Leben - keiner weiß wann - beenden werde. Bereits der behandelnde Hausarzt hat allerdings in seinen Schreiben vom 3. Juli 2008 und vom 8. Juli 2008 ausführlich geschildert, dass er Zweifel daran habe, ob der Versicherte in der Lage gewesen sei, dies mental zu erfassen. Er habe sich in diesem Zusammenhang sogar kollegial darüber ausgetauscht, ob es sich um das typische Krebsstadium der Verleugnung handele oder ob der Patient den Sachverhalt einfach mental nicht habe erfassen können.

41

Für die Beurteilung der Motivation des Versicherten zur Eheschließung kann - anders als bezogen auf die Klägerin - die Frage, ob ihm die Lebensbedrohlichkeit seiner Erkrankung zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt war, offen bleiben. Aufgrund der insoweit in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und glaubhaften Darlegungen sowohl der Klägerin als auch der vernommenen Zeugin steht fest, dass er die Klägerin bereits seit langem vor dem Zustandekommen der Eheschließung und auch lange vor dem Auftreten der Krebserkrankung heiraten wollte. Daran hat er in der Folge festgehalten und dies durch immer neue Anfragen an die Klägerin, ob sie ihn nicht heiraten wolle, dokumentiert. Unter diesen Umständen ist der Senat davon überzeugt, dass die Versorgungsabsicht jedenfalls bei dem verstorbenen Versicherten nachweislich nicht als überwiegendes Motiv für die Eheschließung angesehen werden kann.

42

Unter Zugrundelegung jedenfalls der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 27. Oktober 1966 - II C 32.64, BVerwGE 25, 221) ist die Vermutung der Versorgungsehe bereits widerlegt, wenn nachweislich für einen der Ehegatten die Absicht, dem Hinterbliebenen eine Versorgung zu verschaffen, nicht maßgebend war. Ob daran festzuhalten ist, kann dahingestellt bleiben, weil auch bei einer Gesamtbetrachtung unter gleichgewichtiger Berücksichtigung der Motive beider Ehepartner (in diese Richtung: BSG, Urt. v. 28. März 1973, a.a.O.) zur Überzeugung des Senats feststeht, dass die Versorgung der Klägerin nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war. Dabei geht der Senat davon aus, dass es auch im Rahmen der hier gebotenen typisierenden Betrachtung und unter Berücksichtigung des Ziels, Ausforschungen im Bereich der privaten Lebenssphäre zu vermeiden, nicht allein darauf ankommen kann, ob die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung objektiv feststand, sondern auch darauf, ob dies dem Partner, dessen Motivation zur Eheschließung beurteilt wird, zum Zeitpunkt der Eheschließung bekannt war. Zwar ist der Auffassung des 8. Senats des Landessozialgerichts aus seiner Entscheidung vom 21. März 2007 (a.a.O.) zuzustimmen, nach der es problematisch ist, auf die individuell sehr unterschiedliche und schwer belegbare Reaktion des Einzelnen zu der Kenntnis von einer lebensbedrohlichen Erkrankung abzustellen. Dies spräche dafür, in der bloßen Hoffnung oder Erwartung der Partner, eine unmittelbar lebensbedrohliche Erkrankung zu überstehen, keinen besonderen Umstand des Einzelfalles im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI zu sehen. Davon zu unterscheiden ist jedoch der Fall, dass dem Partner die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung und der in naher Zukunft bevorstehende Tod nicht bekannt ist. So liegt der Fall hier. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht nachvollziehbar dargelegt, dass sie vor der Eheschließung von keinem Arzt über die Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung und den in naher Zukunft zu erwartenden Tod ihres Ehemannes informiert worden ist und dass sie vor der Eheschließung auch bei keinem aufklärenden Gespräch, das der Versicherte mit dem Hausarzt geführt hat, zugegen war. Ihr damaliger Lebenspartner habe ihr erklärt, dass nach der im Juli 2004 durchgeführten Operation alles in Ordnung sei und dass die nachfolgende Strahlentherapie gewährleisten solle, „dass nichts Neues kommt“. Zu Gesprächen mit dem Hausarzt habe er sie unter Hinweis auf dessen ärztliche Schweigepflicht nicht mitgenommen. Dass die Erkrankung ihres Ehemannes sein Leben in naher Zukunft beenden werde, hat der Hausarzt des Versicherten der Klägerin nach ihrer glaubhaften Schilderung erst am 25. Oktober 2004 und damit drei Tage nach der Eheschließung mitgeteilt, als sie diesen allein aufgesucht hat, um für den Versicherten ein Rezept abzuholen. Zwar wusste die Klägerin bereits seit Juli 2004 aufgrund eines Anrufs des Ehemannes aus dem Krankenhaus und damit etwa drei Monate vor der Eheschließung, dass bei ihrem Ehemann eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war. Die bloße Kenntnis dieser Diagnose nötigt jedoch auch bei objektiver Betrachtung nicht zu der Annahme, dass mit dem Ableben in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Von dem in naher Zukunft bevorstehenden Tod ihres Lebenspartners ist die Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben auch zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht ausgegangen. Wenn die Darstellung des Versicherten zu seiner Erkrankung, auf deren Richtigkeit die Klägerin vertraut hat, zutreffend gewesen wäre, hätten nach Auffassung des Senats auch objektiv keine konkreten Anhaltspunkte für den absehbar bevorstehenden Tod des Versicherten vorgelegen. Auf die Frage, ob die Klägerin nach der vorliegenden medizinischen Situation „sicher erwartet haben“ konnte, dass ihr Mann die Krebserkrankung um mehr als 1 Jahr überleben werde (vgl. dazu LSG Schlesw.-Holst., Urt. vom 7. Dezember 2006 - L 1 R 99/06), kommt es nach Auffassung des Senats unter diesen Umständen nicht an.

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Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Versorgungsabsicht für den Heiratsentschluss des Versicherten nicht von überwiegender Bedeutung war, weil er die Klägerin bereits seit vielen Jahren heiraten wollte und dass ein sehr viel frühere Zustandekommen der Ehe allein an dem Zögern der Klägerin scheiterte. Bezogen auf die Klägerin steht der Annahme, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat in der Begründung der Hinterbliebenenversorgung bestanden haben könnte, entgegen, dass ihr zum Zeitpunkt der Eheschließung die unmittelbare Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung ihres Ehemannes nicht bekannt war. Aufgrund dieser Umstände sieht der Senat die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe nach § 46 Abs. 2a SGB VI als widerlegt an.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.


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