Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (11. Senat) - L 11 SF 89/11 SAB

Tenor

Das Gesuch der Klägerin, Richterin N... wegen Besorgnis der Befangenheit von der weiteren Mitwirkung im Verfahren S 21 AS 403/11 auszuschließen, wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage beim Sozialgericht Lübeck S 21 AS 403/11 gegen den Sanktionsbescheid des Beklagten vom 18. Februar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2011.

2

Vor Erlass des Sanktionsbescheids hatte der Beklagte der Klägerin am 11. Oktober 2010 einen Vermittlungsvorschlag betreffend eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung im Sinne des § 16d Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), als Mitarbeiterin im Antiquariat unterbreitet. Dieses Angebot hat sie nicht angenommen.

3

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, dass sie dieses Angebot aus verschiedenen Gründen nicht angenommen habe bzw. nicht habe annehmen können und dürfen. U. a. trägt sie sinngemäß vor, dass die Teilnahme an der Maßnahme ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht habe zugemutet werden können und der Vermittlungsvorschlag deshalb rechtswidrig gewesen sei. Aus dem vom Rentenversicherungsträger jüngst erstellten ärztlichen Gutachten ergebe sich, dass sie bestimmte Tätigkeiten, darunter solche an einem EDV-Arbeitsplatz, nicht ausführen dürfe. Das Gutachten schließe genau jene Tätigkeiten medizinisch aus, die der Beklagte für sie bei Beschäftigung im Antiquariat vorgesehen habe.

4

Der von der Klägerin beim Sozialgericht Lübeck zum Aktenzeichen S 27 AS 202/11 ER gestellte Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Sanktionsbescheid des Beklagten vom 18. Februar 2011 anzuordnen, war mit Beschluss vom 17. März 2011 abgelehnt worden.

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Mit gerichtlicher Verfügung vom 20. Oktober 2011 hat die für das Hauptsacheverfahren S 21 AS 403/11 zuständige Richterin N... die Klägerin aufgefordert, bis zum 11. November 2011 eine vollständige Kopie des in der Klageschrift angesprochenen rentenmedizinischen Gutachtens, wonach EDV-Arbeiten nicht ausgeführt werden dürften, zu übersenden. Zeitgleich hat die Richterin die Verwaltungsakten die Klägerin betreffend bei der Deutschen Rentenversicherung Bund angefordert und umgehend die Auskunft erhalten, dass die Klägerin zum Aktenzeichen S 14 R 399/11 beim Sozialgericht Lübeck ein Klageverfahren führe. Die entsprechenden Gerichtsakten hat die Richterin zum hiesigen Verfahren beigezogen. Anschließend hat Richterin N... am 31. Oktober 2011 den Hinweis erteilt, dass die Klage nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage keine Aussicht auf Erfolg habe. Zur Begründung hat sie zunächst auf den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschluss S 27 AS 603/11 ER – gemeint war wohl S 27 AS 202/11 ER - vom 17. März 2011 Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass das bisherige Vorbringen im Klageverfahren, insbesondere der Vortrag, sie – die Klägerin – hätte aus gesundheitlichen Gründen die angebotene Arbeitsgelegenheit nicht wahrnehmen können, zu keiner anderen Einschätzung führe. Ihr - der Klägerin – Vorbringen, das rentenmedizinische Gutachten habe festgestellt, dass sie Tätigkeiten an einem EDV-Arbeitsplatz nicht ausführen dürfe, entspreche nicht der Wahrheit. Insoweit werde darauf hingewiesen, dass ihr - der Klägerin - Vorgehen als strafrechtlich relevanter versuchter Prozessbetrug zu werten sein dürfe. Des Weiteren ist die Klägerin um Stellungnahme gebeten worden, ob sie die Klage angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten zurücknehme. Außerdem ist sie zur Möglichkeit der Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Insoweit ist Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt worden. Das Schreiben des Gerichts ist der Klägerin am 1. November 2011 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt worden.

6

Mit Schreiben vom 8. November 2011 beantragt die Klägerin, Frau Richterin N... wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Die Richterin habe entgegen ihrem Hinweis gemäß Verfügung vom 20. Oktober 2011, mit der ihr - der Klägerin - eine Frist zur Stellungnahme bis zum 11. November 2011 eingeräumt worden sei, bereits vor Ablauf dieser Frist am 31. Oktober 2011 einen richterlichen Hinweis erteilt, mit dem sie - die Klägerin - ohne rechtlich gehört worden zu sein, der Lüge bezichtigt werde. Außerdem drohe die Richterin ihr konkret mit Strafe, indem sie - die Richterin - ihr – der Klägerin – Vorgehen als Prozessbetrug werte. Durch die Verweigerung rechtlichen Gehörs sei die Richterin nicht mehr geeignet, ein unvoreingenommenes faires Verfahren zu gewährleisten. Der Versuch, sie - die Klägerin - zur Rücknahme der Klage zu bewegen, lasse an eine versuchte Nötigung denken. Hinsichtlich der Ausführungen zu den fehlenden Erfolgsaussichten der Klage habe die Richterin die weitere Klagebegründung unberücksichtigt gelassen. Auch dies spreche für eine Voreingenommenheit der Richterin.

7

Richterin N... hat am 10. November 2011 eine dienstliche Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch gefertigt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

II.

8

Das Ablehnungsgesuch hat keinen Erfolg.

9

Gemäß § 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. § 42 Abs. 2 ZPO bestimmt hierzu, dass wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung stattfindet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Für diese Feststellung ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist oder sich selbst für befangen hält. Ebenso wenig reicht es aus, dass auf Seiten eines Beteiligten die Besorgnis der Befangenheit tatsächlich vorliegt. Maßgeblich ist allein, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (Bundesverfassungsgericht , Beschluss vom 7. Dezember 1976 – 1 BvR 460/72 -, BVerfGE 43, 126 ff.; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18. Mai 2010 – L 9 SF 18/10 SAB -; Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 60 Rdn. 7 m. w. N.). Keine Besorgnis der Befangenheit liegt jedenfalls vor bei sachlichen Meinungsäußerungen über das Verfahren oder die Aussichten einer Klage bzw. über die Rechtslage (Keller, a. a. O., § 60 Rdn. 8j; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10. August 2007 – L 9 AR 12/07 SAB, Beschluss vom 28. Juli 2011 – L 8 SF 45/11 SAB -). Ein im Rahmen gebotener richterlicher Verfahrensweise liegendes Verhalten kann einen Ablehnungsgrund nicht begründen (Keller a. a. O., § 60 Rdn. 8g; BSG, Beschluss vom 29. März 2007 - B 9a SB 18/06 B, zitiert nach juris Rdn. 13, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18. März 2011 – L 8 SF 79/10 SAB -).

10

Nach diesen Grundsätzen besteht keinerlei Anlass für die berechtigte Annahme einer Befangenheit von Richterin N... Sie hat im Verfahren S 21 AS 403/11 mit gerichtlicher Verfügung vom 31. Oktober 2011 dargestellt, wie sie nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage die Erfolgsaussichten der Klage einschätze. Diese Verfahrensweise ist nicht zu beanstanden. Vielmehr gehört es gemäß § 106 Abs. 1 SGG zu den Aufgaben der Vorsitzenden, den Beteiligten des Verfahrens Hinweise - auch zu den fehlenden Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung – zu geben. Sie vermögen ebenso wenig wie die Anregung einer Klagerücknahme in angemessener Form die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. Keller, a. a. O., § 60 Rdn. 8j ff.). Richterliche Verfahrensweisen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit nur dann, wenn besondere Umstände für die Besorgnis der Befangenheit sprechen (vgl. Keller, a. a. O., § 60 Rdn. 8 g). Solche besonderen Umstände sind hier nicht gegeben. Insbesondere ist der Hinweis auf mögliche strafrechtliche Aspekte des Verhaltens der Klägerin nicht ausreichend für die Besorgnis der Befangenheit, wenn es dafür konkreten Anlass gibt (vgl. Keller a. a. O., § 60 Rdn. 8m). Da sich der Vortrag der Klägerin, das rentenmedizinische Gutachten stelle fest, dass sie keine Tätigkeiten am EDV-Arbeitsplatz ausführen dürfe, nach Sichtung besagten Gutachtens nicht bestätigt hat, war aus Sicht der Richterin ein konkreter Anlass für diesen Hinweis gegeben. Da der Klägerin diesbezüglich Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt und bislang keine Strafanzeige erstattet worden ist, ist das Vorgehen der Richterin nicht zu beanstanden.

11

Auch der Hinweis der Klägerin, ihr sei rechtliches Gehör abgeschnitten worden, indem der richterliche Hinweis vom 31. Oktober 2011 ergangen war, bevor die ihr, der Klägerin, gesetzte Frist zur Vorlage des rentenversicherungsrechtlichen Gutachtens abgelaufen war, stellt keinen besonderen für die Besorgnis der Befangenheit sprechenden Umstand dar; denn mit der gerichtlichen Verfügung vom 31. Oktober 2011 ist der Klägerin erneut Gelegenheit zur Stellungnahme und damit rechtliches Gehör gewährt worden.

12

Für die weitere Befürchtung der Klägerin, Richterin N... werde nicht das gesamte Klagevorbringen im Rahmen der zu treffenden Entscheidung berücksichtigen, gibt es keine objektiven Anhaltspunkte. Vielmehr bestätigt die Richterin in ihrer Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch, dass sich das Gericht in der ausstehenden Entscheidung mit dem gesamten Vortrag der Klägerin und des Beklagten inhaltlich auseinander setzen werde. Anlass, an dieser Ankündigung zu zweifeln, gibt es nicht.

13

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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