Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (4. Senat) - L 4 SF 113/10 AB

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Ablehnung der Richterin am Sozialgericht R. wegen der Besorgnis der Befangenheit wird abgelehnt.

Gründe

I.

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In der Hauptsache sind Vergütungsansprüche des Krankenhauses für die teilstationärer Behandlung einer bei der Beklagten krankenversicherten Patientin (nachfolgend: die Versicherte) umstritten. Die Versicherte wurde am 8. Juni 2009 zur teilstationären Behandlung in das Krankenhaus aufgenommen und dort bis zum 21. Juli 2009 behandelt; die Aufnahme wurde der Beklagten mit der Bitte um Kostenzusage mitgeteilt. Die Beklagte forderte am 12. Juni 2009 eine medizinische Begründung für die weitere stationäre Behandlung über den 19. Juni 2009 hinaus an, da eine Diskrepanz zwischen Aufnahmediagnose und voraussichtlicher Verweildauer bestehe. Ferner zahlte sie auf die Rechnung vom 9. Juli 2009 über 4.812,75 EUR einen Teilbetrag von 2.301,75 EUR. Am 17. Juni 2009 teilte das Krankenhaus der Beklagten mit, die stationäre Behandlung sei nach ärztlicher Prüfung gemäß § 39 SGB V voraussichtlich bis 20. Juli 2009 erforderlich. Sollte die Beklagte mit dieser Entscheidung nicht einverstanden sein, stehe ihr die Überprüfung im Rahmen der Krankenhausbegehung durch den MDK zur Verfügung. Die Beklagte hielt demgegenüber an der Anforderung einer weitergehenden medizinischen Begründung fest.

2

Mit der Klage vom 25. September 2009 hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 6.758,99 EUR nebst Zinsen begehrt, da diese bislang nur eine Teilzahlung geleistet habe.

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Bei der 13. Kammer des Sozialgerichts M. sind weitere neun (insgesamt zehn) Verfahren mit derselben Problematik anhängig. In allen Verfahren hatte die Beklagte nach Eingang der Aufnahmeanzeigen des Krankenhauses mit im Wesentlichen gleich lautenden Schreiben die Übersendung einer medizinischen Begründung erbeten. Auch in diesen Verfahren wurden (teilweise) keine Zahlungen bzw. Teilzahlungen geleistet. Weitere acht Parallelverfahren sind von der 13. Kammer im Jahre 2009 durch Gerichtsbescheid zu Gunsten der Klägerin entschieden worden. Diese Verfahren sind in der Berufung anhängig.

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Im vorliegenden Verfahren hat die Kammervorsitzende, Richterin am Sozialgericht R., am 19. November 2009 einen Erörterungstermin durchgeführt, in dem ausweislich der Sitzungsniederschrift die Frage einer vergleichsweisen Einigung erörtert, von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten aber verneint wurde. Ferner hat die Kammervorsitzende darauf hingewiesen, sie halte die Voraussetzungen des § 301 SGB V für erfüllt und die Beklagte könne eine weitere medizinische Begründung über ihren MDK einholen. Sie hat für die zehn noch in ihrer Kammer anhängigen Verfahren eine mündliche Verhandlung am 23. Juni 2010 anberaumt und ausweislich der Sitzungsniederschrift im Verfahren S 13 KR 220/09 den Sachverhalt vorgetragen und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, Rechtsbeistand S., hat während des Rechtsgesprächs beantragt, die Kammervorsitzende wegen Besorgnis der Befangenheit in diesem Verfahren (220/09) und in den weiteren neun zu diesem Termin geladenen Verfahren abzulehnen und angekündigt, diesen Antrag bis zum nächsten Vormittag zu begründen. Mit der am 24. Juni 2010 beim Sozialgericht M. eingegangenen Begründung hat er angegeben, der Verlauf der mündlichen Verhandlung rechtfertige die Besorgnis der Befangenheit. Die Kammervorsitzende habe erklärt, es könne nicht angehen, dass die Beklagte annehme, ihre Versicherten würden von der Klägerin kostenlos behandelt. Auf seinen Einwand habe sie erklärt, damit sei gemeint, die Krankenkasse könne nicht erwarten, dass die Patienten vom Krankenhaus kostenlos behandelt werden, wohl die Beklagte die Rechnungen nicht ausgleiche. Im Verlaufe eines etwa zwei Minuten dauernden Dialogs sei die abgelehnte Richterin bei ihrer Einstellung geblieben, wonach sie davon ausgehe, dass die Beklagte offenbar eine kostenlose Behandlung ihrer Versicherten durch das klagende Krankenhaus als angemessen erachtet. Mit dem Gebrauch des umgangssprachlichen Wortes "kostenlos" entstehe für eine unvoreingenommene Person der Eindruck, dass sich die abgelehnte Richterin vor Abschluss der Beweisaufnahme, insbesondere vor Beratung mit den ehrenamtlichen Richtern, eine Meinung gebildet habe, welche die Befürchtung aufkommen lasse, sie werde ihr Urteil nicht unvoreingenommen, jedenfalls parteilich im Sinne des klagenden Krankenhauses fassen. Jemand, der einer Partei vorwerfe, sie glaube offenbar, ihre Versicherten kostenlos behandeln lassen zu können, unterstelle ihr unsachliche Motive. Die rechtliche Diskussion könne durchaus mit unterschiedlichen Argumenten geführt werden. Es sei aber unzulässig, im Rahmen dieser Diskussion einer Partei vorzuwerfen, sie gehe offenbar von einer kostenlosen Behandlung durch das Krankenhaus aus. Eine solche Annahme sei eine Unterstellung, da sie der Krankenkasse eine bestimmte Vorgehensweise und der Stelle, nämlich jene, dass diese ohne eine Gegenleistung (die Zahlung) zu erbringen, davon ausgehe, ihre Versicherten würden kostenlos behandelt.

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Die abgelehnte Richterin hält sich nicht für befangen. Sie hat mit dienstlicher Erklärung vom 28. Juni 2010 folgende Stellungnahme abgegeben: "Es ist richtig, dass im Rahmen der mündlichen Verhandlung von mir das Wort "kostenlos" benutzt worden ist. An den genauen Wortlaut meiner Äußerung kann ich mich nicht erinnern, wohl aber an den Sinn, den ich in diesem Zusammenhang zum Ausdruck bringen wollte. Zum zeitlichen Ablauf ist zunächst zu erwähnen, dass der Sachvortrag abgeschlossen war und die mündliche Verhandlung sich in der Phase der rechtlichen Erörterung befand. Im Rahmen dieser brachte ich sinngemäß zum Ausdruck, dass die Klägerin den Sachleistungsanspruch der Patienten, den diese als Versicherte der Beklagten gegenüber der Beklagten innehaben, durch die Krankenhausbehandlung bisher quasi kostenlos erbracht habe, da die Beklagte den Vergütungsanspruch trotz geleisteter Behandlung als verlustig erachte."

II.

6

Das Landessozialgericht (LSG) entscheidet über die Ablehnung durch Beschluss (§ 60 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, da keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.

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Die Beklagte hat ihre Ablehnungsrecht nicht verloren, denn die mündliche Verhandlung war noch nicht eröffnet, der Sachverhalt nicht vorgetragen und dieser Rechtsstreit auch noch nicht erörtert worden. Sie hat auch keine Anträge gestellt. Der Ablehnungsantrag ist auch zulässig, da er sich konkret auf ein bestimmtes gerügtes Verhalten der abgelehnten Richterin bezieht und die Gründe im Einzelnen benannt worden sind.

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Das Ablehnungsgesuch ist jedoch unbegründet. Es liegen keine Gründe vor, die die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden der 13. Kammer des Sozialgerichts M., Richterin am Sozialgericht R., rechtfertigen könnten.

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Für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen gelten nach § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG u. a. die §§ 41 bis 44 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Unter Befangenheit ist eine innere Einstellung des Richters zu verstehen, aufgrund derer er die erforderliche Distanz zu dem Streit und die notwendige Unparteilichkeit gegenüber den Parteien der Art vermissen lässt, dass es infolge sachfremder Erwägungen zu Bevorzugungen oder Benachteiligungen einer Partei kommt (Heinrich in Musielak, ZPO, 4. Auflage 2005, RdNr. 3 zu § 42 mit weiteren Nachweisen). Als Gründe für die Besorgnis der Befangenheit in diesem Sinne kommen nur objektive Gründe infrage, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtungsweise die Befürchtung erwecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden als Gründe aus (BSG, Beschluss vom 31. 7. 1985, 9a RVs 5/84, SozR 1500 § 60 Nr. 3; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 1995, 2 BvR 1852/54, BVerfGE 92, S. 138, 139). Zu den Umständen, die für eine Befangenheit sprechen können, zählen insbesondere Verstöße gegen das prozessuale Gleichbehandlungsgebot, die negative Einstellung gegenüber einer Partei unter Bevorzugung der anderen Seite oder die willkürliche Benachteiligung oder Behinderung einer Partei bei der Ausübung ihrer Rechte. Ferner kann die Besorgnis der Befangenheit angenommen werden bei unsachlichen Äußerungen des Richters wie beispielsweise die Bezeichnung des Vortrags des prozessbevollmächtigten als "Kinkerlitzchen" (OLG Hamburg, Beschluss vom 23. 3. 1992, 7 W 10/92, zitiert nach juris) oder die Bezeichnung des Sachvortrags als "Unsinn" (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. 6. 2003, L 11 AR 49/03 AB, zitiert nach juris).

10

Nach diesem Maßstab bestehen hier für eine Besorgnis der Befangenheit bei vernünftiger Betrachtungsweise keine ausreichenden Gründe. Dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist zu entnehmen, dass der Gebrauch des Wortes "kostenlos" durch die Kammervorsitzende beanstandet wird und die damit auch - wiederum aus der Sicht des Prozessbevollmächtigten - verbundene herabsetzende Wertung des Verhaltens der Beklagten. Begründung des Befangenheitsgesuchs und dienstliche Erklärung der abgelehnten Richterin weichen voneinander ab. Während der Prozessbevollmächtigte angibt, die Richterin habe der Beklagten vorgehalten, sie erwarte offenbar die kostenlose Behandlung ihrer Versicherten durch das Krankenhaus der Klägerin, hat Frau R. erklärt, sie habe gesagt, das Krankenhaus habe den Sachleistungsanspruch der Versicherten bisher quasi kostenlos erbracht bzw. erfüllt.

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Es kann hier offen bleiben, welche dieser beiden Versionen, die nicht sehr weit auseinander liegen, zutreffender ist. Sowohl die Darstellung des Prozessbevollmächtigten als auch die Stellungnahme der Richterin stimmen in zwei wesentlichen Punkten überein: Beide können den genauen Wortlaut nicht mehr wiedergeben, sind aber der Überzeugung, das Wort "kostenlos" ist von der Richterin im Zusammenhang mit der Behandlung der Versicherten gesagt worden. Auch bei Zugrundelegung nur der Version des Prozessbevollmächtigten ist nicht zu erkennen, dass durch die Verwendung dieses Wortes der Anschein erweckt wird, die Richterin habe nicht mehr die erforderliche Distanz zu dem Streit und sei gegenüber den Beteiligten nicht mehr unvoreingenommen. Der Hinweis auf eine kostenlose Behandlung oder quasi kostenlose Behandlung bedeutet keine unsachliche Äußerung. Das Wort "kostenlos" ist ein neutraler Begriff, der, ebenso wie z.B. das Wort "erfolglos", bestimmte Zustände, Sachverhalte oder Ereignisse erfasst und beschreibt, nämlich "ohne Kosten" oder "ohne Erfolg". Allein der Gebrauch dieses Wortes gibt für eine Besorgnis der Befangenheit also keine Anhaltspunkte. Aber auch die damit verbundene Wertung, es habe eine kostenlose Behandlung stattgefunden, ist nicht unsachlich, auch nicht in der vom Prozessbevollmächtigten gerügten gesteigerten Form, die Beklagte erwarte offenbar eine kostenlose Behandlung. Denn eine solche Wertung kann nur dann als unsachlich und damit möglicherweise auch als herabsetzend und unvoreingenommen empfunden werden, wenn sie "un-sachlich" ist, das heißt nicht sachlich, dem Sachverhalt widersprechend oder in herabsetzender Absicht frei erfunden worden ist. Hier entspricht es den Tatsachen, dass das Krankenhaus die Versicherte einige Wochen lang teilstationär behandelt hat, ohne dafür mehr als eine geringe Teilzahlung von der Beklagten erhalten zu haben. Es trifft daher zu, dass die Behandlung für die Beklagte bislang überwiegend kostenlos, also ohne wesentliche Kosten war, denn eine größere finanzielle Belastung war damit für sie nicht verbunden. Es entspricht nach Aktenlage auch der Tatsache, dass sie auch die völlige Freistellung von jeglichen Kosten erstrebt, denn sie hat im Erörterungstermin vom 19. November 2009 eine vergleichsweise Einigung ausgeschlossen, ist also - bisher - nicht bereit, auch nur einen Teil der noch umstrittenen Kosten zu tragen. In diesem Sinne ist es auch zutreffend, ihr (vor-)prozessuales Verhalten dahin zu interpretieren, dass sie eine kostenlose Behandlung des Versicherten erwartet, denn genau dieses Ergebnis strebt sie im Rechtsstreit an. Eine andere Frage ist, ob sie dieses Ergebnis durch einen Erfolg von Klage bzw. Berufung nicht auch erreichen kann. Die Bewertung der Klage als besonders aussichtsreich lässt sich aber den umstrittenen Äußerungen der Richterin nicht entnehmen. Der den Tatsachen entsprechende Hinweis - sofern er tatsächlich so gegeben worden ist - die Beklagte erwarte offenbar die kostenlose Behandlung der Versicherten, sagt nichts darüber aus, wie die Kammer über die noch zu stellenden Anträge entscheiden wird.

12

Auch im Zusammenhang mit der vom Prozessbevollmächtigten nicht erwähnten Tatsache, dass die Richterin bereits (mindestens) neun Verfahren zu Gunsten der Klägerin durch Gerichtsbescheid entschieden hat, ist in den gerügten Äußerungen keine Besorgnis der Befangenheit gegeben. Von einer Richterin wird erwartet, dass sie auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn sie sich schon früher über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage ein Urteil gebildet hat. Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit der Richterin können erst dann bestehen, wenn die Nähe der umstrittenen Äußerungen zu der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsauffassung bei einer Gesamtbetrachtung nicht zu übersehen ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. 4. 2010, 1 BvR 626/10, RdNr. 8, zitiert nach juris). Das ist aber - wie oben ausgeführt - bei einem umgangssprachlichen Hinweis auf die durch prozessuales Verhalten eines Beteiligten mehrfach nachgewiesene Erwartung einer kostenlosen Behandlung von Versicherten nicht der Fall.

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Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).


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