Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (5. Senat) - L 5 AS 56/12 NZB

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg, das ihre Klage gegen die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für Mai 2006 i.H.v. 169,92 EUR zurückgewiesen hat.

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Die am 1969 geborene Klägerin bezog Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 4. Mai 2006 waren ihr für die Zeit vom 1. Mai bis 30. Oktober 2006 monatlich 641,29 EUR bewilligt worden. Dabei hatte der Beklagte - wie seit Januar 2005 - für die Kosten der Unterkunft und Heizung u.a. Betriebskosten i.H.v. 53 EUR/Monat zu Grunde gelegt.

3

Nach Aufforderung des Beklagten legte die Klägerin im Oktober 2007 die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2005 vor. Danach hatte die Betriebskostenvorauszahlung 2005 und 2006 monatlich nur 45 EUR betragen. Ein Betriebskostenguthaben von 105,92 EUR war ihr zum 1. Mai 2006 erstattet worden.

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Der Beklagte bewilligte mit "Änderungsbescheid" vom 18. Oktober 2007 für Mai 2006 nur noch 451,37 EUR und hob die in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen insoweit auf. Der Klägerin seien für 2005 kalte Betriebskosten i.H.v. 466,08 EUR in Rechnung gestellt worden. Sie habe Betriebskosten i.H.v. 636 EUR erhalten, so dass sie i.H.v. 169,92 EUR überzahlt sei. Gleichzeitig führte der Beklagte eine Anhörung nach § 24 Zehntes Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) durch. Die Klägerin habe die Überzahlung verursacht, da sie eine erhebliche Änderung in ihren Verhältnissen verspätet angezeigt habe. Vor einer abschließenden Entscheidung erhalte sie Gelegenheit, sich zu äußern. Sollten die überzahlten Leistungen zu erstatten sein, sei beabsichtigt, den zu erstattenden Betrag gegen den Anspruch von Arbeitslosengeld II aufzurechnen.

5

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 machte die Klägerin geltend, laut Betriebskostenabrechnung seien ihr 105,92 EUR und nicht 169,92 EUR erstattet worden. Sie bitte um Kenntnisnahme sowie Genehmigung einer Ratenzahlung.

6

Mit "Aufhebungs- und Erstattungsbescheid" überschriebenem Bescheid vom 18. April 2008 hob der Beklagte "die Entscheidung vom 10. Februar 2005" über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II vom 1. bis 31. Mai 3006 teilweise i.H.v. 169,92 EUR auf. Die Klägerin habe gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass der ihr zuerkannte Anspruch zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Die zu Unrecht gezahlten Leistungen seien gemäß § 50 SGB X zu erstatten.

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In dem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin ein Amtsverschulden sowie einen zu großen Abstand zwischen Anhörung und Aufhebungsbescheid geltend.

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Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2009 zurück. Die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen sei bestandskräftig für Mai 2006 i.H.v. 169,92 EUR aufgehoben worden. Aufhebungstatbestände seien daher nicht zu prüfen. Die zu erstattenden Leistungen seien gemäß § 50 Abs. 3 SGB X festgesetzt worden. Ferner machte der Beklagte Ausführungen zur Höhe der Rückforderung.

9

Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 5. Februar 2009 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 2. März 2009 Klage erhoben. Der Bescheid vom 18. April 2008 sei ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Als Zweitbescheid habe er eine neue Anfechtungsmöglichkeit eröffnet.

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Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2011 abgewiesen. Streitgegenständlich sei der Bescheid vom 18. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2009. Dieser enthalte als anfechtbare Verfügung lediglich eine Entscheidung über die Erstattung. Hinsichtlich der Aufhebungsentscheidung liege eine wiederholende Verfügung vor, weil gegenüber dem bestandskräftigen "Änderungsbescheid" vom 18. Oktober 2007 keine neue Sachentscheidung ergangen sei. Der Widerspruch sei daher nur hinsichtlich der Erstattung zulässig gewesen. Die Klägerin habe den geforderten Betrag zu erstatten.

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Am 2. Januar 2012 hat die Klägerin Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung beim erkennenden Senat eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Der Bescheid vom 18. April 2008 sei ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid. Das Sozialgericht habe den Rechtssatz aufgestellt, dass eine Bezugnahme auf frühere Bescheide nicht erforderlich sei, und ferner die Überschrift "Aufhebungsbescheid", die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung sowie der Empfängerhorizont nicht maßgeblich seien. Es liege eine Divergenz zu Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg und des Bundessozialgerichts (BSG) (Urteil vom 12. Dezember 1991, B 7 RaR 46/90; Urteil vom 11. November 2009, B 6 KA 15/08 R) vor. Die Entscheidung beruhe auch auf dem Widerspruch, denn bei Hinwegdenken der aufgestellten Rechtssätze sei die Bestandskraft des Bescheids vom 18. Oktober 2007 nicht eingetreten und über den angegriffenen Bescheid vom 18. April 2008 zu entscheiden. Die Sache habe auch grundsätzliche Bedeutung.

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Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

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die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. Dezember 2011 zuzulassen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

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Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Darüber hinaus wäre auch die Betriebskostenerstattung als Einkommen zuzurechnen gewesen, weshalb die Aufhebungsentscheidung auf jeden Fall rechtmäßig gewesen wäre.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegen-stand der Beratung des Senats gewesen.

II.

18

1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist rechtzeitig erhoben und statthaft, da die Berufung nicht Kraft Gesetzes zulässig ist. Gemäß § 105 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der ab 1. April 2008 gültigen Fassung bedarf die Berufung der Zulassung in einem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 1. bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR oder 2. bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 EUR nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

19

Hier streiten die Beteiligten lediglich über einen Betrag von 169,92 EUR.

20

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 15. Dezember 2011 zu Recht nicht zugelassen.

21

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

22

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage ist gegeben, wenn sie ungeklärt ist und eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage der Auslegung von Bescheiden sowie die Abgrenzung von wiederholenden Verfügungen zu Zweitbescheiden ist obergerichtlich geklärt. Neben den von der Klägerin zitierten Urteilen des BSG gibt es eine Vielzahl von Entscheidungen über die Frage der Auslegung von Verwaltungsakten (z.B. BSG, Urteil vom 30. September 2008 B 4 AS 19/07 R (10); Urteil vom 7. Mai 2009, B 14 AS 13/08 R (11); Urteil vom 24. Februar 2011, B 14 AS 81/09R (15) jeweils zur Frage, ob eine wiederholende Verfügung oder ein Zweitbescheid vorliegt).

23

Es liegt auch keine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor. Diese besteht nur dann, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung des Berufungsgerichts oder des BSG abweicht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, § 144 Rn. 30,30a). Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat. Vielmehr muss das Gericht im angefochtenen Urteil diesen Kriterien widersprochen und andere Maßstäbe entwickelt haben (BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2008, B 12 R 37/07 B). Ob die rechtliche Wertung in der Sache richtig war, ist hingegen nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (BSG, Beschluss vom 26. Juni 1975, 12 BJ 12/75).

24

Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Sozialgericht keinen Rechtssatz aufgestellt, wonach für die Bewertung eines Bescheids als wiederholende Verfügung oder als Zweitbescheid nicht die obergerichtlich anerkannten Auslegungsregeln Anwendung zu finden hätten. Das Sozialgericht hat lediglich eine Subsumtion des Bescheids vom 18. April 2008 im Hinblick auf seinen Regelungsgehalt vorgenommen.

25

Soweit die Klägerin eine Abweichung von der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg rügt, scheidet eine Divergenz ohnehin aus. Maßgeblich wäre nur ein Abweichen von dem für das Sozialgericht Magdeburg zuständigen Landessozialgericht Sachsen-Anhalt.

26

Auch ein Zulassungsgrund im Sinn des § 144 Abs. 3 Nr. 3 SGG liegt nicht vor. Dieser ist nur dann gegeben, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, dieser vorliegt und die Entscheidung auf ihm beruhen kann. Unter einem Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, zu verstehen. Hier hat die Klägerin schon keinen solchen Verfahrensmangel geltend gemacht.

27

2. Der Klägerin war für das Beschwerdeverfahren keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) ist auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gewiss, eine Erfolgschance jedoch nicht unwahrscheinlich ist (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13. März 1990, 1 BvR 94/88, NJW 1991, S. 413 f.). Prozesskostenhilfe kommt hingegen nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Februar 1998, 13 RJ 83/97 R, SozR 3-1500 § 62 Nr. 19).

28

Aus den unter 1. genannten Gründen hat die Nichtzulassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg gehabt.

29

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

30

Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).


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