Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (1. Senat) - L 1 R 136/12

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt im Überprüfungsverfahren die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009.

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Die am ... 1949 geborene Klägerin erlernte zunächst von 1965 bis 1967 den Beruf der Maschinenbauzeichnerin. Darüber hinaus absolvierte sie von 1969 bis 1972 ein Studium zur Ingenieurin für Maschinenbau. Danach war sie wie folgt beschäftigt:

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1972 bis 1973: Konstrukteurin

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1974 bis 1981: Technologin im Getränkemaschinenbau M.

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1983 bis 1993: Leiterin der Informationsstelle beim VEB G. M.

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Nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses 1993 war sie arbeitslos, unterbrochen durch eine Weiterbildung zur Führungskraft im mittleren Management bei der Urania M. (1993/94), einer Tätigkeit im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Stadtplanungsamt (1994 bis 1999), sowie – erneut im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – als Projektleiterin bei der GISE M. (2000 bis 2003). Seit dem 1. Mai 2009 erhält sie von der Beklagten eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

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Am 14. April 2005 beantragte die Klägerin wegen der Folgen eines Schlaganfalls, eines Herzimplantats und einer Zwerchfelllähmung die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 ab, nachdem sie Gutachten von Dr. W., Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie (12. Mai 2005), Dr. N., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie (13. Oktober 2005), Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde (ebenfalls 13. Oktober 2005) und Dr. L., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie (24. April 2006) sowie Befundberichte von Dr. R., Fachärztin für Innere Medizin, Pneumologie und Allergologie (22. August 2005), Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (ebenfalls 22. August 2005) und Dr. R., Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie (23. August 2005) eingeholt hatte. Dabei wurden im Wesentlichen die Diagnosen

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Zustand nach Kleinhirn-Insult links (Schlaganfall) im März 2000

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Zustand nach operativem Verschluss eines Lochs in der Herzvorhofscheidewand im September 2001

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Zwerchfellhochstand rechts

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gestellt. Es fanden sich keine schwerwiegenden kardialen Veränderungen. Auch die pulmonale Leistungslimitation war nur leichtgradig. Objektiv war die Klägerin bis 85 Watt belastbar, wobei die submaximale Pulsbelastungsgrenze nicht erreicht wurde. Dr. N. meinte, aus nervenärztlich-psychotherapeutischer Sicht sei nicht eindeutig zu klären, ob die Klägerin leistungsbringend tätig sein könne. Es fehlten insbesondere Befunde einer Hirnleistungsdiagnostik. Dagegen hielt Dr. L. die Klägerin nach Auswertung von Zusatzuntersuchungen vom 17. März 2006 (EEG, AEP, VEP und Dem Tec Test) aus neuro-psychiatrischer Sicht für in der Lage, Tätigkeiten im mittleren Management sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Der Dem Tec Test habe eine fragliche Demenz bei Verdacht auf Simulation und Rentenbegehren ergeben. Auch Dr. W. und Dr. S. votierten für ein mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten unter Bürobedingungen ohne weitere qualitative Einschränkungen.

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Dagegen erhob die Klägerin am 26. Juli 2006 Klage beim Sozialgericht Magdeburg (SG; S 10 R 472/06), mit der sie ihr Begehren weiter verfolgte. Das SG holte zunächst Befundberichte ein: Dr. R. (27. Februar 2007), Fachärztinnen für Orthopädie/Chirotherapie Dres. S. (2. März 2007), Dr. R. (5. März 2007) und Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie (27. März 2007). Dr. R., Dres. S. und Dr. D. hielten die Klägerin für noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Dr. D. sah Einschränkungen der Konzentrations- und Anpassungsfähigkeit und die Notwendigkeit vermehrter Pausen. Zeitdruck sei nicht möglich. Dr. R. kam zu der Einschätzung, dass die Klägerin auch keine drei Stunden täglich mehr erwerbstätig sein könne, weil sie unter Belastungsluftnot leide.

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Das SG veranlasste anschließend ein Gutachten durch den Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie im Universitätsklinikum M. Prof. Dr. K. In seinem Gutachten vom 28. September 2007 bescheinigte er der Klägerin eine altersgerechte Herzfunktion bei allenfalls geringer Beeinträchtigung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit. Es sei von einer psychosomatischen Komponente auszugehen, weil die von der Klägerin angegebenen Beschwerden kein entsprechendes organisches Korrelat hätten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten überwiegend sitzend, ohne extreme Umwelteinflüsse (Hitze, Kälte, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft, Staub, hautreizende Chemikalien und Ähnliches), ohne Akkordarbeit sowie ohne besonderen Zeitdruck, ohne besondere Beanspruchung des rechten Beines sowie ohne geistig schwierige Tätigkeiten sechs bis unter acht Stunden täglich verrichten. Mit dem verbliebenen Leistungsvermögen könne die Klägerin als Projektleiterin mindestens sechs Stunden täglich tätig sein. Die üblichen Arbeitspausen reichten aus. Prof. Dr. E., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, diagnostizierte in seinem vom SG eingeholten Gutachten vom 14. April 2008 gemischte dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) sowie eine abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung (in der gegenabhängigen Form). Nach seiner Einschätzung könne die Klägerin noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten überwiegend sitzend bzw. im Wechsel der drei Haltungsarten und ohne besonderen Zeitdruck verrichten. Die Ausübung geistiger Tätigkeiten sei nicht eingeschränkt. Vermehrte Arbeitspausen seien nicht erforderlich. Als Projektleiterin könne sie zunächst sechs Stunden und nach sechs Monaten ambulanter Therapie acht Stunden täglich arbeiten.

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Das SG wies die Klage sodann mit Urteil vom 24. Juli 2008 ab und führte unter anderem aus, die Klägerin könne trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich mit qualitativen Einschränkungen arbeiten, insbesondere auch ihre zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Projektleiterin verrichten. Die gegen dieses Urteil am 28. August 2008 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegte Berufung (L 1 R 272/08) nahm die Klägerin im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 14. Mai 2009 zurück.

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Am 21. Dezember 2009 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Überprüfung des Ablehnungsbescheides und führte zur Begründung aus, der Sachverhalt sei nicht ausreichend geklärt gewesen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2010 ohne weitere medizinische Ermittlungen mit der Begründung ab, die vor dem Überprüfungsantrag durchgeführten medizinischen Ermittlungen hätten ergeben, dass eine Tätigkeit als Projektleiterin und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich verrichtet werden könne.

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Dagegen hat die Klägerin am 17. Juni 2010 erneut Klage beim SG erhoben. Einige Umstände seien bisher nicht berücksichtigt worden. Die jetzt vorhandenen Depressionen hätten zu einer deutlichen Verschlimmerung des Gesundheitszustandes geführt. Diese Depressionen hätten bereits zum damaligen Zeitpunkt erkannt und behandelt werden können und würden dann nicht zur Grundlage der Verschlechterung des Zustandes werden. Weiter sei zu monieren, dass ihr bisheriger Beruf als Diplom-Ingenieur Konstruktion nicht berücksichtigt worden sei. Während ihrer Tätigkeit von November 2000 bis November 2003 als Projektleiterin einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sei sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Probleme mehrmals arbeitsunfähig gewesen. Diese Tätigkeit sei befristet gewesen und aufgrund der gesundheitlichen Ausfälle sowie der Nichtbelastbarkeit nicht verlängert worden. Sie gehe deshalb davon aus, dass hinsichtlich der beruflichen Qualifikation und der zuletzt ausgeübten Tätigkeit auf den Beruf des Diplom-Ingenieurs abzustellen sei. Im Übrigen sei bereits im Gutachten von Dr. N. vom 13. Oktober 2005 auf Störungen verwiesen worden, die von der Beklagten nicht aufgegriffen worden seien. Es habe keine Hirnleistungsdiagnostik stattgefunden. Ihr seit 2009 behandelnder Psychotherapeut Herr D. habe sich Einblick in alle für ihren Rentenantrag erstellten Gutachten verschafft und habe Tests zu ihrem Zustand gemacht. Die Auswertung der Gutachten durch Herrn D. und die Ergebnisse seiner Tests seien für sie der Anlass gewesen, eine Überprüfung der Rentenablehnung zu verlangen.

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Zu ihrer Tätigkeit als Informationsstellenleiterin hat sie folgende ergänzende Ausführungen gemacht: Zum Bereich der Informationsstelle hätten die Normenverwaltung, das Patentwesen, das Neuererwesen, die technische Dokumentation der Erzeugnisse sowie die Verwaltung und Auswertung von Fachpublikationen für Getränke- und Etikettiermaschinen gehört. Es seien wissenschaftlich-technische Literatur- und Patentrecherchen für die Forschung und Entwicklung erarbeitet worden. In diesem Bereich hätten vier Personen gearbeitet. Des Weiteren seien zwei Kombinatsbetriebe in B. und Mittweida mit den geforderten Unterlagen versorgt worden. Ihr Arbeitsplatz im Bereich Technik sei in einem eigenen Büro gewesen. Separate Räume zum Kopieren und Rückvergrößern von Mikrofichen habe es genauso gegeben wie eine Bibliothek. Zweimal im Jahr sei am Stammsitz des Kombinates in D. eine jeweils einwöchige Weiterbildung auf dem Gebiet wissenschaftlicher Information durchgeführt worden. Verantwortlich für die Anleitung und Koordinierung seien in festgelegtem Turnus die Leiter der einzelnen Informationsstellen gewesen. 1991 sei durch den Einsatz von Computern die Beschäftigtenzahl heruntergesetzt worden. Bis zu ihrem Ausscheiden sei sie für die Informationsstelle alleine zuständig gewesen. Durch Umstrukturierung der Firma sei diese Arbeitsstelle 1993 dann komplett gestrichen worden. Ergänzend hat die Klägerin noch ausgeführt, leitende Tätigkeiten, hier auf Hochschulniveau, seien regelmäßig mit einer erhöhten Stressbelastung verbunden.

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Mit Urteil vom 29. Februar 2012 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin könne den bisherigen Beruf als Informationsstellenleiterin noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Das SG ist dabei von folgendem Leistungsbild ausgegangen: Die Klägerin könne noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten, überwiegend sitzend und ohne besonderen Zeitdruck, ohne extreme Umwelteinflüsse, schwankende Temperaturen und inhalative Belastungen unter Vermeidung von überdurchschnittlichem Stress und Akkordarbeit verrichten. Die Klägerin habe in ihrem Überprüfungsantrag keine Tatsachen vorgetragen, die neue medizinische Ermittlungen erforderlich gemacht hätten. Insbesondere seien die von ihr geltend gemachten psychologischen und neurologischen Einschränkungen (Depression, Hirnleistung) damals ausreichend berücksichtigt worden. Es seien verschiedene Befundberichte behandelnder Fachärzte für Psychiatrie und Neurologie eingeholt und ein neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten erstellt worden, deren Feststellungen für das SG auf der Grundlage der erhobenen Befunde schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend seien.

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Bei der Tätigkeit der Informationsstellenleiterin im Bereich Technik handele es sich – entsprechend der eigenen Schilderung der Klägerin – um eine Tätigkeit, die nicht mit schweren körperlichen Verrichtungen verbunden sei. Die Tätigkeit sei überwiegend im Sitzen und in geschlossenen Räumen ausgeübt worden. Die Klägerin sei bei dieser Arbeit keinen extremen Umwelteinflüssen, schwankenden Temperaturen oder inhalativen Belastungen ausgesetzt gewesen. Es habe sich dabei um eine Tätigkeit mit verwaltungstypischen Aufgaben gehandelt. Neben der überwiegenden Tätigkeitsausübung im Sitzen sei auch ein zeitweises Gehen und Stehen möglich gewesen. Dieser Wechsel der Körperhaltungen habe den körperlichen Einschränkungen der Klägerin ausreichend Rechnung getragen. Nach ihren Schilderungen sei die Tätigkeit auch nicht mit überdurchschnittlichem Stress oder Zeitdruck verbunden gewesen. Nach alledem sei die Klägerin noch in der Lage gewesen, ihren bisherigen Beruf als Informationsstellenleitern täglich mindestens sechs Stunden zu verrichten. Deshalb habe es auch keiner Benennung einer sozial zumutbaren Verweisungstätigkeit nach dem vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Mehrstufenschema bedurft.

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Gegen das ihr am 29. März 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. April 2012 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Das angegriffene Urteil lasse wesentliche Tatsachen außer Acht. Die von ihr ausgeübte Tätigkeit als Informationsstellenleiterin im Bereich Technik sei eine leitende Tätigkeit gewesen, die üblicher- und idealerweise eine akademische Ausbildung vorausgesetzt habe. Sie sei nicht ohne Grund von ihrem früheren Arbeitgeber als Diplom-Ingenieurin für diese Tätigkeit eingestellt worden. Leitende Positionen seien regelmäßig geprägt von erhöhter Verantwortung und der Aufgabe, Mitarbeiter zu führen sowie innerbetriebliche Strukturen zu organisieren. Dies erfordere einen erhöhten persönlichen Einsatz, sei aber auch mit einer erhöhten Stressbelastung verbunden. Darüber hinaus seien erhöhte Anforderungen an die Übersicht, Konzentration und das komplexe Denken gestellt worden. Zudem sei ihr Anpassungs- und Umstellungsvermögen zum Zeitpunkt der Antragstellung in relevantem Umfang reduziert gewesen. Auch die Vorinstanz sei davon ausgegangen, dass sie nicht mehr überdurchschnittlich stressbelastbar sei, weshalb Tätigkeiten mit überdurchschnittlicher Stressbelastung gemieden werden sollten. Sie könne deshalb ihren zuletzt ausgeübten Beruf als Informationsstellenleiterin im Bereich Technik nicht mehr ausüben. Denn diese Tätigkeit sei mit regelmäßig anfallendem erhöhtem und damit überdurchschnittlichem Stress verbunden gewesen. Zudem lasse die Vorinstanz bei der Beurteilung des Leistungsvermögens wesentliche Symptome, respektive deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen außer Acht. Unstreitig leide sie an einer Zwerchfelllähmung. Diese führe aufgrund der damit einhergehenden starken Verminderung des Lungenvolumens zu einer erheblichen Einschränkung in ihren Lebensabläufen. So gerate sie bei geringer Belastung rasch in Atemnot. Dies löse Angstattacken aus, den Tagesablauf unter Zeitdruck nicht zu meistern und bei körperlicher Anstrengung zu versagen. Die psychologischen Einschränkungen seien demnach unwillkürlich und in Dauer und Stärke schwankend. Zudem habe sie, bedingt durch ihren Schlaganfall, Konzentrationsschwäche und Vergesslichkeit zu beklagen. Diese Beschwerden ließen in ihrer Gesamtschau und ganzheitlichen Wirkung auf eine erhebliche Minderung ihres Leistungsvermögens schließen.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Februar 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 aufzuheben und ihr für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 29. Februar 2012 zurückzuweisen.

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Sie sehe weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin in dem für ihren bisherigen Beruf typischen Aufgabenbereich einem Zeitdruck und einer Stressbelastung hätte ausgesetzt sein können, die das ihr gesundheitlich zumutbare Maß einer gelegentlichen erhöhten Beanspruchung überschritten hätten.

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Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 15. Dezember 2014 mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt dieser Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.

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Die nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, weil die ablehnenden Bescheide der Beklagten vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 und vom 28. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2010 rechtmäßig sind und die Klägerin nicht im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschweren. Die Beklagte hat bei Erlass ihres Bescheides vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2006 weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, so dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz nicht vorliegen. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009. Das SG hat die Klage deshalb zu Recht abgewiesen.

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Nach § 240 SGB VI haben Versicherte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Die Klägerin ist zwar vor dem 2. Januar 1961 geboren, nämlich am ... 1949. Sie war im umstrittenen Zeitraum vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009 aber nicht berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI. Denn sie konnte in diesem Zeitraum ihre zuletzt außerhalb von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen versicherungspflichtig ausgeübte Beschäftigung als Informationsstellenleiterin trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben.

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Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit vom bisherigen Beruf der Versicherten auszugehen. Es ist zu prüfen, ob sie diesen Beruf ohne wesentliche Einschränkungen weiterhin ausüben können. Maßgeblich für die Frage, ob die bisherige Tätigkeit ausgeübt werden kann, ist nicht ein allgemeines Berufsbild (z.B. Sachbearbeiterin), sondern die konkret zuletzt ausgeübte Tätigkeit (vgl. auch Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Februar 2011, L 10 KN 21/08, juris, Rdnr. 48). Sind Versicherte hierzu aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, ist der qualitative Wert des bisherigen Berufs dafür maßgebend, auf welche Tätigkeiten sie verwiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1994, 4 RA 35/93, SozR 3-2200 § 1246 Nr. 41; Urteil vom 16. November 2000, B 13 RJ 79/99 R, SozR 3-2600 § 43 Nr. 23, S. 78). Bisheriger Beruf ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Dabei ist nicht unbedingt auf die letzte Berufstätigkeit abzustellen, sondern auf diejenige, die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 1985, 4a RJ 53/84, SozR 2200 § 1246 Nr. 130).

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Bisheriger Beruf der Klägerin in diesem Sinne ist der der Leiterin einer Informationsstelle. Diese Tätigkeit übte die Klägerin von 1983 bis 1993 beim VEB G. M. aus. Danach folgten Zeiten der Arbeitslosigkeit, unterbrochen durch Weiterbildungen sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Damit war die Tätigkeit der Informationsstellenleiterin die letzte nicht nur vorübergehende (also prinzipiell auf Dauer ausgerichtete) versicherungspflichtige Beschäftigung. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um eine körperlich leichte Tätigkeit, die überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit des Haltungswechsels in geschlossenen Räumen ausgeübt wurde. Diese Tätigkeit war entgegen der Meinung der Klägerin auch nicht mit überdurchschnittlichem Stress oder Zeitdruck verbunden, zumal sie zuletzt vor ihrem Ausscheiden für die Informationsstelle alleine zuständig war. Damit war sie jedenfalls nicht in einer Vorgesetztenfunktion tätig. Abgesehen davon teilt der Senat die Auffassung der Klägerin nicht, wonach leitende Tätigkeiten regelmäßig mit einer erhöhten Stressbelastung verbunden sind. Diese Schlussfolgerung ist in dieser verallgemeinernden Form nicht zutreffend, da es immer auf die konkrete letzte Tätigkeit in dem jeweiligen Einzelfall ankommt. Hier kann der Senat jedenfalls keine überdurchschnittliche Stressbelastung bis zur Streichung der Arbeitsstelle im Zuge betrieblicher Umstrukturierungen erkennen. Auch ein besonderer Zeitdruck ergibt sich aus der Tätigkeitsbeschreibung der Klägerin nicht. Mit Zeitdruck wird eine im Vergleich zur Normalleistung erhöhte Anforderung von Arbeitsaufgaben, die innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens zu bewältigen sind, bezeichnet. Normalleistung ist diejenige Leistung, die von jedem hinreichend geeigneten Arbeitnehmer nach genügender Übung und ausreichender Einarbeitung ohne Gesundheitsschäden auf Dauer in der vorgegebenen Arbeitszeit erreicht werden kann (vgl. Leitlinien für die sozialmedizinische Begutachtung, Sozialmedizinische Beurteilung bei neurologischen Krankheiten, Juli 2010, Seite 143; abrufbar unter www.deutsche-rentenversicherung.de, Pfad: Infos für Experten -) Sozialmedizin & Forschung -) Begutachtung -) Leitlinien). Eine derartige, erhöhte Anforderung von Arbeitsaufgaben ist der Beschreibung der Tätigkeit als Informationsstellenleiterin durch die Klägerin nicht zu entnehmen.

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Nach Auswertung der medizinischen Beweisaufnahme ist der Senat aufgrund eigener Urteilsbildung davon überzeugt, dass die Klägerin nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen wäre, diese Tätigkeit noch bis Ende April 2009 mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Nach den medizinischen Ermittlungen ergibt sich für den Senat bis zu dem genannten Zeitpunkt folgendes Leistungsbild: Die Klägerin konnte zumindest noch körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, vorwiegend im Sitzen, sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Zu vermeiden waren Arbeiten unter besonderem Zeitdruck bzw. überdurchschnittlichem Stress, Akkord- und Fließbandarbeiten, Nachtschichtarbeiten sowie Arbeiten unter ungünstigen Witterungsbedingungen oder Umwelteinflüssen (Hitze, Kälte, Nässe, Feuchtigkeit, Zugluft, Staub, hautreizende Chemikalien und Ähnliches) und mit besonderer Beanspruchung des rechten Beines. Dieses – eingeschränkte – Leistungsvermögen im Erwerbsleben beruhte im Wesentlichen auf folgenden Gesundheitsstörungen:

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Zustand nach Kleinhirn-Insult links (Schlaganfall) im März 2000

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Zustand nach operativem Verschluss eines Lochs in der Herzvorhofscheidewand im September 2001

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Zwerchfellhochstand rechts.

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Hinsichtlich der Leistungseinschätzung folgt der Senat den schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. W., Dr. S., Dr. L., Prof. Dr. K. und Prof. Dr. E. Sogar die behandelnden Ärzte Dr. R., Dres. S. und Dr. D. hielten die Klägerin ausweislich ihrer Befundberichte für noch in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Nicht überzeugt hat den Senat dagegen die Einschätzung der behandelnden Ärztin Dr. R. in ihrem Befundbericht vom 5. März 2007, wonach die Klägerin auch keine drei Stunden täglich mehr erwerbstätig sein könne, weil sie unter Belastungsluftnot leide. Die Klägerin hat dies in ihrer Berufungsbegründung aufgegriffen, indem sie vorgetragen hat, sie gerate bei geringer Belastung rasch in Atemnot. Dies löse Angstattacken aus, den Tagesablauf unter Zeitdruck nicht zu meistern und bei körperlicher Anstrengung zu versagen. Die geklagte Atemnot wird durch Prof. Dr. K. in seinem Gutachten vom 28. September 2007 überzeugend widerlegt. Er bescheinigte der Klägerin eine altersgerechte Herzfunktion bei allenfalls geringer Beeinträchtigung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit. Es sei von einer psychosomatischen Komponente auszugehen, weil die von der Klägerin angegebenen Beschwerden kein entsprechendes organisches Korrelat hätten. Die Einschätzung von Prof. Dr. K. wird durch das Gutachten von Dr. S. vom 13. Oktober 2005 gestützt. Objektiv war die Klägerin bei der Untersuchung dort immerhin bis 85 Watt belastbar, wobei die submaximale Pulsbelastungsgrenze noch nicht einmal erreicht wurde.

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Die von Dr. D. in seinem Befundbericht vom 27. März 2007 befürworteten vermehrten Pausen konnte Prof. Dr. K. nicht bestätigen. Er war der Auffassung, dass die üblichen Arbeitspausen ausreichen. Es liegen für den Senat jedenfalls keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass einer der in der Rechtsprechung des BSG anerkannten sogenannten Katalogfälle vorliegt, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011, B 13 R 78/09 R). Denn der Senat hat keine Zweifel, dass die Klägerin bis April 2009 keine betriebsunüblichen Pausen hätte in Anspruch nehmen müssen. In ihrem Fall kann nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, dass der gesetzliche Arbeitspausenanspruch und die üblichen Verteilzeiten nicht ausgereicht hätten. Es können nämlich auch am Arbeitsplatz kurzzeitige Entspannungsphasen in Anspruch genommen werden. Nach § 4 Satz 1 Arbeitszeitgesetz besteht ein gesetzlicher Arbeitspausenanspruch von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden. Kurzpausen von weniger als 15 Minuten alle zwei Stunden gelten im Bereich des öffentlichen Dienstes nicht als Arbeitszeit verkürzende Pausen (vgl. Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 30. März 1989, 6 AZR 326/86, in EzBAT § 4 BAT Betriebliche Übung Nr. 11; vom 27. April 2000, 6 AZR 861/98, in NZA 2001, 274). In der Personalbedarfsberechnung in Wirtschaft und Verwaltung werden persönliche Verteilzeiten veranschlagt. Es handelt sich um Zeitanteile, die nicht für den Arbeitsprozess selbst verwendet, aber dennoch als Arbeitszeit gerechnet werden (z.B. für persönliche Verrichtungen, Toilettengänge, Erholungs- und Entspannungszeiten außerhalb der Pausen, vgl. Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 7. Auflage, S. 678; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 27. Februar 2013, L 3 R 136/10, und Urteil vom 26. Februar 2015, L 1 R 55/14; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 8. Juli 2014, L 5 R 830/12). Beispielsweise ist in § 10 des Lohnrahmentarifvertrags des Unternehmerverbands Metall Baden-Württemberg, Bereiche Feinwerktechnik und Metallbau und der IG Metall, Bezirk Baden-Württemberg vom 16. Mai 2014 über die o.g. gesetzlichen Pausen hinaus eine Erholungszeit von mindestens fünf Minuten in der Stunde sowie ferner eine Zeit für persönliche Bedürfnisse von nicht weniger als drei Minuten in der Stunde vorgesehen. Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen mehr als die gesetzlichen Pausen und die üblicherweise zustehenden persönlichen Erholungs- oder persönlichen Verteilzeiten hätte in Anspruch nehmen müssen. Der Senat kann deshalb offen lassen, was Dr. D. mit der Notwendigkeit vermehrter Pausen konkret gemeint hat.

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Schließlich vermag der Senat nicht der Einschätzung von Dr. N. in ihrem Gutachten vom 13. Oktober 2005 zu folgen, wonach aus nervenärztlich-psychotherapeutischer Sicht nicht eindeutig zu klären sei, ob die Klägerin leistungsbringend tätig sein könne, weil insbesondere Befunde einer Hirnleistungsdiagnostik fehlten. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf das zeitlich nachfolgende Gutachten von Dr. L. vom 24. April 2006 zu verweisen. Diese Gutachterin hat die Klägerin nach Auswertung von Zusatzuntersuchungen vom 17. März 2006 (EEG, AEP, VEP und Dem Tec Test) aus neuro-psychiatrischer Sicht für leistungsfähig erachtet, Tätigkeiten im mittleren Management sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Bemerkenswert ist, dass der Dem Tec Test eine fragliche Demenz bei Verdacht auf Simulation und Rentenbegehren ergeben hatte. Auch die von der Klägerin gegenüber Dr. L. geschilderten Aktivitäten widersprechen einer wesentlichen Leistungsminderung. So gab sie an, zu Hause sehr viel zu lesen und sich mit dem Enkelkind zu beschäftigen sowie Garten- und PC-Arbeiten zu verrichten. Außerdem betreue sie ihre Eltern. Die Leistungseinschätzung von Dr. L. wird schließlich durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. E. in seinem vom SG eingeholten Gutachten vom 14. April 2008 gestützt. Die Klägerin, die an Konversionsstörungen sowie an einer abhängigen Persönlichkeitsstörung leide, konnte nach seiner Beurteilung noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten überwiegend sitzend bzw. im Wechsel der drei Haltungsarten und ohne besonderen Zeitdruck verrichten. Auch die Ausübung geistiger Tätigkeiten war nicht eingeschränkt. Vermehrte Arbeitspausen waren ebenfalls nicht erforderlich. Soweit Prof. Dr. K. geistig schwierige Tätigkeiten ausgeschlossen hat, ist darauf hinzuweisen, dass er offensichtlich geistig besonders anspruchsvolle Tätigkeiten gemeint hat. Anderenfalls wäre es nicht erklärbar, warum er eine Tätigkeit als Projektleiterin für mindestens sechs Stunden täglich möglich hielt. Abgesehen davon ist Prof. Dr. E. von seinem Fachgebiet her prädestiniert, die geistige Leistungsfähigkeit einzuschätzen. Deshalb verweist der Senat auf seine auch diesbezüglich überzeugende Beurteilung.

40

Nach alledem hatte die Klägerin für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis zum 30. April 2009 keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

42

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.


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