Urteil vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (2. Senat) - L 2 AL 72/13
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 8. September bis zum 30. September 2008.
- 2
Nach Abschluss ihrer schulischen Ausbildung absolvierte die am ... 1988 geborene Klägerin in der Zeit vom 27. August 2007 bis zum 26. August 2008 ein freiwilliges soziales Jahr. Träger war das Deutsche Rote Kreuz (DRK) des Saarlandes (im Folgenden als Träger bezeichnet). Die Klägerin war als Helferin im Centre Hospitalier "L." in St. A. in Frankreich eingesetzt. Nach der mit dem Träger im Mai 2007 abgeschlossenen "Vereinbarung über die Ableistung eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ)" verpflichtete sich die Klägerin, die Dienst- und Hausordnung der Einsatzstelle anzuerkennen und deren Weisungen zu befolgen sowie die Aufgaben in der Einsatzstelle verantwortungsbewusst zu erfüllen. Der Träger verpflichtete sich, der Klägerin ein monatliches Taschengeld in Höhe von 150,00 EUR sowie einen Zuschuss von monatlich 55,00 EUR für Verpflegung und Fahrkosten zu zahlen und für die Zeit des freiwilligen sozialen Jahres in Frankreich "eine angemessene Unterbringung zu stellen." Weiter verpflichtete sich der Träger, die Sozialabgaben zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zu beiden Teilen zu übernehmen und im Krankheitsfall das Taschengeld gemäß den arbeitsrechtlichen Bestimmungen weiterzuzahlen. Wegen der Einzelheiten des Vertrages wird auf Blatt 49 bis 51 der Gerichtakten Bezug genommen. Während des freiwilligen sozialen Jahres erhielt die Klägerin vom Träger für den vollen Monat jeweils einen Betrag von 205,00 EUR. Weiter stellte der Träger der Klägerin unentgeltlich eine möblierte Unterkunft in einer als Zwei-Personen-Wohngemeinschaft zu nutzenden Wohnung zur Verfügung. In der Einrichtung erhielt die Klägerin zudem ein kostenfreies Mittagessen.
- 3
Am 8. September 2008 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Sie gab an, ab dem 1. Oktober 2008 ein Studium aufzunehmen. Der Träger bescheinigte ihr ein abgerechnetes Arbeitsentgelt in der Zeit vom 26. August 2007 bis zum 26. August 2008 in einer Höhe von insgesamt 2.460,00 EUR (205,00 EUR monatlich in der Zeit vom 1. September 2007 bis Ende Juli 2008 sowie anteilig 33,06 EUR für August 2007 und 171,94 für August 2008) erzielt zu haben.
- 4
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 8. Oktober 2008 Alg für die Zeit vom 8. September 2008 bis zum 30. September 2008 in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 3,19 EUR. Dabei legte die Beklagte für die Leistungsberechnung ein tägliches Bemessungsentgelt von 6,72 EUR und entsprechend der Lohnsteuerkarte der ledigen Klägerin für das Jahr 2008 die Steuerklasse I zugrunde.
- 5
Die Klägerin erhob gegen die Leistungsbewilligung Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, die Leistungshöhe sei zu niedrig. Ihr Alg-Anspruch sei im Wege der fiktiven Bemessung nach der Qualifikationsstufe 4 zu berechnen. Bei anderen Arbeitslosen in der gleichen Lage sei so verfahren worden.
- 6
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2008 zurück.
- 7
Die Klägerin hat am 5. Januar 2009 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und vorgetragen: Die Versicherungspflicht im freiwilligen sozialen Jahr bestehe unabhängig von der Zahlung von Arbeitsentgelt. Sie habe lediglich ein Taschengeld und Sachbezüge erhalten. Andere Arbeitsagenturen in anderen Städten hätten bei vergleichbarer Sachlage der Leistungsbemessung ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde gelegt.
- 8
Das Sozialgericht Magdeburg hat mit Urteil vom 9. September 2013 den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2008 abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 8. September 2008 bis zum 30. September 2008 Alg in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 7,51 EUR unter Anrechnung des bereits erbrachten täglichen Leistungsbetrages von 3,19 EUR zu zahlen. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen es ausgeführt: Der Klägerin stehe im streitigen Zeitpunkt ein Alg in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 7,51 EUR zu. Dieses ergebe sich aber nicht aus einer fiktiven Bemessung. Die Klägerin habe sich arbeitslos gemeldet und sei im streitigen Zeitraum auch arbeitslos gewesen. Sie habe die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Alg erfüllt. Innerhalb der Rahmenfrist vor Eintritt der Arbeitslosigkeit habe die Klägerin während des freiwilligen sozialen Jahres, das sie vom 27. August 2007 bis zum 26. August 2008 absolviert habe, in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Zwar handele es sich bei dem freiwilligen sozialen Jahr nicht um ein Arbeitsverhältnis, dennoch liege eine Beschäftigung vor. Die Klägerin sei im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres unter fachlicher Anleitung als Helferin im pflegerischen, erzieherischen und hauswirtschaftlichen Bereich in einer Altenpflegeeinrichtung eingesetzt gewesen und habe somit Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verrichtet. Sie sei auch gegen Entgelt beschäftigt gewesen. Die Klägerin habe Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) in der Form des als Taschengeld bezeichneten monatlichen Betrages und in Form von Sachbezügen erhalten. Die Klägerin falle auch nicht unter die Regelung des § 344 Abs. 2 SGB III, wonach für Personen, die unmittelbar nach einem Versicherungspflichtverhältnis ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligengesetzes leisteten, als beitragspflichtige Einnahme ein Arbeitsentgelt in Höhe der monatlichen Bezugsgröße gelte. Die Voraussetzungen für eine fiktive Bemessung nach § 132 SGB III seien nicht gegeben, da bei der Klägerin im einjährigen Bemessungszeitraum mehr als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt gegeben seien. Bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes seien für die Bemessung somit das ihr bescheinigte Arbeitsentgelt in Höhe von 2.460,00 EUR sowie die erhaltenen Sachbezüge zugrunde zu legen. Es ergebe sich ein Bemessungsentgelt von 5.810,96 EUR für 366 Tage bzw. von 15,87 EUR pro Tag. Daraus folge nach §§ 133,129 Nummer 2 SGB III ein täglicher Leistungsbetrag von 7,51 EUR. Das SG hat die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Wegen der näheren Einzelheiten des Tatbestands und der Entscheidungsgründe wird auf Blatt 140 bis 146 der Gerichtsakte Bezug genommen.
- 9
Gegen das ihr am 23. September 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Oktober 2013 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Dezember 2009, B 11 AL 42/08 R, ergebe sich, dass auch in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht zwingend ein Arbeitsentgelt gezahlt werde. Kein Arbeitsentgelt sei anzunehmen, wenn es sich bei der Zahlung um die Förderung durch einen Träger mit eigenem Förderungszweck handele. Dies sei bei den Leistungen im freiwilligen sozialen Jahr der Fall. Durch die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen werde gewährleistet, dass nur Leistungen gezahlt würden, die keinen Entlohnungscharakter hätten. Dadurch solle die Freiwilligkeit des Dienstes sichergestellt werden. Durch die Bezeichnung als Taschengeld in § 2 des Gesetzes zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres habe der Gesetzgeber geregelt, dass es sich nicht um Arbeitsentgelt handele. Dem Anspruch der Klägerin auf eine fiktive Bemessung des Arbeitsentgeltes stehe nicht § 344 Abs. 2 SGB III in der einschlägigen Fassung entgegen. Die Regelung begünstige die Teilnehmer eines freiwilligen sozialen Jahres, welche vorher in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden hätten. Da die Bemessung nach der Bezugsgröße zumeist deutlich über dem liegen werde, was sich bei einer fiktiven Bemessung ergebe, sei dieser Personenkreis immer noch stärker begünstigt als die anderen Teilnehmer des freiwilligen sozialen Jahres, bei denen das Arbeitsentgelt fiktiv zu bemessen sei. Die Regelung zur fiktiven Bemessung sei gerade geschaffen worden, um für den begünstigten Personenkreis in den Fällen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, in denen überhaupt kein Arbeitsentgelt gezahlt werde, ein Mindestarbeitslosengeld zu gewährleisten. Es sei unstreitig, dass auch Praktikanten oder bestimmte Auszubildende in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis Anspruch auf eine solche Bemessung haben könnten.
- 10
Die Klägerin beantragt,
- 11
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 9. September 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld für die Zeit vom 8. September bis zum 30. September 2008 auf der Basis eines fiktiven Arbeitsentgeltes zu gewähren.
- 12
Die Beklagte beantragt,
- 13
die Berufung zurückzuweisen.
- 14
Die Beklagte meint: Aus § 130 Abs. 2 Nr. 2 SGB III bzw. aus der entsprechenden Regelung für die Zeit seit dem 1. April 2012 in § 150 Abs. 2 Nr. 2 SGB III jeweils i.V.m. § 344 Abs. 2 SGB III ergebe sich, dass der Gesetzgeber nicht alle Zeiten des Freiwilligendienstes von der Bestimmung des Bemessungszeitraums habe ausnehmen wollen. Sei der einschlägige Ausnahmetatbestand nicht erfüllt, gehöre der Freiwilligendienst im Umkehrschluss zum Bemessungszeitraum. Die Rechtslage sei damit eindeutig. Ohne unmittelbare Vorbeschäftigung sei während des Freiwilligendienstes das wie auch immer bezahlte Arbeitsentgelt zuzüglich eventueller Sachbezüge beitragspflichtig und für die Bemessung maßgebend. Nur beim anderweitigen Versicherungsverhältnis innerhalb des letzten Monats vor dem freiwilligen sozialen Jahres sei während des Freiwilligendienstes die Bezugsgröße beitragspflichtig und bei anschließender Arbeitslosigkeit grundsätzlich das Arbeitsentgelt aus der Vorbeschäftigung als Bemessungsentgelt maßgebend, wenn mindestens 150 Tage Arbeitsentgeltanspruch im erweiterten Bemessungszeitraum vorlägen. Nur wenn dies nicht der Fall sei, sei die sogenannte fiktive Bemessung Auffangtatbestand.
- 15
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
- 16
Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden sowie im Sinne des § 143 SGG statthaft. Die Berufung ist nicht wegen der Nichterreichung des Werts des Beschwerdegegenstandes nach § 144 SGG unzulässig, denn das SG hat die Berufung ausdrücklich zugelassen.
- 17
Die Berufung ist aber unbegründet. Das SG hat im von der Klägerin angefochtenen Urteil die Leistungshöhe für das im Streit stehende Alg der Klägerin zutreffend bestimmt.
- 18
Die Klägerin hatte sich ab dem 8. September 2008 arbeitslos gemeldet. Damit lagen die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf Alg für die Dauer der Arbeitslosigkeit ab dem 8. September 2008 vor. Die Klägerin war arbeitslos im Sinne des § 118 Abs. 1 SGB III und hatte sich arbeitslos gemeldet. Sie hatte auch die für den Anspruch erforderliche Anwartschaftszeit erfüllt. Denn sie hatte in der mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen beginnenden zweijährigen, vom Zeitpunkt des Beginns aus in der Vergangenheit liegenden zweijährigen Rahmenfrist (§ 124 Abs. 1 SGB III) die in § 123 SGB III genannte Voraussetzung erfüllt, mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden zu haben. Die Klägerin stand während der Zeit vom 27. August 2007 bis zum 26. August 2008, in der sie das freiwillige soziale Jahr absolvierte, in einem Versicherungspflichtverhältnis. In einem Versicherungspflichtverhältnis stehen nach § 24 Abs. 1 SGB III Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind Personen versicherungspflichtig, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (versicherungspflichtige Beschäftigung). Beschäftigung ist nach der gesetzlichen Definition im § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind dabei eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Die Klägerin stand in der Zeit, in der sie das freiwillige soziale Jahr absolvierte nicht in einem Arbeits- sondern in einem besonderen Dienstverhältnis. Sie leiste aber eingegliedert in die Arbeitsorganisation des Altenheimes Arbeit und war vertraglich verpflichtet, den Weisungen der weisungsberechtigten Personen dieser Einsatzstelle Folge zu leisten. Die genannten Vorschriften über das Bestehen einer Versicherungspflicht galten nach § 4 Abs. 1 SGB IV, obwohl die Klägerin im Ausland eingesetzt war. Denn die Vereinbarung über die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres war zwischen der Klägerin und dem Träger im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches (im Inland) abgeschlossen worden, so dass auch ein Beschäftigungsverhältnis im Inland begründet wurde. Im Rahmen dieses Beschäftigungsverhältnisses war die Klägerin für eine von vornherein begrenzte Zeit zur Ableistung des Dienstes vom Träger nach Frankreich entsandt und die Weisungsbefugnis auf die dortige Einrichtung übertragen worden.
- 19
Die Klägerin war auch gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Nach der weiten Definition des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind Arbeitsentgelt alle laufenden und einmaligen Einnahme aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung und in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit dieser erzielt werden. In diesem Sinne stellten die Geldzahlungen und auch die Sachleistungen, die die Klägerin während des freiwilligen sozialen Jahres vom Träger (Taschengeld, Zuschuss zu Verpflegung und Fahrkosten, Stellung der Unterkunft) bzw. in der Einrichtung (Mittagessen) erhielt, Arbeitsentgelt dar. Bei der der Klägerin unter der Bezeichnung "Taschengeld" gezahlten Leistung handelt es sich auch nicht um eine besondere Zuwendung, die unabhängig von der Erbringung der Arbeit in der Einrichtung durch den Träger gezahlt wurde. Nach dem Inhalt der zwischen der Klägerin und dem Träger geschlossenen Vereinbarung bestand ein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der vereinbarten Zahlung von Taschengeld und Zuschuss einerseits und der Arbeitserbringung anderseits. Dies wird auch dadurch deutlich, dass der Fortzahlungsanspruch im Krankheitsfall gesondert geregelt war und die Weiterzahlung in entsprechender Anwendung arbeitsrechtlicher Bestimmungen zu erfolgen hatte. Zudem ergibt sich das Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen den Leistungen auch aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen Jahres vom 17. Juli 2002 (BGBl. I, S. 2002). Dieses Gesetz fand für die gesamte Zeit des von der Kläger absolvierten freiwilligen Jahres Anwendung, weil sie die Vereinbarung mit dem Träger vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten – Jugendfreiwilligendienstgesetz vom 1. Juni 2008 (BGBl. I, S. 842) am 1. Juni 2008 abgeschlossen und den Dienst auch vorher angetreten hatte (vgl. die Übergangsreglung in § 15 Jugendfreiwilligendienstgesetz). Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen Jahres dürfen Freiwillige für den Dienst nur unentgeltliche Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung sowie ein angemessenes Taschengeld erhalten oder anstelle von Unterkunft, Verpflegung und Arbeitskleidung entsprechende Geldleistungen, wobei ein Taschengeld dann angemessen ist, wenn es sechs vom Hundert der in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten geltenden Beitragsbemessungsgrenze nicht übersteigt. Die Worte "für den Dienst" weisen klar auf ein Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen dem Dienst bzw. der Dienstleistung einerseits und den während des freiwilligen sozialen Jahres zu erbringenden Leistungen andererseits hin. Weil die Begrenzung der Leistungen auf einer gesetzlichen Regelung beruht kann gegen die Annahme des Entgeltcharakters auch nicht eingewandt werden, die Leistungen hätten nicht in einem angemessenen Verhältnis zur erbrachten Arbeit gestanden. Für die gesetzgeberische Wertung, dass die Leistungen der Träger bzw. Einsatzstellen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis erbracht werden, spricht auch die Regelung im § 27 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III, wonach die Versicherungsfreiheit für Personen in einer geringfügigen Beschäftigung nicht für diejenigen gilt, die nach dem Gesetz zur Förderung eines freiwilligen soziales Jahr bzw. in der ab dem 1. Juni 2008 geltenden Fassung nach dem Jugendfreiwilligendienstgesetz beschäftigt sind. Diese Regelung belegt, dass der Gesetzgeber das nach den genannten Gesetzen abgeleistete freiwillige soziale Jahr grundsätzlich als Beschäftigung ansieht und die dort erbrachten Leistungen als Arbeitsentgelt.
- 20
Für die Berechnung der Höhe des Alg ist im Regelfall das Bemessungsentgelt nach § 131 Abs. 1 SGB III zu bestimmen. Danach ist als Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt maßgeblich, dass der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfasst die bei Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB III). Im Falle der Klägerin ist nach diesen Vorschriften der Bemessungszeitraum das Jahr ihrer Beschäftigung im Rahmen des freiwilligen sozialen Jahres, also der Zeitraum vom 27. August 2007 bis zum 26. August 2008. Denn diese Beschäftigung war das letzte Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Alg-Anspruchs ab dem 8. September 2008. Diese Zeit war auch nicht bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht zu lassen. Dies ist nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 SGB III bei Zeiten einer Beschäftigung als Freiwillige im Sinne des Gesetz zur Förderung eines freiwilligen soziales Jahr bzw. in der ab dem 1. Juni 2008 geltenden Fassung nach dem Jugendfreiwilligendienstgesetz nur dann der Fall, wenn sich die beitragspflichtigen Einnahmen nach § 344 Abs. 2 SGB III bestimmen. Dort ist geregelt, dass für Personen, die unmittelbar nach einem Versicherungspflichtverhältnis ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren, als beitragspflichtige Einnahme ein Arbeitsentgelt in Höhe der monatlichen Bezugsgröße gilt. Die Klägerin fällt nicht unter den Anwendungsbereich dieser Vorschrift, weil sie das freiwillige soziale Jahr unmittelbar nach Ende ihrer schulischen Ausbildung absolvierte und nicht vor dem Beginn des freiwilligen sozialen Jahres Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses zurückgelegt hatte.
- 21
Die Voraussetzungen für eine Bemessung unter Zugrundelegung eines fiktiven Arbeitsentgelts lagen nicht vor. Voraussetzung für eine solche Bemessung ist nach § 132 Abs. 1 SGB III, dass innerhalb eines auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens kein Bemessungszeitraum mit mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festgestellt werden kann. Wie oben ausgeführt, war ein solcher Bemessungszeitraum für den Anspruch der Klägerin aber schon innerhalb des einjährigen Bemessungsrahmens festzustellen. Insofern lag eine andere Konstellation vor als in dem vom BSG mit Urteil vom 3. Dezember 2009 - B 11 AL 42/08 R - entschiedenen Fall, in dem während einer außerbetrieblichen Ausbildung kein Arbeitsentgeltanspruch bestand und deshalb innerhalb des Bemessungsrahmens keine Zeiten mit Anspruch auf Arbeitsentgelt festzustellen waren.
- 22
Das SG hat die Höhe des als Bemessungsentgelt zugrunde zu legenden Arbeitsentgelts, das die Klägerin während des hier maßgeblichen Bemessungszeitraums vom 27. August 2007 bis zum 26. August 2008 erzielt hat, zutreffend bestimmt. Zu berücksichtigen sind zum einen die gezahlten und vor Entstehung des Anspruchs auch abgerechneten Geldzahlungen in einer Höhe von insgesamt 2.460,00 EUR (205,00 EUR monatlich in der Zeit vom 1. September 2007 bis Ende Juli 2008 sowie anteilig 33,06 EUR für August 2007 und 171,94 für August 2008). Weiter sind die erbrachten Sachleistungen nach den Vorgaben der zumindest entsprechend anzuwendenden Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung - SvEV) vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I, S. 3385) zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SvEV ist das Mittagessen, das die Klägerin in der Einrichtung, in der sie tätig war, erhielt, mit einen monatlichen Wert von 80,00 EUR zu berücksichtigen. Für die der Klägerin gestellte Unterkunft sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV monatlich 198,00 EUR zu berücksichtigen. Die Minderung nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SvEV greift nicht ein. Auch wenn die Klägerin in einer aus zwei Personen bestehenden Wohngemeinschaft lebte, hatte sie dort doch innerhalb der Wohnung ihre eigene, nur von ihr belegte Unterkunft. Insgesamt sind somit die Sachbezüge mit monatlich 278,00 EUR zu berücksichtigen.
- 23
Für den Bemessungszeitraum vom 27. August 2007 bis zum 26. August 2008 ergibt sich ein Bemessungsentgelt von insgesamt 5.810,96 EUR und kalendertäglich von 15,87 EUR. Der Senat nimmt insofern auf die zutreffende Darstellung der Berechnung im Urteil des SG (Blatt 146 der Gerichtsakten) Bezug. Ausgehend von diesem Bemessungsentgelt ergibt sich nach §§ 133, 129 Nr. 2 SGB III unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse I und des allgemeinen Leistungssatzes von 60 Prozent ein täglicher Leistungssatz von 7,51 EUR.
- 25
Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 132 Abs. 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 1 SGB IV 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 144 1x
- 11 AL 42/08 2x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 1 Nr. 2 SvEV 1x (nicht zugeordnet)
- § 344 Abs. 2 SGB III 4x (nicht zugeordnet)
- SGG § 143 1x
- § 150 Abs. 2 Nr. 2 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 133, 129 Nr. 2 SGB III 2x (nicht zugeordnet)
- § 118 Abs. 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 132 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 124 Abs. 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 160 1x
- § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV 1x (nicht zugeordnet)
- § 130 Abs. 2 Nr. 2 SGB III 2x (nicht zugeordnet)
- § 7 Abs. 1 SGB IV 1x (nicht zugeordnet)
- § 27 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 24 Abs. 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 131 Abs. 1 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SvEV 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 193 1x
- § 123 SGB III 1x (nicht zugeordnet)
- § 130 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB III 1x (nicht zugeordnet)