Beschluss vom Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (1. Senat) - L 1 RS 1/16

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt im Berufungsverfahren von der Beklagten noch Erklärungen, Feststellungen bzw. Bestätigungen im Zusammenhang mit der Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Alters- und Versorgungssystem der technischen Intelligenz (AVItech) und der entsprechenden Arbeitsentgelte.

2

Der am ... 1932 geborene Kläger begehrte zuletzt im Wege des Zugunstenverfahrens für den Zeitraum 11. August 1965 bis zum 30. Juni 1990 seine Einbeziehung als Diplom-Chemiker in die AVItech entsprechend dem Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 (ZV-System) zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG). Er erhielt am 18. Oktober 1957 von der ... den akademischen Grad "Diplom-Chemiker" verliehen. Im Anschluss arbeitete er als wissenschaftlicher Oberassistent und als Diplom-Chemiker. Ab 1. August 1965 bis über den 30. Juni 1990 hinaus im VEB L. " ..." im Forschungsbereich tätig. Eine Versorgungszusage hatte der Kläger zu DDR-Zeiten nicht erhalten.

3

Der Kläger stellte am 5. Januar 1999 bei der Beklagten erstmals einen Antrag auf Einbeziehung in das ZV-System der AVItech. Unter anderem lehnte die Beklagte mit dem Bescheid vom 7. März 2000 für den streitgegenständlichen Beschäftigungszeitraum eine Zugehörigkeit zum ZV-System ab, da der Kläger mit seiner Qualifikation als Diplom-Chemiker nicht obligatorisch versorgungsberechtigt gewesen sei. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2002 zurück. Die am 9. August 2002 hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Halle mit Urteil vom 21. September 2006 ab (S 12 RA 439/04). Die vom Kläger eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) mit Urteil vom 6. November 2008 zurück (L 1 R 501/06). Eine in der Sache erhobene Wiederaufnahmeklage des Klägers wies das LSG mit Urteil vom 24. März 2011 ab (L 1 R 168/09 WA). Dessen gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde verwarf das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 11. Juli 2011 als unzulässig (B 5 RS 46/11 B).

4

Der Kläger begehrte hiernach am 16. Mai 2011 im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X), den Ausgangsbescheid vom 7. März 2000 zu überprüfen. Mit Bescheid vom 6. Juni 2011 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag als unbegründet ab. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2011 zurück.

5

Am 9. September 2011 erhob der Kläger hiergegen beim SG Halle Klage (S 6 R 971/11) und trug vor, in der DDR seien nach den tatsächlichen Verhältnissen Industrie-Chemiker und diejenigen, an die eine Treueprämie gezahlt worden sei, von Anfang an in das ZV-System der AVItech einbezogen gewesen. Mit Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2011 wies das SG die Klage als unbegründet ab, da der Bescheid vom 7. März 2000 bei seinem Erlass rechtmäßig gewesen sei. Auf die Begründung der Urteile des LSG Sachsen-Anhalt vom 6. November 2008, des SG Halle vom 21. September 2006 und des Bescheides vom 6. Juni 2011 wurde verwiesen. Der Kläger habe aus bundesrechtlicher Sicht keinen zwingenden Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt und könne daher nicht nachträglich in das ZV-System einbezogen werden. Der Bildungsabschluss als Diplom-Chemiker sei in der 2. Durchführungsbestimmung nicht ausdrücklich erwähnt und Diplom-Chemiker seien auch nach dem Sprachverständnis der DDR nicht mit Ingenieuren gleich gesetzt worden. Aufgrund des Neueinbeziehungsverbots könnten heute nach Bundesrecht auch keine Analogien gebildet werden. Mangels Berechtigung, damals den Titel eines "Ingenieur" führen zu können, erfülle der Kläger nicht die persönliche Voraussetzung für eine nachträgliche Einbeziehung in die AVItech.

6

Gegen den ihm am 22. Dezember 2011 zugestellten Gerichtsbescheid legte der Kläger am 5. Januar 2012 unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages Berufung beim LSG ein und bezog sich auf die zu DDR-Zeiten erfolgte Einbeziehung von Diplom-Chemikern in die ZV-Systeme sowie seine diesbezüglichen persönlichen Erfahrungen. Der erkennende Senat wies die Berufung des Klägers mit Urteil vom 20. August 2013 zurück (L 1 RS 3/12).

7

Am 30. Januar 2014 beantragte der Kläger die Wiederaufnahme des Verfahrens. Mit Beschluss vom 19. Dezember 2014 verwarf der erkennende Senat die Wiederaufnahmeklage als unzulässig (L 1 RS 4/14 WA). Anhörungsrüge und Gegenvorstellung des Klägers gegen diesen Beschluss verwarf der Senat mit Beschluss vom 29. Januar 2015 (L 1 RS 5/15 RG WA). Ein Rechtsschutzgesuch des Klägers vom 10. März 2015 verwarf das BSG mit Beschluss vom 24. März 2015 als unzulässig (B 5 RS 2/15 S).

8

Der Kläger beantragte daraufhin am 3. Februar 2015 wiederum die Überprüfung seines Feststellungsbescheides. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Februar 2015 ab. Den hiergegen am 25. Februar 2015 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2015 zurück.

9

Hiergegen hat der Kläger am 18. Mai 2015 erneut Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben und ausgeführt, die Beklagte habe eine Lügenthese erfunden, wenn sie behaupte, ihre Entscheidung sei rechtmäßig. Sie verstoße gegen die Gesetzesbestimmungen der DDR. Der Kläger hat die Klärung der "offenen Rechtsfrage" begehrt, wie es möglich sei, dass die Beklagte Lügen über Industrie-Chemiker der DDR verbreiten und diese Lügenthese in die Tat umsetzen dürfe, um Industrie-Chemiker zu benachteiligen. Zudem seien unter Abänderung der behördlichen Entscheidungen die Zugehörigkeit zur AVItech und die entsprechenden Arbeitsentgelte für den Zeitraum vom 1. August 1965 bis zum 30. Juni 1990 zu seinen Gunsten festzustellen.

10

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. Januar 2016 abgewiesen. Der Antrag zu 1 sei unzulässig, da er sich gegen den unzutreffenden Klagegegner richte. Dieser sei nicht die Deutsche Rentenversicherung Bund, sondern die Deutsche Rentenversicherung Bund Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme. Zudem gebe es keine Rechtsgrundlage für einen Anspruch des Klägers auf Beantwortung der vom ihm aufgeworfenen Frage. Hinsichtlich des Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehrens sei auf die Rechtsprechung des BSG zu den Diplom-Chemikern hinzuweisen. Das Bundesverfassungsgericht habe Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, da sie keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätten. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz sei nicht ersichtlich.

11

Der Kläger hat gegen das ihm am 21. Januar 2016 zugestellte Urteil am 2. Februar 2016 Berufung beim LSG eingelegt und eingeräumt, der "Erfinder der Lügenthese" sei "eindeutig der Zusatzversorgungsträger". Allerdings habe die Beklagte von Anfang an die Seite des "Erfinders" verteidigt.

12

Der Kläger beantragt schriftsätzlich und wörtlich, den Zusatzversorgungsträger zu verpflichten, seine Lügenthese wegen fehlender Beweismittel sofort zurückzuziehen, festzulegen, dass unter dem Begriff "Ingenieure und Techniker der Chemie" der 2. DB a) Diplom-Chemiker als Hochschul-Absolventen und b) Chemie-Ingenieure als Fachschul-Absolventen der Fachrichtung Chemie zu verstehen sind, zu bestätigen, dass der Berufungskläger als Diplom-Chemiker gem. § 1 (bzw. § 2) der Novelle Landesingenieurgesetz Sachsen-Anhalt den Titel Diplomchemieingenieur führen darf.

13

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Berufung zurückzuweisen.

14

Sie erwidert, dass die Entscheidung des SG der Sach- und Rechtslage entspreche. Zu erwähnen sei, dass die Sammelpetition der Diplom-Chemiker aus der ehemaligen DDR vom Deutschen Bundestag im April 2014 zurückgewiesen worden sei. Die zugehörige Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses hat die Beklagte beigefügt (Beschlussempfehlung vom 16. Oktober 2014).

15

Mit Schreiben vom 17. Februar 2016 hat der Kläger den erkennenden Senat wegen Befangenheit abgelehnt. Nachdem der 3. Senat des LSG als Vertretungssenat darauf hingewiesen hat, dass der erkennende Senat in neuer Besetzung über die Sache entscheiden werde, hat der Kläger mit Schreiben vom 29. März 2016 den Ablehnungsantrag gegen den erkennenden Senat zurückgezogen.

16

Der Berichterstatter hat unter dem 12. Mai 2016 die Beteiligten im Hinblick auf eine Entscheidung gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört, den Gesetzeswortlauf dieser Norm mitgeteilt und eine Frist bis zum 8. Juni 2016 gesetzt.

17

Der Kläger hat daraufhin seine "Zurückziehung vom 29. März 2016 wieder zurückgezogen". Der 3. Senat des LSG hat hiernach mit Beschluss vom 2. August 2016 den Antrag des Klägers auf Ablehnung des erkennenden Senats vom 25. Mai 2016 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

18

Der Kläger hat unter dem 10. Oktober 2016 ausgeführt, dass er die Geschäftsstelle bitte, die Berufungsklage dem stellvertretenden 3. Senat zu übertragen. Solange der erkennende Senat nicht nachweisen könne, dass es keine Regelung gebe, die es erlaube, "Industriechemiker aus dem System nachträglich zu eliminieren", komme er als neutrales Gericht nicht mehr in Betracht.

19

Unter dem 12. November 2016 hat der Kläger an eine schnelle und positive Entscheidung des erkennenden Senats erinnert. Zudem hat er ausgeführt, dass der Zusatzversorgungsträger sein Begehren "mit einer Lügenthese" ignoriere. Die Beklagte müsse eingestehen, dass der Zusatzversorgungsträger für seine Entscheidung keine Rechtsgrundlage vorweisen könne. Mit Schreiben vom 13. Februar 2017 hat der Kläger den erkennenden Senat erinnert, auf sein Schreiben vom 12. November 2016 zu antworten. Da dies nicht geschehen sei, gehe er davon aus, dass der unwidersprochene Sachstand bei der Urteilsfindung zugrunde gelegt werde.

20

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

II.

21

Der Senat durfte eine Entscheidung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 SGG treffen, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Weil das SG mit Urteil und nicht mit Gerichtsbescheid entschieden hat, liegt ein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht vor. Die Beteiligten sind gehört worden.

22

Die nach § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf die von ihm begehrten Erklärungen, Feststellungen bzw. Bestätigungen hat; zudem sind die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten rechtmäßig und beschweren ihn nicht im Sinne der §§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

23

Für den Antrag des Klägers, den Zusatzversorgungsträger zu verpflichten, "seine Lügenthese wegen fehlender Beweismittel sofort zurückzuziehen", existiert keine Anspruchsgrundlage.

24

Auch für den Antrag des Klägers, festzulegen, dass unter dem Begriff Ingenieure und Techniker der Chemie Diplom-Chemiker und Chemie-Ingenieure zu verstehen seien, existiert keine Anspruchsgrundlage.

25

Dasselbe gilt für den Antrag des Klägers, die Beklagte möge bestätigen, dass der Berufungskläger als Diplom-Chemiker den Titel Diplomchemieingenieur führen dürfe. Auch insoweit kann der Senat dem geltenden Recht keine Anspruchsgrundlage für das Feststellungsbegehren entnehmen.

26

Der Kläger hat selbst auch keine Anspruchsgrundlagen für seine Begehren genannt.

27

Nicht ersichtlich ist, ob der Kläger sein eigentliches Begehren, Zeiten der Zugehörigkeit zum ZV-System der AVItech und die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen, im Berufungsverfahren noch weiter verfolgt. Hiergegen spricht sein Berufungsschreiben nebst Anträgen vom 31. Januar 2016.

28

Jedenfalls besteht aber auch kein diesbezüglicher Anspruch. Das SG hat zu Recht auf die Rechtsprechung des BSG und des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Der erkennende Senat hat zudem bereits negativ über den Anspruch entschieden.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

30

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nicht ersichtlich sind.


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