EuGH-Vorlage vom Oberlandesgericht Braunschweig (Senat für Bußgeldsachen) - Ss (OWi) 148/11

Tenor

I.

Das Rechtsbeschwerdeverfahren wird ausgesetzt.

II.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist der Anwendungsbereich des in Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) normierten Diskriminierungsverbots eröffnet, wenn ein Mitgliedstaat (Bundesrepublik Deutschland) von einem Luftfahrtunternehmen, das über eine in einem anderen Mitgliedstaat (Republik Österreich) erteilte, gültige Betriebsgenehmigung im Sinne der Art. 3 und 8 der Verordnung Nr.1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft verfügt, eine Einfluggenehmigung für Bedarfsflüge (gewerbliche Flüge im Nichtlinienverkehr), die von Drittstaaten in das Gebiet des Mitgliedstaates führen, verlangt?

2. Liegt - sofern die Frage 1 bejaht wird - ein Verstoß gegen Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) bereits im Genehmigungserfordernis selbst, wenn eine Einfluggenehmigung, deren Einholung mit Hilfe einer Geldbuße durchgesetzt werden kann, für Flugdienste aus Drittstaaten zwar von Luftfahrtunternehmen, die eine Verkehrszulassung (Betriebsgenehmigung) in den übrigen Mitgliedstaaten erhalten haben, nicht jedoch von Luftfahrtunternehmen mit Verkehrszulassung in der Bundesrepublik Deutschland gefordert wird?

3. Darf - sofern der Anwendungsbereich von Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV zwar eröffnet ist (Frage 1), das Genehmigungserfordernis selbst jedoch nicht als diskriminierend bewertet wird (Frage 2) - die Erteilung einer Einfluggenehmigung für Flugdienste der Betroffenen, die von Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland führen, unter Androhung einer Geldbuße ohne Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot davon abhängig gemacht werden, ob das Luftfahrtunternehmen des Mitgliedstaates bei der Genehmigungsbehörde nachweist, dass Luftfahrtunternehmen mit Verkehrszulassung in der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage sind, die Flüge durchzuführen (Nichtverfügbarkeitserklärung)?

Gründe

I.

1

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig hat über die Rechtsbeschwerde der I. GmbH (Betroffene) gegen ein Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 24. Mai 2011 zu entscheiden. Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 2 Abs. 7, 58 Abs. 1 Nr. 12a Luftverkehrsgesetz (LuftVG) in einem Fall sowie wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die genannten Vorschriften in zehn weiteren Fällen zu Geldbußen von 500,- € (fahrlässiger Verstoß), 1.890,00 € (4 vorsätzliche Verstöße) und 600,00 € (6 weitere vorsätzliche Verstöße) verurteilt.

2

Nach den Feststellungen des angegriffenen Urteils führte die Betroffene im Zeitraum vom 9. Dezember 2008 bis 15. März 2009 sog. Bedarfsflüge von Moskau (6 Fälle) und Ankara (1 Fall) nach Deutschland durch. Für keinen der Flüge lag eine Erlaubnis für den Einflug in die Bundesrepublik Deutschland nach § 2 Abs. 7 LuftVG i. V. m. §§ 94 ff. Luftverkehrszulassungsordnung (LuftVZO) vor. Bei drei Fällen, die jeweils mit Geldbußen in Höhe von 1.890,- € geahndet wurden, war die Einfluggenehmigung zuvor vom Luftfahrtbundesamt wegen Fehlens einer sogenannten "Nichtverfügbarkeitserklärung" versagt worden. In den übrigen Fällen war zum Zeitpunkt des Einflugs über den Genehmigungsantrag noch nicht entschieden. Dem angefochtenen Urteil lässt sich insoweit nicht entnehmen, weshalb die Genehmigungen bei Einflug nicht erteilt waren.

3

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:

4

Datum

Start

(Zwischen-) Ziel

Ziel

        

9.12.08

VKO
Moskau (Vnokowo)

FRAU
Frankfurt

VKO
Moskau (Vnokowo)

Fahrl.
500,--

18.12.08

VKO
Moskau (Vnokowo)

SXF
Berlin (Schönefeld)

VKO
Moskau (Vnokowo)

Vorsatz
1890,--

19.02.09

VKO
Moskau (Vnokowo)

SXF
Berlin (Schönefeld)

VKO
Moskau (Vnokowo)

Vorsatz
800,--

22.02.09

VKO
Moskau (Vnokowo)

SXF
Berlin (Schönefeld)

VKO
Moskau (Vnokowo)

Vorsatz
1890,--

07.03.09

VKO
Moskau (Vnokowo)

MUC
München

LBG
Le Bourget

Vorsatz
1890,--

27.02.09

ESB
Ankara (Esenboga)

SXF
Berlin (Schönefeld)

       

Vorsatz
800,--

15.03.09

VKO
Moskau (Vnokowo)

NUE
Nürnberg

        

Vorsatz
800,--

5

Außerdem soll die Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts in vier weiteren Fällen (20.02.2009 [von Düsseldorf], 27.02.2009 [von Nürnberg], 04.03.2009 [von Berlin] und am 14.03.2009 [von Nürnberg]) Flüge von Deutschland nach Moskau ohne die erforderliche Genehmigung durchgeführt haben, was das Gericht ebenfalls unter § 58 Abs. 1 Nr. 12a i. V. m. § 2 Abs. 7 LuftVG subsumierte. Diese Fälle sollen dem Gerichtshof der europäischen Union nicht vorgelegt werden, weil sich die Feststellungen lediglich auf ungenehmigte Ausflüge beziehen, für die die Betroffene nach deutschem Recht keine Genehmigung benötigte.

6

Bei der Betroffenen handelt es sich um ein Luftfahrtunternehmen mit Sitz in der Republik Österreich. Sie führt sogenannte Bedarfsflüge (gewerbliche Flüge im Gelegenheitsverkehr) durch. Dabei bietet sie Flugdienste auf Flugrouten innerhalb der Union an, nutzt ihre Flugzeuge aber auch - wie vorliegend - für Flüge von Drittstaaten in die europäische Union. Die Betroffene verfügte zum Tatzeitpunkt über eine vom österreichischen Verkehrsministerium ausgestellte, gültige Betriebsgenehmigung im Sinne der Art. 3 und 8 der Verordnung Nr.1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft. Außerdem besaß sie ein Luftverkehrsbetreiberzeugnis (Air Operator Certificate) gemäß Art. 6 der genannten Verordnung Nr.1008/2008. Das Luftverkehrsbetreiberzeugnis wurde von der Austro Control GmbH ausgestellt, einer mit hoheitlichen Aufgaben ausgestatteten Gesellschaft, deren Anteile von der Republik Österreich gehalten werden.

7

Nach Ansicht des Amtsgerichts, das sich insoweit auf einen Beschluss des Senats vom 26.05.2010 (Ss (OWi) 82/09) stützt, kommt es auf die Vereinbarkeit des deutschen Bußgeldtatbestandes mit europäischem Recht nicht an, weil diese Frage im Bußgeldverfahren nicht zu prüfen sei. Das Amtsgericht meint, dass die Betroffene die Ablehnung der Genehmigungen vielmehr auf dem Verwaltungsrechtsweg hätte anfechten bzw. beim Verwaltungsgericht Genehmigungen einfordern müssen, was sie versäumt habe.

8

Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Sie bringt vor, der Bußgeldtatbestand (§ 58 Abs. 1 Nr. 12a i. V. m. § 2 Abs. 7 LuftVG) verstoße gegen europäisches Recht. Es sei mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht vereinbar, wenn die Betroffene auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen werde, um das Genehmigungserfordernis anzugreifen. Vielmehr führe die Verletzung europäischen Rechts im Fall der Betroffenen zur Unanwendbarkeit der Bußgeldvorschrift:

9

Ein Anspruch auf genehmigungsfreien Einflug folge schon aus der zitierten Verordnung Nr.1008/2008. Sie bezwecke über ihren Wortlaut hinaus nicht nur eine Liberalisierung des innergemeinschaftlichen Marktes aus geografischer Sicht, sondern es ginge darum, den Markt in regulatorischer Hinsicht zu liberalisieren. Der Markt sei nach dem Zweck der Verordnung frei, soweit Unternehmen aus Mitgliedstaaten Flugdienste durchführen wollten.

10

Jedenfalls stehe das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) der Verhängung der Geldbußen entgegen, weil deutsche Luftfahrtunternehmen (solche mit Verkehrszulassung in der Bundesrepublik Deutschland) gegenüber Unternehmen aus Mitgliedstaaten benachteiligt würden. Das Genehmigungserfordernis sei diskriminierend, weil das Luftfahrtbundesamt unter Verstoß gegen ein Urteil des EuGH vom 25.01.2011 (Rechtssache C 382/08 [Neukirchinger]) nur Umstände prüfe, die von den österreichischen Behörden bereits geprüft worden seien. Lediglich hilfsweise berufe sie sich schließlich auf einen Verstoß gegen die in Art. 56 AEUV (ex Art. 49 EGV) normierte Dienstleistungsfreiheit.

11

Die Betroffene hat beantragt, das Urteil des Amtsgerichts vom 24. Mai 2011 aufzuheben und sie freizusprechen. Hilfsweise beantragt sie, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen.

12

Die Generalstaatsanwaltschaft hat demgegenüber beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen. Hilfsweise beantragt sie ebenfalls die Vorlage an den Gerichtshof der europäischen Union.

13

Die Generalstaatsanwaltschaft räumt - ebenso wie das gemäß § 76 OWiG beteiligte Luftfahrtbundesamt - zwar ein, dass das Genehmigungserfordernis (§ 2 Abs. 7 LuftVG) zumindest auch wirtschaftsprotektionistischen Zwecken diene. Dies sei der Bundesrepublik Deutschland jedoch gestattet, weil die Verordnung Nr. 1008/2008 nur innergemeinschaftliche Flugdienste erfasse, die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) im Luftverkehr nicht zur Anwendung komme und der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots (Art. 18 AEUV) ebenfalls nicht betroffen sei. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in den Urteilen zu den "open skies" Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika entschieden, dass die europäische Union keine Außenkompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge habe. Deshalb sei Art. 18 AEUV auf die verfahrensgegenständlichen Flugdienste (Abflug in Drittstaaten) nicht anwendbar und die Bundesrepublik Deutschland könne für diese Flüge eine Einfluggenehmigung verlangen, ohne dass dabei europäisches Recht zu beachten sei.

14

Im Rahmen ihrer Regelungskompetenz sei es den Mitgliedstaaten gestattet, nationale Unternehmen zu bevorzugen. Das betroffene Unternehmen aus dem Mitgliedstaat müsse deshalb durch vorherige Abfrage bei den deutschen Unternehmen sicherstellen, dass kein deutsches Unternehmen den Flug zu vergleichbaren Bedingungen durchführen will. Diese Praxis sei zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen gerechtfertigt, weil andere EU Staaten ihre nationalen Unternehmen im Verkehr mit Drittstaaten ebenfalls schützten.

15

Außerdem diene das Genehmigungserfordernis neben dem Schutz der nationalen Wirtschaft auch Sicherheitsaspekten. Denn von den Unternehmen aus Mitgliedstaaten würde nicht nur die Nichtverfügbarkeitserklärung gefordert; die Genehmigungsbehörde verlange zudem vor Erteilung der Genehmigung einen Versicherungsnachweis und lasse sich das vom Mitgliedstaat ausgestellte Luftverkehrsbetreiberzertifikat vorlegen, um zu überprüfen, ob es erteilt und noch gültig sei. Es sei zwar zutreffend, dass die Genehmigungsbehörde keine Umstände prüfe, zu deren Prüfung der Mitgliedstaat am Sitz des Unternehmens nicht verpflichtet sei. Die Praxis zeige aber, dass die Mitgliedstaaten ihrer Überwachungspflicht häufig nicht nachkämen. Deshalb seien ergänzende Kontrollen sinnvoll, die der Bundesrepublik Deutschland bei Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat nur noch bei Flugdiensten mit Drittstaatsbezug möglich seien.

16

Das Urteil des EuGH vom 25.01.2011 (Rechtssache C 382/08 [Neukirchinger]) sei nicht einschlägig, weil jener Fall innergemeinschaftlichen Luftverkehr betreffe. Er unterscheide sich maßgeblich von der vorliegenden Sache, weil die Flugzeuge hier in Drittstaaten (Russland oder Türkei) gestartet seien.

II.

17

Der Senat hält die Beantwortung der Vorlagefragen für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde für erforderlich. Er legt diese deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 AEUV zur Vorabentscheidung vor. Dabei geht der Senat von Folgendem aus:

18

1. Die Betroffene hat durch die unter I dargestellten sieben ungenehmigten Einflüge den deutschen Bußgeldtatbestand (§ 58 Abs. 1 Nr. 12a LuftVG) erfüllt. Weil die Flugzeuge der Betroffenen nicht über eine im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland erteilte Verkehrszulassung verfügen, benötigen sie nach § 2 Abs. 7 Satz 1 LuftVG eine Einfluggenehmigung; diese war in sämtlichen 7 Fällen vom zuständigen Bundesverkehrsministerium (§ 94 LuftVZO), das seinerseits die Kompetenz an das Luftfahrbundesamt delegiert hat, nicht erteilt. Die Geldbuße durfte nach § 30 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) gegen die juristische Person festgesetzt werden (Verbandsgeldbuße).

19

Die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 7 Satz 2 LuftVG, wonach eine Erlaubnis nicht erforderlich ist, wenn sich aus völkerrechtliche Abkommen ein Recht zum genehmigungsfreien Einflug ergibt, ist hier nicht einschlägig. Insbesondere folgt ein solches Recht nicht aus Art. 5 des Abkommens über die Internationale Zivilluftfahrt vom 7. Dezember 1944 (Chicagoer Abkommen), dem die Bundesrepublik Deutschland durch Zustimmungsgesetz vom 07.04.1956 (BGBl. II S.411) beigetreten ist. Aus Art. 5 Abs. 1 des Abkommens ergibt sich ein Recht zum erlaubnisfreien Einflug für den Gelegenheitsverkehr nur bei nicht gewerblichen Landungen. Bei entgeltlicher Beförderung von Passagieren - wie im vorliegenden Fall - behalten sich die Vertragsstaaten in Art. 5 Abs. 2 des Abkommens ausdrücklich weitere Einschränkungen ("regulations, conditions or limitations") vor. Von dieser Möglichkeit hat die Bundesrepublik Deutschland im Luftverkehrsgesetz Gebrauch gemacht.

20

2. Die angefochtene Entscheidung ist mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs unvereinbar, soweit der Betroffenen das Recht abgesprochen wird, sich im Bußgeldverfahren darauf zu berufen, dass das Genehmigungserfordernis gegen europäisches Recht verstößt. Die Prüfung der nationalen Vorschriften - hier des LuftVG - obliegt zwar nicht dem Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 06.03.2007, Rechtssache C-338/04, juris, Rn. 68 [Placanica]). Der Gerichtshof hat aber anerkannt, dass der Verstoß gegen primäres Gemeinschaftsrecht zur Unanwendbarkeit einer nationalen Straf- oder Bußgeldvorschrift führen kann (EuGH, Urteil vom 29.04.1999, Rechtssache C-224/97, juris, Rn. 34 [Unanwendbarkeit einer österreichischen Geldbuße, Ciola], EuGH, Urteil vom 06.03.2007, Rechtssache C-338/04, juris, Rn. 69 [Unanwendbarkeit einer italienischen Strafvorschrift, Placanica]. Insbesondere der Fall "Ciola" wird gerade dadurch geprägt, dass sich der Betroffene nicht gegen die verwaltungsrechtliche Verbotsverfügung gewandt, sondern erst die nachfolgende Geldbuße angegriffen hat.

21

3. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot liegt nahe. Der Gerichtshof hat entschieden, dass Luftfahrtunternehmen dem Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots von Art. 12 EGV (aktuell: Art.18 AEUV) unterfallen (EuGH, Urteil vom 25.01.2011, Rechtssache C-382/08, juris, Rn.29 [Neukirchinger]). Nach der Rechsprechung des Gerichtshofs schadet es ferner nicht, dass es sich bei der Betroffenen um eine juristische Person handelt. Das Diskriminierungsverbot schützt auch juristische Personen (EuGH, Urteil vom 20.10.1993, Rechtssache C 92/92 [Phil Collins] verbunden mit EuGH, C 326/92 [EMI] Rn.7, 8, 33, 35; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2011, 1 BvR 1916/09, juris, Rn. 76). Wenn sich Gesellschaften auf Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) stützen, ist nicht auf die "Staatsangehörigkeit", sondern auf deren Sitz abzustellen (EuGH, Urteil vom 25.01.2011, Rechtssache C-382/08, juris, Rn. 32 [Neukirchinger]).

22

Die Betroffene ist ferner - dies ist ebenfalls zu fordern (EuGH, Urteil vom 20.10.1993, C 92/92 [Phil Collins] verbunden mit EuGH, C 326/92 [EMI] Rn.27) - im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig geworden. Ob der Anwendungsbereich des Unionsrechts betroffen ist, richtet sich nach den Hoheitsrechten, die in den europäischen Verträgen übertragen werden (BVerfG, Beschluss vom 19.11.2011, 1 BvR 1916/09, juris, Rn. 78). Die Union hat die Zuständigkeit für Luftverkehr (Art. 4 Abs. 2g AEUV, 100 Abs. 2 AEUV = ex Art. 80 Abs. 2 EGV) und sie hat von dieser Materie auch umfassend durch Sekundärrecht Gebrauch gemacht.

23

a. Der Anwendung von Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) steht es - hierzu liegt bisher keine klärende Entscheidung des Gerichtshofs vor - nach Auffassung des Senats nicht entgegen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Flügen um solche aus Drittstaaten (Russland und Türkei) handelt. Allein der Abflug im Drittstaat führt nicht dazu, dass der Sachverhalt dem Anwendungsbereich des Unionsrechts entzogen wäre. Denn der deutsche Bußgeldtatbestand knüpft nicht an den Abflug im Drittstaat, sondern allein an den Einflug in den Geltungsbereich des LuftVG an. Auch wird die erforderliche Einfluggenehmigung von einem Luftverkehrsunternehmen gefordert, dessen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt und dessen Flugzeuge dort eine Verkehrszulassung haben.

24

Die Unanwendbarkeit von Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) ergibt sich insbesondere auch nicht aus den Urteilen des Gerichtshofs zu den "open skies" Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Zwar hat der Gerichtshof in den Urteilen zu den "open skies" Abkommen darauf hingewiesen, dass primäres Gemeinschaftsrecht für sich allein keine Außenkompetenz der Union zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge schafft (EuGH, Urteil vom 05.11.2002, C-468/98, juris Rn. 52). Vorliegend geht es jedoch nicht um die Kompetenz der Union zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge, sondern um die Gleichstellung eines deutschen Unternehmens mit einem Unternehmen mit Sitz in Österreich.

25

b. Nach Auffassung des Senats ist ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und damit eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zum Absehen von Bestrafung anzunehmen, soweit die Genehmigung vor den Einflügen vom 18.12.2008, 22.02.2009 und 07.03.2009 wegen des Fehlens der Nichtverfügbarkeitserklärung versagt und deshalb Geldbußen von je 1.890,- € verhängt wurden. Denn eine unterschiedliche Behandlung von inländischen Gesellschaften und solchen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaaten ist nur gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, vom Sitz der Gesellschaft unabhängigen Erwägungen beruht, die in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit der nationalen Regelung verfolgt wird (EuGH, Urteil vom 25.01.2011, Rechtssache C-382/08, juris, Rn. 35 [Neukirchinger]. Bei Erteilung der deutschen Verkehrszulassung, an die das nationale Genehmigungserfordernis anknüpft, soll, wie die abschließend in § 2 Abs. 1 S. 2 LuftVG normierten Zulassungsvoraussetzungen (vgl. hierzu: Giemulla in Giemulla/Schmid, 61. Aktualisierungslieferung, 2011, LuftVG, § 2 Rn. 5) belegen, die Sicherheit des Luftfahrzeugs und die Haftpflichtversicherung des Halters geprüft werden. Der Zweck der Norm schließt mithin eine Ungleichbehandlung, die auf wirtschaftsprotektionistischen Gründen beruht, aus.

26

c. Der Senat neigt ferner dazu, hinsichtlich der übrigen vier Fälle des ungenehmigten Einflugs vom 09.12.2008, 19.02.2009, 27.02.2009 und 15.03.2009, die mit Geldbußen von 500,- € und 800,- € geahndet wurden, wegen einer Verletzung des Diskriminierungsverbots ebenfalls von einer Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, jeweils von einer Verhängung der Geldbuße abzusehen. Bei diesen Fällen ist zwar bisher ungeklärt, weshalb das Luftfahrtbundesamt zum Einflugzeitpunkt (noch) keine Genehmigung erteilt hatte und ob die Nichterteilung der Genehmigung auch in diesen Fällen auf dem Fehlen der Nichtverfügbarkeitserklärung beruhte oder ob evt. andere Gründe hierfür ursächlich waren. Darauf kommt es aber nicht an, weil nicht nur die Versagung der Genehmigung zum Schutz der nationalen Wirtschaft bei Fehlen einer Nichtverfügbarkeitserklärung im Einzelfall, sondern das Genehmigungserfordernis selbst gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) verstößt. Der Senat ist dieser Ansicht, weil es sich bei den Umständen, die nach deutschem Recht im Genehmigungsverfahren geprüft werden, um solche handelt, die kontinuierlich von der Republik Österreich zu prüfen sind. Im Urteil vom 25.01.2011 in der Rechtssache C-382/08 (Neukirchinger) hat der Gerichtshof ausgeführt, dass ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip und damit zugleich eine Verletzung des Diskriminierungsverbots gegeben ist, wenn ein Mitgliedsstaat ein Bewilligungserfordernis aufstellt, ohne angemessen zu berücksichtigen, dass die Fragen, die im Bewilligungsverfahren zu prüfen sind, bereits der Prüfungskompetenz eines anderen Mitgliedstaat unterliegen (EuGH, Urteil vom 25.01.2011, Rechtssache C-382/08, juris, Rn. 42). Das ist der Fall:

27

Die nach deutschem Recht (§ 95 Abs. 3 S. 1 LuftVZO) einem Genehmigungsantrag beizufügende Bescheinigung über eine Haftpflichtversicherung darf von der Betroffenen nicht gefordert werden. Weil die Betroffene ihren Sitz in Österreich hat und das Flugzeug dort eingetragen ist, ist es nach Art. 5 Abs. 4 der VO Nr.785/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über die Versicherungsanforderungen an Luftfahrtunternehmer und Luftfahrzeugbetreiber, die den Versicherungsschutz für Fluggäste, Reisegepäck, Güter und Dritte regelt (Art. 6, 7), ausreichend, wenn ein Versicherungsnachweis in Österreich hinterlegt ist.

28

Auf das Vorhandensein und die regelmäßige Überprüfung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (zum Begriff: Art. 2 Ziffer 8 der Verordnung 1008/2008), dessen Vorlage nach Auskunft des Luftfahrtbundesamtes im Genehmigungsverfahren nach § 95 Abs. 1 S. 2 LuftVZO gefordert wird, durfte sich die deutsche Behörde ebenfalls verlassen. Denn das Luftverkehrsbetreiberzeugnis der Austro Control GmbH ist gemäß Art.. 3 Abs. 2 der Verordnung 1008/2008 Voraussetzung für die Erteilung der Betriebsgenehmigung durch das österreichische Verkehrsministerium. Und das Verkehrsministerium der Republik Österreich ist verpflichtet, kontinuierlich das Fortbestehen der Genehmigungsvoraussetzungen zu überwachen (Art. 3 Abs. 2, Art. 8) und bei Aussetzung oder Entzug des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses die Betriebsgenehmigung auszusetzen oder zu widerrufen (Art. 9 Abs. 5).

29

Die - vor dem Hintergrund der offenen Formulierung von § 95 Abs. 1 S. 2 LuftVZO denkbare - Prüfung weiterer, vom Luftfahrtbundesamt nicht konkret angeführter Umstände wäre jedenfalls nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig. Denn es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, weshalb von der Betroffenen für Einflüge aus Drittstaaten eine Genehmigung verlangt wird, obgleich dieselbe Gesellschaft mit denselben, der Kontrolle der Republik Österreich unterliegenden Flugzeugen für innergemeinschaftliche Flugdienste nach Art. 15 Abs.1 der Verordnung Nr. 1008/2008 genehmigungsfrei einreisen darf. Dass innergemeinschaftliche Flugdienste genehmigungsfrei möglich sind, zeigt nach Auffassung des Senats vielmehr das Fehlen eines Bedarfs für etwaige Kontrollen. Es ist nicht erkennbar, weshalb etwaige Sicherheitsgefahren bei innergemeinschaftlichen Flügen wegen der Überwachungspflicht des anderen Mitgliedstaates - offenbar ohne durchgreifende Sicherheitsbedenken - hingenommen werden, diesen Gefahren aber dann zu begegnen ist, wenn das Unternehmen (zufällig) aus einem Drittstaat einreist. Eine unterschiedliche Behandlung beider Fälle ist nicht gerechtfertigt, solange das Luftfahrtunternehmen und das Flugzeug der Überwachung durch den Mitgliedstaat unterliegen.

30

4. Der Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ist entscheidungserheblich:

31

Die Betroffene kann sich auf die Dienstleistungsfreiheit in Art. 56 AEUV (ex 49 Abs. 1 EGV) nicht berufen. Diese Vorschrift gilt nicht für die Luftfahrt (EuGH, Urteil vom 25.01.2011, C-382/08, juris, Rn. 22).

32

Die Verordnung Nr. 1008/2008 gibt keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Sie regelt ausweislich ihres klaren Wortlautes (Art. 1 Abs. 1) ausdrücklich nur innergemeinschaftliche Flugdienste und verschafft lediglich die Berechtigung, diese Flugdienste durchzuführen (Art. 15 Abs. 1). Innergemeinschaftliche Flugdienste sind solche, die innerhalb der Gemeinschaft durchgeführt werden (VO Art. 2 Nr. 13). Flüge von Moskau oder Ankara in das Gemeinschaftsgebiet fallen nicht hierunter. Eine analoge Anwendung auf Flüge aus Drittstaaten scheidet mangels Regelungslücke aus.

33

5. Die Verfolgungsverjährung ist gemäß §§ 32 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 4 OWiG in ihrem Ablauf gehemmt.

 


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