Beschluss vom Oberlandesgericht Celle (3. Strafsenat) - 3 Ws 241/19 (MVollz)

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Göttingen vom 24. Mai 2019 wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - unter Beachtung der nachfolgend dargelegten Rechtsauffassung des Senats an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist derzeit zum Vollzug seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB bei der Antragsgegnerin untergebracht. Die Maßregel wurde mit Urteil des Landgerichts Hildesheim, mit welchem der Antragsteller wegen sexueller Nötigung unter Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war, angeordnet. Während des Vollzugs dieser Maßregel wurde der Antragsteller wegen einer im Maßregelvollzugszentrum M. begangenen Tat der besonders schweren sexuellen Nötigung in Tateinheit mit schwerer sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung und versuchtem schweren Raub vom Landgericht Göttingen am 11. Dezember 2017 zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt; darüber hinaus wurde erneut die Unterbringung des Antragstellers nach § 63 StGB angeordnet.

2

Am 21. März 2019 war beabsichtigt, den Antragsteller wegen einer Zahnbehandlung bei einem niedergelassenen Zahnarzt außerhalb der Vollzugseinrichtungen vorzustellen. Die hiermit verbundene Ausführung sollte unter Fesselung durch Handfesseln vollzogen werden. Wegen dieser Sicherungsmaßnahmen hat der Antragsteller den Termin nicht wahrgenommen und nachfolgend beantragt, die Maßnahme der Antragsgegnerin aufzuheben. Er ist der Auffassung, die Maßnahme sei rechtswidrig gewesen, weil es hierfür an einer erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehle.

3

Die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Göttingen hat den Antrag als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme gewertet und hat die Rechtswidrigkeit der Maßnahme festgestellt. Die Kammer hat hierzu ausgeführt, es fehle an einer erforderlichen gesetzlichen Grundlage für die Anordnung der Fesselung bei Ausführung des Antragstellers zu einem ärztlichen Termin. Unter Bezugnahme auf eine frühere Entscheidung der Kammer vom 26. Juni 2017 (Az.: 53 StVK 24/17) hat das Landgericht Göttingen hierzu ausgeführt, die vorrangig in Betracht zu nehmende Vorschrift des § 23 Nds. MVollzG enthalte keine Regelung über das Anordnen einer Fesselung. Unter dem Begriff der dort geregelten mechanischen Fixierung könne die hier angefochtene Maßnahme nicht subsumiert werden. Auch eine entsprechende Anwendung der in §§ 86 Abs. 2 Nr. 6 Nds. SVVollzG, 81 Abs. 2 Nr. 6 NJVollzG und § 15 NJG enthaltenen Regelungen komme bereits mangels Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht. Die Vorschrift des § 15 Abs. 6 Nds. MVollzG scheide als gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für eine Fesselung aus, weil es sich bei der Ausführung zu einem externen Arzt nicht um eine vollzugsöffnende Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift, sondern um eine notwendige Ausführung zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen medizinischen Versorgung handele.

4

Schließlich könne die Fesselung auch nicht auf die Vorschrift des § 18 Abs. 2 Nds. MVollzG gestützt werden. Zwar eröffne diese Vorschrift die Möglichkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges nach Maßgabe der entsprechenden Vorschriften des NSOG [heute NPOG, Anm. des Senats]. Dem stehe vorliegend aber entgegen, dass die hiernach möglichen Zwangsmaßnahmen ihrem rechtlichen Charakter zufolge nur zulässig seien bei gegen den Willen eines Untergebrachten angeordneten Maßnahmen, nicht hingegen bei Maßnahmen, die mit dem Willen eines Untergebrachten durchgeführt werden. Die externe ärztliche Untersuchung habe aber gerade mit dem Willen des Antragstellers erfolgen sollen.

5

Der von der Antragsgegnerin bemühte Erlass des niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 8. März 2019 könne als Ermächtigungsgrundlage ebenfalls nicht herangezogen werden. Im Übrigen sei das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage bereits seit dem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. September 2014 (Az.: 1 Vollz. (Ws) 411/14) bekannt; der niedersächsische Gesetzgeber habe trotz zwischenzeitlicher Änderungen des Niedersächsischen Maßregelvollzugsrechts hierin eine Regelung über entsprechende Fesselungen aber nicht aufgenommen.

6

Gegen diese Entscheidung wendet die Antragsgegnerin sich mit ihrer Rechtsbeschwerde. Sie ist der Auffassung, die in § 18 Abs. 2 Nds. MVollzG enthaltene Regelung sei ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die angeordnete Fesselung gewesen. Überdies sei die vom Landgericht Göttingen vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung unzutreffend. Der Antragsteller sei von außerordentlicher Gefährlichkeit und die Ausführung habe offenbar lediglich dessen Flucht ermöglichen sollen. Das niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung wurde beteiligt; der Antragsteller hatte rechtliches Gehör.

II.

7

Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin ist nach Maßgabe von § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig. Es ist geboten, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Der Senat hat sich zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage noch nicht geäußert und es gilt, der Gefahr der Wiederholung des im Nachfolgenden aufgezeigten Rechtsfehlers entgegenzuwirken.

III.

8

Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und verpflichtet die Strafvollstreckungskammer, unter Beachtung der im Nachfolgenden dargelegten Rechtsauffassung des Senats erneut über den Antrag des Antragstellers zu entscheiden.

9

1. Die angefochtene Entscheidung konnte keinen Bestand haben, denn sie ist nicht frei von Rechtsfehlern. Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer ist die Vorschrift des § 18 Abs. 2 Nds. MVollzG - in Verbindung mit den hierauf verweisenden polizeirechtlichen Regelungen über die Anwendung unmittelbaren Zwangs - ausreichende gesetzliche Grundlage für die von der Antragsgegnerin angeordnete Fesselung des Antragstellers anlässlich dessen beabsichtigter Ausführung zu einer externen ärztlichen Behandlung.

10

Der Senat teilt zunächst die Auffassung der Kammer, dass die Vorschrift des § 23 Nds. MVollzG die vorliegend angefochtene Fesselung als eigenständige Sicherungsmaßnahmen nicht enthält und somit als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht kommt. Der Senat folgt der Kammer ebenfalls in der Annahme, dass eine ausreichende gesetzliche Grundlage nicht aus einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften in §§ 86 Abs. 2 Nr. 6 Nds. SVVollzG, 81 Abs. 2 Nr. 6 NJVollzG und § 15 NJG hergeleitet werden kann. Indessen bedarf es einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften auch nicht, denn es besteht keine Regelungslücke.

11

Nach § 18 Abs. 2 Nds. MVollzG (in der aktuell geltenden Fassung vom 20. Mai 2019) sind die Vollzugsleitung und ihre Stellvertretungen nach Maßgabe des § 69 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG) zur Anwendung unmittelbaren Zwangs befugt, soweit dies zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlich ist. Andere Bedienstete sind zur Anwendung unmittelbaren Zwangs befugt, soweit sie Weisungen der Vollzugsleitung oder ihrer Stellvertretungen ausführen. Unmittelbarer Zwang wird nach § 69 Abs. 1 NPOG definiert als Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, durch ihre Hilfsmittel und durch Waffen, wobei Abs. 3 dieser Vorschrift als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt Fesseln ausdrücklich bezeichnet. Nach § 75 NPOG darf eine Person, die nach diesem Gesetz oder anderen Rechtsvorschriften festgehalten wird, gefesselt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Personen angreifen, Widerstand leisten oder Sachen beschädigen oder fliehen wird. Vor diesem Hintergrund gelangt auch die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Göttingen zu der - letztlich zutreffenden - Erkenntnis, dass eine Fesselung nach Maßgabe der benannten Vorschriften auch im Vollzug der Maßregel einer Unterbringung nach § 63 StGB als zulässiges Zwangsmittel grundsätzlich in Betracht kommt (vgl. in diesem Sinne - auf der Grundlage der einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften - auch KG Berlin vom 14.06.2001 [5 Ws 661/00 Vollz], ZfStrVo 2002, 248; OLG Hamm vom 31.07.2012 [III-1 Vollz (Ws) 278/12], juris; OLG Düsseldorf vom 01.04.2019 [5 Ws 50/19], juris).

12

Diese Betrachtung entspricht überdies auch der Intention des niedersächsischen Gesetzgebers. In der Drucksache des Niedersächsischen Landtages (LT-Drucks. 9/1605) zu der Regelung über besondere Sicherungsmaßnahmen im Rahmen des niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes (seinerzeit § 19 des Gesetzentwurfs) ist hierzu ausgeführt: „Die Sicherungsmaßnahme nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 [gemeint ist dort die Fixierung; Anm. des Senats] ist zu unterscheiden von der Fesselung als Hilfsmittel des unmittelbaren Zwangs“. Der Gesetzgeber des niedersächsischen Maßregelvollzuges hat hiernach offenkundig ausdrücklich unterschieden zwischen der Sicherungsmaßnahme der Fixierung einerseits sowie der Sicherungsmaßnahme der Fesselung andererseits und hat hinsichtlich dieser ausdrücklich die polizeirechtlichen Vorschriften über die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Bezug genommen.

13

Soweit die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Göttingen demgegenüber die Auffassung vertritt, die hiernach möglichen Zwangsmaßnahmen seien ihrem rechtlichen Charakter zufolge nur zulässig bei gegen den Willen eines Untergebrachten angeordneten Maßnahmen, nicht hingegen bei Maßnahmen, die mit dem Willen eines Untergebrachten durchgeführt werden, vermag diese Differenzierung nicht zu überzeugen. Denn diese Auffassung verkennt, dass vielmehr zu unterscheiden ist zwischen einerseits der medizinischen Behandlung, auf die nach § 8 Nds. MVollzG ein Anspruch besteht und die vorliegend mit dem Einverständnis des Antragstellers erfolgen sollte, sowie andererseits der Fesselung als Sicherungsmaßnahme zur Gewährleistung der Durchsetzung des Anspruchs der untergebrachten Person auf medizinische Behandlung. Die Fesselung bei der Vorführung zum Facharzt stellt hierbei selbst keine Behandlung dar, sondern lediglich eine Sicherungsmaßnahme, die hiernach auch nicht nach den Regelungen der §§ 8a und 8b Nds. MVollzG zu beurteilen ist. Die Fesselung ist vielmehr als nach § 18 Abs. 2 Nds. MVollzG i.V.m §§ 69, 75 NPOG zulässige Beschränkung der Rechte des Antragstellers anzusehen. Hierauf hat auch die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Rechtsbeschwerde bereits zutreffend hingewiesen. Der Senat folgt ausdrücklich dieser Einschätzung, welche auch die Strafvollstreckungskammer im Rahmen der neu zu treffenden Entscheidungen zu berücksichtigen haben wird.

14

Soweit die Strafvollstreckungskammer davon ausgeht, der benannte - ebenfalls auf die Anwendung unmittelbaren Zwangs abstellende - Erlass des niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 8. März 2019 könne als Ermächtigungsgrundlage nicht herangezogen werden, bemerkt der Senat hierzu lediglich ergänzend und rein vorsorglich zur Klarstellung, dass der Erlass keinesfalls eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ersetzen soll (und kann), sondern vielmehr lediglich die auch vom Senat seiner Entscheidung zugrunde gelegte rechtliche Bewertung wiedergibt. Der rechtlichen Bewertung steht schließlich ebenfalls nicht entgegen, dass derzeit beabsichtigt ist, den in § 23 Nds. MVollzG benannten Katalog der zulässigen Sicherungsmaßnahmen ausdrücklich um jene der Fesselung zu ergänzen. Vor dem Hintergrund der bereits bestehenden, grundsätzlich ausreichenden Regelung dient dieses Vorhaben des Gesetzgebers offensichtlich allein der Klarstellung und der Rechtssicherheit.

15

2. Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat nach Maßgabe von § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG kam gleichwohl nicht in Betracht, denn die Sache ist nicht spruchreif. Der angefochtenen Entscheidung fehlt es an zu einer Entscheidung erforderlichen Feststellungen.

16

Auch eine nach Maßgabe von § 18 Abs. 2 Nds. MVollzG i.V.m §§ 69, 75 NPOG dem Grunde nach zulässige Fesselung anlässlich einer Ausführung zu einer externen ärztlichen Behandlung setzt wie jede hoheitliche Maßnahme grundsätzlich deren Verhältnismäßigkeit voraus (vgl. auch § 69 Abs. 6 NPOG). Hierzu zählt insbesondere auch, dass die Maßnahme erforderlich ist und andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen. Die Strafvollstreckungskammer hat hierzu ausgeführt, es sei seitens der Antragsgegnerin nicht dargelegt worden, dass der angenommenen erheblichen Fluchtgefahr nicht durch eine Begleitung von drei Pflegekräften zum Zahnarzt begegnet werden könne; überdies seien keine Fälle bekannt, in denen Untergebrachte im Rahmen von extern Zahnarztbesuchen trotz entsprechender Begleitung durch Flucht entwichen sind. Schließlich bestehe grundsätzlich die Möglichkeit, den Antragsteller im Maßregelvollzugzentrum Niedersachsen in M. zahnärztlich zu behandeln. Dass dies aufgrund der dortigen Ausstattung im vorliegenden Fall nicht möglich sei, habe die Antragsgegnerin nicht dargelegt. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafvollstreckungskammer insoweit in das allein der Antragsgegnerin zustehende Auswahlermessen sowohl hinsichtlich der Notwendigkeit einer externen medizinischen Behandlung als auch hinsichtlich der angeordneten Sicherungsmaßnahme eingegriffen hat. Die Antragsgegnerin ist dem im Rahmen ihrer Rechtsbeschwerde mit dem Vorbringen entgegengetreten, der Antragsteller sei von außerordentlicher Gefährlichkeit. Hierfür spreche auch die Tatsache, dass dieser den Zahnarzttermin allein wegen der Sicherungsmaßnahme nicht mehr wahrgenommen habe. Auch spreche vieles dafür, dass der Zahnarztbesuch nur als Vorwand habe dienen sollen, um aus der stationären Unterbringung fliehen zu können. Durch die Fesselung habe auf einen unverhältnismäßig hohen Personaleinsatz verzichtet werden können; anderenfalls müsse auf eine Ausführung zum Facharzt aus Gründen des Schutzes potentieller Opfer gänzlich verzichtet werden. Diese beschlussfremden Umstände wiederum sind dem Senat im Rahmen des Rechtsbeschwerdeverfahrens schon nicht zugänglich. Vor diesem Hintergrund wird die Strafvollstreckungskammer im Rahmen der vorzunehmenden Entscheidung auch gehalten sein, sich mit der Frage der Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Maßnahme auf der Grundlage ergänzend zu treffender - und aktueller - Feststellungen auch zu einer besonderen Gefährlichkeit des Antragstellers erneut auseinanderzusetzen.

IV.

17

Dieser Beschluss unterliegt nach Maßgabe von § 119 Abs. 5 StVollzG keiner Anfechtung.

 


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