Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - Verg 24/19
Tenor
I.
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 10.07.2019 (VK 2 – 40/19) wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.
III.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4.311.564 € festgesetzt.
1
Gründe
2I.
3Mit Bekanntmachung vom 18.04.2018 (EU-Bekanntmachung …) schrieb die Antragsgegnerin die Vergabe von Bauleistungen zur betriebsbereiten und funktionsfähigen Errichtung der Schachtförderanlagen im T. (E+M-Teil) im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus. Zu den Vergabeunterlagen gehören neben der Leistungsbeschreibung und den Besonderen Vertragsbedingungen auch die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen nach der VOB/B (ZVB VOB/B), Stand Januar 2018, auf die in vollem Umfang Bezug genommen wird. Nach Ziff. 10.3 ZVB ist die Antragsgegnerin berechtigt, Zahlungen wegen Ansprüchen und Forderungen zurückzuhalten oder aufzurechnen, die ihr aus anderen Rechtsgeschäften mit dem Auftragnehmer oder aus sonstigen Gründen gegen den Auftragnehmer zustehen.
4Die Antragstellerin gab unter dem 28.01.2019 ein indikatives Angebot ab. Am 04.03.2019 fand ein Verhandlungsgespräch zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin statt. Gegenstand dieses Gespräches war unter anderem die Regelung in Ziff. 10.3 ZVB, die die Antragstellerin als zu weitreichend empfand, weil sie sich insbesondere aus einem seit Oktober 1987 bestehenden und von der Antragsgegnerin unter dem 12.03.2018 gekündigten Auftrag bezüglich der Schachtförderanlage T. Schadensersatzforderungen der Antragsgegnerin ausgesetzt sah, die im Falle der Auftragserteilung und Aufrechnung dazu führten, dass sie ggf. über längere Zeiträume hinweg keine Werklohnzahlungen erhalten werde.
5Im Nachgang zu dem Bietergespräch übersandte die Antragstellerin mit E-Mail vom 08.03.2019 an die Antragsgegnerin eine von ihr vorgenommene Überarbeitung der ergänzenden kaufmännischen Bedingungen mit der Bitte um Berücksichtigung, auf die Bezug genommen wird. Zu dem Aufrechnungsvorbehalt in Ziff. 10.3 hat die Antragstellerin angemerkt:
6„Mit einer derartigen Regelung können wir uns nicht einverstanden erklären. Eine solche Regelung würde eine positive projekt- bzw. vertragsbezogene Risikobeurteilung für uns erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.“
7Die Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote erfolgte unter Beifügung der finalen Vergabeunterlagen am 29.03.2019. Eine Änderung von Ziff. 10.3 ZVB war nicht erfolgt. Mitte April 2019 fand ein Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Antragstellerin und den Geschäftsführern T.1 und M. der Antragsgegnerin über die Rechte und Pflichten aus den Altverträgen und eine mögliche vergleichsweise Einigung statt.
8Das finale Angebot der Antragstellerin datiert vom 17.04.2019. In dem Angebotsbegleitschreiben (Anl. Ast. 14) führt die Antragstellerin u.a. wie folgt aus:
9„Bitte gestatten Sie uns zwei Punkte der Ausschreibung bzw. unseres Angebotes verbindlich wie folgt klarzustellen:
10- Das in den Vertragsunterlagen aufgeführte Recht zur Aufrechnung durch den AG ist dahingehend zu konkretisieren, dass diese Rechte ausschließlich für Aufrechnungen der C. mit Forderungen/Ansprüchen der C. aus dem durch Zuschlagserteilung neu zu begründenden Vertrag zur Schachtförderanlage T. (E+M-Teil) gilt. Andernfalls ist die Gleichbehandlung der Bieter nicht gewährleistet.“
11Mit Schreiben vom 29.05.2019 und sodann mit weiterem Schreiben vom 03.06.2019 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, ihr finales Angebot vom 17.04.2019 werde wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen gemäß § 16 Abs. 2 iVm § 13 Abs. 1 S. 5 VOB/A EU ausgeschlossen, weil es die Aufrechnungsklausel in Ziff. 10.3 ZVB abändere. Darüber hinaus fehlten mehrere Preisangaben für Ersatzteil- und Montagepositionen der Schachteinbauten, so dass ein weiterer Ausschlussgrund (§ 16 Nr. 3 VOB/A EU) erfüllt sei. Das Angebot der Beigeladenen sei für den Zuschlag vorgesehen.
12Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 04.06.2019 (Anl. Ast. 8), auf das zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, rügte die Antragstellerin die Aufrechnungsklausel in Ziff. 10.3 ZVB als vergaberechtswidrig, weil die Antragstellerin aufgrund ihrer bisherigen und noch nicht vollständig abgewickelten Vertragsverhältnisse mit der Antragsgegnerin durch die uneingeschränkte Aufrechnungsmöglichkeit gegenüber anderen Bietern, die keine sonstigen Rechtsbeziehungen mit der Antragsgegnerin haben, unangemessen benachteiligt werde. Bezüglich fehlender Preisangaben in bestimmten Montage- und Ersatzteilpositionen macht sie geltend, dass ihr Angebot sehr wohl Preisangaben enthalte.
13Die Antragsgegnerin half den Rügen nicht ab, weshalb die Antragstellerin Nachprüfung bei der zuständigen Vergabekammer beantragte.
14Sie hat geltend gemacht, dass ihr Angebot zu Unrecht ausgeschlossen worden sei und hierzu umfangreich vorgetragen. Sie hat behauptet, in dem Gespräch am 15.04.2019 hätten die Geschäftsführer der Antragsgegnerin ihre Bereitschaft erklärt, dem Wunsch der Antragstellerin zur Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit Rechnung zu tragen und die Antragstellerin ermuntert, die einschränkende Formulierung in ihr Angebot aufzunehmen.
15Die Antragstellerin hat beantragt,
161. der Antragsgegnerin zu untersagen, in dem Vergabeverfahren Errichtung Schachtförderanlage T. – E+M-Teil, EU Bekanntmachung 2018/S 077-170749, Ausschreibung KVOBE3T-18-01-He, den Zuschlag an die Bietergemeinschaft U. GmbH und E. GmbH zu erteilen;
172. die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Angebot der Antragstellerin vom 17.04.2019 in die Prüfung und Wertung in diesem Vergabeverfahren einzubeziehen und diese vorzunehmen.
18Die Antragsgegnerin hat beantragt,
19den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
20Mit Beschluss vom 10.07.2019, auf den vollumfänglich Bezug genommen wird, hat die 2. Vergabekammer des Bundes den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Der zulässige Nachprüfungsantrag sei nicht begründet, weil der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin zu Recht erfolgt sei. Die Antragstellerin sei bezüglich Ziff. 10.3 ZVB von den Vorgaben der Antragsgegnerin abgewichen, so dass die Voraussetzungen des § 16 Nr. 2 iVm § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A EU erfüllt seien. Weder sei die Regelung in Ziff. 10.3 ZVB für die Antragstellerin unzumutbar und damit vergaberechtswidrig, noch sei die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen, für die Antragstellerin eine Sonderregelung zu schaffen.
21Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Beschwerde.
22Sie beantragt,
231. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 10.07.2019, Az. VK 2 – 40/19 – aufzuheben und
24der Antragsgegnerin zu untersagen, im laufenden Vergabeverfahren Errichtung Schachtförderanlage T. – E+M-Teil, EU Bekanntmachung …, Ausschreibung …, den Zuschlag an die Beigeladene zu erteilen;
252. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Antragstellerin vom 17.04.2019 in die Prüfung und Wertung in diesem Vergabeverfahren einzubeziehen und diese vorzunehmen und das Verfahren in den Stand vor Erstellung der Vergabeunterlagen/Versendung der Vergabeunterlagen zurückzusetzen.
263. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten seitens der Antragstellerin für notwendig zu erklären.
27Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
28die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
29II.
30Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.
31Ihr Nachprüfungsantrag ist, soweit er zulässig ist, nicht begründet.
321.
33Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit die Antragstellerin einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot geltend macht.
34a.
35Die Antragstellerin ist mir ihrer Rüge, die in Ziff. 10.3 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Antragsgegnerin (ZVB) vorgesehene Aufrechnungsklausel verstoße gegen das Diskriminierungsverbot, weil sie im Vergleich zu anderen Bietern dadurch benachteiligt werde, dass die Antragsgegnerin nicht nur zur Aufrechnung mit Gegenansprüchen aus dem zu vergebenden Auftrag berechtigt sei, sondern ihr eine uneingeschränkte Aufrechnungsmöglichkeit eingeräumt werde, gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert.
36Die Antragstellerin hat den geltend gemachten Verstoß nicht bis zum Ablauf der Frist zur Abgabe eines finalen Angebots (03.05.2019, 12.00 Uhr) gerügt. Der Antragstellerin, der der Nachweis einer rechtzeitigen Rüge obliegt (vgl. Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl., § 160 Rn. 60), ist dieser Nachweis nicht gelungen. Zwar trägt die Antragstellerin vor, sie habe die Aufrechnungsklausel in Ziff. 10.3 der ZVB der Antragsgegnerin mehrfach und zwar anlässlich des Bietergesprächs am 04.03.2019 und auch in dem Gespräch am 15.04.2019 zwischen ihrem Geschäftsführer T. 2 den Geschäftsführern der Antragsgegnerin im Beisein des als Zeugen benannten Mitarbeiters Q. im Sinne von § 160 Abs. 3 GWB beanstandet. Tatsächlich kann eine Beanstandung der Antragstellerin, die die an eine Rüge zu stellenden Anforderungen erfüllt, nicht festgestellt werden.
37An den Inhalt einer Rüge sind keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Eine ordnungsgemäße Rüge setzt inhaltlich eine konkrete und deutliche vergaberechtliche Beanstandung voraus, so dass der öffentliche Auftraggeber erkennen kann, um welchen konkreten Verstoß es sich handelt, und dass von ihm die Beseitigung dieses Vergaberechtsfehlers verlangt wird (Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB Vergaberecht, 4. Aufl., § 160 Rn. 172; Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, Bd. 1, 3. Aufl., § 160 Rn. 70). Allgemeine Fragen und Hinweise, Kritik oder Unverständnis stellen genauso wenig eine ausreichende Rüge dar, wie die Ankündigung, man werde das nicht hinnehmen. Zudem muss deutlich werden, dass das Unternehmen nicht nur eine Anregung zur Optimierung des Vergabeverfahrens geben will, sondern ein vom Auftraggeber zu beseitigender Rechtsfehler geltend macht wird. Entscheidend ist, dass der Bieter objektiv gegenüber dem Auftraggeber deutlich macht, in welchem Punkt und aus welchem Grund er das Vorgehen des Auftraggebers für fehlerhaft hält und dass er eine Korrektur des Fehlers in seinem Sinne erreichen will. Er muss seinen Standpunkt nicht in allen Einzelheiten juristisch begründen, es genügt, dass seinem Vorbringen eine konkrete vergaberechtliche Beanstandung zu entnehmen ist (OLG München, Beschluss v. 1012.2009, Verg 16/09, juris Rn. 74; OLG Naumburg, Beschluss v. 20.09.2012, 2 Verg 4/12, juris Rn. 68 ff.).
38Ausgehend von diesen Voraussetzungen fehlt den Erklärungen der Antragstellerin zur Reichweite der Aufrechnungsklausel in Ziff. 10.3 der ZVB der Rügecharakter.
39Die Antragstellerin trägt vor, sie habe während der Verhandlungsphase im Rahmen eines Gesprächs am 04.03.2019 die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass sie durch die Aufrechnungsklausel gegenüber anderen mit der Antragsgegnerin in keinem Rechtsverhältnis stehenden Bietern benachteiligt werde, weil sie befürchten müsse, dass die Antragsgegnerin gegenüber berechtigten Werklohnforderungen aus dem ausgeschriebenen Auftrag mit erheblichen zwischen den Beteiligten streitigen Gegenforderungen aus früheren Vertragsverhältnissen, insbesondere dem im Jahr 2018 gekündigten Auftrag Schachtförderanlage T. vom 29.10.1987 aufrechnen wird (Nachprüfungsantrag v. 6.6.2019, Seite 6). Diesem Vorbringen fehlt die erforderliche Substanz, denn es ergibt sich daraus nicht, welchen genauen Erklärungsinhalt der behauptete Hinweis hatte, also wer wem gegenüber was gesagt hat. Fehlen aber diese Tatsachen, kann nicht nachvollzogen werden, ob der behauptete „Hinweis“ nach dem maßgeblichen Empfängerhorizont als Beanstandung eines Vergaberechtsfehlers verbunden mit der Aufforderungen zur Beseitigung zu verstehen war. Dies gilt umso mehr, als es sich bei dem Gespräch um die 1. Verhandlungsrunde nach Abgabe der indikativen Angebote handelte, in der mehrere kaufmännische Bedingungen der Antragsgegnerin besprochen und verhandelt worden sind. Die Vernehmung des als Zeugen benannten A. würde unter diesen Umständen auf eine unzulässige Ausforschung hinauslaufen. Dies gilt umso mehr, als auch der Inhalt der im Anschluss an das Gespräch vom 04.03.2019 verfassten E-Mail der Antragstellerin für eine Rüge im Sinne von § 160 Abs. 2 GWB nichts hergibt. Mit E-Mail vom 08.03.2019 übermittelte die Antragstellerin der Antragsgegnerin im Anschluss an das Bietergespräch vom 04.03.2019 „Ergänzende kaufmännische Bedingungen“ (Anl. Ast. 9, VA Bl. 153 ff.). Darin enthalten ist lediglich eine in das nach Abgabe der indikativen Angebote durchgeführte Verhandlungsverfahren eingebundene Bitte der Antragstellerin, die in Ziff. 10.3 ZVB enthaltene Aufrechnungsklausel entsprechend ihrer Vorstellung inhaltlich auf Gegenforderungen aus dem verfahrensgegenständlichen Auftrag zu beschränken. So heißt es in der genannten E-Mail ausdrücklich, dass die überarbeiteten ergänzenden kaufmännischen Bedingungen „mit der Bitte um Berücksichtigung“ zugesandt werden. In dem beigefügten Dokument Ergänzende kaufmännische Bedingungen nach Vergabegespräch vom 04.03.2019 nimmt die Antragstellerin zu mehreren kommerziellen Bedingungen der Antragsgegnerin Stellung. Unter Ziff. 5 Aufrechnungsvorbehalt hat sie ausgeführt:
40„Mit einer derartigen Regelung können wir uns nicht einverstanden erklären. Eine solche Regelung würde eine positive projekt- bzw. vertragsbezogene Risikobeurteilung für uns erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.“
41Weder ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin in der unbeschränkten Aufrechnungsklausel einen Verstoß gegen das Vergaberecht sieht, noch dass die Antragsgegnerin aufgefordert wird, diesen Vergaberechtsfehler zu beseitigen. Auch die Antragsgegnerin hat die Ausführungen der Antragstellerin in ihrer E-Mail vom 08.03.2019 nicht als Rüge, sondern als erneuten Verhandlungsvorschlag verstanden. So spricht die Antragsgegnerin in ihrem Vermerk vom 06.06.2019 unter VI.1.2.1 Bietergespräch ausschließlich von der „Bitte“ der Antragstellerin um Berücksichtigung der erneut überarbeiteten kaufmännischen Bedingungen.
42Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergeben sich ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass in dem Gespräch zwischen den Geschäftsführern der Antragstellerin und der Antragsgegnerin am 15.04.2019, das Vergleichsverhandlungen aus dem gekündigten Altvertrag zum Gegenstand hatte, die verfahrensgegenständliche Aufrechnungsklausel als vergaberechtsfehlerhaft beanstandet worden ist. So spricht die Antragstellerin in diesem Zusammenhang lediglich von einem „Bieterwunsch“ und dem „Wunsch der Antragstellerin“ nach einer Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit für Altverträge (Beschwerdeschrift v. 22.07.2019, S. 10 u, 11, 15). An anderer Stelle wird das Anliegen der Antragstellerin als (Bieter-)Frage und anschließend wieder als Bitte nach einer Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit bezeichnet (Beschwerdeschrift v. 22.07.2019, S. 13). Weder ein Wunsch, noch eine Frage oder eine Bitte nach einer Beschränkung der Aufrechnungsklausel bringen indes zum Ausdruck, dass die uneingeschränkte Aufrechnungsklausel für vergaberechtsfehlerhaft gehalten wird und die Antragsgegnerin ultimativ zur Beseitigung dieses Fehlers aufgefordert wird. Enthält aber schon der Vortrag der Antragstellerin keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Rüge im Sinne von § 160 Abs. 3 GWB, kommt eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des als Zeugen benannten Mitarbeiters Q. (GA Bl. 15) nicht in Betracht.
43Schließlich bedarf es keiner Entscheidung, ob die Formulierungen der Antragstellerin in ihrem Angebotsbegleitschreiben vom 17.04.2019 die Anforderungen einer ordnungsgemäßen Rüge erfüllen. Zwar macht die Antragstellerin darin ausdrücklich geltend, dass eine uneingeschränkte Aufrechnungsmöglichkeit eine Gleichbehandlung der Bieter nicht gewährleiste. Jedoch ist das Angebot der Antragstellerin erst nach Ablauf der am 03.05.2019 (12.00 Uhr) ablaufenden verlängerten Angebotsfrist geöffnet worden, so dass selbst dann, wenn in dem Angebotsbegleitschreiben eine Rüge im Sinne von § 160 Abs. 2 GWB gesehen werden sollte, diese Rüge nicht vor Ablauf der Angebotsfrist erhoben worden und damit präkludiert ist.
44b.
45Der Nachprüfungsantrag ist ferner unzulässig, soweit die Antragstellerin einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs.2 GWB) darin sieht, dass die Antragsgegnerin auf die Bieterfrage der Beigeladenen vom 15.04.2019 den geltend gemachten Bedenken bezüglich der in Ziff. 9 der Besonderen Vertragsbedingungen enthaltenen Regelungen zu Urheber- und Nutzungsrechten nachgegeben und die Besonderen Vertragsbedingungen insoweit geändert hat, hingegen den Wunsch der Antragstellerin bezüglich der Einschränkung von Ziff. 10.3 ZVB unberücksichtigt gelassen hat. Die Antragstellerin ist mit dieser, erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erhobenen Rüge gemäß § 160 Abs.3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert, weil sie diesen vermeintlichen Vergaberechtsverstoß nicht bis zum Ablauf der auf den 03.05.2019 verlängerten Angebotsfrist gerügt hat, obwohl die Antragsgegnerin die Bieter bereits mit Schreiben vom 25.04.2019 darüber informiert hat, wie sie auf die Bieterfrage der Beigeladenen reagiert hat. Soweit die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat pauschal und ohne jede Substanz erstmalig vorgetragen hat, auch in dem Gespräch am 15.04.2019 sei „die Ungleichbehandlung bezüglich der Abänderung von Vertragsbedingungen auf Bieterfragen angesprochen worden“, kann die Antragstellerin ungeachtet der Pauschalität des Vorbringens hieraus schon deshalb nichts zu ihren Gunsten herleiten, weil zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststand, dass die Antragsgegnerin die Bieterfrage der Beigeladenen berücksichtigen und Ziff. 9 der ZVB anpassen wird.
462.
47Im Übrigen ist die sofortige Beschwerde nicht begründet.
48a.
49Die Vergabekammer hat zutreffend ausgeführt, dass die Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin zur Recht gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 iVm § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A EU wegen einer unzulässigen Änderung an den Vergabeunterlagen ausgeschlossen hat.
50Änderungen an den Vergabeunterlagen sind nach den genannten Vorschriften unzulässig und führen zwingend zum Ausschluss des Angebots.
51aa.
52Das finale Angebot der Antragstellerin vom 17.04.2019 ändert die Vergabeunterlagen der Antragsgegnerin ab.
53Die Zusätzlichen Vertragsbedingungen der Antragsgegnerin für die Ausführung von Bauleistungen nach der VOB/B (ZVB) gehören ausweislich Bl. 2 des Angebotsformulars zum Vergabeverfahren Errichtung Schachtförderanlage T. – E+M-Teil (Anl. Ast 12) zu den Vertragsgrundlagen, die die Antragsgegnerin den Bietern zur Verfügung gestellt hat. Zwischen den Verfahrensbeteiligten steht nicht im Streit, dass die endgültige Fassung der ZVB, die Grundlage der Aufforderung zur Abgabe des finalen Angebots vom 29.03.2019 war, in Ziff. 10.3 regelt, dass die Antragsgegnerin berechtigt ist, Zahlungen wegen Ansprüchen und Forderungen zurückzuhalten oder aufzurechnen, die ihr aus anderen Rechtsgeschäften mit dem Auftragnehmer oder aus sonstigen Gründen gegen den Auftragnehmer zustehen. Die Antragstellerin ändert diese Regelung in ihrem Angebot vom 17.04.2019 ab, indem sie das in Ziff. 10.3 ZVB geregelte Recht der Antragsgegnerin zur Aufrechnung mit Gegenansprüchen inhaltlich auf Forderungen und Ansprüche der Antragsgegnerin aus dem durch Zuschlagserteilung neu zu begründenden Vertrag zur Schachtförderanlage T. (E+M-Teil) beschränkt. Anders als die Antragstellerin meint, können ihre Formulierungen nicht dahingehend verstanden werden, dass sie damit im Nachgang zum Gespräch am 15.04.2019 ihren Wunsch nach Rücksprache mit der Geschäftsleitung der Antragsgegnerin zum Ausdruck bringen wollte (Schriftsatz vom 29.10.2019, Seite 7, GA Bl. 216). Eine solche Erklärung findet sich in dem Angebotsbegleitschreiben nicht. Vielmehr ist dort von einer verbindlichen Klarstellung des Angebots und einer inhaltlichen Konkretisierung im Sinne einer Beschränkung der Aufrechnungsklausel in Ziff. 10.3. ZVB die Rede.
54Im Übrigen war die Angebotsfrist aufgrund der Bieterfrage der Beigeladenen vom 15.04.2019 und deren Beantwortung durch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25.04.2019 auf den 03.05.2019 (12.00 Uhr) verlängert worden. Obwohl die Antragstellerin darauf aufmerksam gemacht worden ist, dass sie bei dieser Sachlage ihr Angebot vom 17.04.2019 noch zurückziehen und ändern könne, hat die Antragstellerin hiervon keinen Gebrauch gemacht, auch nicht von der Möglichkeit, die Antragsgegnerin explizit aufzufordern, der in dem Gespräch am 15.04.2019 angeblich erklärten Bereitschaft zur Einschränkung der Aufrechnungsklausel nachzukommen.
55bb.
56Die von Ziff. 10.3. ZVB abweichende Regelung zur Aufrechnung mit Gegenansprüchen der Antragsgegnerin im Angebot der Antragstellerin ist auch nicht unbeachtlich.
57Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.06.2019 (X ZR 86/17) eine Änderung der Vergabeunterlagen bei widersprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters und des Auftraggebers im Fall einer sog. Abwehrklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers, wonach etwaige (abweichende) Allgemeine Geschäftsbedingungen des Bieters nicht Vertragsbestandteil werden, verneint und ferner ausgeführt, dass auch ohne eine solche Abwehrklausel ein Angebot in der Wertung verbleiben kann, wenn die Verwendung der abweichenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters erkennbar auf einem Missverständnis über die in den Vergabeverfahren einseitige Maßgeblichkeit der vom Auftraggeber vorgegebenen Vergabe- und Vertragsbedingungen beruht (BGH, NZBau 2019, 661, 663 Rn. 23 ff.). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor, obwohl in Ziff. 1.1 Satz 3 ZVB geregelt ist, dass alle abweichenden Bedingungen im Angebot des Auftragnehmers nur dann gelten, wenn sie von der Antragsgegnerin schriftlich anerkannt sind. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Ziff. 1.1 Satz 3 ZVB sind indes abweichende Bedingungen im Sinne von Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters. Nach § 305 Abs. 1 S.1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Der für einen bestimmten Vertrag ausgearbeitete Text ist daher nicht von § 305 Abs. 1 S. 1 BGB erfasst (BGH NJW-RR 2002, 13; Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl., § 305 Rn. 9). Der Formulierung im Angebotsbegleitschreiben vom 17.04.2019 ist zu entnehmen, dass es sich um eine individuelle Formulierung der Antragstellerin für den ausgeschriebenen Auftrag und nicht für eine Vielzahl von Verträgen handelt.
58b.
59Es ist nicht zu kritisieren, dass die Antragsgegnerin auf die mit E-Mail vom 08.03.2019 formulierte Bitte der Antragstellerin, u.a. die Aufrechnungsklausel in Ziff. 10.3 der ZVB einzuschränken, zunächst nicht geantwortet, sondern lediglich in ihrer Dokumentation vom 06.06.2019 (dort Bl. 7) ausgeführt hat, dass nach interner Prüfung beschlossen worden sei, der Bitte der Antragstellerin nicht stattzugeben.
60Ein Verstoß gegen den – hier allein in Betracht kommenden – Transparenzgrundsatz liegt nicht vor. Die Antragstellerin musste davon ausgehen, dass ihre Bitte vom 08.03.2019 keine Berücksichtigung gefunden hat. Dies ging hinreichend klar und deutlich aus der Aufforderung zur Abgabe eines finalen Angebots vom 29.03.2019 hervor (Anl. Ast. 3). Die Antragsgegnerin nimmt darin auf Änderungen in den Besonderen Vertragsbedingungen Bezug, die aufgrund von Bietergesprächen und Korrespondenzen in die Vertragsbedingungen eingeflossen sind. Sie benennt die einzelnen Ziffern, die von den Änderungen betroffen sind. Von Änderungen der Zusätzlichen Vertragsbedingungen ist nicht die Rede. Dies konnte und musste die Antragstellerin aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers nur dahin verstehen, dass die angeregte Einschränkung von Ziff. 10.3 ZVB von der Antragsgegnerin nicht akzeptiert worden ist.
61c.
62Da der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin gestützt auf § 16 Abs. 1 Nr. 2 iVm § 13 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A EU zu Recht erfolgt ist, bedarf es keiner weiteren Ausführungen zu den übrigen geltend gemachten Ausschlussgründen.
63III.
64Die Kostenentscheidung folgt aus § 175 Abs. 2 GWB iVm § 78 Abs. 1 GWB. Es entspricht der Billigkeit, dass die unterlegene Antragstellerin auch die notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen zu tragen hat, die sich insbesondere mit einem umfangreichen Schriftsatz vom 6.8.2019 an dem Verfahren beteiligt hat.
65IV.
66Der Wert des Beschwerdeverfahrens ist gemäß § 50 Abs. 2 GKG mit 5 % der Bruttoauftragssumme der Antragsteller festgesetzt worden.
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Referenzen
- BGB § 305 Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in den Vertrag 2x
- Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (Vergabesenat) - 2 Verg 4/12 1x
- § 50 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- GWB § 97 Grundsätze der Vergabe 1x
- GWB § 78 Kostentragung und -festsetzung 1x
- X ZR 86/17 1x (nicht zugeordnet)
- GWB § 175 Verfahrensvorschriften 1x
- GWB § 160 Einleitung, Antrag 6x