Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 2 RVs 35/20
Tenor
Die Revision wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels.
1
G r ü n d e :
3I.
4Das Amtsgericht Dinslaken hat den Angeklagten, der indischer Staatsangehöriger ist, wegen „Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz“ zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Seine Berufung hat das Landgericht Duisburg als unbegründet verworfen, wobei es den Schuldspruch dahin klargestellt hat, dass der Angeklagte des passlosen Aufenthaltes schuldig ist. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten.
5II.
6Die Revision ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO).
7Zu den Ausführungen in der Revisionsbegründung bemerkt der Senat:
81.
9Der Strafbefehl vom 24. August 2018 entspricht den Anforderungen des § 407 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO. Die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat ist dort konkret bezeichnet worden. Aus der Sachverhaltsdarstellung geht eindeutig hervor, dass dem Angeklagten zur Last gelegt wird, sich nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags trotz mehrfacher Aufforderung zur Passbeschaffung jedenfalls seit dem 8. Dezember 2015 in Kenntnis der Passpflicht ohne Pass im Bundesgebiet aufgehalten zu haben. Eine ausdrückliche Bezeichnung der Schuldform (hier: Vorsatz) war entbehrlich, zumal das in dem Strafbefehl angeführte Vergehen nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nur vorsätzlich begangen werden kann.
10Ein lediglich fahrlässiger passloser Aufenthalt im Bundesgebiet wäre gemäß § 98 Abs. 1 AufenthG als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeldbescheid zu ahnden gewesen. Dies kommt etwa in Betracht, wenn ein passpflichtiger Ausländer infolge mangelnder Sorgfalt übersehen hat, dass ein vorhandener Pass inzwischen ungültig geworden ist (vgl. Hohoff in: BeckOK Ausländerrecht, 25. Edition, § 98 AufenthG Rdn. 3). Vorliegend war der Angeklagte im August 2014 ohne Pass in das Bundesgebiet eingereist und seitdem passlos geblieben. Auf die Passpflicht ist er durch die Ausländerbehörde immer wieder hingewiesen worden. Bei dieser Sachlage schied ein bloßer Fahrlässigkeitsvorwurf ersichtlich aus.
112.
12Die von dem Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen passlosen Aufenthaltes.
13Zwar ist § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet, so dass die Strafbarkeit unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit normgerechten Verhaltens steht (vgl. BVerfG NVwZ 2006, 80, 81 zu § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG a.F., OLG München NStZ 2013, 484; KG NStZ-RR 2013, 358). Indes war es dem Angeklagten ohne Weiteres zumutbar, einen Antrag auf Erteilung eines Reisepasses bei der diplomatischen Vertretung seines Heimatstaates zu stellen. Grundsätzlich kann ein Ausländer einen Pass nur dann nicht in zumutbarer Weise erlangen, wenn dieser ihm von seinen Heimatbehörden verweigert wird oder wenn er einen solchen nicht in angemessener Zeit oder nur unter schwierigen Umständen erhalten kann (vgl. OLG München a.a.O; KG a.a.O.).
14Der Umstand, dass sich ein ausreisepflichtiger Ausländer durch die Passbeschaffung der Gefahr aussetzt, aus dem Bundesgebiet abgeschoben zu werden, ändert nichts an der Passpflicht und der Zumutbarkeit normgerechten Verhaltens. Denn die Passpflicht dient nicht nur der Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit, sondern soll auch verhindern, dass ausreisepflichtige Ausländer im Bundesgebiet verbleiben, weil sie ohne Ausweispapiere nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden können (vgl. BayObLG BeckRS 2004, 08589).
15In den Urteilsgründen ist ausgeführt worden, dass die zuständige Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde den Angeklagten bei seinen persönlichen Vorsprachen mehrfach, insgesamt 13 Mal, aufgefordert hat, bei dem indischen Generalkonsulat in Frankfurt einen Pass bzw. ein Passersatzpapier zu beantragen. Dies ist u. a. in den Niederschriften vom 8. Dezember 2015, 26. Januar 2016, 29. November 2016 und 23. Februar 2017 dokumentiert worden. Der Angeklagte hat sich in dem mehrjährigen Zeitraum bis zur Berufungshauptverhandlung vom 30. Januar 2020 lediglich einmal zu dem indischen Generalkonsulat in Frankfurt begeben, und zwar unvorbereitet und unangemeldet am 7. November 2017. Dort sei er - so die Einlassung des Angeklagten - nicht hineingelassen worden.
16Zwecks Vorbereitung der Passbeschaffung hätte es nahegelegen, sich zunächst mit einem schriftlichen Antrag an die Auslandsvertretung zu wenden, um die Benennung der maßgeblichen Anforderungen nachzusuchen und einen Besuchstermin zu vereinbaren. Eine solche Kontaktaufnahme hat der Angeklagte beharrlich unterlassen. Auch hat er letztmals im Jahr 2016 versucht, mit Hilfe seines Bruders in Indien Unterlagen zum Nachweis nach seiner Identität zu beschaffen. Der Angeklagte hat angegeben, er sei in Jammu geboren und habe seinen letzten Pass in Srinagar erhalten. Bei diesen Orten handelt es sich um die beiden größten Städte in dem indischen Unionsterritorium Jammu und Kaschmir. Von einer geordneten Verwaltung, bei der Geburtsurkunden und Passunterlagen aufbewahrt werden, kann mangels gegenteiliger Erkenntnisse ausgegangen werden.
17Die zuständige Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde hat im Februar 2019 selbst versucht, für den Angeklagten Passersatzpapiere bei dem indischen Generalkonsulat in Frankfurt zu beschaffen. Hierbei hat sich herausgestellt, dass die von dem Angeklagten genannten Daten teils unzutreffend bzw. unvollständig waren. So hatte er einen falschen PIN-Code, vergleichbar einer Postleitzahl, für die Stadt Jammu angegeben. Eine Zuordnung in der Millionenstadt Srinagar war ohne die zusätzliche Angabe des Stadtteils, in dem der letzte Pass ausgestellt worden war, nicht möglich. Ferner fehlten die erforderlichen Angaben zu der letzten Anschrift in Indien. Diese Einzelheiten hat der Angeklagte auch auf ausdrückliche Nachfrage nicht mitgeteilt.
18Aus diesen Umständen hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei den sich aufdrängenden Schluss gezogen, dass der Angeklagte nicht gewillt ist, bei der Passbeschaffung mitzuwirken, um so seine Abschiebung nach Indien zu verhindern.
193.
20Die sachlich-rechtlichen Einwände des Angeklagten greifen nicht durch:
21a) Die räumliche Beschränkung des Aufenthaltes auf den Kreis Wesel (§ 61 Abs. 1c Satz 2 AufenthG) steht der Erfüllung der Passpflicht nicht entgegen. Das Verlassen des beschränkten Aufenthaltsbereiches, um Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen sein persönliches Erscheinen erforderlich ist, wahrzunehmen, ist erlaubnisfrei (§ 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Behörden in diesem Sinne sind auch Botschaften und Konsulate ausländischer Staaten (vgl. OVG Münster BeckRS 2008, 30199; OLG Bremen StraFo 2008, 520; Nr. 12.5.3 VwV zum AufenthG). Folgt man diesem weiten Behördenbegriff nicht, wäre die Erlaubnis für eine Fahrt zum indischen Generalkonsulat in Frankfurt jedenfalls nach § 12 Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu erteilen.
22b) Die dem Angeklagten erteilte Duldung stellt - worauf in der Bescheinigung ausdrücklich hingewiesen wird - keinen Ausweisersatz im Sinne des § 48 Abs. 2 AufenthG dar. Zwar würde bereits ein Anspruch auf Erteilung eines Ausweisersatzes die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entfallen lassen (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 402; OLG Frankfurt NStZ-RR 2012, 220; KG BeckRS 2013, 15050; Hohoff a.a.O. § 95 AufenthG Rdn. 9). Ein solcher Anspruch besteht nach den Urteilsgründen jedoch nicht, da der Angeklagte seinen ausweisrechtlichen Pflichten aus § 48 Abs. 3 AufenthG nicht in zumutbarer Weise nachgekommen ist.
23c) Der Angeklagte ist nicht gemäß § 64 Abs. 1 AsylVfg von der Passpflicht befreit. Das Asylverfahren, in dem sein Asylantrag abgelehnt wurde, ist bereits seit dem 9. Januar 2015 rechtskräftig abgeschlossen. Gegenstand des angefochtenen Urteils ist der passlose Aufenthalt seit dem 8. Dezember 2015. Der Hinweis des Verteidigers auf § 95 Abs. 5 AufenthG, Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention geht ersichtlich fehl.
24d) Die von dem Verteidiger angeführte Richtlinie 2008/115/EU (Rückführungsrichtlinie) steht der Verurteilung des Angeklagten wegen passlosen Aufenthaltes nicht entgegen. Durch Passlosigkeit wird die Rückführung eines ausreisepflichtigen Ausländers gerade dauerhaft verhindert. Die Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG beeinträchtigt den Ablauf des Rückführungsverfahrens nicht (vgl. OLG München NStZ-RR 2013, 484, 485). Vielmehr kann diese Regelung dazu beitragen, dass der Zweck der Richtlinie, das Rückführungsverfahren möglichst schnell durchzuführen, gefördert wird.
25III.
26Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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- StPO § 407 Zulässigkeit 1x
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- StPO § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss 1x
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