Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 9 U 96/20
Tenor
Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Es besteht Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.
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Gründe:
2Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senates offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
3Der Klägerin steht ein den Betrag von 7.000,- € übersteigendes Schmerzensgeld gem. § 253 Abs. 2 BGB nicht zu.
4Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung zur Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes festgestellt, dass Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind, womit im Sinne einer Objektivierung der Leiden insbesondere die Art der Verletzungen, die Zahl der Operationen, die Dauer der stationären und ambulanten Behandlung, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und das Ausmaß des Dauerschadens zu berücksichtigen sind. Das Schmerzensgeld dient dem Ausgleich für Schäden nicht vermögensrechtlicher Art. Die Entschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei der Rechtsbegriff der billigen Entschädigung ausreichend eine angemessene Differenzierung zulässt. Der Tatrichter muss seine Ermessensentscheidung nach den §§ 253 Abs. 2 BGB, 287 ZPO begründen. Bei der Bemessung sind sämtliche objektiv, nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen, erkennbaren und nicht fernliegenden künftigen Auswirkungen der Verletzung zu berücksichtigen (OLG Frankfurt, Urteil vom 16. Juli 2020 – 22 U 205/19 – juris Rn. 31f).
5Hiervon ausgehend hat das Landgericht umfassend die Besonderheiten des konkreten Falles berücksichtigt und ermessensfehlerfrei eine billige Entschädigung in Höhe von 7.000,- € zum Ausgleich des immateriellen Schadens als angemessen aber auch ausreichend erachtet. Das Landgericht hat die Art der Verletzungen, den überwiegend ambulant betreuten Heilungsverlauf, die zurückgebliebenen Dauerfolgen, die während der Rekonvaleszenz fühlbar nachzuempfindenden Beeinträchtigungen, die vorübergehende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit und der Haushaltsführungsfähigkeit sowie die aufgetretenen Schmerzzustände in seine Überlegungen einbezogen. Schließlich hat das Landgericht anhand der zur Verfügung stehenden Judikatur den Versuch einer Einordnung des Falles in ähnliche Konstellationen unternommen, um das von ihm ausgeübte Judiz einer Kontrollüberlegung zu unterziehen. Die Vorgehensweise ist regelgerecht, das Ergebnis wird auch von dem Senat uneingeschränkt geteilt.
6Soweit die Klägerin zur Angemessenheit des Schmerzensgeldes Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens anbietet, entbehrt ein solcher Antrag einer rechtlichen Grundlage. Die Bemessung des Schmerzensgeldes obliegt dem erkennenden Gericht nach § 287 ZPO. Ein Sachverständiger, welcher Fachrichtung auch immer, ist zu der Bestimmung eines angemessenen Schmerzensgeldes nicht berufen. Wohl aber kann sich das Gericht zur Überprüfung vorgetragener Anknüpfungstatsachen zwecks Bestimmung des Schmerzensgeldes eines geeigneten medizinischen Sachverständigen bedienen, um den Schweregrad der erlittenen Verletzungen, die Art und Schwere von Dauerfolgen und des Ausmaßes der Beeinträchtigung zu verifizieren. Das ist hier geschehen.
7Ein über den zuerkannten Betrag hinausgehender Anspruch auf Ersatz des behaupteten Haushaltsführungsschadens unter dem Gesichtspunkt vermehrter Bedürfnisse gem. § 843 BGB besteht nicht. Die Klägerin hat bereits nicht substantiiert dargelegt, welcher Schaden ihr durch die erlittenen Verletzungen in Bezug auf den Haushaltsführungsschaden entstanden ist.
8Der Klägerin obliegt die Darlegung und der Beweis eines eingetretenen Haushaltsführungsschadens nach Grund und Höhe des Anspruchs. Die pauschale Bezugnahme auf Tabellenwerke zur Darlegung des unfallbedingt entstandenen Haushaltsführungsschadens erfüllt nicht die Anforderungen an eine substantiierte Darlegung eines konkreten Schadens. Er muss vielmehr stets bei der konkreten Lage der individuell betroffenen Person und deren individuellen Lebensumständen ansetzen. Eine Berechnung allein anhand statistischer Durchschnitte zu den Arbeitszeiten und ohne Reflexion zu den einzelnen Arbeitsbereichen und mit abstrakten Behinderungsgraden ist daher nicht möglich. Eine Berechnung allein anhand der Tabelle würde den hier relevanten Vermögensschaden unzulässigerweise dem immateriellen Schaden nach § 253 BGB annähern. Über diese rechtsdogmatische Erwägung hinaus ist dies auch Folge fehlender systematischer und nachvollziehbarer Tabellenwerke, die jenseits eines konkreten Sachverhalts zuverlässige Anhaltspunkte für eine tatrichterliches Schätzung (§ 287 ZPO) oder Berechnung des Haushaltsführungsschadens bieten würden.
9Eine Ausnahme ist nur in besonders gelagerten Fällen möglich, z.B. dann, wenn der Anspruchsteller vor dem schädigenden Ereignis infolge seines jugendlichen Alters noch gar keinen eigenen Haushalt geführt hat (Senat vom 26.04.2019 – I-9 U 102/18 – juris).
10Auch der Bundesgerichtshof hat es in der Vergangenheit in besonderen Einzelfällen unbeanstandet gelassen, wenn sich das Berufungsgericht im Rahmen seiner tatrichterlichen Schätzung mangels konkreter Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung auf ein anerkanntes Tabellenwerk und die dort angegebenen Erfahrungswerte, namentlich auf das Werk von Pardey, stützt (BGH vom 29.03.1988 - VI ZR 87/87 - juris Rn. 13; und vom 03.02.2009 - VI ZR 183/08 - juris Rn. 5). Diese Rechtsprechung erlaubt aber nicht, auf die Geltendmachung einzelfallbezogener Tatsachen von vorn herein ganz zu verzichten (Senat vom 26.04.2019 - I-9 U 102/18 - juris Rn. 36, OLG Dresden vom 29.05.2020 – 22 U 699/19 – juris Rn. 32ff).
11Zur Darlegung eines Haushaltsführungsschadens muss der Geschädigte daher im Einzelnen darlegen, welche Tätigkeiten, die vor dem Unfall im Haushalt verrichtet wurden, unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr vollständig ausgeübt werden können; ein bloßer allgemeiner Verweis auf eine bestimmte prozentuale Minderung der Erwerbsfähigkeit oder der Fähigkeit zur Haushaltsführung genügt nicht. Der Haushaltsführungsschaden ist nicht anhand von Tabellenwerken, sondern auf der Basis der konkreten Lebensverhältnisse des Geschädigten zu ermitteln (OLG Celle vom 08.07.2020 – 14 U 27/20 – Rn. 63, juris).
12Diesen Anforderungen, auf die bereits die Beklagten mit der Klageerwiderung und das Landgericht frühzeitig mit Verfügung vom 29.07.2019 hingewiesen haben, entspricht der Sachvortrag der Klägerin in keiner Weise. Da die Klägerin unfallbedingt auf jeden Fall in ihrer Haushaltsführungsfähigkeit eingeschränkt war, sie sich aber jeden konkreten Vortrags zur Erfassung der Einschränkungen enthalten hat, muss sie sich auf die Ermittlung eines Haushaltsführungsschadens, wie ihn das Landgericht ermittelt hat, beschränken lassen. In nicht zu beanstandender Weise hat sich das Landgericht hinsichtlich der bestehenden Einschränkungen der Klägerin für konkrete Zeiträume an der Einschätzung des medizinischen Sachverständigen orientiert. Lediglich hinsichtlich der rechnerisch korrekt ermittelten Beträge ist anzumerken, dass nach der Rechtsprechung des Senats bei fiktiver Abrechnung ein Stundensatz von 9,- € für die hier interessierenden Zeiträume angesetzt wird. Im Ergebnis verhilft das der Berufung aber nicht zum Erfolg. Dies deshalb, weil das Landgericht einen geringfügigen Haushaltsführungsschaden auch für den Zeitraum angenommen hat, in dem die Beeinträchtigung der Klägerin nur noch marginal war, nämlich ca.10% betrug. Bei einer derart geringfügigen Beeinträchtigung scheidet wegen bestehender Kompensationsmöglichkeiten die Geltendmachung eines Haushaltsführungsschadens in der Regel aus, so dass die zu Unrecht zuerkannten 51,- € für die Wochen 10 bis 12 gegengerechnet werden können. Die verbleibende Differenz von 8,14 € zu Gunsten der Klägerin gibt dem Senat gleichwohl keine Veranlassung, insoweit einen Teilerfolg der Berufung anzunehmen. Denn das Landgericht hat die zugrundegelegten 19,9 Wochenstunden insoweit zu Gunsten der Klägerin auf 20 Wochenstunden aufgerundet und im ersten Monat die volle Einschränkung der Haushaltsführungstätigkeit zu Grunde gelegt, obwohl die Klägerin in ihrer Haushaltsorganisation sicher nicht eingeschränkt war.
13Aus den vom Landgericht mehrfach genannten Gründen stellt der Einsatz eines bezahlten Urlaubstages keinen kommerzialisierten ausgleichspflichtigen immateriellen Vermögensnachteil dar.
14Da der Klägerin die mit der Berufung weiter verfolgten Ansprüche nicht zustehen, entfällt auch ein Anspruch auf weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Denn diese sind nach dem Gegenstandswert zuzusprechen, in dem die vorprozessual geltend gemachten Ansprüche in der Hauptsache Erfolg haben. Insoweit verbleibt es auch im Berufungsverfahren bei dem beim Landgericht erzielten Teilerfolg.
15Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senates auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 ZPO).
16Nach diesem Hinweis ist die Berufung zurückgewiesen worden.
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Referenzen
- BGB § 253 Immaterieller Schaden 2x
- ZPO § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung 4x
- BGB § 843 Geldrente oder Kapitalabfindung 1x
- 22 U 205/19 1x (nicht zugeordnet)
- 9 U 102/18 2x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 87/87 1x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 183/08 1x (nicht zugeordnet)
- 22 U 699/19 1x (nicht zugeordnet)
- 14 U 27/20 1x (nicht zugeordnet)