Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 4 RVs 102/21
Tenor
Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).
1
Zusatz:
2Ergänzend zu den überaus sorgfältig abgefassten Gründen des angefochtenen Urteils und den gleichfalls zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft bemerkt der Senat:
31.
4Soweit die Revision meint, § 219a Abs. 4 Nr. 1 StGB nehme das in § 219a Abs. 1 Nr. 1 StGB normierte Verbot, eigene Dienste für die Vornahme einer Schwangerschaft anzubieten, für Ärzte von der Strafbarkeit in vollem Umfang aus, geht diese Auffassung fehl. Es ist auch nicht so, dass eine andersartige gesetzgeberische Vorstellung im Wortlaut der Norm keinen Niederschlag gefunden habe, wie die Revision meint. Das zeigt sich schon im Rahmen der systematischen Auslegung im Verhältnis von Absatz 1 und Absatz 4. Absatz 4 Nr. 1 nimmt nur das Hinweisen auf die Tatsache, dass ein Arzt etc. Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, vom Tatbestand aus, Nr. 2 desselben Absatzes den Hinweis auf die Informationen bestimmter Institutionen. Demgegenüber erfasst Absatz 1 das Anbieten (also die einseitige Erklärung der Bereitschaft zur Leistung der Dienste oder Überlassung von Gegenständen oder Verfahren, die zum Schwangerschaftsabbruch geeignet sind, vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2021, 106, 107 m.w.N.), die Ankündigung und das Anpreisen (also: wegen besonderer Vorzüge empfehlen, rühmen, vgl. www.duden.de „anpreisen“). Schon der reine Wortlautvergleich zeigt den Unterschied von nach Absatz 1 verbotenen Tathandlungen und nach Absatz 4 hiervon ausgenommenen.
5Damit erfasst – anders als die Revision meint - Absatz 4 nicht nur in personaler Hinsicht, sondern auch in sachlicher Hinsicht lediglich eine Teilmenge des nach Absatz 1 Verbotenen. Zudem ergibt ein Umkehrschluss zu Absatz 4, dass das, was (auch) seitens eines Arztes über die dort genannten Handlungen hinausgeht, nach Absatz 1 strafbar sein soll.
62.
7Bzgl. der verfassungsrechtlichen Einwände ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass das Grundgesetz den Staat verpflichtet, menschliches Leben zu schützen. Zum menschlichen Leben gehört auch das ungeborene. Der Staat muss sich schützend und fördernd vor dieses Leben stellen und es vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer bewahren (BVerfG NJW 1993, 1751, 1753). Schwangerschaftsabbrüche müssen deswegen für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht und demgemäß als rechtlich verboten angesehen werden. Das BVerfG hat insoweit formuliert: „Grundrechte der Frau greifen gegenüber dem grundsätzlichen Verbot des Schwangerschaftsabbruches nicht durch. Zwar haben diese Rechte auch gegenüber dem Lebensrecht des nasciturus Bestand und sind entsprechend zu schützen. Aber sie tragen nicht so weit, daß die Rechtspflicht zum Austragen des Kindes von Grundrechts wegen – auch nur für eine bestimmte Zeit – generell aufgehoben wäre. Die Grundrechtspositionen der Frau führen allerdings dazu, dass es in Ausnahmelagen zulässig, manchmal womöglich geboten ist, eine solche Rechtspflicht nicht aufzuerlegen“ (BVerfG NJW 1993, 1751, 1754).
8Im Lichte des Lebensrechts des Ungeboren und im Lichte der Schutzpflicht des Staates für dieses ist auch § 219a StGB zu sehen. Der Gesetzgeber wollte durch das dort normierte Werbeverbot verhindern, dass ein Schwangerschaftsabbruch, auch ein solcher, der nach § 218a StGB straffrei ist, nicht als etwas Normales dargestellt wird und er wollte der Kommerzialisierung entgegenwirken (BT-Drs. 7/1981 S. 17; KG StraFo 2020, 300, 303; Kubiciel ZRP 2018, 13, 14). Durch das damit verbundene schleichende Absinken der Wertvorstellungen der Allgemeinheit würde dem Lebensschutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Gerade auch in dem Fall, in dem die nach § 219a StGB verbotene Werbung von demjenigen vorgenommen wird, der ein finanzielles Interesse an der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen hat, besteht zudem die Gefahr einer verharmlosenden Darstellung, welche womöglich im Rahmen der Entscheidung der Schwangeren einen Ausschlag zu Gunsten eines Abbruchs geben könnte (ähnlich auch: Kubiciel ZRP 2018, 13, 14). Der Gesetzgeber wollte eine „echte oder als Information getarnte Werbung“ bzgl. eines Schwangerschaftsabbruches durch den, der einen Vermögensvorteil durch diesen anstrebt, verhindern (vgl. BT-Drs. 7/1981 S. 17).
9Durch das im geltenden Recht vorgesehene Beratungskonzept soll verfahrenstechnisch das Lebensrecht des ungeborenen Kindes abgesichert werden. Diese Absicherung würde geschwächt, wenn Schwangere schon vor einer Aufklärung über Alternativen zum Schwangerschaftsabbruch über dessen Modalitäten (wie hier: in rechtlicher, finanzierungstechnischer, medizinischer Hinsicht) aufgeklärt würden (Kubiciel a.a.O.). Sowohl zur Erhaltung der vom Grundgesetz vorgegebenen Wertanschauungen im Bewusstsein der Allgemeinheit als auch zur Wahrung des lebensschützenden Beratungskonzepts, mithin zum Schutz des ungeborenen Lebens, ist die Regelung des § 219a StGB auch geeignet.
10Der Gesetzgeber ist mit der Normierung eines Werbeverbots lediglich seiner Schutzpflicht für das ungeborene Leben nachgekommen. Im Rahmen der Abwägung der hier widerstreitenden Grundrechte, nämlich Lebensrecht des ungeborenen Kindes gegen (eher geringfügige) Einschränkungen der Informationsfreiheit der Schwangeren (insoweit kann auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft verwiesen werden), der Meinungsfreiheit des Arztes und der Berufsausübungsfreiheit desselben, erblickt der Senat keine unverhältnismäßige Einschränkung der letztgenannten Grundrechte. Zwar ist es durchaus wahrscheinlich, dass dem Angeklagten Einnahmen verloren gehen, wenn er den werblichen Vorteil gegenüber Ärzten, die tatsächlich nur Informationen nach § 219a Abs. 4 StGB vorhalten, verliert. Denn damit wäre er lediglich ein zum Schwangerschaftsabbruch bereiter Arzt unter vielen, ohne dass ihn etwas gegenüber den anderen besonders auszeichnen würde, während er zum Tatzeitpunkt rechtliche, finanzierungstechnische und medizinische Informationen sowie Informationen zum praktischen Ablauf, vergleichbar einem „Laufzettel“ bzw. einer Checkliste, vorgehalten hat. Bei der Abwägung des Lebensrechtes des ungeborenen Kindes gegen die finanziellen Interessen des Arztes gebührt freilich nach der Werteordnung des Grundgesetzes ersterem der Vorrang. Das vom BVerfG anerkannte Recht des Arztes, darauf hinweisen zu dürfen, dass seine Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.05.2006 – 1 BvR 1060/02 – juris), wird durch die vom Amtsgericht (rechtlich zutreffende) Gesetzesanwendung nicht eingeschränkt. Der Angeklagte hat eben nicht lediglich darauf hingewiesen, dass er Schwangerschaftsabbrüche vornimmt.
113.
12Soweit das Amtsgericht strafmildernd berücksichtigt hat, dass der Angeklagte „erkennbar auch in der Absicht handelte, seinen Patientinnen in einer für diese persönlichen Ausnahmesituation durch die Veröffentlichung rein sachlicher Informationen Unterstützung zukommen zu lassen“, erscheint dies rechtsfehlerhaft. Das gesetzgeberische Gesamtkonzept sieht eben eine in bestimmter Form regulierte Information der zum Schwangerschaftsabbruch bereiten Frau vor und § 219a StGB dient der Einhaltung dieser Kanalisierung der Information (Kubiciel a.a.O.). Dem Angeklagten wird hier also die Tathandlung, welche der Gesetzgeber gerade verhindern wollte, zu Gute gehalten. Dieser Rechtsfehler beschwert den Angeklagten aber nicht.
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Referenzen
- StPO § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss 1x
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- 1 BvR 1060/02 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft 7x
- StGB § 218a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs 1x