Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Senat für Familiensachen) - 2 WF 58/20

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss Amtsgerichts Hamburg vom 21.3.2020 dahingehend abgeändert, dass die Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt W… Rechtsanwalt mit der Maßgabe erfolgt, dass Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass die Kanzlei des beigeordneten Rechtsanwalts ihren Sitz nicht am Ort des Verfahrensgerichts hat, nur bis zur Höhe der Kosten eines Verkehrsanwalts erstattungsfähig sind (§§ 76, 78 Abs. 2 FamFG). Im übrigen wir die Beschwerde zurückgewiesen.

2. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1

Die in Geesthacht wohnende Antragsgegnerin beantragt die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers, der mit seiner Kanzlei ebenfalls in Geesthacht niedergelassen ist. Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag des Vaters der gemeinsamen Tochter auf Übertragung des Sorgerechts auf sich, weil die Mutter das Wohl des Kindes gefährde und eine Kommunikation mit ihm verweigere. Etwa ein Jahr zuvor hatten sich die Eltern in einem vorangegangenen familiengerichtlichen Verfahren noch auf die Durchführung des Wechselmodells geeinigt.

2

Das Familiengericht hat der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt. Es hat die Beiordnung jedoch auf die Bedingungen eines im Gerichtsbezirk zugelassenen Anwalts beschränkt. Gegen diesen, dem Beschwerdeführer am 17.4.2020 zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner am selben Tage beim Familiengericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, mit der er sich gegen seine nur eingeschränkte Beiordnung wendet.

II.

3

Die zulässige sofortige Beschwerde erweist sich als teilweise begründet. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin ist befugt, aus eigenem Recht gegen die vom Familiengericht vorgenommene kostenmäßige Beschränkung seiner Beiordnung im Wege der sofortigen Beschwerde vorzugehen (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – XI ZB 1/06 –, NJW 2006, 3783 Rn. 7).

4

Die Beschwerde ist auch teilweise begründet, weil die vom Familiengericht angeordnete Beschränkung der Beiordnung nach Maßgaben der Bedingungen eines im Bezirk des Verfahrensgerichts niedergelassenen Anwalts nicht vorzunehmen ist. Vielmehr ist eine Beschränkung nur bezogen auf die Höhe der Kosten eines Verkehrsanwalts vorzunehmen.

5

Gem. § 78 Abs. 3 FamFG kann ein nicht in dem Bezirk des Verfahrensgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur dann beigeordnet werden, wenn hierdurch besondere Kosten nicht entstehen. Beantragt ein nicht im Gerichtsbezirk zugelassener Anwalt seine Beiordnung, liegt hierin ein konkludentes Einverständnis mit einer Beiordnung zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirks niedergelassenen Anwalts, sofern nicht die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise gleichwohl zulässige einschränkungslose Beiordnung vorliegen (BGH Beschluss vom 10. Oktober 2006 – XI ZB 1/06 –, NJW 2006, 3783). Eine solche einschränkungslose Beiordnung kommt in Betracht, wenn nach § 78 Abs. 4 FamFG dem Beteiligten ein weiterer zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Verfahrensbevollmächtigten beizuordnen wäre. Dann kann dem VKH-Antragsteller an Stelle der Beiordnung eines solchen weiteren Anwalts auch ein Verfahrensbevollmächtigter außerhalb des Gerichtsbezirks beigeordnet werden, soweit hierdurch keine höheren Kosten als bei Beauftragung eines weiteren Anwalts entstehen (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – XI ZB 1/06 –, NJW 2006, 3783).

6

Besondere Umstände für die Beiordnung eines – hier allein in Betracht kommenden - Verkehrsanwalts im Sinne von § 78 Abs. 4 FamFG können vorliegen, wenn der Verfahrensgegenstand sehr persönliche, sensible und sich nach allgemeiner Lebenserfahrung erst in einem persönlichen Gespräch hinreichend auffächernde Hintergründe betrifft, wie es oftmals in Kindschaftssachen der Fall ist (OLG Brandenburg, Beschluss vom 17.1.2017 – 13 WF 12/17, BeckRS 2017, 100806; MüKo-FamFG/Viefhus, § 78 FamFG Rn. 40). Dabei kann generell davon ausgegangen werden, dass in einer Umgangssache eine persönliche anwaltliche Beratung über den Verfahrensverlauf, über die möglichen Regelungsvarianten und über den Inhalt eines etwaigen Sachverständigengutachtens und seinen Einfluss auf das Verfahrensergebnis erforderlich ist (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 13 WF 228/18 –, juris). Nichts anderes kann in den Fällen streitiger Sorgerechtsverfahren gelten. Für die Frage, ob aus einem solchen Bedürfnis nach einem persönlichen Kontakt mit dem eigenen Anwalt besondere Umstände folgen, die die Beiordnung eines Verkehrsanwalts nach § 78 Abs. 4 FamFG erforderlich machen, kommt es darauf an, ob dem VKH-Antragsteller zuzumuten ist, sich selbst zur Wahrnehmung solcher persönlicher Gespräche zu seinem am entfernten Gerichtsort befindlichen Verfahrensbevollmächtigten zu begeben (und die Kosten hierfür als weitere Kosten über die VKH-Bewilligung abzurechnen - hierzu Zöller/Schultzky, ZPO, § 122 Rn. 8 am Ende m.w.N.) oder ob er zur Vermeidung des damit zusammenhängenden Fahrt- und Zeitaufwandes einen Anwalt vor Ort, also an seinem Wohnsitz, beauftragen würde. Maßstab für die Frage der Zumutbarkeit ist, wie sich ein bemittelter Verfahrensbeteiligter verhalten würde, was in erster Linie von seinen subjektiven Fähigkeiten abhängt (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2010 – XII ZB 232/09 –, BGHZ 186, 70 Rn. 25 zu § 78 Abs. 2 FamFG).

7

Gemessen hieran liegen besondere Umstände vor, die die Beauftragung eines Verkehrsanwalts erforderlich machen. Das Verfahren zeichnet sich durch Komplexität und eine hohe Dynamik aus. Haben sich die Eltern etwa ein Jahr vor Beginn des Verfahrens im Rahmen eines vorangegangenen familiengerichtlichen Verfahrens noch auf ein Wechselmodell geeinigt, scheint die Situation nunmehr zu eskalieren. Der Vater fordert die Übertragung des Sorgerechts auf sich und zwar nicht nur mit der Begründung, dies entspreche dem Wohl des Kindes besser, sondern hierüber hinausgehend damit, dass die Mutter das Wohl des Kindes gefährde. Die Mutter vernachlässige das Kind und schlage es. Sie nehme überdies die Gesundheitssorge für das Kind nicht ausreichend wahr und verweigere sich der Kommunikation mit dem Vater. Das Familiengericht hat daher auch (zutreffenderweise) angesichts der Brisanz dieser Vorhaltungen unmittelbar nach Eingang der Antragsschrift dem Kind einen Verfahrensbeistand bestellt und einen Anhörungstermin anberaumt, ohne auch nur die Stellungnahme der Mutter auf den Antrag abzuwarten. Die vom Vater erhobenen Vorwürfe haben zudem über das Sorgerechtsverfahren hinaus erhebliche weitere Folgewirkungen. Dies gilt zum einen im Hinblick auf die künftige Kontaktgestaltung zwischen Mutter und Kind überhaupt und zum anderen aber auch deswegen, weil die Vorwürfe des Vaters strafrechtliche Relevanz besitzen. Weiter handelt es sich um einen sich ständig verändernden Sachverhalt, weil sich das Kind im Rahmen des Wechselmodells fortlaufend auch bei der Mutter aufhält und damit auch fortlaufend potentieller Anlass für weitere Vorhaltungen Vaters besteht. Vor diesem Hintergrund ist es der Mutter nicht zuzumuten, sich allein auf die Beratung durch einen von ihrem Wohnort entfernt sitzenden Rechtsanwalt am Ort des Verfahrensgerichts zu beschränken. Es besteht vielmehr ein unabweisbarer Bedarf der Mutter dafür, sich möglichst schnell und unkompliziert an ihrem Wohnort anwaltlicher Hilfe bedienen zu können. Sie muss insbesondere bei eiligen Entwicklungen schnelle anwaltliche Hilfe zu erlangen können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Wohnort der Mutter immerhin etwa 30 km vom Gerichtsbezirk entfernt liegt, so dass der Fahrtaufwand zur Wahrnehmung anwaltlicher Beratungsgespräche im Gerichtsbezirk deutlich höher ist als eine anwaltliche Beratung am Wohnort der Mutter. Je Gesprächstermin müsste die Mutter bei Beauftragung eines Anwalts im Bezirk des Gerichts Fahrtzeiten von etwa einer Stunde aufwenden, während die Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten nur rund 2 km von der Wohnung der Mutter entfernt liegt und damit mit einem Fahrtaufwand von etwa 5 Minuten, also 10 Minuten je Gespräch zu erreichen ist. Ein bemittelter Beteiligter an der Stelle der Mutter würde daher aufgrund dieser besonderen Umstände des Falles entweder einen Verkehrsanwalt beauftragen oder aber zumindest die Mehrkosten in Kauf nehmen, die dadurch entstehen, dass er einen Anwalt an seinem Wohnsitz beauftragt und dieser Termine an einem Gericht außerhalb seines Bezirks wahrnimmt.

8

Liegen damit die Voraussetzungen des § 78 Abs. 4 FamFG vor, hat eine kostenmäßige Beschränkung der Beiordnung auf die Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Verfahrensbevollmächtigten zu unterbleiben.

9

Unbegründet ist die sofortige Beschwerde aber insoweit, als sich der Beschwerdeführer mit ihr gegen jegliche kostenmäßige Beschränkung seiner Beiordnung wendet. Denn die Beiordnung eines Anwalts außerhalb des Gerichtsbezirks stellt nur dann keinen Verstoß gegen das Mehrkostenverbot des § 78 Abs. 3 FamFG dar, wenn zugleich ausgesprochen wird, dass jedenfalls die Kosten für die ansonsten auf Antrag anzuordnende Beiordnung eines Verkehrsanwalts nicht überschritten werden (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 13 WF 228/18 –, juris Rn. 8).

10

Aufgrund des teilweisen Erfolgs der sofortigen Beschwerde sieht das Gericht nach KV 1912 Anl. 1 FamGKG von einer Erhebung von Gebühren ab.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen