Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 5 UF 62/04; 5 UF 62/04 A

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsstellerin wird Ziffer 2 des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Emmendingen vom 27.02.2004 – 3 F 16/01 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Antragsgegner ist verpflichtet, an die Antragstellerin vom 01.03.2001 bis zum 31.12.2002 eine schuldrechtliche Ausgleichsrente in Höhe von 568,55 Euro/Monat zu zahlen.

Für die Zeit vom 01.01.2003 bis 31.12.2003 wird das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens S 27 RA 3401/03 Sozialgericht Berlin ausgesetzt.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

3. Der Beschwerdewert wird auf ... festgesetzt.

4. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt. Sie hat ab Aufforderung durch die Landeskasse monatliche Raten in Höhe von 115,00 Euro auf die Prozesskosten an die Landeskasse zu zahlen. Ihr wird Rechtsanwalt H ... B zu den Bedingungen eines am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

Gründe

 
I.
Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner auf Zahlung einer schuldrechtlichen Versorgungsausgleichsrente in Anspruch.
Die Ehe der Parteien wurde durch Urteil des Amtsgerichts Baden-Baden vom 10.10.1985 – 10 F 149/84 – geschieden. Die Ehezeit im Sinne von § 1587 Abs. 2 BGB verlief vom 01.10.1964 (Heirat am 16.10.1964) bis zum 31.03.1984 (Zustellung des Scheidungsantrags am 24.04.1984). In der Ehezeit haben beide Parteien Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Der Antragsgegner hat darüber hinaus Anrechte auf betriebliche Altersversorgung bei dem damaligen S B erworben. Im öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich wurden die Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung durch Splitting ausgeglichen. Weiterhin wurden durch Quasisplitting die Anrechte auf betriebliche Altersversorgung, die zu Ende der Ehezeit unverfallbar waren, ausgeglichen, indem zu Lasten der Versorgungsanwartschaften des Antragsgegners bei dem S auf dem Versicherungskonto der Antragstellerin bei der Landesversicherungsanstalt Baden Rentenanwartschaften in Höhe von 8,30 DM monatlich, bezogen auf den 31.03.1984 begründet wurden. Dieser Ausgleichsbetrag war von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen Rainer G ermittelt worden.
Der Antragsgegner bezieht seit dem 01.02.1991 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, seit dem 01.09.2001 Altersrente. Die Betriebsrente des S beträgt 3.969,00 DM/Monat zuzüglich 4.745,00 DM/Jahr Sonderzuwendung zuzüglich 728,00 DM/Jahr Urlaubsgeld.
Bei der Antragstellerin lagen seit dem 15.11.1999 die Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vor, die nach Antragstellung ab dem 01.09.2000 geleistet wurde. Diese Rentenzahlung war bis zum 31.12.2002 befristet und wurde anschließend auch eingestellt. Den entsprechenden Verlängerungsantrag der Antragstellerin lehnte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ab. Nach abschlägigem Widerspruchsbescheid ist hierüber eine Klage bei dem Sozialgericht Berlin anhängig. Seit dem 01.01.2004 bezieht die Antragstellerin Altersrente. Die Klage vor dem Sozialgericht Berlin bezieht sich daher auf den Zeitraum 01.01. bis 31.12.2003.
Die Antragstellerin hat beantragt,
den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich für die Zeit bis zum 31.12.2002 und ab dem 01.01.2004 durchzuführen sowie das Verfahren hinsichtlich der Zeit 01.01. bis 31.12.2003 bis zu der Entscheidung des Sozialgerichts Berlin auszusetzen.
Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten.
Er war der Meinung, evtl. Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung seien im Zusammenhang mit einem im Ehescheidungsverfahren abgeschlossenen Vergleich über Unterhalt und Zugewinnausgleich abgegolten worden.
Das Familiengericht hat eine neue Auskunft des S eingeholt. Dieser hat die Auskunft durch ein Privatgutachten des Rentenberaters Rainer G Karlsruhe erteilt.
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In dem angegriffenen Beschluss hat das Familiengericht den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin ab dem 01.01.2004 eine schuldrechtliche Ausgleichsrente in Höhe von 568,55 Euro/Monat zu zahlen. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 hat es das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens des Sozialgerichts Berlin ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die betriebliche Altersversorgung bei dem S dem Versorgungsausgleich und entgegen der Meinung des Antragsgegners nicht dem Zugewinnausgleich unterliege. Für die Zeit ab dem 01.01.2004 schulde der Antragsgegner eine schuldrechtliche Ausgleichsrente. Die Fälligkeitsvoraussetzungen nach § 1587 g Abs. 1 BGB seien erfüllt. Der Ehezeitanteil an der Gesamtbetriebszugehörigkeit betrage 52,60 %. Die Versorgung betrage 4.425,08 DM, der Ehezeitanteil somit 2.327,59 DM, wovon die Antragstellerin die Hälfte, 1.163,80 DM beanspruchen könne. Hiervon seien 51,81 DM bereits durch Quasisplitting ausgeglichen. Dieser Betrag ergebe sich nach Rückrechnung der im Urteil ausgeglichenen 8,30 DM (dynamischer Wert). Es verblieben somit 1.111,99 DM (568,55 Euro). Für die Zeit bis zum 31.12.2003 stehe noch nicht fest, ob die Antragstellerin die persönlichen Fälligkeitsvoraussetzungen des § 1587 g Abs. 1 S. 2 BGB erfüllt habe. Denn es stehe nicht fest, ob die Antragstellerin in diesem Zeitraum wegen Krankheit auf nicht absehbare Zeit in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert gewesen sei. Für diese Beurteilung komme es auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung an. Zu diesem Zeitpunkt sei bereits bekannt gewesen, dass die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte den Antrag, über den 31.12.2002 hinaus eine Erwerbsunfähigkeitsrente zu gewähren, abgelehnt habe. Es könne daher nicht festgestellt werden, ob die Erwerbsunfähigkeit der Antragstellerin auf nicht absehbare Zeit bestehe. Stelle man im übrigen auf den Zeitpunkt der Antragstellung im vorliegenden Verfahren ab, ergebe sich keine andere Entscheidung, da die bewilligte Erwerbsunfähigkeitsrente bis zum 31.12.2002 befristet gewesen sei, also unsicher gewesen sei, ob die Erwerbsunfähigkeit anschließend andauern würde.
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Gegen den ihr am 17.03.2004 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit am 02.04.2004 eingegangenem Schriftsatz vom 31.03.2004 Beschwerde eingelegt und diese mit am 23.04.2004 eingegangenem Schriftsatz vom 21.04.2004 damit begründet, das Familiengericht habe zu Unrecht für die Zeit vom 01.03.2001 bis 08.06.2001 keine schuldrechtliche Ausgleichsrente zugebilligt und das Verfahren für die Zeit vom 09.06.2001 bis zum 31.12.2002 ausgesetzt. Denn in diesen Zeiträumen hätten die persönlichen Fälligkeitsvoraussetzungen gem. § 1587 g Abs. 1 BGB vorgelegen.
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Die Antragstellerin beantragt,
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den angegriffenen Beschluss wie erkannt abzuändern.
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Der Antragsgegner hat nicht mehr Stellung genommen.
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Der Senat hat die Akten 10 F 149/84, 6 F 200/92 Amtsgericht Baden-Baden beigezogen.
II.
16 
Die Beschwerde ist als befristete Beschwerde gem. §§ 621 e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zulässig. Sie ist auch begründet.
17 
Soweit das Familiengericht für die Zeit ab dem 01.01.2004 den Antragsgegner zur Zahlung einer schuldrechtlichen Ausgleichsrente verpflichtet hat, wird der Beschluss nicht angegriffen. Die erstinstanzlich vorgetragenen Einwände des Antragsgegners hiergegen bedürfen daher keiner Erörterung. Das Familiengericht hat hierüber jedoch auch zutreffend erkannt.
18 
Soweit das Familiengericht das Verfahren für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2003 ausgesetzt hat, wird der Beschluss ebenfalls nicht angegriffen. Dies entspricht auch dem zuletzt gestellten Antrag.
19 
Die Antragstellerin beanspruch zu Recht bereits zum jetzigen Zeitpunkt für die Zeit vom 01.03.2001 bis zum 31.12.2002 eine schuldrechtliche Ausgleichsrente in Höhe von 568,55 Euro/Monat. Der Anspruch folgt aus § 1587 g Abs. 1 BGB, dessen Voraussetzungen für den genannten Zeitraum vorliegen. Dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich sind Rentenanwartschaften vorbehalten, die zum Zeitpunkt der Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs noch nicht unverfallbar waren, wenn inzwischen der ausgleichspflichtige Ehegatte eine Versorgung erlangt hat und der ausgleichsberechtigte Ehegatte wegen Krankheit auf nicht absehbare Zeit eine ihm nach Ausbildung und Fähigkeiten zumutbare Erwerbstätigkeit nicht ausüben kann.
20 
Dass der schuldrechtliche Versorgungsausgleich in dem Verbundurteil, in welchem der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich durchgeführt wurde, nicht ausdrücklich vorbehalten wurde, ist unschädlich.
21 
Von den Anspruchsvoraussetzungen des § 1587 g Abs. 1 BGB ist hier nur fraglich, ob die Antragstellerin im Zeitraum ab dem 01.03.2001 "auf nicht absehbare Zeit" erwerbsunfähig war.
22 
Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung ist nicht der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Familiengerichts oder des Senats. Es gilt vielmehr eine rückschauende Betrachtung nach 6 Monaten auf den Beginn der Erwerbsunfähigkeit. Nach inzwischen einhelliger Meinung ist das Tatbestandsmerkmal "auf nicht absehbare Zeit" im Gleichklang mit der sozialversicherungsrechtlichen Auslegung von § 43 SGB VI zu verstehen, welche Vorschrift den gleichen Wortlaut enthält. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist unter "auf nicht absehbare Zeit" ein Zeitraum von mindestens 6 Kalendermonaten zu verstehen. Dies folge aus § 101 Abs. 1 SGB VI. Es müsse dabei rückschauend für die Zeit ab Beginn der Erwerbsunfähigkeit geprüft werden, ob diese vorgelegen habe. Vor Ablauf von 6 Monaten stehe eine Erwerbsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit noch nicht fest. Würden innerhalb der ersten 6 Monate Versicherungsleistungen beantragt, sei der Antrag noch nicht entscheidungsreif. Habe die Erwerbsunfähigkeit sodann 6 Monate angedauert, so trete Leistungsanspruch sofort, d.h. rückwirkend ab Beginn der Erwerbsunfähigkeit, ein (Kommentar zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, Loseblattsammlung, Stand Oktober 2003, § 43 SGB VI, Rn. 8). Dem hat sich die familienrechtliche Literatur angeschlossen (Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht, 4. A., § 1587 g BGB, Rn. 9; MünchKomm/Glockner BGB, 4. A., § 1587 g, Rn. 13; Soergel/Lipp, BGB, 13. A., § 1587 g, Rn. 9; Ermann/Klattenhoff, BGB, 11. A., § 1587 g, Rn. 6; Staudinger/Rehme, BGB, Neubearbeitung von 2004, § 1587 g, Rn. 19; Borth, Versorgungsausgleich, 3. A., Rn. 634 jeweils m. w. N.). Zur Begründung für die vergleichsweise kurze Frist wird auf die dadurch hergestellte Nähe zur Situation im öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen. Denn eine bei Durchführung des öffentlichrechtlichen Versorgungsausgleichs gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente ist zu berücksichtigen unabhängig davon, ob sie ggfs. später wieder wegfällt. Die Möglichkeiten nachträglicher Abänderung, auf die das Familiengericht demgegenüber hinweist, sprechen ebenfalls für eine kürzere Frist. Denn solange das Familiengericht nicht sehenden Auges eine aus nachträglicher Sicht offensichtlich unrichtige Entscheidung zu treffen hat, können nachträgliche Entwicklungen der späteren Abänderung überlassen bleiben. Eine von vornherein gegebene Befristung der Bewilligung der Erwerbsunfähigkeitsrente steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Denn Erwerbsunfähigkeitsrenten werden gem. § 102 Abs. 2 SGB VI grundsätzlich auf Zeit geleistet (s.a. Johannsen/Henrich/Hahne, a. a. O., Rn. 9). Vorliegend trat die Erwerbsunfähigkeit ausweislich des Rentenbescheides vom 10.01.2001 am 15.11.1999 ein. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist daher – 6 Monate später – der 15.05.2000. Zu diesem Zeitpunkt dauerte die Erwerbsunfähigkeit noch an, so dass die persönlichen Fälligkeitsvoraussetzungen des § 1587 g Abs. 1 BGB erfüllt waren.
23 
Die Höhe des Anspruchs, wie sie das Familiengericht errechnet hat, wird nicht angegriffen. Die Berechnung ist auch zutreffend. Sie ergibt sich der Sache nach aus dem Privatgutachten G an dessen Richtigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht.
24 
Die schuldrechtliche Ausgleichsrente wird bereits seit dem 01.03.2001 geschuldet. Sofern alle Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ist die schuldrechtliche Ausgleichsrente ab Verzug oder Rechtshängigkeit geschuldet. An die Bestimmung der Mahnung sind dabei keine besonderen Anforderungen zu stellen, weil auch zur verfahrensmäßigen Geltendmachung keine Bezifferung verlangt wird (Johannsen/Henrich/Hahne, a a. O., Rn. 4; Borth, a. a. O., Rn. 664). Demnach kann vorliegend spätestens mit der verfahrensmäßigen Geltendmachung der Ausgleichsrente durch Beantragung von Prozesskostenhilfe von einem Verzugseintritt ausgegangen werden. Dieser trat ein durch Übersendung des Antragsschriftsatzes zur Stellungnahme an den Antragsgegner gem. Verfügung vom 29.01.2001, welche am 16.02.2001 ausgeführt wurde. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Antragsgegner noch im Laufe des Februar 2001 Kenntnis von dem verfahrenseinleitenden Antrag und dem Wunsch nach Zahlung der Ausgleichsrente erhielt, so dass antragsgemäß spätestens ab März 2001 die schuldrechtliche Ausgleichsrente geschuldet war. Es bedarf daneben keiner Entscheidung, ob die Tatsache, dass Rechtshängigkeit erst am 09.06.2001 eintrat, im Verantwortungsbereich der Antragstellerin lag oder nicht.
25 
Hinsichtlich der im Beschwerdeverfahren erstmals erfolgten Klarstellung, dass die schuldrechtliche Ausgleichsrente bereits ab März 2001 geltend gemacht wird, ist der Senat nicht an die Feststellungen des Familiengerichts in dem angegriffenen Beschluss gebunden. Soweit das Familiengericht dort ausführt, der Anspruch werde ab Zustellung des Antrages geltend gemacht, ergibt sich dies so nicht aus den bis dahin eingereichten Anträgen. Die Anträge enthielten vielmehr keine Angabe, ab wann die Rente begehrt wird. Eine tatbestandliche Bindung des Beschwerdegerichts tritt in isolierten FGG-Verfahren nicht ein.
26 
Soweit die Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren beantragt hat, eine Auskunft der Versorgungswerks der P GmbH einzuholen und das Familiengericht diesem Antrag nicht entsprochen hat, wird dies mit der Beschwerde nicht angegriffen. Im übrigen ergibt sich aus der im Verfahren 10 F 149/84 Amtsgericht Baden-Baden erteilten Auskunft dieser GmbH, dass keine im Versorgungsausgleich zu berücksichtigenden Anwartschaften bestehen, auch keine, die zum Zeitpunkt der Auskunft noch verfallbar waren.
27 
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, da der Sachverhalt keiner weiteren Aufklärung bedarf (BGH FamRZ 1983, 267).
28 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 FGG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 99 Abs. 3 Nr. 7 KostO in der bis zum 30.06.2004 geltenden Fassung.

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