Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 Ws 186/04

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen werden der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Z. vom 13. April 2004 und der Bescheid der Justizvollzugsanstalt X. vom 20. November 2003 aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Entscheidung an die Justizvollzugsanstalt X. zurückgegeben.

3. Die Justizvollzugsanstalt X. wird verpflichtet, den Strafgefangenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

4. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens sowie die dem Strafgefangenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

5. Der Gegenstandswert wird auf 1000 Euro festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der sich seit 15.07.1997 in der Justizvollzugsanstalt X. zur Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren wegen versuchten Mordes u.a. befindliche Strafgefangene U. beantragte mit Anwaltsschriftsatz vom 14.11.2003, ihm einen anderen als den bislang für ihn zuständigen Psychologen zuzuteilen, da mit diesem eine zufriedenstellende Zusammenarbeit nicht erfolgen könne. Diesen Antrag lehnte die Anstalt mit Bescheid vom 20.11.2003 mit der Begründung ab, eine möglicherweise beim Strafgefangenen bestehende Abneigung rechtfertige einen Wechsel nicht, vielmehr sei es dem Strafgefangenen zuzumuten, sich auch dann mit dem nach der Geschäftsverteilung Zuständigen auseinander zu setzen, wenn er diesem keine Sympathie entgegenzubringen vermöge.
Den vom Strafgefangenen hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 13.04.2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Anstalt genüge ihrer Verpflichtung, die Bereitschaft des Strafgefangenen an seiner Behandlung zu wecken und zu fördern schon dadurch, dass sie (auch) die erforderliche Anzahl von Psychologen beschäftige, ein Anspruch des Strafgefangenen, dass die Anstalt für ihn auch den am besten Geeigneten auswähle, bestehe jedoch nicht. Deshalb käme eine Ablösung eines Psychologen allenfalls dann in Betracht, wenn sich dieser einer Verletzung seiner Dienstpflichten schuldig gemacht habe.
II.
Der hiergegen vom Strafgefangenen eingelegten Rechtsbeschwerde kann ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht versagt bleiben. Sie führt zur Aufhebung der angeführten Entscheidungen und zur Verpflichtung der Anstalt, den Strafgefangenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden (§ 115 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).
1. Nach § 3 Abs. 3 StVollzG ist der Strafvollzug darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern, wobei dieser an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels mitwirkt, also aktiv an den Interaktionen mit den Bediensteten und anderen Gefangenen teilnimmt (§ 4 Abs. 1 StVollzG). Seine Bereitschaft hierzu ist zu wecken und zu fördern (§ 4 Abs. 1 Satz 2 StVollzG), weshalb die Anstalt die hierfür erforderliche Anzahl von Bediensteten u.a. auch von Psychologen zur Verfügung stellt (§ 155 Abs. 2 StVollzG). Welche individuellen Behandlungsmaßnahmen ein Strafgefangener zur Erreichung des Behandlungs- bzw. Vollzugsziels, künftig ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung führen zu können (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StVollzG), benötigt, wird im Vollzugsplan näher umschrieben (§ 7 Abs. 2 StVollzG).
2. Der Begriff der Behandlung ist im Gesetz nicht definiert. Der Senat teilt die Auffassung, dass sich dieser nicht an einem eng auszulegenden Krankheitsbegriff und daraufhin bestimmten Therapievorstellungen ausrichtet. Dies ergibt sich bereits aus der Vorschrift des § 7 Abs. 2 StVollzG, der als Mindestangaben der in einem Vollzugsplan aufzuführenden „Behandlungsmaßnahmen“ u.a. auch Planungen zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung (§ 7 Abs. 2 Nr. 4 StVollzG), die Zuweisung zu Wohngruppen (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG), Lockerungen des Vollzuges (§ 7 Abs. 2 Nr. 7 StVollzG) und schließlich notwendige Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung aufzählt (§ 7 Abs. 2 Nr. 8 StVollzG). Der Begriff der Behandlung umfasst daher sowohl die besonderen medizinischen und individual- wie sozialtherapeutischen Maßnahmen als auch diejenigen allgemeiner Art, die den Gefangenen durch Ausbildung und Unterricht, Beratung bei der Lösung persönlicher und wirtschaftlicher Probleme und Beteiligung an gemeinschaftlichen Aufgaben der Anstalt in das Sozial- und Wirtschaftsleben einbeziehen und zur Behebung krimineller Neigungen dienen (BT-Dr. 7/918, S.45; Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Auflage 2005, § 4 Rn. 6).
3. In einem so verstandenen Sinne gehört zum Begriff der Behandlung insbesondere auch, den Strafgefangenen zu befähigen, sich mit der Tat, ihren Ursachen und Folgen auseinander zu setzen, denn in einer Vielzahl von Fällen wird das Vollzugsziel (§ 2 StVollzG) nur dann zu erreichen sein, wenn der Täter die Sozialschädlichkeit seines Verhaltens erkennt und verinnerlicht. Zudem wird oftmals eine vorzeitige Entlassung des Strafgefangenen nur bei einer ausreichenden Tataufarbeitung in Betracht kommen (für den Bereich von Sexualdelikten ausführlich Senat, Beschluss vom 26.07.2004, 1 Ws 189/04). Dieser zur Vermeidung künftiger Straftaten wichtigen Behandlungsmaßnahme kommt daher im Strafvollzug besondere Bedeutung bei, auch wenn es nicht um eine auf längere Zeit und auf Erreichung eines Behandlungserfolges angelegte Gruppen- oder einzeltherapeutische Maßnahme handelt (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 6 StVollzG; Callies, a.a.O., § 7 Rn. 6; zum Anspruch eines Strafgefangenen auf Durchführung einer Therapie vgl. Senat ZfStrVo 2004, 118 f.; NStZ-RR 2004, 287 f.).
Der sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 StVollzG ergebenden Förderungspflicht wird die Anstalt entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer deshalb nicht allein dadurch gerecht, dass sie eine psychologische Betreuung in der Anstalt anbietet, vielmehr hat sie dafür Sorge zu tragen, dass sich diese in sachgerechter Weise auch mit den behandlungsbedürftigen Defiziten des/der Strafgefangenen auseinander setzt und diesen auch von sich aus die erforderliche Hilfestellung zukommen lässt. Zwar trifft den Strafgefangenen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StVollzG die Pflicht, an der Gestaltung seiner Behandlung und Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken, hiermit kann es aber gerade im Zuständigkeitsbereich des psychologischen Dienstes nicht sein Bewenden haben, denn es liegt auf der Hand, dass Kommunikationsstörungen zwischen „Behandler und Patient“ oftmals gerade ihre Ursache in den Persönlichkeitsdefiziten oder gar -störungen des/der Strafgefangenen haben. Aus diesem Grund obliegt es auch der Anstalt, an der Beseitigung aufgetretener Störungen durch geeignete organisatorische oder individuelle Regelungen mitzuwirken und dies nicht allein dem damit oftmals überforderten Strafgefangenen zu überlassen.
4. Einem Strafgefangenen steht - wie die Strafvollstreckungskammer zu Recht darlegt - zwar kein Anspruch auf Zuteilung eines Behandlers seiner Wahl zu (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2001, 114 f. m.w.N.), denn ansonsten würde der Sinn einer solchen Behandlungsmaßnahme, den Strafgefangenen auch mit unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren, leer laufen, zumal es nahe läge, dass die Strafgefangenen sich in diesem Falle nur die ihnen angenehmen Gesprächspartner auswählen würden. Andererseits ist aber zu sehen, dass über den von der Strafvollstreckungskammer angeführten Fall einer Dienstpflichtverletzung hinaus eine derartige Behandlungsmaßnahme auch dann ihren Sinn verlieren kann, wenn zwischen dem Behandler und Strafgefangenen auch in objektiver Sicht keine „Kommunikationsebene“ (mehr) besteht und eine solche sich trotz aller Bemühungen auch nicht herstellen lässt.
5. Ob ein solcher Fall hier vorliegt, hat die Anstalt nicht geprüft, vielmehr sich mit der Feststellung einer bloß „fehlenden Sympathie“ bzw. einer möglicherweise „bestehenden Abneigung“ begnügt. Diese Einschätzung wird jedoch von den von der Strafvollstreckungskammer getroffenen Feststellungen nicht getragen.
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a. Danach ist zunächst davon auszugehen, dass der Strafgefangene durchaus behandlungswillig ist, nachdem ihm von der Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 17.10.2003 zur Ermöglichung einer vorzeitigen Entlassung (§ 57 Abs. 1 StGB) auferlegt worden war, sich unverzüglich mit dem psychologischen Dienst der Anstalt in Verbindung zu setzen und sich um die Aufarbeitung seiner Straftaten zu bemühen.
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Über die Bereitschaft des Strafgefangenen hinaus besteht auch die Notwendigkeit einer solchen Behandlung.
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Der von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Z. beauftragte Sachverständige hat in seiner Begutachtung zur Lockerungseignung des Strafgefangenen folgendes ausgeführt:
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„Die Einleitung einer Lockerungsphase, die aus Sicht des Sachverständigen einer Entlassung aus grundsätzlichen Überlegungen in jedem Falle vorausgehen sollte, kann bei Herrn U. aus psychiatrischer Sicht nur dann verantwortet werden, wenn es zu einer weiteren Veränderung der beschriebenen dynamischen Risikofaktoren kommt. Von wesentlicher Bedeutung wäre dabei, Herrn U. erneut in ein psychologisches bzw. sozialpädagogisches Gesprächssetting einzubinden, das sich konkret dem Ziel einer Verbesserung der angegebenen dynamischen Risikofaktoren stellt. ... Bei einem günstigen Verlauf in der beschriebenen Weise von mindestens neun bis zwölf Monaten wäre für den Fall einer positiven Bilanzierung die Einleitung von Lockerungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Dies selbstredend unter der Voraussetzung eines beanstandungsfreien Verlaufes und einer Bereitschaft seitens des Herrn U., allfällige Konflikte einer angemessen Klärung zuzuführen und sich auf das vorhandene Gesprächsangebot einzulassen.“
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b. Ob es während des ersten Gesprächskontaktes zwischen dem Strafgefangenen und dem Anstaltspsychologen tatsächlich zu einer nach Auffassung des Senates wenig nachvollziehbaren Bemerkung des Psychologen über den Tod des Vaters des Strafgefangenen gekommen ist oder eine solche aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten lediglich missverstanden wurde, hat die Strafvollstreckungskammer nicht abschließend geklärt, sondern lediglich die Sachdarstellung des Psychologen in seiner dienstlichen Erklärung vom 10.02.2004 als „wahrscheinlicher“ angesehen. Unabhängig davon kann die angefochtene Entscheidung und der Bescheid der Justizvollzugsanstalt jedoch keinen Bestand haben, weil sich die Anstalt nicht mit der Frage auseinander gesetzt hat, ob aufgrund der Vorfälle überhaupt noch zwischen dem Psychologen L. und dem Strafgefangenen eine die Durchführung einer psychologischen und nach derzeitiger Aktenlage hier dringend notwendige Behandlungsmaßnahme ermöglichende „Kommunikationsebene“ besteht.
IV.
15 
Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer und der Bescheid der Justizvollzugsanstalt X. vom 20.11.2003 waren daher aufzuheben und die Neubescheidung des Strafgefangenen (§ 115 Abs. 4 Satz 2 StVollzG) anzuordnen. ...

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