Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 (7) SsRs 76/15; 2 (7) SsRs 76/15 - AK 40/15

Tenor

1. Der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts F. vom 11. Dezember 2014 zuzulassen, wird als unbegründet verworfen.

2. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht F. hat den Betroffenen - in seiner und des Verteidigers Abwesenheit - mit Urteil vom 11.12.2014 - 31 OWi 520 Js 21181/14 - wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h zu einer Geldbuße von 80,-- EUR verurteilt.
Nachdem am 24.07.2014 zunächst Hauptverhandlung auf den 28.08.2014 bestimmt worden war, gab der Verteidiger mit Schriftsatz vom „01.04.2014“, eingegangen am 11.08.2014, eine Stellungnahme ab. In dieser wurde die Fahrereigenschaft eingeräumt, wohingegen die Richtigkeit des Messergebnisses (mittels PoliScanspeed) bestritten wurde. Der als eigene Äußerung des Betroffenen verfasste Inhalt des Schriftsatzes endet als letzter Absatz wie folgt:
„Ich habe mit diesen Ausführungen alles gesagt, was ich zu sagen hatte. Einen Hauptverhandlungstermin beim Amtsgericht möchte ich nicht wahrnehmen müssen. Der Aufwand für die Wahrnehmung eines Termins in F. wäre mir aus zeitlichen Gründen und Gründen der hohen Kosten zu aufwendig. Ich bin beruflich sehr stark in Anspruch genommen und würde durch die Wahrnehmung eines Termins in F. bei vernünftiger Planung zwei Arbeitstage verlieren. Das möchte ich mir nicht zumuten. Auf der Grundlage meiner obigen Erklärung kann das Gericht auch so eine Entscheidung fällen. Weitere Erklärungen gebe ich nicht ab. Ich würde mich auch in einer Verhandlung nicht äußern.“
Da nunmehr die Ladung eines Zeugen und eines Sachverständigen erforderlich war, wurde der Termin vom 28.08.2014 am 12.08.2014 aufgehoben. Mit Verfügung vom 16.09.2014 wurde neuer Termin auf den 13.11.2014 bestimmt. Hierzu wurde der die Messung durchführende Polizeibeamte und als technischer Sachverständiger „Dr. L. oder Vertreter“ geladen. Mit Beschluss vom selben Tag wurde der Betroffene gem. § 73 Abs. 2 OWiG vom Erscheinen zum Termin vom 13.11.2014 entbunden. Wegen Verhinderung des Zeugen wurde der Termin vom 13.11.2014 am 23.09.2014 auf den 04.12.2014 verlegt. Zugleich erging ein Beschluss nach § 73 Abs. 2 OWiG für den neuen Termin. Da der Zeuge auch an diesem Termin nicht erscheinen konnte, wurde er am 31.10.2014 auf den 11.12.2014 verlegt. Ferner erging wiederum ein Beschluss nach § 73 Abs. 2 OWiG in Bezug auf den 11.12.2014. Ausfertigungen sämtlicher Entbindungsbeschlüsse wurden dem Verteidiger und dem Betroffenen übersandt. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht. Die Ladung zum 11.12.2014 wurde dem Verteidiger und dem Betroffenen ordnungsgemäß zugestellt. In dieser wurde wegen der geladenen Personen auf die frühere Ladung hingewiesen.
Der Verteidiger und der Angeklagte sind zum Hauptverhandlungstermin ohne weitere Erklärungen nicht erschienen. Die Hautverhandlung, in der der Polizeibeamte als Zeuge und Dipl. Ing. S. vom Sachverständigenbüro Dr. L., F., vernommen wurden, wurde in Abwesenheit des Betroffenen und des Verteidigers durchgeführt. Hierbei legte der Sachverständige Lichtbilder anderer am Vorfallstag gemessener Fahrzeuge sowie des Fahrzeugs des Betroffenen vor, die er im Rahmen der Überprüfung der Richtigkeit des Messergebnisses gefertigt hatte; diese wurden in Augenschein genommen. Ferner wurde ein Schreiben vom 05.09.2014 des als Zeuge vernommenen Polizeibeamten an das Regierungspräsidium K. - Zentrale Bußgeldstelle - verlesen, wonach anhand einer Nachschau in den Unterlagen an dem eingesetzten Gerät zwischen der Eichung und dem 22.01.2014 (Tag der Messung) keine Reparaturen oder dokumentierten Defekte aufgetreten seien.
Der Betroffene hat gegen die Entscheidung form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. In diesem erhebt er Verfahrensrügen und die allgemeine Sachrüge. Die Generalstaatsanwaltschaft K. hat beantragt, den Antrag gem. § 80 Abs. 4 OWiG als unbegründet zu verwerfen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet, da weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) noch die Fortbildung des Rechts eine Zulassung gebieten (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).
1. Bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs wegen der in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführten Hauptverhandlung kann dahin gestellt bleiben, ob sie dem Formerfordernis des § 344 Abs. 2 StPO iVm § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG entspricht; sie ist jedenfalls unbegründet.
a) Das Amtsgericht konnte rechtlich zutreffend in Abwesenheit des Betroffenen die Hauptverhandlung durchführen, da er hierzu nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war (§ 74 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Der Beschluss vom 31.10.2014 stellte eine wirksame Entbindung des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG dar.
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Die überwiegende Rechtsprechung und Teile der Literatur vertreten die Auffassung, dass ein Entbindungsbeschluss nach § 73 Abs. 2 OWiG lediglich den nachfolgenden Termin erfasse; mithin entfalte er keine Wirkung bei einer Aussetzung der Hauptverhandlung und anschließender neuer Terminbestimmung sowie bei einer Verlegung des ursprünglichen Termins (OLG Bamberg, BeckRS 2012, 24387; OLG Bamberg DAR 2012, 393; Thüringer OLG VRS 117, 342; Brandenburgisches OLG VRS 116, 276; OLG Hamm VRS 110, 431; OLG Hamm Beschluss vom 29.04.2004 - 4 Ss OWi 195/04 -, juris; KG Berlin VRS 99, 372; OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.11.2014 - 2 Ss 275/14 -; OLG Köln, Beschluss vom 28.11.2014 - III-1 RBs 89/15 -; OLG Koblenz, Beschluss vom 30.01.2015 - 1 OWi 3 SsRs 13/15 (2) [die letztgenannten drei Beschlüsse sind bislang nicht veröffentlicht]; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 73 Rn. 5; aA: KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 73 Rn. 15 im Fall der Verlegung; Meyer, NZV 2010, 496).
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Die vorliegende Fallkonstellation, die ohnehin nur eine Verlegung des Termins betrifft, unterscheidet sich von den zitierten Fällen zunächst bereits dadurch, dass das Amtsgericht einen konkret terminsbezogenen Entbindungsbeschluss erlassen hat, sodass die Frage der „Fortwirkung“ eines früheren Beschlusses keiner Entscheidung bedarf. Dieser Beschluss war rechtlich wirksam, da ein korrespondierender Antrag des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG vorlag. Obgleich der Betroffene im Schriftsatz vom „01.04.2014“ - möglicherweise rechtsbeschwerderechtlich bewusst - weder einen ausdrücklichen Antrag stellte noch eine Rechtsnorm zitierte, beinhaltete der letzte Absatz des Schriftsatzes ersichtlich einen solchen Antrag. Dies wertet auch der Verteidiger in der Begründung des Zulassungsantrages entsprechend. Der Antrag bedarf nämlich keiner bestimmten Form; es reicht aus, dass das Vorbringen erkennen lässt, dass der Betroffene an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen will (KK-Senge, aaO, § 73 Rn. 16; Göhler-Seitz, aaO, § 73 Rn. 4).
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b) Der Antrag des Betroffenen betraf aufgrund seines Wortlautes ersichtlich und unzweifelhaft nicht nur den nachfolgenden Termin vom 28.08.2014, sondern bezog sich allgemein auf den Hauptverhandlungstermin als solchen (vgl. bereits die Formulierung „einen und nicht den Hauptverhandlungstermin“). Der Betroffene brachte eindeutig zum Ausdruck, dass er wegen der weiten Entfernung zwischen Wohnort und Gerichtsort und seiner beruflichen Belastung schlechterdings nicht erscheinen möchte, zumal er ohnehin keine weiteren Erklärungen abgeben wollte. Eine Antragstellung nach § 73 Abs. 2 OWiG unterliegt der umfassenden Dispositionsbefugnis eines Betroffenen. Demzufolge hat er die rechtliche Möglichkeit, von vornherein den Antrag so zu stellen, dass er auch für den Fall einer Verlegung des ursprünglich vorgesehenen Termins - worum es vorliegend nur geht - gelten soll. Eine solche Auslegung ist mit dem Gesetzeswortlaut ohne weiteres vereinbar, wenn nicht gar nahe liegend. § 73 Abs. 1 OWiG betrifft (allgemein) das Erscheinen „in der Hauptverhandlung“; § 73 Abs. 2 OWiG lässt eine Entbindung „von dieser Verpflichtung“ zu. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb ein Betroffener, der den generellen Entschluss gefasst hat, an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen zu wollen, bei jeder Verlegung gezwungen sein soll, einen neuen Antrag zu stellen. Seine Rechtsposition wird hierdurch nicht beeinträchtigt, da er ungeachtet seiner Entbindung vom Erscheinen gleichwohl an der Hauptverhandlung teilnehmen oder den Antrag jederzeit zurücknehmen kann.
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Der Antrag des Betroffenen wurde vom Amtsgericht zutreffend in diesem Sinne verstanden, weshalb die nachfolgenden Entbindungsbeschlüsse ohne erneuten Antrag wirksam erlassen werden konnten. Die entsprechenden Entscheidungen wurden dem Betroffenen und dem Verteidiger übermittelt, sodass ein Irrtum ihrerseits über die Tragweite des Antrages sicher ausgeschlossen wurde. Wollte der Betroffene seinem Antrag den vom Amtsgericht angenommenen Erklärungsinhalt demgegenüber nicht beigemessen haben, hätte es ihm oblegen, dieses Missverständnis durch eine Klarstellung oder eine Rücknahme des Antrages auszuräumen. Indem er untätig blieb, brachte er jedoch zum Ausdruck, der vom Amtsgericht vorgenommenen - nach dem Inhalt der Erklärung sich aufdrängenden - Interpretation nicht entgegentreten zu wollen. Insoweit traf den Betroffenen gegebenenfalls eine Mitwirkungspflicht. Nimmt er diese nicht wahr, muss er sich an seinem Antrag festhalten lassen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.02.2014 - 3 (5) SsRs 660/13; OLG Karlsruhe, BeckRS 2015, 00707 [ebenfalls jeweils zu § 73 Abs. 2 OWiG bei Anträgen desselben Verteidigers mit etwas abweichenden Textvariationen]).
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Die Rechtsauffassung, wonach ein Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG je nach Inhalt auch verlegte Termine erfassen kann, wird ersichtlich auch durch andere obergerichtliche Entscheidungen vertreten. In den zitierten Entscheidungen des KG Berlin und des OLG Köln wird nämlich ausgeführt, dass der Tatrichter „nicht ohne weiteres“ davon ausgehen könne, dass ein früher gestellter Antrag auch für jede weitere Hauptverhandlung gelte. Letztlich maßgebend sind im Einzelfall mithin allein die konkreten Ausführungen im Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG.
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2. Die weitere Rüge, das Amtsgericht habe gegen die Mitteilungspflicht in Bezug auf die Ladung des Sachverständigen verstoßen (§ 222 Abs. 1 StPO iVm § 46 Abs. 1 OWiG), bleibt ohne Erfolg.
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Der Beschwerdeführer rügt als Verletzung seines rechtlichen Gehörs, es sei ihm mit der Ladung als geladener Sachverständiger lediglich „Sachverständigenbüro Dr. L. und Kollegen, F.“ mitgeteilt worden. An der Hauptverhandlung habe sodann der dem Büro Dr. L. angehörende Dipl. Ing. S. teilgenommen. Dies stelle einen Verstoß gegen die Mitteilungspflicht dar. Falls ihm dies zuvor mitgeteilt worden wäre, hätte er vorab Erkundigungen über die Qualifikation des Sachverständigen eingeholt und möglicherweise einen eigenen Sachverständigen präsentiert.
17 
Eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 222 Abs. 1 StPO iVm § 46 Abs. 1 OWiG ist bei Abwesenheit des Betroffenen und des Verteidigers revisibel (KK-Gmel, StPO, 7. Aufl., § 222 Rn. 12). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Mitteilung unzureichend war. Der Rechtsbeschwerdevortrag in dem Zulassungsantrag entspricht jedenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Der Betroffene muss nämlich substantiiert darlegen, worin die Verletzung des rechtlichen Gehörs besteht und was er im Fall der ordnungsgemäßen Mitteilung gemacht bzw. wie er seine Rechte wahrgenommen hätte. Nur hierdurch wird das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt zu prüfen und zu entscheiden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfassungsverstoß beruht (OLG Hamm NStZ-RR 2004, 307). Ferner müsste er dartun, dass er - hätte er hier Kenntnis vom Erscheinen des Sachverständigen Dipl. Ing. S. gehabt - trotz der erfolgten Entbindung zur Hauptverhandlung erschienen wäre und den Sachverständigen befragt hätte. Denn nur dann, wenn der Betroffene erschienen wäre und Fragen gestellt hätte, kann das Urteil überhaupt auf der Versagung des rechtlichen Gehörs beruhen (Thüringer OLG VRS 100, 429; OLG Hamm aaO; SK-StPO/Deiters, 5. Aufl., § 222 Rn. 12 a.E.; LR-Jäger, StPO, 26. Aufl., § 222 Rn. 24).
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Vorliegend hat der Beschwerdeführer lediglich allgemein ausgeführt, dass er Erkundigungen eingeholt und möglicherweise einen anderen Sachverständigen hinzugezogen hätte. Ob dies dazu geführt hätte, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, um den Sachverständigen dann zu befragen, ist jedoch nicht dargelegt. Damit ist die Rüge nicht ausreichend begründet.
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3. Die weiteren Rügen, der technische Sachverständige habe in der Hauptverhandlung - dem Betroffenen unbekannte - in Augenschein genommene Lichtbilder vorgelegt und es sei ein Schreiben des als Zeuge vernommenen Polizeibeamten verlesen worden, wodurch das rechtliche Gehör versagt worden sei, haben keinen Erfolg. Sie genügen ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Insoweit wird auf die Ausführungen zur vorgenannten Rüge und die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen.
20 
4. Die erhobene nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge deckt keinen Rechtsfehler auf, der die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) begründen würde.
III.
21 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO iVm § 46 Abs. 1 OWiG.

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