Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 13 W 25/17

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Sachverständigen ... wird der Beschluss des Landgerichts Offenburg vom 03.08.2016, Az. 2 O 194/13, abgeändert:

Die Vergütung des Sachverständigen ... wird auf 6.695,06 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Klägerin hat im Verfahren vor dem Landgericht Offenburg die Zahlung einer Versicherungsleistung in Höhe von 14.882,30 EUR verlangt. Nach einem Rohrbruch hat die Klägerin geltend gemacht, bestimmte Schäden am Belag eines Balkons und an der Außenfassade seien durch ausgetretenes Leitungswasser verursacht worden. Die entsprechenden Reparaturkosten seien daher von der Beklagten im Rahmen der Wohngebäudeversicherung zu erstatten. Auf Antrag der Klägerin hat das Landgericht zur Frage der Verursachung der Schäden ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses Gutachten hat der Beschwerdeführer erstellt. Das Gutachten ist zu dem Ergebnis gekommen, die von der Klägerin im Rechtsstreit angegebenen Schäden seien nicht durch ausgetretenes Leitungswasser verursacht worden. Die Klägerin hat daraufhin ihre Klage zurückgenommen.
Für die Erstattung des Gutachtens hat das Landgericht Kostenvorschüsse in Höhe von insgesamt 5.000,00 EUR angefordert. Die Vorschüsse sind von der Klägerin bezahlt worden. Der Beschwerdeführer hat am 22.04.2016 das Gutachten bei Gericht eingereicht, und gleichzeitig seine Leistungen mit insgesamt 6.695,06 EUR abgerechnet. Die Kostenbeamtin des Landgerichts hat mit Verfügung vom 28.04.2016 die Rechnung gekürzt und einen Betrag lediglich in Höhe der angeforderten Vorschüsse von 5.000,00 EUR zur Zahlung angewiesen. Auf Antrag des Sachverständigen hat der Einzelrichter des Landgerichts mit Beschluss vom 03.08.2016 die Vergütung des Sachverständigen auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Der Sachverständige habe seine Pflicht aus § 407 a Abs. 3 Satz 2 ZPO verletzt, das Gericht rechtzeitig auf eine absehbare erhebliche Überschreitung des angeforderten Vorschusses hinzuweisen. Daher sei die Vergütung des Sachverständigen gemäß § 8 a Abs. 4 JVEG auf den Betrag der Vorschüsse in Höhe von insgesamt 5.000,00 EUR zu begrenzen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Sachverständigen. Er ist der Auffassung, die Staatskasse schulde den vollen Betrag seiner Rechnung in Höhe von 6.695,06 EUR. Der Umstand, dass er das Gericht vor Erstellung des Gutachtens nicht auf die den Vorschuss übersteigenden Kosten hingewiesen habe, könne keine Bedeutung haben. Denn unter den gegebenen Umständen stehe fest, dass die Parteien auch in Kenntnis der höheren Kosten nicht auf die Erstellung des Gutachtens verzichtet hätten. Der unterbliebene Hinweis auf höhere Kosten habe mithin nicht zu einem finanziellen Nachteil der Parteien geführt. An dem unterbliebenen Hinweis treffe ihn zudem kein Verschulden. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass das Gericht auch nach Eingang des schriftlichen Gutachtens noch einen zusätzlichen Vorschuss hätte anfordern können.
Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten mit Beschluss vom 25.10.2016 dem Oberlandesgericht Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - zur Entscheidung vorgelegt. Die Rechnung des Sachverständigen überschreite den Vorschuss von 5.000,00 EUR um 34 Prozent. Dies sei erheblich im Sinne von § 8 a Abs. 4 JVEG. Der Sachverständige hätte die erwartende Überschreitung des Vorschusses rechtzeitig vorher erkennen und dem Gericht mitteilen können. Bei einer erheblichen Überschreitung des Vorschusses habe das Gericht nach der gesetzlichen Regelung in § 8 a Abs. 4 JVEG keinen Spielraum bei der Entscheidung.
Die Parteien hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Offenburg tritt als Vertreterin der Staatskasse der Beschwerde entgegen. Sie hält die Auffassung des Landgerichts im Nichtabhilfebeschluss für zutreffend und verweist auf einschlägige Gerichtsentscheidungen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Sachverständigen ist begründet. Ihm steht für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens eine Vergütung in Höhe von 6.695,06 EUR zu.
1. Die Abrechnung des Sachverständigen vom 22.04.2016, die mit einer Summe von 6.695,06 EUR brutto schließt, entspricht den Vorschriften des JVEG. Der Sachverständige hat insgesamt 58,75 Stunden für seine Tätigkeit aufgewendet. Zusammen mit den weiteren Positionen ergibt sich ein Nettobetrag von 5.626,10 EUR, bzw. eine Bruttosumme von 6.695,06 EUR. Einwendungen gegen die Abrechnung sind nicht ersichtlich, und auch von der Vertreterin der Staatskasse nicht erhoben worden.
2. Eine Kürzung der Vergütung gemäß § 8 a Abs. 4 JVEG findet nicht statt. Denn die Voraussetzungen für eine Kürzung liegen nicht vor.
2.1. Der Sachverständige hätte gemäß § 407 a Abs. 3 Satz 2 2. Alternative ZPO das Gericht darauf hinweisen können, dass der angeforderte Vorschuss in Höhe von 5.000,00 EUR nicht ausreichend war, sobald dies für den Sachverständigen während seiner Arbeit erkennbar wurde. Es kommt insoweit eine Pflichtverletzung des Sachverständigen in Betracht. Der Rechnungsbetrag von 6.695,06 EUR übersteigt den Vorschuss in Höhe von 5.000,00 EUR zwar um 34 Prozent. Dem Sachverständigen steht dennoch die volle Vergütung zu. Denn die Überschreitung des Vorschusses war nicht "erheblich" im Sinne von § 8 a Abs. 4 JVEG.
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2.2. Die Rechtsprechung hat aus der Regelung in § 407 a Abs. 3 Satz 2 ZPO den Schluss gezogen, dass der Sachverständige seinen Vergütungsanspruch teilweise verwirken kann, wenn er pflichtwidrig nicht rechtzeitig darauf hinweist, dass die Vergütung den Kostenvorschuss erheblich übersteigt. Eine für die Frage der Vergütung relevante Pflichtverletzung soll in Betracht kommen, wenn der Vorschuss um ca. 20 Prozent bis 25 Prozent überschritten wird. Allerdings ist zur weiteren Voraussetzung gemacht worden, dass die Unterlassung des Sachverständigen kausal für die entstandenen Kosten geworden ist; eine Kürzung kommt nach dieser Rechtsprechung nicht in Betracht, wenn feststeht, dass bei Benachrichtigung durch den Sachverständigen die weitere Begutachtung - mit entsprechenden Kosten - fortgesetzt worden wäre (vgl. Ahrens in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Auflage 2014, § 413 ZPO Rn. 19; OLG Stuttgart, MDR 2008, 652). An diesen Rechtsprechungsgrundsätzen hat sich durch die Einführung von § 8 a Abs. 4 JVEG zum 01.08.2013 nichts geändert (siehe unten 2.3). Unter den Umständen des vorliegenden Falles steht nach Auffassung des Senats fest, dass der Gutachtenauftrag bei einer Anzeige des Sachverständigen wegen der höheren Kosten nicht eingeschränkt oder abgebrochen worden wäre (unten 2.4). Da die unterlassene Anzeige des Sachverständigen keine höheren Kosten für die Parteien verursacht hat, findet eine Kürzung der Vergütung nicht statt.
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2.3. Die Neuregelung in § 8 a Abs. 4 JVEG, die eine Kürzung der Sachverständigenvergütung unter bestimmten Voraussetzungen zum Gegenstand hat, knüpft an die zu diesem Zeitpunkt entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung an. Eine für den Sachverständigen nachteilige "erhebliche" Überschreitung des Vorschusses kommt nicht in Betracht, wenn bei rechtzeitiger Anzeige dieselben Kosten entstanden wären.
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2.3.1. Aus dem Begriff des "erheblichen" Übersteigens ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Kürzung der Vergütung nicht von einem starren Prozentsatz abhängig machen wollte. Vielmehr wird durch den Begriff "erheblich" der - vom Gericht im Einzelfall zu prüfende - Bezug zu den wirtschaftlichen Interessen der Parteien hergestellt (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 26.09.2014 - 3 W 980/14 - Rn. 12, zitiert nach Juris; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 1. Auflage 2015, § 70 Rn. 52, zitiert nach Juris; Zimmermann in Münchener Kommentar ZPO, 5. Auflage 2016, § 407 a ZPO Rn. 12; anders OLG Hamm, MDR 2015, 1033; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.11.2015 - L 15 RF 43/15 -, zitiert nach Juris; OLG Düsseldorf, Juristisches Büro 2016, 485). Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/11471 (neu) S. 260: "Die Literatur nimmt Erheblichkeit erst bei einer um zwanzig Prozent übersteigenden Vergütung an (Zöller/Greger, 25. Auflage, § 413 ZPO, Rnr. 6)") ergibt sich, dass dem Gesetzgeber die bis dahin übliche - von der Literatur aufgegriffene - Rechtsprechung bekannt war, wonach bestimmte Prozentsätze beim Überschreiten eines angeforderten Auslagenvorschusses eine Rolle spielten. Der Gesetzgeber hat sich jedoch dagegen entschieden, in § 8 a Abs. 4 JVEG einen bestimmten Prozentsatz als allein maßgeblich für die Kürzung der Sachverständigenvergütung festzulegen. Gegen die Verengung des Begriffes "erheblich" auf einen bestimmten Prozentsatz spricht zudem, dass der Gesetzesentwurf scheinbar beliebig lediglich auf eine bestimmte Literaturmeinung (s.o.) hinweist und dass Literatur und Rechtsprechung nach altem Recht unterschiedliche Prozentsätze beim Überschreiten eines Auslagenvorschusses für relevant erachtet haben, wenn es um die Frage einer möglichen Kürzung ging (vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Auflage 2011, § 8 Rn. 8.19; OLG Jena, Baurecht 2015, 301; LG Osnabrück, Juristisches Büro 2016, 367). Der Begriff "erheblich" in § 8 a Abs. 4 JVEG kann nach Auffassung des Senats nur bedeuten, dass es für die Frage der Kürzung auf die Kosteninteressen der Parteien ankommen muss.
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2.3.2. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich hingegen kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit § 8 a Abs. 4 JVEG zu Lasten des Sachverständigen - unabhängig von den Kosteninteressen der Parteien - ein "pönales Element" einführen wollte (anders Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 31. Auflage, § 413 ZPO Rn. 8). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Vergütung des Sachverständigen auch dann gekürzt werden soll, wenn die mögliche Verletzung einer Anzeigepflicht gemäß § 407 a Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz ZPO die wirtschaftlichen Interessen der Parteien nicht berührt. Vielmehr ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/11471 (neu), Seite 259), dass sich der Gesetzgeber an der zu diesem Zeitpunkt existierenden "ausgewogenen Rechtsprechung" orientieren wollte. Eine für die Parteien "erhebliche" Überschreitung des Kostenvorschusses kann daher - wie nach der früheren Rechtsprechung (vgl. beispielsweise OLG Jena, Baurecht 2015, 301) - nur dann angenommen werden, wenn die rechtzeitige Anzeige des Sachverständigen zu einem Abbruch oder einer Einschränkung des Gutachtenauftrags geführt hätte. Die Interessen der Parteien werden bei dieser Gesetzesauslegung ausreichend gewahrt, wenn der Sachverständige, der den gebotenen Hinweis unterlässt, das Risiko trägt, dass im Nachhinein die Möglichkeit der Vermeidung höherer Kosten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O.).
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2.3.3. Bei der Auslegung von § 8 a Abs. 4 JVEG spielen mögliche Interessen der Staatskasse keine Rolle. Dies ergibt sich schon daraus, dass es nach dem Gesetz in § 8 a Abs. 4 JVEG nicht darauf ankomme, in welcher Höhe ein Vorschuss an die Staatskasse eingezahlt wurde. Vielmehr stellt das Gesetz nur auf die Anforderung eines Vorschusses ab, unabhängig davon, ob dieser von der Partei gezahlt wurde.
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2.3.4. Die abweichende Auffassung (Kürzung der Sachverständigenvergütung gemäß § 8 a Abs. 4 JVEG bei Erreichen eines bestimmten Prozentsatzes, unabhängig von wirtschaftlichen Nachteilen für die Parteien) würde zu Konsequenzen führen, die nach Auffassung des Senats vom Gesetzgeber kaum beabsichtigt sind. Es besteht Einigkeit, dass es für ein Überschreiten des Vorschusses im Rahmen von § 8 a Abs. 4 JVEG darauf ankommen muss, in welcher Höhe der Sachverständige die Zahlung einer Vergütung beantragt. Bei Anwendung einer starren Prozentgrenze von beispielsweise 20 Prozent würde dies bedeuten, dass der Sachverständige, der eine den Vorschuss um 20 Prozent übersteigende Vergütung verlangt, eine Kürzung auf die Höhe des Vorschusses hinnehmen muss, während der Sachverständige, der seinen Antrag um lediglich einen Cent reduziert, keine Kürzung erfährt (vgl. zu dieser Erwägung Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 08.06.2014 - L 15 SF 255/14 E -, Rn. 13, zitiert nach Juris). Der Sachverständige müsste für einen sinnvollen Vergütungsantrag vorher wissen, welchen Prozentsatz der zuständige Kostenbeamte (oder das Rechtsmittelgericht) akzeptiert. Es stellt sich die Frage, ob und inwieweit der Kostenbeamte verpflichtet wäre, auf einen entsprechenden Antrag des Sachverständigen hinzuwirken (so die Auffassung des Bezirksrevisors in der zitierten Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts a. a. O., Rn. 116), woran sich die Frage einer Amtsanhaftung anschließen würde, wenn der Kostenbeamte einen Hinweis an den Sachverständigen unterlässt. Solche vom Gesetzgeber kaum beabsichtigten Auswirkungen treten bei der vom Senat vorgenommenen Auslegung von § 8 a Abs. 4 JVEG nicht ein.
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2.4. Der Sachverständige macht zu Recht geltend, dass der Gutachtenauftrag des Landgerichts weder abgebrochen noch eingeschränkt worden wäre, wenn er das Gericht rechtzeitig darauf hingewiesen hätte, dass der Vorschuss von 5.000,00 EUR um insgesamt 1.695,06 EUR überschritten wird. Die Klägerin war rechtsschutzversichert. Anhaltspunkte für einen möglichen Abbruch des Gutachtenauftrags bei einer Anzeige des Sachverständigen liegen nicht vor. Weder die Klägerin noch die Beklagte haben die Ausführungen des Sachverständigen, wonach der Gutachtenauftrag bei einer Anzeige nicht unterbrochen worden wäre, in Abrede gestellt.
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3. Da die Voraussetzungen für eine Kürzung der Vergütung gemäß § 8 a Abs. 4 JVEG nicht vorliegen, können die weiteren Einwendungen des Sachverständigen dahinstehen. Es kommt nicht darauf an, ob das Landgericht nach Eingang des Gutachtens noch einen ergänzenden Vorschuss hätte anfordern können. Es kann dahinstehen, ob und inwieweit den Sachverständigen ein Verschulden beim Unterbleiben der Anzeige trifft. Schließlich ist auch eine Entscheidung des Senats über den Hilfsantrag des Sachverständigen (Vergütung in Höhe des Vorschusses zuzüglich eines Zuschlags von 25 Prozent) nicht erforderlich.
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4. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

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