Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (2. Strafsenat) - 2 Ws 195/12

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Magdeburg vom 13. September 2012 und der Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. Juni 2012 in Gestalt der Beschwerdeentscheidung vom 27. Juni 2012 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antrag des Antragstellers vom 22. Mai 2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers.

Der Gegenstandswert wird auf 500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist im Landeskrankenhaus für Forensische Psychiatrie U. untergebracht.

2

Mit Antrag vom 21. Mai 2012 hat er die Zulassung eines über den Versandhandel N. (Katalog Seite 630) zu beziehenden Fernsehgerätes der Fa. P. mit DVP-T und DVB-C Receivern beantragt. Die Antragsgegnerin hat die Genehmigung dieses Antrages von der – vom Antragsteller verweigerten – Unterzeichnung folgender Erklärung abhängig gemacht:

3

„Ich verzichte hiermit auf jegliche Ansprüche, die mir durch einen eventuellen Verlust von Gewährleistungs- und Garantierechten infolge notwendiger Geräteüberprüfungen entstehen könnten. Gleichzeitig verzichte ich auf jeglichen Anspruch gegenüber der Einrichtung, der durch eine Beschädigung des Gerätes anlässlich der Überprüfung bedingt sein könnte. Diese Verzichtserklärungen gelten auch für später angeordnete Überprüfungsmaßnahmen. Für Maßnahmen zur Siegelentfernung nach einer Nutzung in der Einrichtung ist die Einrichtung nicht verantwortlich. Auch insoweit verzichte ich auf die Geltendmachung jeglicher Forderung gegenüber der Einrichtung. Dies gilt auch für mögliche Schäden, die bei einer Siegelentfernung auftreten könnten.“

4

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat die Antragsgegnerin am 27. Juni 2012 zurückgewiesen. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 9. Juli 2012 hat das Landgericht Magdeburg am 13. September 2012 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei unbegründet. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, die Sicherheit im Maßregelvollzug zu gewährleisten. Deshalb könne auch der Besitz bestimmter Gegenstände untersagt werden. Gesetzliche Grundlage hierfür sei § 22 MVollzG. Nach dieser Vorschrift könne die Antragsgegnerin die Gewährung des Besitzes technischer Geräte von einer vorherigen Untersuchung, Versiegelung und Unbrauchbarmachung von Anschlussmöglichkeiten für Datenspeichermedien oder von Abspielgeräten abhängig machen. Auch wenn bei der Lieferung eines originalverpackten Gerätes durch ein Versandhandelunternehmen eigentlich nicht an eine Manipulation zu denken sei, schienen manipulierte Lieferung möglich. Deshalb müsse die Antragsgegnerin berechtigt sein, Kontrollen vorzunehmen. Ob das Gerät auch wirklich geöffnet werde, müsse dem Einzelfall überlassen bleiben. Im Rahmen der Abwägung der Interessenlage gehe das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit vor. Der Untergebrachte habe deshalb die von der Antragsgegnerin nachgesuchte Freizeichnung zu erklären. Ein solches „Sonderopfer“ sei unter den Bedingungen des Maßregelvollzuges hinzunehmen.

5

Gegen diesen Beschluss, der seinem Verteidiger am 17. September 2012 zugestellt worden ist, wendet sich der Antragsteller mit seiner mit Schriftsatz seines Verteidigers eingelegten, als Rechtsbeschwerde auszulegenden „sofortigen Beschwerde“, die am 24. September 2012 beim Landgericht Magdeburg eingegangen ist.

II.

6

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§§ 116 Abs. 1, 118 StVollzG), weil die Strafvollstreckungskammer mit ihrer Entscheidung von der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abgewichen und zu besorgen ist, dass der Rechtsfehler in weiteren Fällen Bedeutung erlangen wird.

7

Die Rechtsbeschwerde hat auch Erfolg. Der Beschluss des Landgerichts vom 13. September 2012 verletzt sachliches Recht. Der Bescheid der Antragsgegnerin ist rechtswidrig.

8

Das Verlangen der Antragsgegnerin nach Freizeichnung von der Haftung für Schäden aus der Überprüfung von Geräten, die zur persönlichen Habe des Untergebrachten zählen, führt im Fall der Verweigerung zur Beschränkung der persönlichen Habe. Als gesetzliche Grundlage hierfür kommt § 22 Abs. 2 Satz 6 MVollzG LSA in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann der Besitz technischer Geräte von einer vorherigen Untersuchung, Versiegelung oder Unbrauchbarmachung von Anschlussmöglichkeiten für Datenspeichermedien oder von Abspielgeräten abhängig gemacht werden.

9

Bei der Auslegung des § 22 Abs. 2 Satz 6 MVollzG LSA und der Prüfung der Voraussetzungen einer auf sie gestützten Beschränkung ist stets das Ziel der Unterbringung nach § 63 StGB im Blick zu behalten. Die Unterbringung nach § 63 StGB dient dem Schutz der Allgemeinheit vor aufgrund psychischer Erkrankung oder Behinderung gefährlichen Tätern, gegen die wegen dieses Zustandes hinsichtlich der Tat ein Schuldvorwurf nicht oder nur eingeschränkt erhoben werden kann. Sie dient auch dazu, diese Personen von der vorliegenden psychischen Störung jedenfalls soweit zu heilen, dass von ihrem Zustand keine unvertretbare Gefahr für fremde Rechtsgüter mehr ausgeht oder sie in ihrem Zustand zu pflegen (§ 2 Abs. 1 MVollzG LSA,; Fischer, StGB, 59. Auflage, § 63, Rdn. 2; OLG München, StV 2009, 150 ff). Diesem vorrangigen Ziel muss nicht nur die Heilbehandlung des Untergebrachten, sondern auch die Gestaltung seiner Unterbringung dienen. Dementsprechend bestimmt § 2 Abs. 2 MVollzG LSA, dass die Unterbringung unter Berücksichtigung therapeutischer Gesichtspunkte den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen ist.

10

Darüber hinaus muss der Maßregelvollzug vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht werden (vgl. BVerfGE 15, 288; 34, 369; 35, 5), der stets eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles gebietet. Beschränkungen sind daher nur dann zulässig, wenn sie erforderlich sind, um eine reale Gefahr für die Heilung des Untergebrachten, die Sicherstellung seines Gewahrsams oder die Interessen der Sicherheit und Ordnung und des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt abzuwehren und dieses Ziel nicht mit weniger eingreifenden Maßnahmen erreicht werden kann (OLG Naumburg, NStZ 2011, 347 f; für die Untersuchungshaft: BVerfGE 35, 5; vgl. auch KG Berlin NStZ-RR 1998, 382).

11

Die Rechtsstellung der Untergebrachten ist demnach dadurch gekennzeichnet, dass ihnen nur solche im MVollzG LSA vorgesehenen Beschränkungen auferlegt werden dürfen, die im Hinblick auf den Zweck der Unterbringung oder zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Einrichtung unerlässlich sind. Für darüber hinausgehende Eingriffe nach Maßgabe vollzugspolitischer Zweckmäßigkeiten und nicht therapeutisch oder gefahrenabwehrrechtlich begründete Erwägungen bieten die Eingriffsbefugnisse des MVollzG LSA keine Grundlage.

12

Die Auferlegung einer Beschränkung bei einer den Grundrechten Rechnung tragenden Auslegung der genannten Eingriffsnorm ist nicht – wie das Landgericht und die Antragsgegnerin anzunehmen scheinen – schon dann zulässig, wenn ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist. Vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Untergebrachte einen ihm überlassenen Gegenstand missbrauchen und dadurch den Unterbringungszweck, die Sicherheit oder Ordnung oder das geordnete Zusammenleben in der Einrichtung gefährden könnte (BVerfGE 35, 5; StV 2008, 259; OLG Naumburg a. a. O.). Über Einzelmaßnahmen im konkreten Fall hinausgehende generelle Beschränkungen sind nur dann zulässig, wenn eine reale Gefährdung der bereits genannten öffentlichen Interessen nicht jeweils durch einzelne Maßnahmen hinreichend abgewehrt werden kann (BVerfG StV 2008, 259 ff. m. w. Nachw.). In solchen Fällen ist zudem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dadurch Rechnung zu tragen, dass im Einzelfall Ausnahmen zugelassen werden, soweit dies ohne konkrete Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen möglich ist (BVerfG StV 2008, 259 ff.). Je weniger konkret die Gefährdung der öffentlichen Interessen ist, desto größeres Gewicht kommt der Handlungsfreiheit des Untergebrachten zu und desto zurückhaltender muss der Eingriff sein (OLG Naumburg a. a. O.; für die Untersuchungshaft: BVerfG StV 2008, 259 ff.).

13

Gemessen hieran erweist sich die Entscheidung der Antragsgegnerin als rechtswidrig. Bei der Lieferung eines originalverpackten Gerätes durch ein seriöses Versandhandelsunternehmen wie die Fa. N. liegen Manipulationen an dem gelieferten Gerät außerordentlich fern. Sofern sich keine konkreten Anhaltspunkte für Eingriffe an dem Gerät ergeben, etwa durch Veränderungen an der Originalverpackung, fehlt es an der Befugnis der Antragsgegnerin, dieses einer Untersuchung zu unterziehen, die zum Verlust von Gewährleistungsrechten des Untergebrachten führen kann. Folglich darf sie hierfür auch keine Haftungsfreistellung verlangen.

14

Inwieweit unter Beachtung der aufgezeigten Grundsätze die Versiegelung oder der Unbrauchbarmachung evtl. vorhandener Anschlussmöglichkeiten für Datenspeichermedien zulässig ist, vermag der Senat mangels Mitteilung der technischen Details der fraglichen Geräte und des Behandlungsstandes des Antragstellers nicht zu beurteilen. Es bedarf deshalb auch keiner näheren Untersuchung der Frage, inwieweit sich die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang überhaupt von möglichen Ansprüchen der Untergebrachten freistellen lassen kann.

3.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 121 Abs. 1 StVollzG.

16

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.


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