Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (Vergabesenat) - 17 Verg 1/18
Tenor
1. Der Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 20.12.2017 - 1 VK 5/17 - ist mit Ausnahme der Nichterhebung von Kosten bei der Antragsgegnerin wirkungslos.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die im Verfahren vor der Vergabekammer und im Beschwerdeverfahren notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war im Verfahren vor der Vergabekammer notwendig.
3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 59.500,- € festgesetzt.
Gründe
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht für das Verfahren vor der Vergabekammer auf § 182 Abs. 4 S. 3 GWB und für das Beschwerdeverfahren auf §§ 175 Abs. 2, 78 S. 1 u. 2 GWB.
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Nachdem die Parteien den Vergabenachprüfungsantrag übereinstimmend für erledigt erklärt haben und ein Fortsetzungsfeststellungsantrag gem. § 168 Abs. 2 S. 2 GWB nicht gestellt worden ist, ist über die Kosten beider Rechtszüge nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden; gleichzeitig ist die Wirkungslosigkeit des noch nicht rechtskräftigen Beschlusses der Vergabekammer vom 20.12.2017 (deklaratorisch) festzustellen.
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Allein die Aufhebung des Vergabeverfahrens durch die Antragsgegnerin am 03.01.2018 und die damit verbundene Herbeiführung des erledigenden Ereignisses führt nicht zur Kostentragungspflicht der Antragsgegnerin, weil nicht feststellbar ist, dass Grund für die Aufhebung des Vergabeverfahrens statt des angeführten nachträglichen Wegfalls der Beschaffungsabsicht tatsächlich die Einsicht in die gerügten Vergaberechtsverstöße gewesen ist.
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Die Antragsgegnerin hat nach billigem Ermessen die Kosten beider Rechtszüge zu tragen, da der Nachprüfungsantrag vom 12.09.2017 ohne die übereinstimmenden Erledigungserklärungen erfolgreich und die zulässige sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer vom 20.12.2017 unbegründet gewesen wäre.
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Die Vergabekammer hat die gem. § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Antragsbefugnis der Antragstellerin - unter Berücksichtigung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, B. v. 27.7.2004 - 2 BvR 2248/03) - zutreffend bejaht. Da die Antragstellerin im Vergabeverfahren kein Angebot abgegeben hat, oblag es ihr darzulegen, dass sie gerade durch den gerügten Vergaberechtsverstoß daran gehindert worden ist, ein ernstzunehmendes Angebot abzugeben, und dass sie sich bei ordnungsgemäßer Vergabe um den Auftrag beworben hätte. Dieser Darlegungslast hat die Antragstellerin, die die ausgeschriebenen Dienstleistungen bis zum 30.09.2017 ausgeführt hat, genügt: Sie hat in Übereinstimmung mit ihren vorprozessualen Rügen schlüssig dargelegt, dass sie ein eigenes Angebot abgeben und hierbei den AWO Kreisverband Schwerin-Parchim als Unterauftragnehmer einbinden wollte, hieran sei sie aufgrund des von der Antragsgegnerin vorgegebenen Selbstausführungsgebotes gehindert gewesen. Selbst wenn die Vergabebedingungen dahingehend auszulegen sind, dass die Vergabe unwesentlicher Auftragsteile an Unterauftragnehmer erlaubt ist, so hat die Antragstellerin auch dies als Vergaberechtsverstoß gerügt und musste sich nicht der Gefahr aussetzen, dass die beabsichtigte Unterauftragsvergabe nach Abgabe eines Angebotes nicht mehr als unwesentlich gebilligt wird. Das Interesse der Antragstellerin am Auftrag ist nicht dadurch (selbst-)widerlegt worden, dass die Bietergemeinschaft C./AWO, an der die Antragstellerin beteiligt ist, ihrerseits am 21.09.2017 ein Angebot eingereicht hat. Die Antragstellerin hat zwar erklärt, dass sie nicht sowohl allein als auch als Mitglied einer Bietergemeinschaft anbieten wolle (derartige Parallelangebote wären voraussichtlich auch gem. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB auszuschließen). Mit dem Angebot der Bietergemeinschaft C./AWO hat sich die Antragstellerin indes nicht abschließend für ein Angebot dieser Bietergemeinschaft entschieden und die vorrangig beabsichtigte Abgabe eines eigenen Angebotes fallengelassen. Denn die Antragstellerin hat gleichzeitig nachvollziehbar dargelegt, dass die Bietergemeinschaft C./AWO im Falle der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in die Angebotsphase ihr Angebot zurücknehmen werde, um der Antragstellerin das bevorzugte eigene Angebot unter Einbeziehung von Unterauftragnehmern zu ermöglichen. Bei wertender Betrachtung ist die Einreichung des an sich nicht favorisierten Angebotes der Bietergemeinschaft als Folge des gerügten Vergaberechtsverstoßes anzusehen, so dass es treuwidrig erscheint, wenn der Antragstellerin hieraus Nachteile erwachsen sollen. Vielmehr wäre - entsprechend den Ausführungen der Vergabekammer - der zur Angebotsabgabe gleichsam herausgeforderten Bietergemeinschaft als Maßnahme zur Beseitigung des Vergaberechtsverstoßes zu ermöglichen, das (Not-)Angebot vom 21.09.2017 zurückzuziehen. Dass der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin im Schriftsatz vom 16.10.2017 zunächst irrtümlich davon ausgegangen ist, die Antragstellerin selbst habe am 21.09.2017 ein Angebot abgegeben, ändert am maßgeblichen Sachverhalt nichts.
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Die Antragstellerin ist hinsichtlich des Selbstausführungsgebotes auch ihrer Rügeobliegenheit gem. § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB nachgekommen. Mit der Rüge vom 23.08.2018 hat die Antragstellerin eine uneingeschränkte Zulassung von Nachunternehmern, d.h. auch für wesentliche Teile des Auftrags, gefordert. Die Antragsgegnerin hat dem nicht durch Abänderung der Vergabebedingungen abgeholfen, sondern der Antragstellerin mit Schreiben vom 20.09.2017 nur informatorisch ihre Auslegung der Vergabeunterlagen mitgeteilt, wonach die Untervergabe unwesentlicher Teile des Auftrags erlaubt sei. Im Falle einer etwaigen Teilabhilfe muss ohnehin nicht erneut gerügt werden.
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Die Vergabekammer hat dem somit zulässigen Nachprüfungsantrag vom 12.09.2017 mit zutreffender Begründung überwiegend stattgegeben.
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Die Vergabebedingungen sind hinsichtlich des Selbstausführungsgebotes schon unklar und intransparent. Nr. 1 der Leistungsbeschreibung verbietet jegliche Übertragung der Leistungen auf Dritte, hieran hält die Rügebeantwortung der Antragsgegnerin vom 29.08.2017 ausdrücklich fest. Nach § 9 des Vertragsentwurfes ist hingegen nur die Übertragung wesentlicher Teile verboten, ohne dass transparent erläutert wird, was insoweit wesentlich und was unwesentlich sein soll. Mit dem nur an die Antragstellerin gerichteten Schreiben vom 20.09.2017 konnten die Vergabebedingungen nicht wirksam gegenüber allen Bietern abgeändert werden. Das Selbstausführungsgebot und ein damit verbundenes Verbot der Einbindung von Unterauftragnehmern sind angesichts der Regelungen in § 36 VgV (Art. 71 RL 2014/24/EU) ohnehin unzulässig. Wenn der öffentliche Auftraggeber schon nicht vorschreiben darf, dass der künftige Auftragnehmer einen bestimmten Prozentsatz der Arbeiten selbst ausführen muss (EuGH, Urt. vom 14.07.2016 - C-406/14: 25 %), dann darf er die Selbstausführung selbstverständlich auch nicht für wesentliche Teile vorschreiben. Die Voraussetzungen eines ausnahmsweise erlaubten Selbstausführungsgebotes für bestimmte kritische Aufgaben gem. § 47 Abs. 5 VgV liegen hier nicht vor.
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Die Vergabekammer hat zu Recht beanstandet, dass das Bewertungssystem zumindest hinsichtlich der Zuschlagskriterien B 2, B 4 und B 5 intransparent ist (§§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 3 - 5 GWB). Nach der Bieterinformation vom 20.09.2017 sollten bei den Zuschlagskriterien B 2 bis B 7 alle ganzzahligen Punkte von 0 bis 10 vergeben werden können. Nach dem Beurteilungsschema vom 30.08.2017 sind indes nur 0, 5 oder 10 Punkte erläutert, eine transparente Differenzierungsmöglichkeit für die Vergabe von 1, 2, 3, 4, 6, 7, 8 oder 9 Punkten fehlt. Bei Zuschlagskriterium B 5 ist ferner zu beanstanden, dass die Punktevergabe für eine einjährige Kooperationserfahrung, die zwischen 5 Punkten für eine mehr als einjährige und 0 Punkten für eine weniger als einjährige Kooperationserfahrung liegt, im Bewertungsschema nicht erläutert wird. Darüber hinaus führt die nicht mögliche Vergabe der Zwischenstufen von 1, 2, 3, 4, 6, 7, 8 oder 9 Punkten dazu, dass bereits äußerst geringfügige Unterschiede in der Qualifikation oder Erfahrung des mit der Ausführung betrauten Personals zu erheblichen Wertungsdifferenzen führen können, zumal die ermittelten Punkte von 0, 5 oder 10 noch mit einem Gewichtungsfaktor von 10 bis 50 multipliziert werden sollten, bevor sie durch den Stundenlohn geteilt werden (z.B. Kriterium B 2: nur eine Person weniger kann zum Fall von 10 auf 5 bzw. von 5 auf 0 Punkte führen; Kriterium B 5: Kooperationserfahrung von einem Tag weniger kann zum Fall von 10 auf 5 bzw. von 5 auf 0 Punkte führen). Dies verzerrt möglicherweise die Ermittlung des Preis-Leistungs-Verhältnisses und ermöglicht nicht den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot.
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Die Vergabekammer hat schließlich auch zu Recht beanstandet, dass bei den Kriterien B 5, B 6 und B 7 entgegen §§ 58 Abs. 2 Nr. 2, 65 Abs. 5 VgV Eignungskriterien zu Zuschlagskriterien erhoben wurden. Als Zuschlagskriterien sind insoweit nur die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung betrauten Personals zulässig. Die Antragsgegnerin hat der Rüge der Antragstellerin insoweit bis zuletzt nicht abgeholfen, selbst wenn sie entgegen dem Protokoll in der Verhandlung vor der Vergabekammer am 11.12.2017 erklärt hat, die Kriterien B 5, B 6 und B 7 fallenzulassen. Durch mündliche Erklärung gegenüber einem Bieter können die Zuschlagskriterien nicht verbindlich gegenüber allen Bietern abgeändert werden.
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Im Falle übereinstimmender Erledigungserklärungen ist es ohnehin unerheblich, wann tatsächlich Erledigung eingetreten ist. Die Antragsgegnerin hätte folglich auch dann die Kosten des Nachprüfungsverfahrens zu tragen, wenn Erledigung hinsichtlich der Kriterien B 5, B 6 und B 7 schon durch Abhilfe am 11.12.2017 und nicht erst durch die Aufhebung des Vergabeverfahrens am 03.01.2018 eingetreten wäre. Gleiches gilt im Übrigen, wenn die bei Rechtshängigkeit des Nachprüfungsantrages unzweifelhaft vorliegende Antragsbefugnis der Antragstellerin schon am 21.09.2017 durch Einreichung des Angebotes der Bietergemeinschaft C./AWO weggefallen wäre, da der Nachprüfungsantrag jedenfalls zuvor zulässig und begründet war.
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Die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Verfahren vor der Vergabekammer beruht auf § 80 Abs. 2 VwVfG M-V.
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Der Streitwert ist gem. § 50 Abs. 2 GKG auf 5 % der Bruttoauftragssumme festzusetzen. Bei einer gem. § 3 VgV geschätzten Nettoauftragssumme von 1 Mio. € ergibt sich eine Bruttoauftragssumme von 1,19 Mio. €, 5 % hiervon betragen 59.500 €.
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Referenzen
- §§ 58 Abs. 2 Nr. 2, 65 Abs. 5 VgV 2x (nicht zugeordnet)
- § 36 VgV 1x (nicht zugeordnet)
- § 3 VgV 1x (nicht zugeordnet)
- GWB § 182 Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer 1x
- GWB § 175 Verfahrensvorschriften 1x
- GWB § 168 Entscheidung der Vergabekammer 1x
- GWB § 160 Einleitung, Antrag 2x
- GWB § 124 Fakultative Ausschlussgründe 1x
- § 47 Abs. 5 VgV 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 80 Erstattung von Kosten im Vorverfahren 1x
- § 50 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 VK 5/17 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 2248/03 1x (nicht zugeordnet)
- 71 RL 2014/24 1x (nicht zugeordnet)