Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - 20 Ws 214/18

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Rostock vom 17.09.2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.

2. Der Gegenstandswert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der 1984 geborene und bereits vielfach vorbestrafte Verurteilte wurde durch das seit dem 22.12.2016 rechtskräftige Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, zugleich wurde seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Bis zum 19.11.2017 verbüßte der Verurteilte zwei Drittel der durch weiteres Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 15.01.2016 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Seit dem 20.11.2017 wird die durch das Urteil des Landgericht Dessau-Roßlau vom 22.12.2016 neben der Sicherungsverwahrung ausgesprochene Freiheitsstrafe von sechs Jahren vollstreckt (vgl. das Vollstreckungsblatt der JVA Bützow mit Stand vom 11.7.2018, Blatt 222 d. A.). Mit Schreiben vom 16.7.2018 hat der Verurteilte die Durchführung der strafvollzugsbegleitenden Kontrolle nach § 119a StVollzG beantragt (Bl. 218 d.A.). Diesen Antrag hat das Landgericht Rostock durch Beschluss vom 17.9.2018 als unzulässig verworfen. Eine Kontrolle sei erst nach Ablauf der zweijährigen Frist in § 119a Abs. 3 Satz 3 StVollzG vorgesehen. Die Frist beginne erst mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu laufen, die neben der Sicherungsverwahrung verhängt worden sei, hier mithin erst seit dem 20.11.2017. Eine Kontrolle stehe daher erst Ende 2019 an. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde. Das Oberlandesgericht Naumburg habe in dieser Sache zutreffend die Auffassung vertreten, die zweijährige Frist des § 119a Abs. 3 Satz 3 StVollzG beginne mit der Rechtskraft der Entscheidung, welche die Sicherungsverwahrung anordne, hier mithin schon am 22.12.2016. Die Kontrolle sei deshalb spätestens Ende 2018 durchzuführen.

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Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau hatte als Vollstreckungsbehörde gemäß § 119a Abs. 6 Satz 2 StVollzG Gelegenheit zur Stellungnahme (Bl. 248R, 249 d.A.).

II.

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Die nach § 119a Abs. 5 StVollzG statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie innerhalb der nach §§ 119a Abs. 6 iVm 118 Abs. 1 Satz 1 StVollzG vorgegebenen Monatsfrist eingelegt worden. Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass die Kammer keine Kontrolle im Sinne von § 119a Abs. 1 StVollzG durchgeführt, sondern nur eine Überprüfung abgelehnt hat, weil diese noch nicht anstehe. Auch durch diese Entscheidung ist der Verurteilte beschwert. Die in § 119a Abs. 1 StVollzG vorgesehene Kontrolle dient der Vermeidung der Vollstreckung der angeordneten Sicherungsverwahrung, an welcher der Verurteilte ein berechtigtes Interesse hat (vgl. § 66c Abs. 2 StGB). Aus § 119a Abs. 2 StVollzG ergibt sich nicht, dass allein der Vollzugsbehörde ein Recht auf Überprüfung zusteht. Danach kann die Vollzugsbehörde jederzeit eine Entscheidung nach Absatz 1 der Vorschrift beantragen, sofern hieran ein berechtigtes Interesse besteht. Aus dem "jederzeit" ist allein herzuleiten, dass der Verurteilte - anders als die Vollstreckungsbehörde - den Ablauf der Frist des § 119a Abs. 3 StVollzG abwarten muss, bevor er eine Überprüfung beanspruchen kann (a.A. offensichtlich das OLG Naumburg, Beschluss vom 22.01.2018, Az. 1 Ws (s) 392/17, Bl. 180 d.A.). Gegen die Zulässigkeit der Beschwerde spricht auch nicht, dass § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG eine Prüfung von Amts wegen vorsieht. Daraus folgt lediglich, dass eine Überprüfung keinen Antrag des Verurteilten oder der Vollzugsbehörde voraussetzt, nicht aber eine fehlende Beschwer des Verurteilten.

III.

4

Die Beschwerde hat auch vorläufigen Erfolg. Der Verurteilte kann entgegen der Auffassung der Kammer zeitnah eine Überprüfung nach Maßgabe von § 119a Abs. 1 StVollzG beanspruchen. Gemäß § 119a Abs. 3 Satz 3 StVollzG beginnt die Frist für die erste Entscheidung von Amts wegen mit dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu laufen. Der Kammer ist zuzugeben, dass der bloße Wortlaut der vorgenannten Vorschrift auch den Schluss zulässt, damit sei die Freiheitsstrafe gemeint, die zusammen mit der Sicherungsverwahrung verhängt worden ist. Bei der gebotenen systematischen Auslegung der Begrifflichkeit "Vollzug der Freiheitsstrafe" im Sinne von § 119a Abs. 3 Satz 3 StVollzG ist jedoch § 66c Abs. 2 StGB in den Blick zu nehmen (OLG Naumburg, a.a.O.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.05.2016, Az. 169/15, juris, Rn. 11 a.E.). Danach ist dem Täter schon im Strafvollzug eine Betreuung anzubieten, wenn das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im Urteil angeordnet hat. In der Bundestagsdrucksache 17/9874 heißt es dazu auf S. 18:

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"... Die Formulierung "schon im Strafvollzug" soll verdeutlichen, dass die Betreuungvorgaben von Abs. 2 nicht nur dann gelten, wenn gerade die Freiheitsstrafe vollzogen wird, die wegen der Tat oder Taten verhängt wurde, die auch Anlass für die Sicherungsverwahrung ist oder sind. Denn es würde dem Ziel einer möglichst erfolgreichen Betreuung und Behandlung widersprechen, wenn diese zum Beispiel bei einer Zwischenvollstreckung einer anderen Freiheitsstrafe unterbrochen würde. Ziel der Betreuungs- und Behandlungsangebote muss sein, die Gefährlichkeit des Täters so zu mindern, dass bereits der Beginn der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ... möglichst entbehrlich wird ..."

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Eine historische Auslegung ergibt mithin, dass eine effektive Kontrolle der Betreuung schon dann zu gewährleisten ist, wenn gegen den Verurteilten irdendeine Freiheitsstrafe vollstreckt wird. Für eine Einschränkung dergestalt, dass eine Überprüfung nur geboten ist, wenn zwischen der angeordneten Sicherungsverwahrung und der vollstreckten Freiheitsstrafe aus der Vorverurteilung ein Zusammenhang besteht (so offensichtlich OLG Naumburg, a.a.O.), ist angesichts des aufgezeigten abweichenden Willens des Gesetzgebers kein Raum. Eine weite Auslegung wird auch dem Sinn und Zweck der Betreuungspflicht in § 66c Abs. 1 StGB gerecht, der eine möglichst frühe Behandlung des Täters zum Ziel hat (Bundestagsdrucksache 17/9874, a.a.O.). Die Frist des § 119a Abs. 3 Satz 3 StVollzG beginnt deshalb mit der Rechtskraft der die Sicherungsverwahrung anordnenden Entscheidung (OLG Naumburg, a.a.O.), soweit gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird, hier dem 22.12.2016. Sie läuft mithin am 22.12.2018 ab. Bei der Vollstreckung einer anderweitigen langen Freiheitsstrafe, welche die Kammer in dem angefochtenen Beschluss erwähnt, wird es sich anbieten, von der Möglichkeit der Verlängerung der Überprüfungsfrist Gebrauch zu machen (§ 119a Abs. 3 Satz 2 StVollzG).

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Da der Senat mangels vorhandener Unterlagen nicht überprüfen kann, ob die Vollzugsbehörde dem Verurteilten im zurückliegenden Zeitraum eine Betreuung angeboten hat, die § 66c Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Nummer 1 StGB entspricht, war die Sache zurückzuverweisen.

IV.

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Die Festsetzung des Gegenstandswertes erfolgte gemäß § 65 Satz 1, §§ 60, 52 Abs. 2 GKG (OLG Rostock, Beschluss vom 15. Juni 2017 – 20 Ws 59/17 –, Rn. 36, juris).

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