Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 VAs 15/03

Tenor

Der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Justizvollzugsanstalt vom 10. Juni 2003 wird als unbegründet verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Geschäftswert wird auf 500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antragsteller befindet sich nach seinem Vortrag zurzeit in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt. Er arbeitet dort in einem Unternehmerbetrieb und erhält ein Arbeitsentgelt von 0,81 EUR pro Stunde.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist (noch) zulässig, weil ihm jedenfalls in groben Zügen ein Sachverhalt entnommen werden kann, der - seine Richtigkeit unterstellt - eine Rechtsverletzung des Antragstellers möglich erscheinen lässt. Er ist jedoch unbegründet.
Die Justizvollzugsanstalt legt zu Recht der Bemessung des Arbeitsentgelts des Antragstellers fünf vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch zugrunde. Diese Bemessungsgrundlage für das Arbeitsentgelt von Untersuchungsgefangenen entspricht § 177 StVollzG in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2000 (BGBl. I S. 2043). Während nach § 177 StVollzG a.F. der Untersuchungsgefangene, der eine ihm zugewiesene Tätigkeit freiwillig ausübte, unabhängig von seinem Alter wie der Strafgefangene ein nach §§ 43, 200 StVollzG zu bemessendes Entgelt erhielt, differenziert die Regelung der § 177 i.V.m. §§ 43 und 200 StVollzG nunmehr ausdrücklich zwischen Strafgefangenen, erwachsenen Untersuchungsgefangenen sowie minderjährigen und heranwachsenden Untersuchungsgefangenen. Durch § 177 Satz 2 StVollzG ist die Bemessungsgrundlage des Entgelts für erwachsene Untersuchungsgefangene abweichend von der für Strafgefangene festgesetzt worden, während junge und heranwachsende Untersuchungsgefangene über die Verweisung in §§ 177 Satz 4, 176 Abs. 1 Satz 1 StVollzG wie Strafgefangene ein nach §§ 43 Abs. 2, 200 StVollzG zu bemessendes höheres Entgelt erhalten.
Die Neuregelung ist nicht verfassungswidrig (vgl. OLG Celle ZfStrVo 2001, 362):
Der Gesetzgeber hat die Neuregelung getroffen, weil nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998 (BVerfGE 98, 169 ff) die bisherige Entlohnung für Strafgefangene mit einer Eckvergütung von fünf vom Hundert der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch wegen ungenügender Berücksichtigung der Verpflichtung zur Resozialisierung Strafgefangener gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verstieß und damit verfassungswidrig war. Nach dem Konzept des Strafvollzugsgesetzes ist die Zuweisung von Arbeit ein wichtiges Mittel auf dem Weg zur Resozialisierung. Arbeit im Strafvollzug, die dem Gefangenen als Pflichtarbeit zugewiesen wird, ist aber nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit eine angemessene Anerkennung findet. Wird die Pflichtarbeit hauptsächlich finanziell abgegolten, muss dem Gefangenen durch die Höhe des ihm zukommenden Entgelts in einem Mindestmaß bewusst gemacht werden, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist.
Bei der Neuregelung hat der Gesetzgeber aus Kostengründen erwachsene Untersuchungsgefangene ausdrücklich von der Anhebung des Arbeitsentgelts ausgenommen. Ihre Einbeziehung war aus verfassungsmäßigen Gründen auch nicht notwendig.
Aus dem Gleichheitsgrundsatz erwächst eine solche Verpflichtung nicht. Auf Untersuchungsgefangene trifft die Begründung des Bundesverfassungsgerichts für die Notwendigkeit einer höheren Entlohnung nämlich nicht zu. Der Untersuchungsgefangene ist nicht zur Arbeit verpflichtet. Die Untersuchungshaft dient ausschließlich der vollständigen Aufklärung der Tat und der raschen Bestrafung des Täters und darf dem Untersuchungsgefangenen nur diejenigen Beschränkungen auferlegen, die dieser Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung der Vollzugsanstalt erfordern (§ 119 Abs. 3 StPO). Im Rahmen des Möglichen hat er deshalb zwar ein Recht auf Arbeit, diese dient nach derzeitiger Rechtslage jedoch nicht wie bei einem Strafgefangenen seiner Resozialisierung. Bei einem Untersuchungsgefangenen, der aus eigenem Antrieb eine Arbeit aufnimmt, bedarf es zusätzlicher finanzieller Anreize zum Zwecke der Resozialisierung nicht.
Demgegenüber ist die Arbeitssituation junger und heranwachsender Untersuchungsgefangener derjenigen der Strafgefangenen in einem wesentlichen Merkmal vergleichbar. Aus § 93 Abs. 2 JGG ergibt sich, dass junge Untersuchungsgefangene zur Arbeit verpflichtet sind (vgl. Nr. 80 Abs. 2 UVollzO; Brunner/Dölling, JGG, 10. Aufl. § 93 Rdn. 5); die Arbeit im Vollzug dient - vergleichbar mit der Resozialisierung Strafgefangener - ausdrücklich ihrer Erziehung. Der Gesetzgeber hat deshalb junge und heranwachsende Untersuchungsgefangene den Strafgefangenen gleichgestellt.
Darüber hinaus spiegelt die Vergütung der im Strafvollzug erbrachten Arbeitsleistungen nicht deren wirtschaftlichen Wert wider, sondern richtet sich wesentlich nach anderen Faktoren. Es ist also auch von daher nicht erforderlich, für gleichwertige Arbeit von Strafgefangenen und Untersuchungsgefangenen den gleichen Lohn zu zahlen.
10 
Auch die Unschuldsvermutung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 und 2 GG, schließlich gebieten es nicht, den Untersuchungsgefangenen wie einen Strafgefangenen oder gar voll zu entlohnen. Im Falle des Freispruchs, der Einstellung des Verfahrens oder der Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens hat der Untersuchungshäftling unabhängig davon, ob er in der Untersuchungshaft gearbeitet hat, einen Anspruch auf Entschädigung (§ 2 Abs. 1 StrEG) für den durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursachten Vermögensschaden (§ 7 Abs. 1 StrEG), zu dem auch entgangener Gewinn, vor allem der Verdienstausfall infolge der Inhaftierung gehört (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. StrEG § 7 Rn. 3).
11 
Die Entscheidung über die Kosten und die Festsetzung des Geschäftswertes beruhen auf den §§ 30 EGGVG, 130 KostO.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen