Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 2 Verg 8/03

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 28.08.2003 gegen den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 07.08.2003 – 1 VK 33/03 – wird bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde

verlängert.

Gründe

 
I.
Der Antragsgegner hatte für die Universität H im Dezember 2002 europaweit nach VOB/A im offenen Verfahren den Neubau einer Therapieanlage zur Krebsbehandlung mit Schwerionenstrahlen ausgeschrieben. Nach Eingang von insgesamt neun Angeboten wurde das offene Verfahren am 20.03.2003 aufgrund Änderungen des Leistungsumfangs aufgehoben. Zugleich wurde den Bietern des offenen Verfahrens mitgeteilt, dass nach Aufhebung der Ausschreibung ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung vorgesehen ist, an dem sie sich beteiligen können. Von den neun aufgeforderten Bietern reichten acht Bieter bis zu dem am 07.04.2003 vorgesehenen Termin Angebote ein, wobei das Hauptangebot der Beigeladenen mit brutto 21.703.204,– EUR (ohne Wartung) das preisgünstigste war. An dritter Stelle lag das Angebot der Antragstellerin, das sich unter Einbeziehung von gewerteten Nebenangeboten auf 22.208.686,– EUR beläuft.
Im Anschluss hieran kam es zwischen der Vergabestelle und der Beigeladenen zu einem Schriftwechsel zu den Angebotsinhalten unter anderem im Hinblick darauf, dass in dem Angebot der Beigeladenen ausgeführt wird, dass dem Angebot eine teilweise Materialfreiheit zu Grunde gelegt wurde.
Nachdem die Beigeladene nach mehreren Nachfragen erklärte, dass die in der Leistungsbeschreibung angegebenen Richtfabrikate zur Ausführung kommen, hat der Antragsgegner entschieden, der Beigeladenen den Auftrag zu erteilen.
Mit Anwaltsschreiben vom 25.06.2003 hat die Antragstellerin gerügt, dass mit ihr keine Verhandlungen durchgeführt worden seien.
Nachdem der Antragsgegner die Rüge als unberechtigt zurückgewiesen hat, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 01.07.2003 die Vergabekammer angerufen und beantragt, dem Antragsgegner zu untersagen im Rahmen des Vergabeverfahrens "Neubau Therapieanlage zur Krebsbehandlung mit Schwerionenstrahlen" den Auftrag an die Beigeladene zu erteilen,
sowie dem Antragsgegner aufzugeben, mit der Antragstellerin in Verhandlungen über den zu vergebenden Auftrag einzutreten und sodann die Wertung zu wiederholen.
Die Antragstellerin hat geltend gemacht, in Anbetracht des geringen Preisabstands hätte auch mit ihr verhandelt werden müssen. Unabhängig hiervon sei zu beanstanden, dass das Angebot der Beigeladenen wegen der Abweichungen hinsichtlich der zur Ausführung kommenden Fabrikate und der Unvollständigkeit in Bezug auf die Nachunternehmerleistungen nicht von dem Verfahren ausgeschlossen wurde.
Mit Beschluss vom 07.08.2003 hat die Vergabekammer im Verbund mit Nachprüfungsanträgen zweier weiterer Bieter, welche verworfen wurden, die Anträge der Antragstellerin zurückgewiesen.
Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, dass die Nachfragen wegen der zur Ausführung kommenden Fabrikate kein verdecktes Verhandeln über einen Preisnachlass seien, sondern eine nach § 24 VOB/A zulässige Aufklärung über den Inhalt darstellten. Soweit in dem Angebot der Beigeladenen die Nachunternehmer nicht namentlich benannt gewesen seien, sei dies ohne Belang, da die maßgeblichen Angaben über das Verhältnis von Eigenleistungen zu Nachunternehmerleistungen in dem Angebot enthalten gewesen seien.
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Gegen die am 18.08.2003 zugestellte Entscheidung hat die Antragstellerin am 29.08.2003 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie das Ziel verfolgt, dass die Vergabe des Auftrages an die Beigeladene untersagt und der Antragsgegner zum Eintritt in Verhandlungen mit der Antragstellerin nebst anschließender Neubewertung verpflichtet wird.
11 
Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Vergabekammer habe verkannt, dass der Angebotspreis der Beigeladenen auf die Abweichung von den vorgeschriebenen Fabrikaten zurückzuführen sei, weshalb ein unzulässiges, verdecktes Verhandeln über einen Preisnachlass vorliege. Dieser Umstand führe dazu, dass die Beigeladene kein annehmbares Angebot vorgelegt habe und deshalb von vornherein hätte ausgeschieden werden müssen. Der Antragsgegner sei jedenfalls verpflichtet gewesen, mit ihr über etwaige Preisnachlässe zu verhandeln. Im Übrigen wiederholt die Antragstellerin ihre Einwände bezüglich der Unvollständigkeit des Angebots der Beigeladenen in Bezug auf den Umfang der Einschaltung von Nachunternehmern und die Nichteinhaltung während des Verhandlungsverfahrens gesetzter Fristen zur Vervollständigung ihres Angebots. Des weiteren ist die Antragstellerin der Auffassung, dass der Antragsgegner und die Vergabekammer die Nebenangebote nicht ausreichend berücksichtigt hätten.
12 
Die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern.
13 
Der Antragsgegner sowie die Beigeladene beantragen, den Antrag zurückzuweisen.
14 
Sie sind der Auffassung, dass eine Verpflichtung bzw. ein Anspruch der Antragstellerin, mit ihr über einen eventuellen Preisnachlass zu verhandeln, nicht bestanden habe. Die Verhandlungen mit der Beigeladenen hätten sich auf die Auslegung und die Spezifizierung des Angebots bezogen und seien im Rahmen des Verhandlungsverfahrens zulässig gewesen. Ein Anspruch der Antragstellerin, dass auch mit ihr verhandelt werde, bestehe nicht.
15 
Der Antrag nach § 118 GWB sei daher bereits wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückzuweisen. Im Übrigen erfordere das Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die Ablehnung des Verlängerungsantrags, da durch die zügige Verwirklichung des Bauvorhabens eine größere Anzahl von an Krebs erkrankten Menschen gerettet werden könnte.
II.
16 
Der Antrag gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB ist zulässig und auch begründet.
17 
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Aussicht auf Erfolg, weshalb zur Verwirklichung des Primärrechtschutzes die Anordnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde geboten ist. Ausreichende Gründe gem. § 118 Abs.2 Satz 2 GWB, die trotz gegebener Erfolgsaussicht der sofortigen Beschwerde eine sofortige Vergabe des Auftrags erfordern, sind vorliegend nicht gegeben.
18 
1. Die Erfolgsaussichten der form- und fristgerecht erhobenen sofortigen Beschwerde ergeben sich nach vorläufiger Bewertung des Senats daraus, dass die Beigeladene kein annahmefähiges Angebot vorgelegt hat mit der Folge, dass sie von dem weiteren Verfahren hätte ausgeschlossen werden müssen.
19 
Die Einschränkung der Beigeladenen im Angebotsschreiben vom 07.04.2003 (Bl. 2), wonach diese bei ihrem Angebot "eine teilweise Fabrikationsfreiheit als Grundlage vorausgesetzt" hat, stellt eine Abweichung von den Ausschreibungsbedingungen dar. Dies führt dazu, dass kein ausschreibungskonformes Angebot vorlag; es durfte auch nicht durch die mit der anschließenden Korrespondenz zwischen dem 14.05. bis 2.06.2003 geführten Nachverhandlungen annahmefähig gemacht werden.
20 
Mit der Vergabekammer ist zwar davon auszugehen, dass das eigentliche Verhandlungsverfahren in Ermangelung unmittelbar für dieses Verfahren geltender Vorschriften geringeren formalen Anforderungen unterworfen ist. Es unterliegt jedoch den wesentlichen Prinzipien des Vergaberechts, insbesondere dem Grundsatz des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung aller Bieter und dem Transparenzgebot (OLG Düsseldorf, Vergaberecht 2002, 169, 170; OLG Celle, Vergaberecht 2002, 299, 301; Marx in Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck'scher VOB Kommentar, § 97 GWB Rdnr. 16 ff, 23).
21 
Der in § 97 Abs. 2 GWB verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bieter gebietet, nur solche Angebote zu werten, die den Bedingungen der Ausschreibung entsprechen und keine wesentlichen Abweichungen enthalten (vgl. Jasper in Motzke/Pietzker/Prieß, aaO, § 24 VOB/A Rdnr. 59).
22 
Dieser Gedanke, der den für das Vergabeverfahren entsprechend anwendbaren §§ 24, 25 VOB/A zugrunde liegt (vgl. Brinker/Ohler in Motzke/Pietzcker/Prieß, § 25 VOB/A Rdnr. 152), führt vorliegend dazu, dass das Angebot der Beigeladenen hätte ausgeschieden werden müssen. In dem Vorbehalt, von den in den Ausschreibungsunterlagen angegebenen Richtfabrikaten abzuweichen, kann entgegen der Auffassung der Vergabekammer kein Umstand gesehen werden, der im Sinne des § 24 VOB/A verhandlungsfähig ist. Nachverhandlungen bezüglich eines Angebots sind nur zulässig, wenn sich Zweifelsfragen über den Inhalt des Angebots ergeben (Ingenstau/Korbion/Kratzenberg VOB 14. Auflage, § 24 VOB/A Rdnr. 6). Sie dürfen jedoch nicht dazu führen, dass einem infolge unvollständiger Erklärungen nicht annahmefähigem Angebot durch Ergänzungen zur Annahmefähigkeit verholfen wird.
23 
Ein transparentes, die Gleichbehandlung aller Bieter beachtendes Verfahren ist nur zu erreichen, wenn nur die den Verdingungsunterlagen in jeder Hinsicht entsprechenden Angebote gewertet werden (BGH, VergabeR 2003, 313, 318). Dies erfordert, dass die Angebote hinsichtlich aller preisrelevanten Faktoren die von der Leistungsausschreibung geforderten Leistungsinhalte erfüllen. Nur bei unwesentlichen Abweichungen, die zu keiner Bevorzugung eines Bieters führen können, ist eine Aufklärung zulässig.
24 
Vorliegend hat die Beigeladene in ihrem Angebot ausdrücklich die vorgeschriebenen Richtfabrikate nicht für verbindlich erklärt, ohne irgendwelche Angaben über die ihrem Angebot zugrunde gelegten Fabrikate zu machen, weshalb das Angebot seinem Inhalt nach weder eindeutig noch bestimmt und damit weder als Hauptangebot noch als Nebenangebot annahmefähig ist. Die Wettbewerbsrelevanz der Abweichung von den in dem Leistungsverzeichnis festgelegten Richtfabrikaten ergibt sich aus dem Vorteil, mit preiswerteren Fabrikaten kalkulieren und damit einen niedrigeren Gesamtpreis anbieten zu können. Werden aufgrund eines solchen Angebots weitere Verhandlungen wie mit der vorliegenden Korrespondenz geführt, die schließlich am 2.06.2003 zum Einschwenken auf die Richtfabrikate geführt hat, liegt darin die Ausnutzung eines ungerechtfertigten Wettbewerbsvorsprungs der Beigeladenen. Denn auf diese Weise werden die Wettbewerber, die ihre Kalkulation auf der Grundlage der vorgegebenen oder gleichwertiger Fabrikate erstellt haben, benachteiligt, was mit dem Grundsatz der Chancengleichheit aller Bieter nicht vereinbar ist. Dieser Grundsatz erfordert, dass Anbieter, die in preisrelevanten Fragen von Vorgaben der Ausschreibung abweichen, zwingend ausgeschlossen werden.
25 
Eine andere Beurteilung würde – wie der vorliegende Fall zeigt – dazu führen, dass der aufgrund einer Qualitätsabweichung günstigste Anbieter in den Vorteil käme, dass nur mit ihm Verhandlungen geführt würden und er es in der Hand hätte, ob die von der Vergabestelle geforderten Änderungen akzeptiert werden. Hierin liegt eine Diskriminierung der übrigen Bieter, die – wie bereits ausgeführt – durch den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen hätte verhindert werden müssen.
26 
Die somit aus den dargelegten Gründen bestehende Erfolgsaussicht der sofortigen Beschwerde rechtfertigt die Anordnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nach § 118 Abs. 2 Satz 1 GWB, weshalb offen bleiben kann, ob die weiteren, von der Antragstellerin gegen das Vergabeverfahren erhobenen Rügen begründet sind.
27 
2. Eine Versagung der Verlängerung des Suspensiveffektes aus Gründen des § 118 Abs.2 Satz 2 GWB kommt nicht in Betracht.
28 
Das nicht zu verkennende Interesse der Allgemeinheit an dem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens und dem Beginn der Bauarbeiten des Krebszentrums führt vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Im Hinblick darauf, dass die Vergabestelle selbst über mehrere Wochen Verhandlungen mit der Beigeladenen geführt hat und ein naher Termin zur mündlichen Verhandlung über die sofortige Beschwerde (16.10.2003) bestimmt ist, ist eine geringfügige Verzögerung der Verwirklichung des Projekts im Interesse der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes und der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hinzunehmen. Im übrigen wird insoweit auf die Ausführungen der Vergabekammer im den Antrag gemäß § 115 Abs.2 GWB zurückweisenden Beschluss vom 9.07.2003 Bezug genommen.

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