Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 HEs 146/2003; 4 HEs 146/03

Tenor

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Heilbronn vom 18. Januar 1999 wird

aufgehoben.

Der Angeklagte ist in dieser Sache auf freien Fuß zu setzen.

Gründe

 
I.
Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Heilbronn vom 18. Januar 1999 nach vorläufiger Festnahme am 2. April 2003 seit diesem Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft. Mit Beschlüssen vom 1. Oktober 2003 und 2. Januar 2004 hat der Senat gemäß §§ 121, 122 StPO nach sechs bzw. neun Monaten Untersuchungshaft jeweils Haftfortdauer angeordnet. Am 30. Oktober 2003 hatte der Senat außerdem aufgrund einer Beschwerde des Angeklagten über die Haftfrage zu entscheiden. Nach nunmehr zwölf Monaten Untersuchungshaft ist erneut zu prüfen, ob diese fortdauern darf und muss (§§ 121, 122 StPO). Das ist nicht der Fall.
II.
Da sich hinsichtlich des dringenden Tatverdachts und des Haftgrunds keine neuen Tatsachen ergeben haben, kann insoweit auf die früheren Beschlüsse des Senats verwiesen werden.
III.
Trotz weiter bestehenden dringenden Tatverdachts und des Bestehens von Fluchtgefahr kann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht angeordnet werden, weil die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen der Vollzug der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus aufrechterhalten werden darf, nicht vorliegen.
1. Nach dem Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 1. Oktober 2003 hatte am 13. Oktober 2003 die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vor dem Landgericht Heilbronn begonnen. In dieser Hauptverhandlung waren vom Verteidiger umfangreiche Beweisanträge gestellt worden, so die Protokollierung und Übersetzung sämtlicher überwachter Telefonate des Angeklagten, die Erstellung eines DNA- und eines daktyloskopischen Gutachtens bzgl. der Verpackung der im Verfahren sichergestellten Drogen sowie die Einholung eines Stimmenvergleichsgutachtens. Durch in der Sitzung verkündeten Beschluss hatte die Strafkammer die Hauptverhandlung ausgesetzt, da der mit der Vorbereitung der begehrten Beweiserhebungen notwendigerweise verbundene Zeitaufwand eine Fortsetzung der Hauptverhandlung unter Beachtung der gesetzlichen Fristen unmöglich mache. Vom 15. Oktober bis 4. November 2003 waren die Akten zur Entscheidung über die die Haft betreffende Beschwerde der Verteidigung vom 15. Oktober 2003 nicht verfügbar. Nach Rückkehr der Akten hat das Landgericht zunächst einen für das geforderte Stimmenvergleichsgutachten geeigneten Sachverständigen ausfindig gemacht. Nach Beschaffung der Tonbänder der entsprechenden Gespräche und Anfertigung eines Aktendoppels für den Sachverständigen wurde am 10. Dezember 2003 die Einholung des Gutachtens beschlossen und der Sachverständige mit Schreiben vom 11. Dezember 2003 unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit beauftragt. Parallel dazu wurde ermittelt, dass mangels ausreichender Spuren weder ein DNA- noch ein Fingerspurengutachten am Verpackungsmaterial der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel möglich sind. Da solch aufwändige Beweisaufnahmen, wie sie von der Verteidigung beantragt wurden, notwendigerweise mit einem erheblicher Zeitaufwand verbunden sind, hat der Senat trotz des Umstands, dass mangels einer Mehrfertigung der Akte das Stimmgutachten erst nach Bearbeitung der Haftbeschwerde des Verteidigers vom 15. Oktober 2003 in Auftrag gegeben werden konnte, am 2. Januar 2004 Haftfortdauer angeordnet. Dabei wurde davon ausgegangen, dass entsprechend den mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft steigenden Anforderungen an die Verfahrensbeschleunigung streng auf eine möglichst zügige Erstellung des Stimmenvergleichsgutachtens und zeitnahe Terminierung der neuen Hauptverhandlung geachtet würde.
2. Die Ausnahmevorschrift des § 121 Abs. 1 StPO, die nur in begrenztem Umfang die Fortdauer der Untersuchungshaft zulässt, ist eng auszulegen (vgl. BVerfGE 36, 264, 271; BVerfG NStZ-RR 2002, 124). Das in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG garantierte Freiheitsgrundrecht des noch nicht verurteilten Beschuldigten ist im Hinblick auf das in ihm angelegte verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot ständig den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen als Korrektiv entgegenzuhalten (vgl. BVerfGE 20, 45). Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich regelmäßig das Gewicht dieses Freiheitsgrundrechts gegenüber dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse (vgl. BVerfGE 36, 264; 53, 152). Nachdem in vorliegendem Fall bereits im Anschluss an die erste Hauptverhandlung gewisse – im Ergebnis noch hinnehmbare – Verzögerungen in der Bearbeitung eingetreten waren, hätte es nach inzwischen neun Monaten Untersuchungshaft im Anschluss an den Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 2. Januar 2004 – worauf ausdrücklich hingewiesen wurde – seitens der Strafkammer besonderer Anstrengungen bedurft, auf eine beschleunigte Anfertigung des Stimmenvergleichsgutachtens hinzuwirken und dementsprechend frühzeitig wieder in die Hauptverhandlung einzutreten.
3. Diesen Anforderungen wird die weitere Verfahrensweise nach dem 2. Januar 2004 nicht gerecht.
Ausweislich eines Aktenvermerks des Vorsitzenden der Strafkammer vom 19. Dezember 2003 hatte der mit dem Stimmenvergleichsgutachten beauftragte Sachverständige ihm in einem Telefongespräch vom selben Tage angekündigt, für die Erstellung des Gutachtens werde noch etwa ein Monat benötigt. Danach war also mit einer Vorlage des Gutachtens spätestens Ende Januar 2004 zu rechnen. Am 17. Februar 2004 wurde vom Vorsitzenden der Strafkammer verfügt, beim Sachverständigen anzufragen, bis wann mit der Erstattung des Gutachtens gerechnet werden könne. Ein Aktenvermerk vom 19. Februar 2004 ergibt, der Sachverständige habe die Fertigstellung des Gutachtens für Mitte April 2004 – mithin fast drei Monate später als zunächst angekündigt – in Aussicht gestellt. Am 17. März 2004 wurde verfügt, dem Sachverständigen eine Besuchserlaubnis für die Justizvollzugsanstalt S. auszustellen und zuzusenden; außerdem soll der Gutachter ausweislich des Vorlageschreibens des Vorsitzenden der Strafkammer vom 22. März 2004 in einem Telefonat vom 17. März 2004 noch einmal den Fertigstellungszeitpunkt Mitte April bestätigt haben. Die Gründe für die ganz erhebliche Verzögerung des Gutachtens ergeben sich aus den Akten nicht. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass versucht worden wäre, den Gutachter zu einer früheren Fertigstellung zu bewegen.
Den Akten ist zudem nicht zu entnehmen, ob und für welchen Zeitpunkt ein neuer Termin für die Hauptverhandlung vorgesehen ist. Nach Vorlage des Gutachtens, mit der seit nunmehr Mitte Februar 2004 für Mitte April 2004 zu rechnen ist, wäre eine erneute Hauptverhandlung möglich und hätte für diesen Zeitpunkt festgesetzt werden können. Andere Haftsachen mit geringerer Dringlichkeit hätten nötigenfalls zurück zu stehen. Wenn mit der Terminierung jedoch bis Mitte April abgewartet wird, werden aufgrund der notwendigen Vorlaufzeit wiederum mehrere Wochen vergehen, ohne dass das Verfahren weiter gefördert werden könnte.
In Anbetracht dieser Umstände kann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht angeordnet werden.

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