Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 2 W 44/21

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 01. Juli 2021 (Az.: 2 O 358/18) aufgehoben. Die Sache wird dem Landgericht zurückgegeben.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

 
I.
1.
Mit Schriftsatz vom 29. April 2021 hat die Beklagte den Richter X. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Sie hat ausgeführt:
Der abgelehnte Richter habe in zahlreichen Verfahren systematisch unter Verletzung von Verfahrensrecht Entscheidungen zu Lasten der Beklagten und anderer Automobilunternehmen getroffen. Er habe etliche Verfahren ausgesetzt und dem EuGH nicht klärungsbedürftige Vorlagefragen unterbreitet. Obwohl sowohl das Oberlandesgericht Stuttgart (u.a. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. September 2020 – 6 W 48/20, juris) als auch der Bundesgerichtshof (u.a. BGH, Beschluss vom 31. März 2020 – Az.: XI ZR 198/19, juris Rn. 15) schon darauf hingewiesen hätten, dass eine Vorlage an den EuGH nicht durch den Einzelrichter erfolgen dürfe, sondern nur durch die Kammer, verfahre er so, um seine eigene, minoritäre Rechtsauffassung durchzusetzen. Dabei verletze er vorsätzlich das Recht und entziehe den Parteien den gesetzlichen Richter. Sein Verhalten verletze den Justizgewährungsanspruch.
Er habe auch materiell unvertretbar entschieden, wo es um die Diesel-Abgasproblematik gegangen sei.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens nimmt der Senat Bezug auf die Antragsschrift vom 29. April 2021 und auf die Ergänzung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2021 (GA 224/229).
2.
Der abgelehnte Richter hat am 19. Mai 2021 zu dem Ablehnungsgesuch dienstlich Stellung genommen (GA 195/202) und dabei insbesondere seine Rechtsauffassung dargelegt. Auf die Stellungnahme wird Bezug genommen.
3.
Der Klägervertreter ist dem Ablehnungsgesuch entgegengetreten (GA 206/223).
4.
Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch, die Aussetzung des Verfahrens nach § 246 ZPO erwähnend, durch Beschluss vom 01. Juni 2021 zurückgewiesen (GA 230/236), eingehend die Voraussetzungen eines Befangenheitsgesuchs unter Zitaten zur höchstrichterlichen sowie zu obergerichtlicher Rechtsprechung aufgefächert und hierauf aufbauend im Kern ausgeführt, das Vorgehen des abgelehnten Richters sei von der Überzeugung getragen, dass eine Rechtsklärung durch den EuGH erforderlich sei. Die Vorlage begründe keine Verfahrensweise zum Nachteil der Beklagten. Unvertretbare Auffassungen in Verfahrensfragen habe der abgelehnte Richter nicht vertreten. Sein prozessuales Vorgehen in anderen Verfahren lasse nicht erkennen, wie er im vorliegenden vorgehen werde; eine mündliche Verhandlung habe noch nicht stattgefunden. Auch die Spruchpraxis des abgelehnten Richters lasse keine Voreingenommenheit gegen die Beklagte erkennen. In der Gesamtschau liege kein Verhalten vor, das die Besorgnis der Befangenheit rechtfertige (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. September 2020 – 6 W 48/20, juris Rn. 17).
Im Übrigen wird auf den Beschluss vom 01. Juli 2021 Bezug genommen.
5.
Gegen diesen Beschluss hat die Beklagte form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt und diese im Wesentlichen unter vertiefender Bezugnahme auf ihr Befangenheitsgesuch begründet (vgl. GA 240/248). Auf die Beschwerdeschrift wird Bezug genommen. Insbesondere verweist die Beklagte auf die Verzögerung, welche eine EuGH-Vorlage in dem Verfahren bewirke und zitiert einen Beschluss des abgelehnten Richters, aus dem sich ergebe, dass er seine eigene Rechtsauffassung zu EuGH-Vorlagen vor einer Korrektur durch die Kammer abschirmen wolle, indem er der Kammer die Sache nicht vorlege. Ein Hinweis vor der Aussetzung fehle. Die Beklagte sieht in dem Verhalten des Richters eine Voreingenommenheit ihr gegenüber.
6.
10 
Das Landgericht hat der Beschwerde unter Bezugnahme auf die Gründe seines angegriffenen Beschlusses und diese bestätigenden Ausführungen nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart mit Beschluss vom 27. August 2021 zur Entscheidung vorgelegt. Auf diesen Beschluss wird gleichfalls Bezug genommen.
II.
11 
Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückgabe der Sache an das Landgericht.
1.
12 
Das Landgericht hätte das Befangenheitsverfahren nicht betreiben dürfen. Denn infolge des Todes des Klägers ist das Verfahren durch das Landgericht nach § 246 ZPO ausgesetzt worden (Beschlüsse vom 02. April 2019 und vom 26. Juni 2019). Diese Aussetzung hat nach § 249 ZPO zur Folge, dass grundsätzlich alle nach außen wirkenden Handlungen zur Hauptsache zu unterbleiben haben; die ausnahmsweise zulässige Verkündung einer Entscheidung, wenn die Partei nach geschlossener mündlicher Verhandlung stirbt, spielt für das vorliegende Verfahren keine Rolle. Unter das an das Gericht adressierte Gebot, derartige Maßnahmen zu unterlassen, fallen nicht gerichtliche Maßnahmen in Nebenverfahren (vgl. zum Ganzen Stackmann, in: MüKo-ZPO, 6. Aufl., 2020, Rn. 19 ff. zu § 249 ZPO, m.w.N.).
13 
Das Gesetz erfasst nach seinem Sinn und Zweck jedoch alle Maßnahmen des Gerichts, die nach außen vorgenommen werden, nach außen wirken und den prozessualen Anspruch direkt berühren.
2.
14 
Das Befangenheitsverfahren nach §§ 42 ff. ZPO ist in diesem Sinne nicht bloßes Nebenverfahren, sondern Teil der Hauptsache. Im Befangenheitsverfahren wird unmittelbar darüber entschieden, ob der abgelehnte Richter oder der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts zu seiner Vertretung Berufene fürderhin als gesetzlicher Richter für den Rechtsstreit zuständig ist. Damit ist der Rechtsstreit in der Hauptsache. durch die Entscheidung unmittelbar betroffen.
15 
Der Gesuchsteller zeigt durch seinen Antrag, dass er Einfluss auf die spätere Sachentscheidung nehmen will, indem er einen von ihm als befangen angesehenen Richter aus dem Verfahren zu entfernen erstrebt. Auch dies zeigt die enge sachliche Verknüpfung der Entscheidung über das Befangenheitsgesuch mit der Hauptsache.
16 
Indem mit der Entscheidung über das Befangenheitsgesuch unmittelbar der gesetzliche Richter für das Hauptsacheverfahren bestimmt wird, betrifft sie zugleich unmittelbar die rechtliche Stellung des noch nicht in den Rechtsstreit eingetretenen Erben der verstorbenen Partei und also auch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör im Verfahren zur Hauptsache (Art. 103 Abs. 1 GG).
3.
17 
Somit war das Landgericht gehindert, über das Befangenheitsgesuch zu entscheiden. Die gleichwohl getroffenen Maßnahmen des Landgerichts sind den Parteien gegenüber nach § 249 ZPO – relativ – unwirksam (BGH, Beschluss vom 01. März 2018 – IX ZR 2/18, NJW-RR 2018, 567, Tz. 13, m.w.N.). Somit ist das Befangenheitsverfahren auch formell in das Stadium zurückzuversetzen, in dem es sich vor dem Ablehnungsbeschluss vom 01. Juli 2021 befunden hatte. Hierzu ist der Beschluss vom 01. Juli 2021 aufzuheben, und die Sache ist an das Landgericht zurückzugeben.
III.
18 
Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung sind nicht veranlasst.
19 
Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde zu, um eine höchstrichterliche Klärung der grundsätzlichen Rechtsfrage zu ermöglichen, ob die Aussetzung nach § 246 ZPO das Verfahren nach §§ 42 ff. ZPO erfasst.

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