Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 L 50/06

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 11. Januar 2006 - 3 A 1717/03 - wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 675,- € festgesetzt.

Gründe

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Der im Tenor genannte Berufungszulassungsantrag ist nach Zustellung des angefochtenen Urteils am 18. Januar 2006 zwar am 10. Februar 2006 gem. § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO fristgerecht gestellt und mit am Montag, den 20. März 2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO rechtzeitig begründet worden. Den darin angestellten, sinngemäß auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bezogenen Erwägungen ist jedoch nicht zu folgen.

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Ein auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel gestützter Antrag muss sich im Hinblick auf das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinander setzen und im einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernsthaften Zweifeln bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen. Erforderlich dafür ist, dass sich unmittelbar aus der Antragsbegründung sowie der angegriffenen Entscheidung selbst schlüssig Gesichtspunkte ergeben, die ohne Aufarbeitung und Durchdringung des gesamten bisherigen Prozessstoffes - vorbehaltlich späterer Erkenntnisse - eine hinreichend verlässliche Aussage dahingehend ermöglichen, das noch zuzulassende Rechtsmittel werde voraussichtlich zum Erfolg führen (vgl. zum Ganzen OVG Bremen, Beschluss vom 22. Dezember 1997 - 2 B 201/97 -, NordÖR 1998, 32). Ist eine Entscheidung in je selbstständig tragender Weise mehrfach begründet, so muss im Hinblick auf jeden der Begründungsteile ein Zulassungsgrund dargelegt werden und gegeben sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 01.02.1990 - 7 B 19.90, Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22; vom 10.05.1990 - 5 B 31.90 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 284 m.w.N.).

3

In der Sache sieht der Senat diesen Zulassungsgrund als gegeben an, wenn die Zulassungsschrift - gegebenenfalls i.V.m. einem weiteren innerhalb der Antragsfrist eingegangenen Schriftsatz - Anlass gibt, das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Damit ist gesagt, dass sich der Begriff der ernstlichen Zweifel nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen kann, sondern zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen etwa in den Fällen, in denen zwar die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung ersichtlich unzutreffend ist, eine andere tragfähige Begründung sich dem Senat aber ohne Weiteres aufdrängt, ernstliche Zweifel im Sinne des Zulassungsrechts nicht vor. Ernstliche Zweifel können schon dann vorliegen, wenn sich die Erfolgsaussichten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend überschauen lassen, die Zulassungsschrift aber dem Senat die Einsicht vermittelt, dem Rechtsmittel seien durchaus hinreichende Erfolgsaussichten zuzusprechen (OVG Greifswald, Beschluss vom 02.06.1998 - 1 O 23/98 -, NordÖR 1998, 306; Beschluss vom 05.08.1998 - 1 L 74/97 -, NVwZ-RR 1999, 476).

4

Das Verwaltungsgericht hat entscheidungstragend dahin argumentiert, der angefochtene Bescheid vom 28. April 2003 verletze den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung, weil für die Herstellung der zentralen öffentlichen Schmutzwasserbeseitigungsanlage in J... für das Grundstück des Klägers schon mit Bescheid vom 14. November 1996 ein Herstellungsbeitrag erhoben worden sei. Eine Umdeutung des angefochtenen Bescheides in die Geltendmachung eines Verbesserungs- oder Erneuerungsbeitrages für die Errichtung der neuen Kläranlage der Gemeinde J... scheide aus. Jedenfalls fehlte es für einen Verbesserungs- oder Erneuerungsbeitrag an einer Satzungsgrundlage. Zwar lasse § 5 Satz 3 der Beitrags- und Gebührensatzung für die Schmutzwasserbeseitigung vom 20.07.2001 i.d.F.v. 13.12.2002 (BGS 2002) die "gesonderte Festsetzung" von Beitragssätzen u. a. für die Verbesserung und Erneuerung der Schmutzwasseranlage ausdrücklich zu. § 5 Nr. 18 BGS 2002 enthalte jedoch keine solche "gesonderte Festsetzung". § 5 BGS 2002 regele ersichtlich Herstellungsbeitragssätze, es fehle eine ausdrückliche Bezugnahme auf eine "gesonderte Festsetzung" eines Verbesserungs- oder Erneuerungsbeitrages und es sei dem Zweckverband im Jahre 2002 auch nicht um die Erhebung eines Erneuerungsbeitrages, sondern vielmehr um eine (allerdings unzulässige) Aufspaltung des Herstellungsbeitrages gegangen.

5

Der Beklagte trägt ohne Bezeichnung eines bestimmten Zulassungsgrundes dazu vor, die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer fehlenden Satzungsgrundlage für einen Verbesserungsbeitrag sei falsch. Aus seinem erstinstanzlichen Vorbringen zu der Entstehungsgeschichte der Satzungsregelung gehe ganz eindeutig hervor, dass allein die Fertigstellung der neuen Kläranlage der Gemeinde J... Anlass für die Ergänzung (§ 5 Nr. 18 BGS 2002) der Satzung gewesen sei. Dabei sei eine "gesonderte Festsetzung" i.S.d. § 5 Satz 3 BGS 2002 gewollt gewesen. Dies ergebe sich aus dem mit Schriftsatz vom 4. November 2005 gemachten erstinstanzlichen Vorbringen.

6

Dieser Vortrag des Beklagten, der einzig bei wohlwollender Betrachtung die oben dargestellten Anforderungen an eine Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfüllt, lässt die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht ernstlich zweifelhaft erscheinen. Der Argumentation des Beklagten, § 5 Nr. 18 BGS 2002 regele den Beitragssatz für die Erneuerung der Kläranlage J... und diese Bestimmung sei als "gesonderte Festsetzung" i.S.d. § 5 Satz 3 BGS 2002 anzusehen, ist in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht nicht zu folgen. Der Senat hat schon in seinem dem hier vorliegenden Hauptsacheverfahren vorangegangenen Eilrechtsschutzverfahren (1 M 154/04) im Beschluss vom 12. Oktober 2004 den Standpunkt eingenommen, die Sichtweise des Beklagten widerspreche der Regelungskonzeption des § 5 BGS 2002. Hiernach seien Ausgangspunkt für den Beitragssatz die Aufwendungen für die Herstellung der Schmutzwasseranlage. Dieser (Herstellungs-) Beitragssatz werde nach Maßgabe von § 5 Nr. 18 BGS 2002, der auch der Beitragsberechnung im Bescheid vom 28. April 2003 zugrunde gelegt worden sei, für die Kläranlage der Gemeinde J... auf 0,50 €/m² Grundstücksfläche festgesetzt. Demgegenüber regele § 5 Satz 3 BGS 2002, dass die Beitragssätze für die Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung der Schmutzwasseranlagen im Einzelfall gesondert festgesetzt werden. Dass - neben dem in § 5 BGS 2002 ausschließlich geregelten Herstellungsbeitrag - ein solcher Verbesserungsbeitragssatz vorliegend gesondert festgesetzt worden sein könnte, sei derzeit nicht ersichtlich.

7

An dieser Auffassung ist festzuhalten. In Anbetracht des eindeutigen Wortlautes von § 5 BGS 2002, auf den schon die Gegenseite ausdrücklich verweist, ist die Auffassung des Beklagten, § 5 Nr. 18 BGS 2002 bestimme den Beitragssatz für die Erneuerung der Kläranlage der Gemeinde J..., nicht vertretbar. § 5 Nr. 1 bis 18 BGS 2002 (in der nach der 3. Änderungssatzung vom 13.12.2002 mit Streichung der Nrn. 5. und 12. geltenden Fassung) regelt ausdrücklich noch 16 verschiedene Beitragssätze für verschiedene Schmutzwasserbeseitigungseinrichtungen oder Bestandteile solcher Einrichtungen. Nach § 5 Satz 3 BGS 2002 sollen die Beitragssätze u. a. für die Erneuerung der Schmutzwasseranlagen gesondert festgesetzt werden. Danach ist es als eindeutig anzusehen, dass Beitragssätze u. a. für die Erneuerung von Einrichtungen (satzungsmäßig) andernorts, und damit nicht in dem Katalog der 16 verschiedenen Beitragssätze des § 5 BGS 2002 bestimmt werden. Anderenfalls würde bei der Interpretation der hier streitigen Satzungsbestimmungen, die ebenso wie die Auslegung gesetzlicher Normen der Anwendung der anerkannten Auslegungsgrundsätze unterliegt (vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, 12.07.2002 - 4 ZEO 243/00 -, juris; BVerwG, 11.12.2006 - 10 BN 3/06 -, juris), der eindeutige Wortlaut in unzulässiger Weise missachtet und der Regelung ein Sinn beigemessen, der, wenn er denn dem Willen des Beklagen entsprochen haben sollte, in keiner Weise mehr in der Bestimmung zum Ausdruck käme. Sollte - wie es der Beklagte sieht - in § 5 Nr. 18 BGS 2002 ein Erneuerungstatbestand geregelt sein, so büßte der Katalog des § 5 BGS 2002 jegliche erforderliche Normenklarheit und Eindeutigkeit ein, denn der dieser Regelung unterworfene Rechtsanwender könnte nicht mehr erkennen, ob in den einzelnen Tatbeständen der Nrn. 1 bis 18 des § 5 BGS 2002 Beiträge für die Herstellung oder für die Erneuerung oder Verbesserung der öffentlichen Einrichtung normiert sind.

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Wenn danach ausgeschlossen ist, dass § 5 Nr. 18 BGS 2002 einen Beitragssatz für die Erneuerung der Kläranlage der Gemeinde J... regelt, so fehlt dem angefochtenen Bescheid die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG erforderliche Satzungsgrundlage für die Erhebung eines solchen ("Erneuerungs-") Beitrages. Deshalb kommt es für die Entscheidung über den vorliegenden Zulassungsantrag nicht mehr darauf an und muss daher auch nicht abschließend geprüft werden, ob der beklagte Zweckverband die öffentliche Einrichtung überhaupt hinreichend bestimmt geregelt hat:

9

Die Heranziehung zu Abgaben einer öffentlichen Einrichtung setzt voraus, dass eine ortsrechtliche Regelung darüber besteht, für welche öffentliche Einrichtung die Abgaben zu zahlen sind, d. h. welchen Umfang die betreffende öffentliche Einrichtung hat (ausführlich dazu: OVG Greifswald, 15.03.1995 - 4 K 22/94 -, KStZ 1996, 114ff sowie Sauthoff in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand: September 2006, § 8 Rn 1633), wobei für diese Frage der Entwässerungssatzung maßgebliche Bedeutung zukommt (OVG Greifswald, 13.11.2002 - 4 K 24/99 -, NordÖR 2002, 172). Nach § 1 Abs. 1 der Abwasserbeseitigungssatzung vom 27. Juli 2001 i. d. F. der Änderungssatzung vom 13. Dezember 2002 betreibt der beklagte Zweckverband die öffentliche Abwasserentsorgung durch "jeweils einheitliche, rechtlich selbständige öffentliche Einrichtungen", die im folgenden unter den Buchstaben a) bis c) ihrer Aufgabe nach näher bezeichnet werden (a. zentrale Schmutzwasserbeseitigung, b. dezentrale Schmutzwasserbeseitigung, c. Niederschlagswasserbeseitigung), wobei die Bestimmung unter a. ("zentrale Schmutzwasserbeseitigung") noch vier Entsorgungsgebiete und 12 Gemeinden aufzählt. Diese für sich betrachtet nicht eindeutige Regelung des Einrichtungsbegriffs in der Abwasserbeseitigungssatzung könnte einen hinreichend bestimmten Inhalt allenfalls bei einer Zusammenschau mit § 5 BGS 2002 erlangen, der die Beitragssätze für die Herstellung bestimmter Einrichtungen regelt. Eine solche Betrachtung hat das Verwaltungsgericht in einer weiteren den Beklagten betreffenden Verwaltungsstreitsache in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angestellt, jedoch die abschließende Prüfung, ob der Verband den Einrichtungsbegriff rechtmäßig bestimmt hat, einer weiteren Prüfung vorbehalten (Beschluss vom 05.02.2004 - 3 B 708/03 -). Selbst wenn man aber der Meinung wäre, die öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtungen würden letztlich aufgrund einer Kongruenz der in § 5 BGS 2002 jeweils gemeindemäßig unterteilten Kanalisationsbestandteile und Kläranlagen mit den in § 1 Abs. 1 a) ABS 2001 genannten Gemeinden hinreichend exakt bestimmt, fällt auf, dass die Regelungen über die Beitragssätze in § 5 BGS 2002 nicht alle in § 1 Abs. 1 a) ABS 2001 genannten Gebiete abdecken. Ein Beitragssatz für das Gebiet der Gemeinde R... findet sich nicht. Dies könnte die Richtigkeit der Annahme in Frage stellen, dass mit jeder der in § 1 a) ABS 2001 genannten Gemeinden eine eigenständige zentrale Schmutzwasseranlage bezeichnet werden sollte, zumal für das Entsorgungsgebiet der Gemeinde J... nunmehr zwei verschiedene (Herstellungs-)Beitragssätze an deutlich unterschiedlichen Orten des § 5 BGS 2002, nämlich in dessen Nrn. 4 und 18 festgelegt worden sind.

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Auf weitere mit dem Zulassungsvorbringen angesprochene Fragen, etwa nach der Verjährung der geltend gemachten Beitragsforderung, kommt es nicht mehr an.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

12

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 GKG.

13

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

14

Mit der Ablehnung des Antrages wird das Urteil rechtskräftig

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